Welche Instrumente könnten die Verkehrswende in Gang setzen?
Standards für kohlenstoffarme Treibstoffe, Förderung von Null-Emissions-Fahrzeugen und verschärfte Treibhausgas-Emissionsstandards für die konventionellen Fahrzeuge bilden in den Augen eines kanadisch-deutschen Forscherteams den erfolgversprechendsten Mix, mit dem die Verkehrswende in Gang gesetzt werden kann. Das fassen die Wissenschaftler in einem Diskussionsbeitrag zusammen, den im Fachblatt „Nature Climate Change“ veröffentlichen (siehe Primärquelle). Das Team stützt sich auf eine umfangreiche Analyse von Studien, die bereits beschlossene Maßnahmen in Kalifornien, Kanada oder Europa untersuchten oder zukünftige Effekte berechneten.
Die Analyse zeige, so die Wissenschaftler weiter, dass einem CO2-Preis für die Verkehrswende durchaus eine unterstützende Rolle zukomme, der Preis allein könne jedoch eine Verkehrswende nicht in Gang setzen.
Neben dem Einsatz von Standards und der Förderung von Null-Emissions-Fahrzeugen bewerten die Wissenschaftler auch die Rolle von Verkehrsvermeidungen, Förderung von Radverkehr oder Förderung von Bus und Bahn. Sie weisen ferner darauf hin, dass die Politik auch im Güterverkehr dringend eine Verkehrswende herbeiführen muss.
Abteilungsleiterin der Abteilung "Energie, Verkehr und Umwelt", Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin
„Die solide Studie fasst den wesentlichen Forschungsstand sehr gut zusammen: Um die Emissionsminderungsziele im Verkehrssektor zu erreichen und zugleich die anderen Umweltgefahrenvon übermäßigem Verkehr durch Lärm, Staus und lokale Schadstoffe einzudämmen, sind eine Vielzahl von Maßnahmen notwendig. Dabei nutzt die Studie unterschiedliche Kriterien zur Bewertung, die neben der Effektivität und der Kosteneffizienz ebenso die politische Durchsetzbarkeit zur Transformation berücksichtigt. Gerade letztere sind in der Vergangenheit die wesentlichen Gründe für die unzureichende Zielerfüllung im Verkehrssektor. Die Studie ist solide und fasst den wesentlichen Forschungsstand sehr gut zusammen.“
„Die Autoren kommen zu dem richtigen Schluss, dass nur eine Vielzahl von Instrumenten sicherstellen kann, dass der Verkehrssektor dekarbonisiert und weniger umweltschädlich wird. Es gibt nicht das alleinige Instrument, wie die Einführung einer CO2-Bepreisung, das ausreichen würde, um die Ziele zu erreichen. Dies liegt zum einen daran, dass im Verkehrssektor ein sehr hoher CO2-Preis von über 180 Euro pro Tonne CO2 notwendig wäre, um die Emissionsminderungsziele zu erreichen. Zum anderen ist eine Verkehrswende deutlich mehr als Klimaschutz, da Feinstaub, Staus und Lärm zu erheblichen negativen Umweltwirkungen führen, die vermindert oder gar abgeschafft werden müssen. Ein CO2 -Preis im Verkehrssektor kann in der Tat flankierend eingesetzt werden, aber es sind zahlreiche weitere Maßnahmen notwendig und sinnvoll. Eine Verkehrswende muss auf Verkehrsvermeidung, -verlagerung und -optimierung ausgerichtet sein. Neben der Einführung von konkreten Standards ist es ebenso sinnvoll, Null-Emissionen-Fahrzeuge zu fördern sowie den Schienen- Rad- und Fuß-Verkehr.“
„Um die Verkehrswende in Deutschland zu erreichen, sollten die Emissionsgrenzwerte auf EU-Ebene verschärft werden, umweltschädliche Subventionen – allen voran die Dieselsteuererleichterung – abgeschafft werden, eine CO2-Steuer und Klima-Maut sowie eine Elektroautoquote für neu zugelassene Fahrzeuge von 25 Prozent ab 2025 und 50 Prozent ab 2030 eingeführt werden. Zudem müssen die Lade- und Schieneninfrastruktur sowie Rad und Fußwege ausgebaut werden. Ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen von 130 Kilometer pro Stunde ist überfällig.“
Senior Researcher, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), Berlin
„Es gibt für die überfällige Verkehrswende nicht einen einzigen Hebel, da ist den Autoren des vorliegenden Beitrags zuzustimmen. Es muss immer einen Mix an regulatorischen und preislichen Instrumenten geben, ambitionierte Standards und Grenzwerte sowie ein steigender CO2-Preis sind dabei unverzichtbar. Dabei kann und muss die Europäische Union Vorreiter sein.“
