Luftverschmutzung durch Stickstoffdioxid
Am 27.Februar 2018 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht, ob Kommunen Fahrverbote für ältere Dieselfahrzeuge verhängen dürfen, um sie als mögliches Instrument zur Senkung der Stickstoffdioxid- und der Feinstaub-Belastung einzusetzen. Mit diesem Fact Sheet möchten wir in kompakter Form Ihre Recherchen zu den Auswirkungen von Stickstoffdioxid NO2 unterstützen.
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Die Luft ist in vielen deutschen Städten und Gemeinden stärker mit Schadstoffen belastet, als die geltenden Grenzwerte dies zulassen. Stickstoffdioxid NO2 ist dabei neben Feinstaub und Ozon O3 besonders in der Diskussion. Die aktuellen Debatten drehen sich um die allgemeine Luftqualität in den Städten, drohende Fahrverbote für ältere Diesel-PKW und die Klagen der Deutschen Umwelthilfe gegen zahlreiche deutsche Städte wegen zu hoher NO2-Belastungen der Luft. Inzwischen hat auch die EU-Kommission eine Klage gegen Deutschland wegen zu hoher Luftbelastung angekündigt.
Der geltende EU-Grenzwert schreibt im Jahresmittel eine maximale Belastung von 40 Mikrogramm NO2 pro Kubikmeter Luft vor. Überschreitungen dieses Grenzwertes sind in Deutschland ausschließlich an verkehrsnahen Messstationen zu beobachten. Eine vorläufige Auswertung der Daten zur Luftqualität in Deutschland 2017 zeigt, dass er an 41 Prozent der verkehrsnahen Messstationen nicht eingehalten wurde. Das Umweltbundesamt rechnet damit, dass die finale Auswertung der Daten eine Überschreitung an 46 Prozent der verkehrsnahen Stationen ergeben wird [1]. In etwa 70 Kommunen kam es dabei zur Überschreitung des Grenzwertes.
Insgesamt geht die Belastung durch NO2 in den vergangenen Jahren zurück. Gemessen wird dies an bundesweit 527 Messstationen, deren Standorte entsprechend Anhang V der EU-Umgebungsrichtlinie festgelegt sind [2]. Dabei wird berücksichtigt, wie viele Menschen in der jeweiligen Kommune wohnen. Werden Grenzwerte überschritten, dann sind mehr Stationen zu installieren als wenn dies nicht der Fall ist. 2010 wurden noch an über 70 Prozent der verkehrsnahen Stationen Überschreitungen gemessen, 2016 immerhin noch an fast 60 Prozent [3]. Im ländlichen Bereich liegen die Konzentrationen an allen Messstationen im Jahresmittel um die 10 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft; auch in den Städten abseits der verkehrsreichen Straßen (‚städtischer Hintergrund’) sind sie deutlich unterhalb des Grenzwertes. Erstmals wurde in 2017 der Grenzwert für die kurzfristige Belastung von 200 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft an keiner Messstation öfter als zulässig (18-mal pro Jahr) überschritten. Die WHO-Richtlinien sind allerdings strenger – sie erlauben bei gleichem Grenzwert keine Überschreitung dieser Schwelle – was im Jahr 2017 an 13 Prozent der verkehrsnahen Stationen in Deutschland mindestens einmal im Jahr der Fall war.
Stickstoffdioxid NO2 ist ein braunrotes, nicht brennbares, charakteristisch riechendes, äußerst korrosives, stark giftiges Gas. Trotz seines charakteristischen Geruches wird es in geringen Konzentrationen kaum wahrgenommen. Natürliche Emissionen entstehen durch mikrobiologische Prozesse im Boden, bei Gewittern und Vulkanausbrüchen. In großem Umfang entsteht es als Nebenprodukt bei Verbrennungsprozessen und stammt deshalb in erheblichem Maße aus anthropogenen Quellen: Industrieanlagen, Kraftwerken, Heizungsanlagen. Die Hauptquelle ist allerdings der Straßenverkehr, besonders im urbanen Umfeld. Daher ist die Belastung in Ballungszentren an Hauptverkehrsstraßen und Autobahnen am höchsten. In den Städten gehen 60 Prozent der Emissionen auf den Straßenverkehr zurück. Bundesweit ist der Verkehr für 40 Prozent aller anthropogenen Stickoxid-Emissionen verantwortlich. Innerhalb der so genannten ‚Verursachergruppe Straßenverkehr’ emittieren Diesel-PKW 50 Prozent, Diesel-LKW 28 Prozent und PKWs mit Otto-Motoren (‚Benziner’) 8 Prozent der Stickoxid-Abgase.
