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24.08.2020

Rolle und Potenzial von negativen Emissionen durch BECCS

Die Entnahme von bereits emittiertem Kohlendioxid aus der Atmosphäre durch die Abscheidung von CO2 bei der Gewinnung von Bioenergie kann auf lange Sicht angeblich einen großen Teil der menschengemachten CO2-Emissionen kompensieren. Zu diesem Schluss kommt ein Forscherteam aus den Niederlanden in einer Studie, die im Fachjournal „Nature Climate Change“ erschienen ist (siehe Primärquelle).
Um die Pariser Klimaziele zu erreichen, ist die Entnahme von Kohlendioxid aus der Atmosphäre höchstwahrscheinlich unverzichtbar. Noch ist allerdings nicht klar, welche der der sogenannten Negativen-Emissionen-Technologien (NET) dazu am wirkungsvollsten sind. Diskutiert werden dabei unter anderem die Aufforstung von Wäldern, die direkte Entnahme von CO2 aus der Luft (DACCS, „direct air capture and carbon storage“), das Binden von CO2 in Mineralien und die in der Studie betrachtete Methode des BECCS – kurz für „bioenergy with carbon capture and storage“. Dabei wird Pflanzenbiomasse angebaut, die wiederum natürlicherweise CO2 speichert, geerntet und anschließend in Anlagen verbrannt, wobei das anfallende CO2 entzogen und gespeichert wird.
Die Forschenden haben das globale Potenzial von BECCS untersucht. Sie kommen zu dem Schluss, dass der Einsatz von BECCS global über einen Zeitraum von 80 Jahren zu jährlich bis zu 220 Exajoule Energiegewinnung und 40 Gigatonnen CO2-Entnahme führen kann. Zum Vergleich: Die globalen CO2-Emissionen lagen im Jahr 2019 bei 36,7 Gigatonnen [I], der globale Energieverbrauch bei knapp 584 Exajoule [II, S. 8]. Daher wirken die Angaben der Studie zum Nutzen von BECCS auf den ersten Blick sehr hoch. Dabei haben sie herausgefunden, dass die Wirkung von BECCS stark abhängig ist vom Ort des Anbaus der Biomasse, der ursprünglichen Vegetation auf der zu nutzenden Fläche, dem hergestellten Energieträger und der Dauer der Nutzung. Dabei soll es das größte Potenzial bei der Erzeugung von Bioelektrizität und Biodiesel geben. Mögliche Nachteile sind laut dem Autorenteam die großen benötigten Landflächen für den Anbau der Biomasse und negative Auswirkungen auf Biodiversität.

Übersicht

     

  • Matthias Honegger, Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Climate Engineering in Science, Society and Politics, Institute for Advanced Sustainability Studies e.V. (IASS), Potsdam und Copernicus Institute, Universität Utrecht, Niederlande
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  • Prof. Dr. Felix Creutzig, Leiter der Arbeitsgruppe Landnutzung, Infrastruktur und Transport, Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC), Berlin
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  • Prof. Dr. Julia Pongratz, Inhaberin des Lehrstuhls für Physische Geographie und Landnutzungssysteme, Department für Geographie, Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), München
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  • Prof. Dr. Daniela Thrän, Leiterin des Departments Bioenergie, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Leipzig, und Bereichsleiterin Bioenergiesysteme, Deutsches Biomasseforschungszentrum, Leipzig
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Statements

Matthias Honegger

Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Climate Engineering in Science, Society and Politics, Institute for Advanced Sustainability Studies e.V. (IASS), Potsdam und Copernicus Institute, Universität Utrecht, Niederlande

„Die Studie ist eine relevante Teilantwort auf die vieldiskutierte Frage, ob die energetische Biomasse-Nutzung mit geologischer CO2-Speicherung einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten kann. Es ist nur eine Teilantwort, da die Studie ausschließlich die naturwissenschaftliche Perspektive abdeckt, welche naturgemäß nicht beantworten kann, ob BECCS tatsächlich von der Gesellschaft mitgetragen, durch ein demokratisches Mandat bedingt, durch die Politik vorangetrieben und durch eine wirtschaftliche Dynamik eingesetzt werden wird. Eine verfeinerte Definition von ‚Machbarkeit‘ und ‚Potenzialen‘ ist in der Diskussion um solche neuartigen Klimaschutz-Maßnahmen dringend nötig, welche verschiedene denkbare politische Umsetzungsmittel zum eigentlichen Gegenstand der Forschung macht. Gleichzeitig kann die politische Forschung nur begrenzt Aufschluss über die gesellschaftliche Umsetzung geben, weshalb auch von Wissenschaft begleitete konkrete Pilotaktivitäten benötigt werden, wie es uns die skandinavischen Länder teilweise schon vormachen.“

