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11.04.2022

Wirkweise von Psychedelikum bei Depression

Die natürlich in Pilzen vorkommende psychedelisch wirkendende Substanz Psilocybin scheint bei Personen mit behandlungsresistenten Depressionen die funktionale Konnektivität von Netzwerken im Gehirn zu erhöhen. Diesen Mechanismus stellte ein Team um den britischen Psychologen und Neurowissenschaftler Robin Carhart-Harris aus London am 11.04.2022 in einer Studie im Fachjournal „Nature Medicine“ vor (siehe Primärquelle). Ihre Ergebnisse könnten erklären, weshalb Psilocybin in vorangegangenen klinischen Studien einen starken Effekt bei der Behandlung von Depressionen erzielen konnte.

Psychedelika sind halluzinogen wirksame psychotrope Substanzen, die in höheren Dosierungen einen psychedelischen Rauschzustand auslösen können und deshalb als Freizeitdrogen verwendet werden. Ihre therapeutische Wirkung wurde bereits in einigen Studien zur Therapie von Depression, Zwangsstörungen, Suchterkrankungen und anderen psychiatrischen Erkrankungen untersucht. Diese weisen darauf hin, dass die Behandlung wirksam und sicher ist, wenn der Einsatz der Psychedelika von medizinisch und psychotherapeutisch begleitet wird [I] [II].

Herkömmliche Antidepressiva müssen über einen längeren Zeitraum regelmäßig eingenommen werden, um die depressiven Symptome zu lindern. Bei einer psychedelischen Therapie hingegen scheint schon die Einnahme weniger Dosen der Substanz bleibende Veränderungen im Gehirn und eine Linderung der Symptome zu bewirken. Manche Forschende argumentieren, dass die besondere Erfahrung bei einer psychedelischen Behandlung den Patientinnen und Patienten ermöglicht, festgefahrene Denkmuster aufzubrechen und so eine emotionale Befreiung entsteht.

Um den Mechanismus von Psilocybin im Gehirn zu verstehen, analysierten die britischen Forschenden Magnetresonanzbilder der Gehirne von Probandinnen und Probanden in zwei unabhängigen klinischen Studien zur Wirkung von Psilocybin. Sie stellten fest, dass die positive Wirkung von Psilocybin auf die Linderung depressiver Symptome mit einer Zunahme der funktionalen Konnektivität zwischen den Netzwerken des Gehirns korrelierte. Diese Veränderungen wurden bei Patientinnen und Patienten, die als Kontrolle das Antidepressivum Escitalopram erhielten, nicht beobachtet.

Bisherige klinische Studien haben den Effekt von Psilocybin an kleinen Stichproben und oft ohne eine geeignete Placebo-Kontrolle untersucht. In Deutschland läuft gerade eine erste größere klinische Phase-II-Studie mit 144 depressiven Probanden (EPIsoDE Studie, [III]). Inwiefern die Studienergebnisse das Vorhaben bestärken, das therapeutische Potenzial der Substanz trotz gesellschaftlicher Vorbehalte weiter zu erproben, schätzten Fachleute in den nachfolgenden Statements ein.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Matthias Liechti, Stellvertretender Chefarzt, Universitätsspital Basel, Schweiz
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  • PD Dr. Katrin Preller, Leiterin der Arbeitsgruppe Pharmaco-Neuroimaging and Cognitive-Emotional Processing, Institut für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Universität Zürich, Schweiz
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Statements

Prof. Dr. Matthias Liechti

Stellvertretender Chefarzt, Universitätsspital Basel, Schweiz

„Diese Studie zeigt erstmals, dass Psilocybin in der funktionalen Bildgebung funktionelle Veränderungen im Gehirn von depressiven Patienten bewirkt, welche die spätere Therapie-Antwort vorhersagen. Es wurde schon gezeigt, dass Psilocybin einen nachhaltigen antidepressiven Effekt bei depressiven Patienten zeigt. Es wurden auch bei gesunden Personen schon die Effekte von Psilocybin auf die Hirnfunktion im Magnetresonanztomographen untersucht.“

„Erstmalig wurde das nun bei Patienten mit Depression gemacht und die Arbeit gibt auch Hinweise auf die Wirkungsweise von Psilocybin. So sieht man vermehrt funktionelle Verbindungen und eine Auflösung der üblichen Netzwerke, was akut (direkt nach der Einnahme, während die Substanz aktiv ist; Anm. d. Red.) schon gezeigt wurde, und nun auch nach der Behandlung mit Psilocybin bei Patienten anhielt.“

„Die erhöhte funktionelle Verbindung könnte einer beschriebenen subjektiven erhöhten Flexibilität und emotionaler Entspannung entsprechen. Zu bemerken ist, dass auch die akute subjektive angenehme Wirkung von Psilocybin sehr gut mit dem therapeutischen Effekt korreliert. Man könnte also genauso gut die Patienten mittels Fragebogen befragen, wie das Erlebnis war, und das als Marker für die Therapieantwort verwenden. Das fMRI (funktionale Magnetresonanztomographie-Bildgebung; Anm. d. Red.) zeigt aber durchaus Mechanismen auf, welche für Psilocybin typisch sein könnten. So wurden die beschriebenen erhöhten funktionellen Verbindungen nur nach Behandlung mit Psilocybin und nicht nach einer Behandlung mit dem klassischen Antidepressivum Escitalopram gefunden. Psilocybin wirkt also anders als ein klassisches Antidepressivum. Zudem wirkte es auch stärker antidepressiv als Escitalopram.“