Etwa die Hälfte des NO2 wird direkt emittiert. Die übrige Menge wird aus Stickstoffmonoxid NO gebildet, das bei Verbrennungsprozessen zunächst entsteht und dann im Wesentlichen durch Reaktion mit bodennahem Ozon O3 zu NO2 reagiert. In Innenräumen entsteht das Gas vor allem durch die Nutzung von Gasherden und Durchlauferhitzern. Beim Zerfall von NO2 unter Einwirkung von Sonnenlicht entsteht auch Ozon, was erhebliche Auswirkungen auf die Konzentrationen bodennahen Ozons haben kann. Zudem trägt NO2 zur Bildung von Feinstaub bei, da sich aus dem Gas Nitrat-Aerosole bilden, die eine wichtige Fraktion des Feinstaubs ausmachen. Durch Reaktion mit Wasser bildet sich Salpetersäure HNO3, die zur Versauerung von Böden und Gewässern beiträgt.
Die geltenden Grenzwerte unterscheiden zwischen kurz- und langfristiger Exposition. So liegt der EU-Grenzwert bei 40 µg/m3 im Jahresmittel. Für die 1-Stunden-Belastung gelten 200 µg/m3 als Obergrenze, die nicht öfter als 18-mal pro Jahr überschritten werden darf. Der Grenzwert an hochbelasteten Arbeitsplätzen liegt bei 950 µg/m3 [4] und gilt nur für Beschäftigte, bei deren Arbeit wegen bestimmter Produktionsverfahren oder durch den Umgang mit bestimmten chemischen Substanzen eine erhöhte NO2-Belastung zu erwarten ist. Dieser Wert gilt für gesunde Menschen, über maximal acht Stunden, an höchstens fünf Tagen pro Woche. Für Büroarbeitsplätze gelten 60 µg/m3 im Wochenmittel als Richtwert.
7 bis 9 Prozent der europäischen Bevölkerung sind NO2-Belastungen ausgesetzt, die über dem Grenzwert für den Jahresmittelwert liegen [5]. Wie die anderen Verbindungen, die zur Luftverschmutzung beitragen, hat auch NO2 erhebliche Wirkung auf die Gesundheit der Menschen, besonders in den Städten. Es verkürzt die Lebenserwartung, erhöht die medizinischen Kosten und reduziert die wirtschaftliche Produktivität durch verlorene Arbeitstage aufgrund von Erkrankungen.
In ihrem aktuellen Bericht zur Luftqualität in Europa beziffert die Europäische Umweltagentur EEA die Anzahl der vorzeitigen Todesfälle aufgrund von NO2-Exposition in allen 41 europäischen Staaten auf 78.000, davon 12.860 in Deutschland, wenn die Auswirkungen von NO2-Konzentrationen oberhalb von 20 µg/m3 berücksichtigt werden (‚counterfactual concentration’) [5]. Da es inzwischen auch Studien gibt, die unterhalb dieses Wertes eine signifikante Korrelation von NO2-Werten und Gesundheitseffekten sehen, hat die EEA in ihrem aktuellen Bericht erstmals Berechnungen für die Auswirkungen von NO2-Konzentrationen ab 10 µg/m3 angestellt. Diese Berechnungen ermitteln 241.000 vorzeitige Todesfälle aufgrund von NO2-Exposition in allen 41 europäischen Staaten, davon 44.960 in Deutschland. Entscheidend bei dieser Maßzahl ist, dass der Tod bei einigen Personen früher eintritt, dass also die Lebenserwartung sinkt und Lebenszeit verloren geht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich erst nach langjährigem Einatmen von erhöhten NO2-Konzentrationen bei einigen Personen chronische Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen entwickeln, die dann in höherem Alter zum vorzeitigen Tod führen. Die Wirkung tritt also meist erst verzögert ein. Diese Höhe des Lebenszeitverlustes kann ausgedrückt werden in ‚years of life lost’. Sie ist ein alternativer Indikator für den Schaden durch überschrittene Grenzwerte.
