Bioenergie nur begrenzte Zeit sinnvoll für Klimaschutz?
Bioenergie kann nur für eine begrenzte Zeit beim Klimaschutz eine wichtige Rolle spielen. Zu diesem Schluss kommen US-amerikanische Forscher um Walter V. Reid, Direktor des Naturschutz- und Wissenschaftsprogramms der David and Lucile Packard Foundation, im Journal „Global Change Biology“ (siehe Primärquelle). Das liege, so die Autoren, vor allem an der intensiven Landnutzung und daran, dass Bioenergie von effizienteren Technologien überholt werden wird. Prognosen, so die Autoren, die die Nutzung von Biomasse aus Nutzpflanzen, Bäumen oder Gräsern als Kraftstoff bis 2100 vorsehen, übersähen den hohen CO2-Fußabdruck und die übermäßige Landnutzung dieser Technologie. Sie kritisieren zudem, dass die Relevanz von Bioenergie in bisherigen Studien oft zu hoch eingeordnet wird. Daher empfehlen sie der Politik, die Rolle der Bioenergie zu überdenken und unter anderem die nötige intensive Landnutzung zu begrenzen.
Abteilungsleiterin der Abteilung "Energie, Verkehr und Umwelt", Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin
„Die Studie belegt einmal mehr, dass Bioenergie in der Tat nur eine begrenzte Rolle spielen kann, da Wälder nicht nur als Rohstoff zur stofflichen oder energetischen Verwendung eingesetzt werden können, sondern vor allem als CO2-Senke zur Vermeidung des Klimawandels wichtig sind – und dabei selbst stark vom Klimawandel betroffen sind. Die Potenziale der Nutzung von Biomasse für den Klima- und Umweltschutz sind in der Tat begrenzt. Zum einen muss es darum gehen, den Wald aufzuforsten, zu erhalten und durch nachhaltiges Waldmanagement die Potenziale der CO2-Senke zu maximieren. Zum anderen kann Biomasse zur stofflichen und energetischen Nutzung nur da zum Einsatz kommen, wo es keine beziehungsweise nicht ausreichende andere klimaschonende Alternativen gibt. Zudem sollten nur Biomasse-Reststoffe genutzt werden, die nicht in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion stehen. Die Biomasse-Potenziale hängen entscheidend davon ab, wie nachhaltig die Landwirtschaft betrieben wird – das heißt wenig Einsatz von Pestiziden und Gülle und so weiter – und wie stark der Klimawandel voranschreitet. Zwar kann Biomasse-KWK (Kraft-Wärme-Kopplung, ein Verfahren, bei dem gleichzeitig Energie und zum Heizen nutzbare Wärme entsteht; Anm. d. Red.) energetisch effizient insbesondere für die Industrie genutzt werden, gerade weil es eine stete und speicherbare Energieform ist. Die Potenziale sind jedoch stark begrenzt (maximal 10 Prozent des Energiebedarfs in Deutschland). In der Mobilität werden zukünftig die Elektromobilität und synthetische Kraftstoffe eine größere Rolle spielen, sodass Biokraftstoffe nur einen kleinen und abnehmenden Beitrag spielen können – kurzfristig sind sie wichtig zum Erreichen der Klimaziele, langfristig werden sich in der Tat andere Optionen durchsetzen. Wichtig ist, dass die Anreize für eine nachhaltige Landwirtschaft gesetzt werden und den effizienten Einsatz der ‚kostbaren‘ Biomasse nur für solche Bereiche, wo es kaum Alternativen gibt.“
Institutsleiter des Instituts für Mikroverfahrenstechnik, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Eggenstein-Leopoldshafen
„Die Autoren haben Recht mit der Feststellung, dass Bioenergie wegen des großen Flächenbedarfs pro erzeugter Energieeinheit und der Konkurrenz um landwirtschaftlich nutzbare Flächen entweder für Nahrungsmittel oder für Energiepflanzen weltweit betrachtet nicht genügend Potenzial besitzt, um die heute dominierenden fossilen Energieträger zu ersetzen. Da es sich bei Biomasse um chemisch gebundene Energie handelt, Photovoltaik und Windenergie aber elektrische Energie liefern, sehe auch ich das Potenzial der Bioenergie vor allem in den Bereichen Kraftstoffe für Anwendungen, für die eine hohe Energiedichte benötigt wird, Wärme und Einsatzstoffe für chemische Verfahren.“
