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02.06.2022

Glyphosat in Nahrung von Hummeln bedroht Überleben der Kolonie

     

  • Hummeln können nach Aufnahme von Glyphosat schlechter die Temperatur im Nest regulieren
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  • Brut könnte sich deswegen schlechter entwickeln und somit könnte das Hummelvolk sterben
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  • Experten: hochqualitative Studie übertragbar auf reale Bedingungen in der Landwirtschaft und ein wichtiger Beitrag in der Debatte um die Nutzung von Glyphosat
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Hummeln können deutlich schlechter die Temperatur in ihrem Nest aufrechterhalten, wenn sie über ihr Futter Glyphosat aufnehmen und gleichzeitig nicht ausreichend Nahrung finden. Diese so genannte Thermoregulation ist wichtig für das Überleben der Hummelvölker, weil ihre Brut sich nur in einem bestimmten Temperaturbereich optimal entwickeln kann. Somit könnte diese indirekte Auswirkung des Pflanzenschutzmittels Glyphosat ein bisher unbekannter Faktor für den Rückgang wichtiger, sozial lebender Bestäuberinsekten sein. Das Team um Anja Weidenmüller von der Universität Konstanz hat für ihre Untersuchung mit der weit verbreiteten und im Tomatenanbau auch kommerziell wichtigen Dunklen Erdhummel (Bombus terrestris) gearbeitet. Die Studie ist soeben im Fachjournal „Science“ (siehe Primärquelle) erschienen.

Weltweit wird seit vielen Jahren ein Rückgang der Artenvielfalt und Anzahl der Insekten beobachtet [I] [II]. Verschiedene vom Menschen verursachte Einflüsse werden in diesem Zusammenhang als relevant betrachtet – etwa die Fragmentierung von Lebensräumen, eingeschleppte Arten und auch die intensive Landwirtschaft. Und mit ihr der umfassende Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Glyphosat ist dabei das weltweit am meisten und im größten Umgang genutzte Pflanzenschutzmittel. Es wird als Herbizid eingesetzt und weist dabei einen sehr spezifischen Wirkmechanismus auf: Es dringt nur über grüne Pflanzenteile in die Pflanzen ein, blockiert dort das Enzym EPSPS (5-Enolpyruvylshikimat-3-phosphat-Synthase), so dass die Synthese von drei wichtigen Aminosäuren unterbunden wird und die behandelte Pflanze stirbt. EPSPS gibt es nur in Pflanzen, Pilzen und Mikroorganismen, sodass die direkte Wirkung nur in diesen Organismen erzielt wird. Trotzdem bleibt seine Wirkung nicht nur auf die Zielorganismen beschränkt. Über direkte und indirekte Effekte auf andere Lebewesen verändern sich Nahrungsnetze und mit ihnen ganze Ökosysteme. Für Honigbienen wurde bereits gezeigt das Glyphosat trotz geringer akuter Toxizität negative Auswirkungen durch indirekte Wirkungen hat.

Hummeln leben in vergleichsweise kleinen Kolonien, oft mit weniger als einhundert Tieren. Zudem sind diese Kolonien nur einjährig, da ausschließlich die Königin überwintert. Somit können schon kurzzeitig nicht optimale Bedingungen für die heranwachsende Brut massive Auswirkungen auf die Überlebenschancen einer Kolonie haben. Die Temperatur im Nest konstant hoch zu halten, ist entscheidend für das Überleben der Hummelkolonie und der wichtigste Faktor für die Entwicklung der Brut. Durch Kontraktion ihrer Muskulatur erzeugen die Tiere Wärme und halten das Nest so im idealen Temperaturbereich zwischen 28 und 35 Grad Celsius. Dieser Prozess ist sehr energieintensiv und damit sehr abhängig von ausreichender Futterversorgung.

Für ihre Studie haben die Forschenden 15 Hummelkolonien untersucht. Jede diese Kolonien wurde aufgeteilt, die Anzahl der Arbeiterinnen ausbalanciert und die jeweilige Königin täglich zwischen den beiden Gruppen umgesetzt. Ein Teil der Kolonie bekam reines Zuckerwasser, die andere Zuckerwasser, dem Glyphosat in eine Konzentration von fünf Milligramm pro Liter beigemischt wurde. Es zeigte sich, dass die Hummeln aus den mit Glyphosat behandelten Gruppen generell dazu neigten, weniger Zeit in die Bebrütung zu investieren. Wurden die Völker ausreichend gefüttert, zeigte sich kein Unterschied in der durchschnittlichen Nesttemperatur zwischen den beiden Seiten des Nestes. Bei Nahrungsbeschränkung jedoch traten deutliche Unterschiede zu Tage: die mit Glyphosat-haltigem Zuckerwasser gefütterten Kolonieseiten konnten die mittlere Nesttemperatur nur in drei Viertel der Zeit über 28 Grad Celsius zu halten als die nicht exponierte Seite des Nestes. Der dahinter liegende Mechanismus bleibt unklar.