Das Umweltbundesamt (UBA) ermittelt in einer im März 2018 veröffentlichten Studie 5.966 vorzeitige Todesfälle allein durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die auf eine NO2-Langzeitexposition zurückzuführen sind. Nicht berücksichtigt sind hier vorzeitige Todesfälle durch andere durch NO2 verursachte Gesundheitsbelastungen, zum Beispiel Herzinfarkt, Lungenkrebs und Frühgeburten, weil für diese nach Ansicht des UBA keine vergleichbar starke Evidenz und hohe statistische Gewissheit in Zusammenhang mit Stickstoffdioxid-Belastungen vorliegen. Das UBA verweist darauf, bei seinen Berechnungen eher konservativ vorgegangen zu sein und somit die tatsächlichen Auswirkungen eher zu unterschätzen [11].
Aus Tierversuchen ist relativ gut bekannt, welche toxischen Effekte bei einer bestimmten Konzentration im Menschen ausgelöst werden können. Zwar sind die gesundheitlichen Effekte beim Menschen schwer von der Wirkung anderer Luftschadstoffe abzugrenzen – trotzdem sind die Zusammenhänge zwischen erhöhten NO2-Expositionen und gesundheitlichen Auswirkungen gut belegt [6].
Als Risikogruppen gelten vor allem Menschen mit bestehenden Atemwegserkrankungen (Asthmatiker, Patienten mit chronischer Bronchitis), Herzkranke und Kinder, bei denen die Entwicklung der Lungenfunktion beeinträchtigt werden kann. Die Aufnahme von NO2 erfolgt vor allem über die Atemwege. Wegen seiner geringen Wasserlöslichkeit dringt ein Großteil des eingeatmeten NO2 bis in die Lungenperipherie vor. Dort kann es in den Lungenbläschen Zellschäden verursachen und entzündliche Prozesse auslösen. Wirkungen können sowohl bei kurz- als auch bei langfristiger Exposition auftreten. Kurzfristige Exposition – also über Stunden oder Tage – führt zu akuten gesundheitlichen Effekten; langfristiges Exposition – über Monate und Jahre – führt zu chronischen Erkrankungen. Studien belegen negative gesundheitliche Effekte auch unterhalb der bestehenden Grenzwerte [7].
NO2 kann zu einer Überempfindlichkeit der Bronchien führen, die als ein Risikofaktor für die Entwicklung von chronischen und allergischen Atemwegserkrankungen gilt. Selbst kurzfristige Belastungen oder rapide Schwankungen der NO2-Konzentration können zu einer Zunahme der Gesamtsterblichkeit führen, insbesondere infolge von Kreislauferkrankungen [8]. Zudem sind häufigere Arztbesuche und Krankenhauseinweisungen wegen chronischer Bronchitis, asthmatischen Erkrankungen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen belegt. Eine langfristige Exposition wirkt sich auch auf die Gesamtsterblichkeit aus [9, Tabelle 4], wobei vor allem Menschen betroffen sind, die an verkehrsreichen Straßen wohnen. Zudem treten bei langfristiger Exposition Atemwegserkrankungen wie Husten, Bronchitis und Lungenfunktions-Verschlechterungen häufiger auf.
NO2 ist ein Vorläufer für bodennahes Ozon und Feinstaub, die wiederrum für negative gesundheitliche Auswirkungen verantwortlich sind. Zudem kann NO2 Ökosysteme schädigen. Unmittelbare Schäden an der Vegetation treten nur in direkter Nähe von NO2-Quellen auf. Bei Pflanzen kann das Gas Nekrosen in den Blättern auslösen, wodurch diese sich gelb färben. Auch Kümmerwuchs und vorzeitiges Altern wird durch NO2 bei Pflanzen verursacht. Durch weiträumige Transportprozesse trägt NO2 durch seine Folgeprodukte Salpetersäure HNO3 und Nitratsalze zur Versauerung und Überdüngung von Böden und Gewässern bei – mit all den damit verbundenen Auswirkungen auf die Artenvielfalt in den Ökosystemen.