„Ich bin aber nicht der Meinung, dass Bioenergie nur für begrenzte Zeit eine Rolle spielen wird, denn es wird immer Abfall-Biomasse, Holz und so weiter geben, aber die Bedeutung insgesamt ist begrenzt. Der großflächige Anbau von Bioenergieträgern ist aus mehreren Gründen problematisch, unter anderem weil er den Bemühungen um Erhaltung der Biodiversität zuwiderläuft. Bioenergie kann also nicht die einzige Option sein und sie ist auch nicht die wichtigste. Allerdings sind die Voraussetzungen für Bioenergie in den verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich, das heißt diese Aussage gilt global und nicht unbedingt regional oder lokal.“
„Mit Blick auf die Entnahme von Kohlendioxid aus der Atmosphäre ist es so, dass dafür außer Pflanzen (BECCS = bioenergy with carbon capture and storage) auch technische Verfahren eingesetzt werden können. Man spricht von Kohlendioxid Direct Air Capture (DACCS = direct air capture with carbon storage). Auch hier ist es so, dass die Variante über Biomasse einen viel größeren Flächenbedarf besitzt als DAC, auch wenn man die für DAC nötige Stromerzeugung aus Erneuerbaren einkalkuliert.“
„Bezüglich der Kosten lässt sich sagen, dass Bioenergie nach heutiger Einschätzung kostengünstiger als die Alternative Power-to-X, also strombasierte chemische Energieträger aus Kohlendioxid, ist. Dies gilt dementsprechend auch für den Vergleich BECCS gegenüber DACCS. Mittel- und langfristig führt aber kein Weg an einem Ausbau der Stromerzeugung aus Photovoltaik und Windenergie sowie anderen Erneuerbaren Energien (in ferner Zukunft vielleicht auch Fusionskraftwerke) und daran angeschlossen Power-to-X für die Speicherung großer Energiemengen und zur nachhaltigen Bereitstellung von Kraftstoffen und chemischen Grundstoffen vorbei. Dafür ist ein Markthochlauf der DAC und Power-to-X Technologien erforderlich. Würde dieser durch eine Präferenz der Bioenergie aus Kostengründen verhindert oder verzögert, so hätte man insgesamt eine Fehlsteuerung und die Gefahr von locked-in-Investitionen.“
„Wegen der zunehmenden Elektrifizierung des Transports und auch der Industrie werden die benötigten Mengen chemischer Energieträger zwar deutlich geringer sein als die heute verbrauchten Mengen, aber immer noch riesig. Er wird nicht durch Bioenergie allein gedeckt werden können. Der erforderliche Ausbau der Stromerzeugung aus Erneuerbaren muss dabei naturverträglich und im Einklang mit den jeweiligen Gesellschaften erfolgen.“
Leiterin Department Bioenergie, Helmholtzzentum für Umweltforschung / Bereichsleiterin Bioenergiesysteme, Deutsches Biomasseforschungszentrum, Leipzig
„Die Autoren beschreiben grundlegende Dynamiken in der weiteren Entwicklung erneuerbarer Energien richtig (begrenzte Landflächen, Kostensenkungspotenziale, sich verschiebende Nachfrage). Allerdings finden sich kaum Hinweise über Dynamiken und Risiken dieser erwarteten Entwicklungen - damit ist es schwierig, diese als handlungsleitend zu nutzen. Folgt man bei der Transformation des Energiesystems dem Budgetansatz (es dürfen nur noch begrenzte CO2-Menge emittiert werden), dann sind die Überlegungen zu allgemein und die Schlussfolgerungen generisch.”
„Auch gehen die Autoren nicht auf die Möglichkeiten ein, die sich durch integrierte Konzepte ergeben: Aufwertung von Marginalflächen durch Biomasseanbau, kombinierte Bereitstellung von Materialien und Energie in Bioraffinerien, Bioenergie aus kreislauforientierter Kaskadennutzung. Diese integrierten Konzepte geben der Bioenergie auch unter sich ändernden Randbedingungen eine dauerhafte Rolle.”