„Ein Ergebnis der Studie hat eine wichtige politische Implikation: Je später die Umsetzung angegangen wird, desto schwieriger wird es, den dann erst recht benötigten Aufwand zu leisten, die Atmosphäre von überschüssigem CO2 zu befreien. Aktuell führt die politische Untätigkeit in diesem Bereich – gerade auch in Deutschland – leider zu einer immer größer werdenden Diskrepanz zwischen dem klimapolitischen Anspruch einer Begrenzung der Erwärmung auf unter zwei oder gar 1,5 Grad Celsius – und der Realität einer effektiv zu erwartenden Erwärmung von deutlich über drei Grad.“

Prof. Dr. Felix Creutzig

Leiter der Arbeitsgruppe Landnutzung, Infrastruktur und Transport, Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change gGmbH (MCC), Berlin

„Die Studie ist wegen einer problematischen Annahme bestenfalls als intellektuelle Spielerei zu verstehen. Insgesamt ergeben die publizierten Zahlen aber keinen Mehrwert.“

„Die zentrale Annahme ist, dass Landfläche in der Größenordnung der USA, Russland, China und Brasilien für Bioenergie zur Verfügung steht. Das ist um den Faktor elf höher als das, was unter optimistischen Annahmen ansonsten in der Literatur für möglich gehalten wird. Diese Annahme wird von den Autoren an keiner Stelle diskutiert. Deswegen halte ich die Studie für eine hypothetische Spielerei, nicht aber für ein relevantes Ergebnis.“

„Neben dem Klimawandel verursachen wir gerade das menschengemachte Massenaussterben von Tier- und Pflanzenarten. Zusätzliches Land, insbesondere in diesem Ausmaß, für Bioenergie zu nutzen, würde als Brandbeschleuniger für das Massenaussterben dienen. Schon jetzt eignen wir uns zwischen 25 Prozent und 40 Prozent der biologischen Produktivität des Planeten für menschliche Zwecke an. Dieses Ausmaß muss reduziert, nicht aber erhöht werden, um einen lebenswerten Planeten zu erhalten.“

„Zum Vergleich: Solare Energiegewinnung bietet für das meiste Land einen um den Faktor 100 höheren Energieertrag pro Fläche an.“

Zur Frage, wie die Rolle von BECCS für das Erreichen der Klimaziele zu beurteilen ist:
„BECCS könnte eine kleine Rolle in einem Portfolio von NETs einnehmen. Alle NETs sind mit großer Unsicherheit bezüglich Risiken und Kosten insbesondere bei einer raschen Skalierung verbunden. Deswegen sollten durch rasches Ausprobieren systemische Eigenschaften aller NETs herausgefunden werden. Um Skalierungsrisiken zu minimieren und mit der Ungewissheit über die zukünftigen Eigenschaften der Technologien umzugehen, bietet sich ein Portfolioansatz an, der auf mehrere verschiedene NETs gleichzeitig setzt. Direct Air Capture ist dabei eine interessante Option, weil sie stark technologieintensiv ist, und möglicherweise modular einsetzbar, sodass rascher technologischer Fortschritt und damit auch mittel- bis langfristige Kostenersparnis möglich ist. Gleichzeitig ist der Landbedarf von Direct Air Capture zwar relevant, aber um circa zwei Größenordnungen kleiner als der von BECCS.“

Prof. Dr. Julia Pongratz

Inhaberin des Lehrstuhls für Physische Geographie und Landnutzungssysteme, Department für Geographie, Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), München

