Neue Varianten von SARS-CoV-2 und Effekte auf Pandemiekontrolle
Seit einem Jahr geht SARS-CoV-2 um die Welt und nun mehren sich wieder zum Jahreswechsel beunruhigende Botschaften über Mutationen im Erbgut verschiedener Varianten des COVID-19-Erregers. Zahlreiche Forschende sowie die Bundeskanzlerin äußerten im Hinblick auf erste Erkenntnisse ihre Sorge vor der neuen Variante des Virus, die sich im Vereinigten Königreich verbreitet – in verschiedenen Kontexten entweder VOC202012/01, B.1.1.7 oder 501Y.V1 genannt. Analysen von mehreren Arbeitsgruppen und auch erste Daten aus Dänemark [I] weisen darauf hin, dass sich diese Variante stärker verbreiten kann als ihre Vorfahren und sich schnell gegen sie durchsetzt. Das lässt sich in verschiedenen Maßzahlen wie einer erhöhten Reproduktionszahl oder einer erhöhten Infektionsrate von Kontaktpersonen ausdrücken. Auch wenn es so scheint, als würde die Virusvariante nicht mehr schwerere COVID-19-Erkrankungen oder eine höhere Mortalität verursachen, so würde eine schnellere Übertragung des Krankheitserregers und damit eine deutlich erhöhte Anzahl Infizierter einen enormen Druck auf die Gesundheitssysteme ausüben.
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Das SMC hat die Expertin und die Experten gebeten, am Ende des Press Briefings ein kurzes Fazit zum Thema der weiteren Pandemie-Bekämpfung angesichts der zirkulierenden Virusvarianten zu geben. Die Antworten stellen wir Ihnen nachfolgend noch einmal als Statements zur Verfügung.
Leiter der Forschungsgruppe Virale Pathogenese und antivirale Immunantworten, Forschungsinstitut für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (CeMM), Wien, Österreich
„Ich glaube, die größte Herausforderung ist keine technologische oder medizinische, sondern wie man die Bevölkerung weiterhin motivieren kann. Das ist auch etwas, bei dem Wissenschaftsjournalisten eine sehr wichtige Rolle spielen, weil den Leuten hängt es 'raus. Auch wenn ich für mich spreche, manchmal möchte ich einfach Nachrichten lesen, in denen keine Corona-News vorkommen. Aber die ersten fünf Zeilen ist immer Corona und das geht schon ein Jahr so. Irgendwann hat man keine Lust mehr, erkennt den Ernst der Lage nicht mehr und gleichzeitig hält das Virus Überraschungen bereit. Das macht es extremst schwierig auf der Kommunikationsseite – vor allem für die Politik. Wir Wissenschaftler können ja sagen, wir wissen es nicht, wir verstehen es nicht. Aber wie die Politik damit umgeht, ohne zu paternalisieren, wie man die Leute möglichst mitnimmt, dass sie es verstehen und von sich aus selber die Maßnahmen ergreifen, das ist verdammt schwierig. Wenn man sich die Statistiken und Umfragen anschaut, wie viele Leute sich impfen lassen wollen – zumindest in Österreich – ist das erschreckend. Da ist es egal, ob der Impfstoff funktioniert oder nicht, wenn sich Leute nicht impfen lassen, dann ändert das nichts.“
Leiterin der Forschungsgruppe emerging viruses in der Abteilung für Infektionskrankheiten, Universität Genf, Schweiz
„Die epidemiologischen Daten, die man zu den neuen Varianten hat, geben durchaus einen Grund zur Sorge, einfach weil es ein eventuell ansteckenderes Virus ist. Wir haben nicht die endgültigen Daten, aber ich glaube, wir haben jetzt auch gelernt in der Pandemie, dass wir nicht warten können. Warten ist immer die schlechteste Strategie. Es ist besser zu reagieren und dann vielleicht hinterher überreagiert zu haben. Die Konsequenzen sind genau die gleichen, die wir die ganze Zeit haben. Ich glaube, es ist wichtig, diese Varianten zu überwachen, und zwar nicht nur diese beiden, sondern alle Varianten. Da muss man wirklich in langfristige Systeme investieren und eben auch an die Zeit denken, wenn die Pandemie mal vorbei ist oder wenn jetzt die nächsten Monate vorbei sind.“
„Was wir jetzt akut für die nächsten Wochen und Monate brauchen, ist eine gute Strategie, wie wir die Fallzahlen senken. Das wird uns helfen gegen die aktuell zirkulierenden Viren und es wird uns helfen, die Ausbreitung der neuen Variante zu verlangsamen und es wird uns helfen, die Impfstrategien gut umzusetzen. Gleichzeitig muss man natürlich die Impfkapazität hochfahren, das ist allerdings limitiert durch die Produktionskapazität. Aber ich glaube, unterm Strich ändert sich für die Politik oder auch für jeden Einzelnen dadurch erst nichts, außer dass man wirklich sagen muss, man muss jetzt nochmal ein paar Wochen und Monate konsequent sein. Es tut weh, aber man hat mit den Impfungen schon die Ziellinie im Blick. Aber es kommen jetzt nochmal ein paar anstrengende Wochen und Monate auf uns zu, bis dann hoffentlich im Frühjahr oder im Sommer viele Menschen geimpft sind und sich durch den Sommer auch die epidemiologische Situation hoffentlich entspannt.“