Die EU-Kommission erwägt eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof EuGH gegen Deutschland wegen zu hoher Luftbelastung in vielen Städten und Gemeinden. Somit ist die Bundesrepublik unter Zugzwang. Die kürzlich diskutierten Pilotversuche zur kostenfreien Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs sind bereits eine Reaktion auf diese Klageankündigung.
In Deutschland wurden 2017 alle Überschreitungen der Grenzwerte ausschließlich an verkehrsnahen Messstationen verzeichnet. Das legt nahe, dass eine Verminderung der NO2-Exposition der Bevölkerung vor allem durch Maßnahmen zur Minderung der durch den Straßenverkehr verursachten Emissionen zu erzielen ist. Fahrverbote für ältere Dieselfahrzeuge sind eine mögliche Maßnahme. Auch ein Software-Update bei Diesel-PKW, die die Euro-5- bzw die Euro-6-Abgasnorm erfüllen, könnte einen Beitrag leisten. Ebenso der Rückkauf von älteren Fahrzeugen. Allerdings sieht eine Studie des Umweltbundesamtes UBA [10] in diesem Rückkauf nur ein geringes Potential. Vor allem, weil der Ersatz der älteren Fahrzeuge nicht automatisch emissionsärmer unterwegs ist. Dagegen wird den Software-Updates eine Minderung der Emissionen um bis zu 7 Prozent zugesprochen. Dies würde die NO2-Belastung aber nur um maximal 5 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft reduzieren und damit nicht in allen betroffenen Städten ausreichen. Ein weiterer wichtiger Baustein könnte die Umstellung von Bussen, Taxis und Lieferfahrzeuge auf elektrische Antriebe sein, sowie die Nachrüstung von SCR-Katalysatoren in Bussen.
[1] Umweltbundesamt – Fachgebiet ‚Beurteilung der Luftqualität’ (2018): Luftqualität 2017 – Vorläufige Auswertung.
[3] Abbildung: Prozentualer Anteil der Messstationen mit Überschreitung für das NO2-Jahresmittel. Umweltbundesamt
[4] Stickstoffdioxid - MAK-Value Documentation (2012). The MAK Collection for Occupational Health and Safety. DOI:10.1002/3527600418.mb1010244d0049
[5] Europäische Umweltagentur (2017): Air Quality in Europe – 2017 report. EEA Report 13/2017. ISSN 1725-9177
[6] Science Media Center (2017): Rapid Reaction – Diesel-Skandal – Wissenschaftler widersprechen Schlussfolgerungen der Abgeordneten zu gesundheitlichen Schäden durch Stickoxide NOx
[6] WHO (2013): REVIHAAP: Review of evidence on health aspects of air pollution. WHO Europe.
[8] Rasche M et al. (2018): Rapid increase in nitrogen oxides are associated with acute myocardial infarction: A case-crossover study. European Journal of Preventive Cardiology. DOI: 10.1177/2047487318755804
[9] Hoek G et al. (2013): Long-term air pollution exposure and cardio- respiratory mortality: a review. Environmental Health 2013, 12:43. doi:10.1186/1476-069X-12-43
[10] Umweltbundesamt (2017): Wirkung der Beschlüsse des Diesel-Gipfels auf die NO2-Gesamtkonzentration.
Science Media Center (2017): Fact Sheet - Wie werden Grenzwerte für Luftschadstoffe wie Feinstaub und Stickoxide festgelegt?
WHO: Air quality guidelines for particulate matter, ozone, nitrogen dioxide and sulfur dioxide, Global update 2005.
Umweltbundesamt: Karten zur Luftschadstoffbelastung in Deutschland
Umweltbundesamt: Aktuelle Daten zur Luftbelastung
Europäische Umweltagentur: interaktive Europa-Karte mit dem NO2-Jahresmittelwert