„Dabei ist die günstigste Option für Bioenergie auch sehr stark von den nationalen Randbedingungen abhängig: So haben die skandinavischen Länder mit teilweise schon sehr hohen Anteilen an erneuerbaren Energien andere Einsatzfelder für Bioenergie als zu Beispiel Deutschland. Auch hier muss das jeweilige Kohlendioxidbudget einbezogen und gegen Alternativen abgewogen werden. Nicht die unbestimmte Zukunft, sondern die konkreten Entscheidungspunkte für geeignete Bioenergieanwendungen zu analysieren, ist für diese Entscheidungsunterstützung deutlich hilfreicher. Entsprechend wurde die deutsche ESYS-Studie (Energiesysteme der Zukunft) aufgebaut [i].”
„Vorrang für Bio-Abfall (beziehungsweise auch Bio-Restoffe) vor Bio-Anbau sind wichtige Elemente für eine nachhaltige Bioenergiepolitik. Um locked-in-Investitionen zu vermeiden ist es vor allem wichtig, die Potenzialsituation der für die Energiebereitstellung verfügbare Biomasse richtig einzuschätzen. Hier sollte man zwischen sicheren und unsicheren Potenzialen unterscheiden. Es ist naheliegend, dass für unsichere Potenziale andere Infrastrukturen angestrebt werden sollten. Diese Unterscheidung bleibt allerdings in dem Artikel sehr allgemein. Betrachtet man Deutschland, kann man mittelfristig einen Bioenergiebeitrag aus Abfällen und Reststoffen von 10 Prozent der künftigen Energienachfrage erwarten. Dieses richtig einzusetzen, dürfte der entscheidende Beitrag für ein klimaneutrales Energiesystem 2050 sein.”
„Auch hier gilt es, die jeweiligen Rahmenbedingungen in den Ländern zu beachten, um zu klimaschutzeffizienten Handlungsempfehlungen zu kommen. Für Deutschland zum Beispiel besteht kein weiterer Bedarf nach Grundlast im Stromsystem. Hingegen könnte man in einer eher dezentral organisierten Stromversorgung (unter anderem durch begrenzte Leitungskapazitäten) flexiblen Strom aus Biomasse (zum Beispiel aus Biogasanlagen) gut einsetzen. Sicher relevant in Deutschland ist der Bedarf nach Kerosin und Treibstoffe für Antriebssysteme, die absehbar nicht elektrifizierbar sind. Sie in integrierten Bioraffinerien bereit zu stellen, stellt ein wichtiges Element der Transformation der Rohstoffbasis – auch jenseits des Umbaus des Energiesystems – dar. Eine differenzierte Betrachtung von Bioenergie-Infrastrukuren wäre daher notwendig gewesen. Dies wurde für Deutschland in der ESYS-Studie [i] versucht. Demnach sind für die künftige Nutzung von Bioenergie in Deutschland drei Entscheidungspunkte entscheidend:
Sequenzielles Entscheiden stellt damit eine gute Möglichkeit dar, lock-In Effekte zu vermeiden.”
„Schließlich hätte ich mir beim Thema lock-in auch eine kritische Diskussion der nach wie vor überwältigend hohen traditionellen Bioenergienutzung gewünscht, die doch deutlich macht, dass lock-in Effekte nicht nur technologischer Natur sind.”
„Es gibt keine Interessenkonflikte.“
„Es gibt keine Interessenkonflikte.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Primärquelle
Reid WV et al. (2019): The Future of Bioenergy. Global Change Biology. DOI: 10.1111/gcb.14883.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
Prof. Dr. Claudia Kemfert
Abteilungsleiterin der Abteilung "Energie, Verkehr und Umwelt", Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin
Prof. Dr. Roland Dittmeyer
Institutsleiter des Instituts für Mikroverfahrenstechnik, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Eggenstein-Leopoldshafen
Prof. Dr. Daniela Thrän
Leiterin Department Bioenergie, Helmholtzzentum für Umweltforschung / Bereichsleiterin Bioenergiesysteme, Deutsches Biomasseforschungszentrum, Leipzig