Auf die Frage, wie die internationale Situation zu bewerten ist, und ob Länder sich noch stärker koordinieren müssten:
„Mit Sicherheit. Das Virus ist ein globales Virus. Wir sprechen viel über Europa, wir können auch mal über die ganze Welt sprechen. Auch da gibt es viele Regionen, wo das Virus unkontrolliert zirkuliert, was eben auch eine Quelle von neuen Mutationen sein kann. Es sind auch gerade viele Regionen, die jetzt gar nicht so viel sequenzieren. Was in Afrika passiert, verstehen wir immer noch nicht gut. Aber gerade in Europa mit den offenen Grenzen wäre es sicher sehr, sehr sinnvoll, wenn man da eine besser koordinierte Pandemie-Strategie hätte. Das wäre sicher sehr, sehr hilfreich.“
Leiter der Forschungsgruppe Evolution von Viren und Bakterien, Biozentrum, Universität Basel, Schweiz
„Mein Fazit wäre, dass diese neuen Varianten die Notwendigkeit einer zeitnahen molekularen Surveillance wirklich noch einmal deutlich unterstreichen. Sicherlich ist SARS-CoV-2 jetzt das Virus, was am besten überwacht wird. Aber es ist nicht so, dass es da überhaupt keine Präzidenzfälle gäbe. Grippe zum Beispiel wird in einem globalen Netzwerk von Laboren relativ engmaschig überwacht. In den letzten zehn Monaten haben wir sehr, sehr wenig Grippe beobachtet, aber davor waren oft innerhalb von zwei Wochen Sequenzdaten zur Verfügung, die es erlauben, gut zu verstehen, welche Varianten wo zirkulieren. Und gerade bei Grippe haben wir auch das Problem, dass es da immunantigenische Evolution gibt und die Impfstoffe aktualisiert werden müssen. Aber auch dort ist es eigentlich nie so, dass eine Mutation hier schwarz-weiß die Impfeffizienz stark reduziert. Also das ist ein langwieriger Prozess, wo es typischerweise mehrere Schritte braucht, bis dann wirklich ein größerer Effekt da ist. Und ich denke, gerade die Evolution von Grippe kann uns durchaus eine Richtschnur geben, was wir eventuell für SARS-CoV-2 zu erwarten haben in den kommenden Monaten und Jahren.“
„Wir müssen mit allem, was wir haben, versuchen, die Ausbreitung des Virus aller Varianten, die zirkulieren, einzudämmen. Wir wissen im Grunde, wie man das anstellen kann, aber es braucht einen koordinierten Aufwand.“
Weiterführende Recherchequellen
Science Media Center (2020): Mutationen in SARS-CoV-2-Variante in UK und Erbgut-Analysen in Deutschland. Rapid Reaction. Stand: 21.12.2020.
Science Media Center (2020): Mutationen von SARS-CoV-2 und mögliche Effekte auf den Pandemieverlauf. Press Briefing. Stand: 23.06.2020.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Statens Serum Institut (02.01.2021): Ny status på forekomsten af cluster B.1.1.7 i Danmark. Mitteilung des nationalen Forschungsinstituts für Infektionskrankheiten auf Dänisch.
[II] Tegally H et al. (2020): Emergence and rapid spread of a new severe acute respiratory syndrome-related coronavirus 2 (SARS-CoV-2) lineage with multiple spike mutations in South Africa. bioRxiv. DOI: 10.1101/2020.12.31.425021.
[III] Greany AJ et al. (2021): Comprehensive mapping of mutations to the SARS-CoV-2 receptor-binding domain that affect recognition by polyclonal human serum antibodies. bioRxiv. DOI: 10.1101/2020.12.31.425021.
[IV] Adreano E et al. (2020): SARS-CoV-2 escape in vitro from a highly neutralizing COVID-19 convalescent plasma. bioRxiv. DOI: 10.1101/2020.12.28.424451.
[V] Voloch CM et al. (2020): Genomic characterization of a novel SARS-CoV-2 lineage from Rio de Janeiro, Brazil. medRxiv. DOI: 10.1101/2020.12.23.20248598.
Dr. Andreas Bergthaler
Leiter der Forschungsgruppe Virale Pathogenese und antivirale Immunantworten, Forschungsinstitut für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (CeMM), Wien, Österreich
Prof. Dr. Isabella Eckerle
Leiterin der Forschungsgruppe emerging viruses in der Abteilung für Infektionskrankheiten, Universität Genf, Schweiz
Prof. Dr. Richard Neher
Leiter der Forschungsgruppe Evolution von Viren und Bakterien, Biozentrum, Universität Basel, Schweiz