„Derzeit scheinen viele Methoden des carbon dioxide removals oder NETs gewisse Potenziale in den nächsten Jahrzehnten erreichen zu können, genügen aber selbst in Kombination bei Weitem nicht, die anthropogenen Emissionen wettzumachen, wenn letztere nicht schnell substanziell reduziert werden. BECCS ist viel diskutiert, weil es neben Aufforstung eine der ersten NET-Methoden war, die in den Modellen, die sozioökonomische Pfade simulieren, abgebildet wurden. Inzwischen hat sich das Portfolio stark erweitert, auch zum Beispiel Direct Air Capture, Biokohle, beschleunigte Verwitterung oder künstliche Senken im Ozean scheinen einen wichtigen Beitrag im NET-Portfolio leisten zu können. BECCS hat gegenüber vielen anderen NET-Methoden den Vorteil, dass es rasch einsetzbar wäre, also keiner mühsamen Technologieentwicklung bedarf, und kontinuierlich eine CO2-Senke schaffen würde, weil die Biomasse jährlich geerntet wird und keine Sättigung eintritt, wie das etwa bei einem unbewirtschafteten Wald oder beim Ausbringen von Biokohle der Fall sein könnte. Diese Kumulation der CO2-Senke von Jahr zu Jahr ist auch der Grund, warum ein früher Einsatz von BECCS effizienter darin ist, den Klimawandel abzuschwächen, wie die Studie betont. Die ‚Kosten‘, dass etwa natürliche Vegetation gerodet werden würde, was CO2 in die Atmosphäre entlassen und zukünftige CO2-Speicherung in Wäldern vernichtet, würden jetzt oder später in ähnlichem Umfang anfallen.“

„Dennoch, die Auswirkungen auf das Erdsystem können gravierend sein, wenn BECCS auf großen Flächen durchgeführt wird. Bereits jetzt ist Erweiterung der landwirtschaftlichen Flächen für Biodiversität global gesehen die weit größere Beeinträchtigung als der Klimawandel. Solche Nutzungskonflikte müssen vorausschauend angegangen werden. Die Autoren betrachten in ihrer Studie nur Miscanthus, Rutenhirse und Zuckerrohr und als Kurzumtriebsplantagen Weiden, Pappeln und Eukalyptus als BECCS-Anpflanzungen. Im Sinne der Biodiversität gibt es bessere Lösungen als solche Monokulturen.“

Prof. Dr. Daniela Thrän

Leiterin des Departments Bioenergie, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Leipzig, und Bereichsleiterin Bioenergiesysteme, Deutsches Biomasseforschungszentrum, Leipzig

„Der vorliegende Artikel liefert eine räumliche und zeitliche Auflösung der biophysikalischen Möglichkeiten zur CO2-Entnahme aus der Atmosphäre mit BECCS-Technologien. Die Studie arbeitet die biophysikalischen Möglichkeiten und Grenzen heraus und spezifiziert damit die bisher eher global beschriebenen BECCS-Potenziale.“

„Dabei zeigt sich, dass mit dem Einsatz von Lignocellulose-Biomasse zur Stromerzeugung der größte Beitrag zur CO2-Entnahme erreicht werden kann. Ein nachvollziehbares Ergebnis, denn mit diesen BECCS-Konzepten ist sowohl ein hoher Biomasse-Ertrag als auch die Möglichkeit umfassender CO2-Abscheidung verbunden. Auch die Ergebnisse der räumlichen Analysen sind nachvollziehbar: In Regionen mit guten Wachstumsbedingungen und geringer Kohlenstoffspeicherung im Boden können die größten Effekte erzielt werden. Dabei ist positiv hervorzuheben, dass die Studie klarstellt, dass die Bereitstellung der Biomasse nicht in Konkurrenz mit Nahrungsmittelproduktion oder stofflicher Nutzung steht, sondern ungenutzte oder degradierte Flächen in die Nutzung bringen möchte. Positiv ist auch, dass die Studie zeigt, dass die Frage, wann und wie man von der heutigen Landnutzung in ein BECCS-optimiertes System wechselt, für die insgesamt erreichbare CO2-Entnahme sehr entscheidend ist. Sie fasst zusammen, dass der Nutzen von BECCS sich schneller entfalten kann, wenn zügig nachhaltige Landnutzungssysteme etabliert werden – ein Effekt, der auch unabhängig von BECCS positive Wirkungen auf das Klima hat.“