„In diesem Mix hat allerdings die Bepreisung für das Benutzen und Abstellen von Autos in der Stadt einen besonderen Charme. So können nicht nur die volkswirtschaftlichen Kosten der Autonutzung verursachergerecht zugeordnet werden. Eine City-Maut lässt sich zudem belastungsabhängig differenzieren – etwa nach Größe und Gewicht der in die Stadt einfahrenden Fahrzeuge, den ausgestoßenen Schadstoffen, der zurückgelegten Entfernung oder dem tatsächlichen Verkehrsaufkommen. Außerdem würden den Städten und Kommunen durch eine Städte-Maut zusätzliche Einnahmen beschert, die zweckgebunden in den Ausbau und die Verbesserung des ÖPNV sowie der Rad- und Fußwege fließen können.“
„Noch fehlen in Deutschland die gesetzlichen Voraussetzungen für eine City-Maut. Kurzfristig ist es daher sinnvoll, Modellgebiete auszuweisen, in denen Mautmodelle ausprobiert werden können.“
„An ihrer Ausgestaltung sollte die Bürgerschaft umfänglich und von Anfang an beteiligt sein. Denn eine City-Maut ist nicht nur eine technische und rechtliche Herausforderung, auch die sozialen Folgen sind von Anfang an in den Blick zu nehmen. So müssen Pendlerinnen und Pendler die Möglichkeit haben, auf das Auto verzichten zu können. Mehr P+R-Parkplätze mit besserer ÖPNV-Anbindung müssen entsprechend zeitgleich mit der Einführung einer Städte-Maut zur Verfügung stehen. Wichtig ist schließlich, dass die Mauteinnahmen tatsächlich genutzt werden, um den öffentlichen Verkehr attraktiver zu machen und nicht zuletzt, um sichere Wege zum Radfahren und Zufußgehen einzurichten.“
Co-Leiter des Forschungsbereichs Mobilität und Verkehrspolitik Abteilung Energie-, Verkehrs- und Klimapolitik, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, Wuppertal
„Der Artikel leistet einen wichtigen Beitrag zur Debatte über Politikinstrumente für den Klimaschutz im Verkehr. Die Autoren weisen zurecht darauf hin, dass nur ein integrierter Instrumentenmix zu einer relevanten Senkung der CO2-Emissionen im Straßenverkehr beitragen kann. Ihre Argumentation, dass Regulierung dabei die zentrale Säule bildet, ist nachvollziehbar – nur vor dem Hintergrund verbindlicher Regeln besteht die Chance einer schnellen Transformation hin zu effizienteren, alternativ angetriebenen Fahrzeugen. Insbesondere die Analyse der Studie zu Schlupflöchern bei bestehenden Regulierungen ist hilfreich, zukünftig wirksamere Regeln zu entwickeln.“
„Aufgrund des Fokus auf den Straßenverkehr werden andere Elemente der Verkehrswende in dem Beitrag allerdings etwas knapp behandelt. So werden unter der Überschrift ‚travel reduction‘ eigentlich zwei verschiedene Strategien diskutiert – sowohl die Verkehrsvermeidung als auch die Verlagerung auf den Umweltverbund aus Fuß- und Radverkehr, Bus und Bahn. Die Bewertung, dass diese Strategien nur eine ergänzende Bedeutung für die Verkehrswende haben, ist jedoch zu relativieren: Zwar ist der Straßenverkehr aktuell für den weit überwiegenden Teil der CO2-Emissionen verantwortlich, jedoch kann gerade eine Verlagerung auf den Schienenverkehr erheblich zur CO2-Reduktion beitragen, wenn langfristig entsprechend starke Maßnahmen umgesetzt werden. Da dies jedoch bislang nur in wenigen Ländern – unter anderem in der Schweiz oder Japan – der Fall ist, liegt relativ wenig empirische Evidenz für die Relevanz von Verkehrsverlagerung für die CO2-Reduktion vor, was sich in der Bewertung der Autoren niederschlägt.“
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Primärquelle
Axen, J et al (2020): Crafting strong, integrated policy mixes for deep CO2 mitigation in road transport. Nature Climate Change, DOI: 10.1038/s41558-020-0877-y
Prof. Dr. Claudia Kemfert
Abteilungsleiterin der Abteilung "Energie, Verkehr und Umwelt", Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin
Dr. Weert Canzler
Senior Researcher, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), Berlin
Thorsten Koska
Co-Leiter des Forschungsbereichs Mobilität und Verkehrspolitik Abteilung Energie-, Verkehrs- und Klimapolitik, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, Wuppertal