„Die vorliegende Publikation beschreibt aber keine neue Studie oder neue klinische Daten. Die Wirkung auf die Depression wurde zuvor schon beschrieben und ist bei einer Studie sogar ohne eine Kontrollgruppe nur im Verlauf gezeigt [1] [2]. Neu ist also nur die Beschreibung der Bildgebungsdaten und ihre Verbindung mit dem therapeutischen Effekt. Leider fehlt eine Analyse zur Korrelation zwischen akuter Wirkung und anhaltender Wirkung von Psilocybin und auch eine Analyse der Korrelation zwischen akuter subjektiver Wirkung und der Bildgebung. Denkbar ist, wie schon erwähnt, dass die Bildgebung wenig Zusatznutzen bringt und schon die subjektive Akutwirkung den Langzeiteffekt vorhersagen kann. Auch ist nach wie vor nicht klar, was die erhöhte funktionelle Verbindung nach der Einnahme von Psilocybin genau bedeutet oder reflektiert. So wurde in anderen Studien gezeigt, dass ähnliche Veränderungen auch durch andere serotonerge Substanzen ausgelöst werden können und möglicherweise nicht spezifisch für Psychedelika sind. Wichtig ist die Erkenntnis, dass Psilocybin möglicherwiese spezielle Aspekte einer Depression – zum Beispiel kognitive Probleme – besser behandelt als ein Antidepressivum. Zukünftige Studien müssen nun die klinische Wirkung mit Kontrollgruppen und auch bei verschiedenen Störungsbildern weiter bestätigen.“

PD Dr. Katrin Preller

Leiterin der Arbeitsgruppe Pharmaco-Neuroimaging and Cognitive-Emotional Processing, Institut für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Universität Zürich, Schweiz

„Das Paper von Daws et al. trägt dazu bei, eine wichtige Wissenslücke in der medizinischen Forschung um den therapeutischen Einsatz von Psychedelika zu schließen. Aus bisherigen Studien geht hervor, dass psychedelische Substanzen antidepressiv wirken können. Jedoch ist bisher unklar, was der genaue Wirkmechanismus ist. In anderen Worten: Wir wissen nicht, warum die Substanzen Menschen, die an Depressionen leiden, helfen. Dieses Paper zeigt nun, dass die Behandlung mit Psilocybin Veränderungen in der Informationsverarbeitung im Gehirn – gemessen als funktionale Konnektivität – herbeiführt, die mit einer Reduktion der Symptome einhergehen. Bisher gab es keine ausführlichen Studien zu diesem Thema, deshalb sind diese Ergebnisse von besonderem Interesse.”

„Allerdings bleiben trotzdem noch wichtige Fragen offen: Erstens lassen sich die Veränderungen, die in diesem Paper gezeigt wurden, nicht vor der Behandlung vorhersagen. Es wäre jedoch wichtig, einen Biomarker zu entwickeln, der schon vor der Behandlung darauf schließen lässt, ob ein Patient von der Therapie profitieren kann oder nicht. Zweitens wurde keine signifikante Interaktion zwischen der Psilocybin- und der Kontrollgruppe gezeigt. Um die gezeigten Änderungen als Wirkmechanismus zu definieren, müssen daher weitere Studien durchgeführt werden, die aktive und passive Placebogruppen einschließen (ein aktives Placebo ahmt die Nebenwirkungen des echten Wirkstoffs nach, ohne dieselbe Wirkung zu haben; Anm. d. Red.). Damit Psychedelika in der Therapie von Depressionen zugelassen werden können, fehlen daher noch größere Phase-III-Studien, die die Wirksamkeit überprüfen. Um Psychedelika optimal nutzen zu können, müssen auch noch weitere Studien durchgeführt werden, die Einblick in den Wirkmechanismus bieten. Bestenfalls würde diese Forschung auch in einem Biomarker resultieren, der schon vor der Behandlung vorhersagen lässt, ob ein Patient von der Therapie profitieren kann.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Matthias Liechti: „Ich bin Berater für MindMed Inc.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Primärquelle

Daws RE et al. (2022): Increased global integration in the brain after psilocybin therapy for depression. Nature Medicine. DOI: 0.1038/s41591-022-01744-z.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Carhart-Harris RL et al. (2017): Psilocybin for treatment-resistant depression: fMRI-measured brain mechanisms. Scientific Reports. DOI: 10.1038/s41598-017-13282-7.

[2] Carhart-Harris RL et al. (2017): Trial of psilocybin versus escitalopram for depression. NEJM. DOI: 10.1056/NEJMoa2032994.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Andersen KAA et al. (2020): Therapeutic effects of classic serotonergic psychedelics: A systematic review of modern-era clinical studies. Acta Psychiatrica Scandinavica. DOI:10.1111/acps.13249.

[II] de Vos CMH et al. (2021): Psychedelics and Neuroplasticity: A Systematic Review Unraveling the Biological Underpinnings of Psychedelics. Frontiers in Psychiatry. DOI: 10.3389/fpsyt.2021.724606.

[III] ClinicalTrials.gov: Efficacy and Safety of Psilocybin in Treatment-Resistant Major Depression (EPIsoDE).