„Und an dieser Stelle wird die Betrachtung vielleicht aber etwas akademisch: Die Frage der Kosten, aber auch der sonstigen Schwierigkeiten einer zügigen Implementierung bleiben außen vor – ebenso die Fragen, wie ein solcher Wechsel in der Landnutzung und im Energiesystem aufeinander abgestimmt sein kann, welche Nachhaltigkeitsstandards eingezogen werden müssen, um die Probleme mit Biodiversitätsverlusten, aber auch soziale Nebenwirkungen zu vermeiden, und wie ein sinnvoller erster Schritt zur Realisierung der dargestellten Möglichkeiten aussehen kann. Es wäre wünschenswert, wenn die Autoren das von ihnen ermittelte große Potenzial als Ausgangspunkt nehmen, um gute Beispiele zu konkretisieren und begleiten.“

„Bisher wird BECCS teilweise im Widerspruch zu anderen landnutzungsbasierten Konzepten der CO2-Entnahme gesehen (zum Beispiel Aufforstung). Und das ist das neue an der Studie: BECCS kann im Rahmen einer nachhaltigen Landnutzung umfassende CO2-Entnahme unterstützen und das Klima stabilisieren.“

Zur Frage, wie die Rolle von BECCS für das Erreichen der Klimaziele zu beurteilen ist:
„BECCS stellt als wichtige NET neben Energieeffizienz, erneuerbaren Energien und weiteren Klimagas einsparenden Maßnahmen einen wichtigen Baustein zur Einhaltung des Zwei-Grad-Ziels dar. Mit NETs lassen sich nur die ‚letzten Meter‘ machen, denn sie sind generell noch nicht erprobt und es gibt auch bisher kein Geschäftsmodell. Wenn es gelingt, das in der Studie dargestellte Potenzial zumindest teilweise zu entfalten, dann sind diese Systeme in ihrer Leistungsfähigkeit anderen Optionen, wie zum Beispiel DACCS, deutlich überlegen.“

Zur Frage, wie nah BECCS an der praktischen Anwendung im großen Stil ist:
„Erste Pilotvorhaben zu BECCS sind unterwegs. Dabei zeigt sich, dass vor allem große Stromerzeugungsanlagen wegen der Abscheidemöglichkeiten gut geeignet sind – und dass die nachhaltige Rohstoffbereitstellung zentral für den Klimaschutzbeitrag ist. Wenn letztere gelingt, handelt es sich bei BECCS um eine zeitnah implementierbare Technologie.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Julia Pongratz: „Keine Interessenkonflikte.“

Prof. Dr. Daniela Thrän: „Ich habe keine Interessenkonflikte.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Primärquelle

Hannsen SV et al. (2020): The climate change mitigation potential of bioenergy with carbon capture and storage. Nature Climate Change. DOI: 10.1038/s41558-020-0885-y.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Friedlingstein P et al. (2019): Global Carbon Budget 2019. Earth System Science Data; 11: 1783–1838. DOI:10.5194/essd-11-1783-2019.

[II] bp (2020): Statistical Review of World Energy 2020.

Weitere Recherchequellen

Minx J et al. (2018): Negative emissions—Part 1: Research landscape and synthesis. Environmental Research Letters; 13 (6). DOI: 10.1088/1748-9326/aabf9b.

Fuss S et al. (2018): Negative emissions—Part 2: Costs, potentials and side effects. Environmental Research Letters; 13 (6). DOI: 10.1088/1748-9326/aabf9f.

Creutzig F et al. (2019): The mutual dependence of negative emission technologies and energy systems. Energy Environ. Sci.; 12: 1805-1817. DOI: 10.1039/C8EE03682A.

Kemper J (2015): Biomass and carbon dioxide capture and storage: A review. International Journal of Greenhouse Gas Control. 40: 401-430. DOI: 10.1016/j.ijggc.2015.06.012.

Science Media Center (2020): Wie lässt sich die Entfernung von Kohlendioxid aus der Atmosphäre gerecht verteilen? Research in Context. Stand: 08.06.2020.

Science Media Center (2018): Das Kohlendioxid muss raus. Fact Sheet. Stand: 21.12.2018.

Science Media Center (2018): CO2 aus der Luft filtern – kein Klimaschutz ohne CCS? Press Briefing. Stand: 28.11.2018.

Science Media Center (2018): Negative Emissionen gegen die Erderwärmung: zu optimistisch gerechnet? Research in Context. Stand: 01.02.2018.