Das SMC hat Expertinnen und Experten gefragt, welchen Beitrag die Studie in der Diskussion um die Verwendung von Glyphosat liefert, wie relevant die Folgen für die Thermoregulation im Verhältnis zu anderen bekannten Auswirkungen von Glyphosat auf Bestäuberinsekten sind und inwiefern die Erkenntnisse auch auf Bienen übertragbar sein könnten.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Randolf Menzel, Professor emeritus und Arbeitsgruppenleiter am Institut für Biologie, Professur für Neurobiologie, Freie Universität Berlin
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  • Prof. Dr. Axel Hochkirch, Professor für Naturschutzbiologie, Fach Biogeographie, Fachbereich Raum- und Umweltwissenschaften, Universität Trier, und Vorsitzender des Komitee zum Schutz wirbelloser Tiere des Weltnaturschutzverbands IUCN
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  • Prof. Dr. Teja Tscharntke, Leiter der Abteilung Agrarökologie, Department für Nutzpflanzenwissenschaften, Georg-August-Universität Göttingen
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  • Dr. Dimitry Wintermantel, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Professur für Naturschutz und Landschaftsökologie, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
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  • Dr. Ulrich Ernst, Wissenschaftlicher Mitarbeiter Landesanstalt für Bienenkunde, Universität Hohenheim
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Statements

Prof. Dr. Randolf Menzel

Professor emeritus und Arbeitsgruppenleiter am Institut für Biologie, Professur für Neurobiologie, Freie Universität Berlin

„Ein gravierender Mangel aller Standardverfahren zur Beurteilung der Wirkung von Pestiziden und Herbiziden ist die Beschränkung auf das Tötungspotenzial, die sogenannten LD50-Tests, in denen die Dosisabhängigkeit der Sterberate einzelner Tiere über 24 Stunden gemessen wird. Dieses Verfahren erfasst nicht das Schädigungspotenzial auf der Ebene der Einzeltiere und der Kolonie. Da soziale Insekten – wie Honigbienen und Hummeln – die wichtigsten Bestäuber sind, werden die Standardverfahren den notwendigen Beurteilungen in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht. Die vorliegende Studie zeigt nun in überzeugender Weise, dass solche kritischen Studien in standardisierbarer Weise auf Laborebene möglich sind. Laboruntersuchungen sind in diesem Zusammenhang besonders bedeutsam, weil sie zu jeder Zeit in vergleichbarer Weise durchgeführt werden können. In dieser Hinsicht gehen diese Studien weit über die bisherigen hinaus und stellen einen Durchbruch bei der Beurteilung von Pestizidwirkungen und besonders des Herbizids Glyphosat dar.“

„Die Stärke der aktuellen Studie liegt auch darin, dass die Wirkungen von Glyphosat-Dosen untersucht wurden, die vergleichbar sind mit denen, die unter landwirtschaftlichen Bedingungen auftreten. Darüber hinaus besteht die Stärke der Studie in der Differenzierung zwischen Wirkungen auf der Einzeltier-Ebene und der Kolonie-Ebene. Eine weitere Stärke besteht darin, dass Bedingungen getestet wurden, die unter natürlichen Bedingungen die Resilienz der Einzeltiere und der Kolonie beeinträchtigen, nämlich der Ernährungszustand und die Temperaturkontrolle der Larven und Puppen. Soziale Insekten sind unter natürlichen Bedingungen immer wieder Perioden mit vermindertem Nahrungsangebot und ungünstigen Wetterbedingungen ausgesetzt und stehen daher unter wechselnden Stressbedingungen. Das Design der Experimente greift auch weitere natürliche Zustände der Hummelkolonien auf, wie zum Beispiel die zeitweise Abwesenheit der Königin. All dies machen die Laboruntersuchungen zu einem Abbild der Hummelwelt, sowohl auf der Einzeltier-Ebene wie der der Kolonie. Die Kolonie-Ebene wird mit der Dysregulation der Temperaturkontrolle in sensibler und relevanter Weise abgebildet. Die genaue Kontrolle der Temperatur der sich entwickelnden Larven und Puppen bei sozialen Insekten ist ein wesentliches Kriterium für die Funktion der Kolonie. Die Autoren haben über Jahre diese Effekte sehr genau untersucht und belegt. Dies kommt ihren Studien nun sehr zugute.“

„Die Untersuchungen tragen wesentlich zur Beurteilung der Wirkung von Glyphosat auf soziale Insekten bei und gehen dabei weit über das hinaus, was bisher zu dieser Problematik an Daten vorliegt. LD50-Untersuchungen werden damit erneut und besonders überzeugend als nicht relevant für die Beurteilung der schädigenden Wirkungen erkannt. Darüber hinaus werden die Kontrollinstanzen – also die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), das Bundesamt für Risikobewertung (BfR) und die zuständigen Landesämter – mit einem standardisierbaren Verfahren ausgestattet, das diese schädigenden Wirkungen sowohl auf die Einzeltiere als auch auf die Kolonie quantifizierbar macht – ein großer Schritt in eine Richtung, um die sich die EFSA seit Jahren bemüht – und unter dem bremsenden Druck der Industrie.“

„Glyphosat wird nachweislich von bestäubenden Insekten aufgenommen, bevorzugt über blühende Pflanzen, die vor oder nach der Ernte auf den Äckern wachsen, und über die Flora in der Umgebung der behandelten Flächen. Damit ist Glyphosat nicht nur wegen seiner Vernichtung wichtiger Nahrungsressourcen so gefährlich für die bestäubenden Insekten, sondern auch wegen seiner massiven Beeinträchtigung ihrer Entwicklung und Stressresistenz. Im Zusammenhang mit den vielen Studien zur schädigenden Wirkung von Glyphosat auf Säugetiere bekommt diese Studie gerade wegen ihrer hohen wissenschaftlichen Qualität und ihrer Übertragbarkeit auf landwirtschaftliche Bedingungen einen so hohen Stellenwert.“

Prof. Dr. Axel Hochkirch

Professor für Naturschutzbiologie, Fach Biogeographie, Fachbereich Raum- und Umweltwissenschaften, Universität Trier, und Vorsitzender des Komitee zum Schutz wirbelloser Tiere des Weltnaturschutzverbands IUCN

„Lange Zeit wurde Glyphosat als für Tiere ungefährlich eingestuft. Diese Vorstellung ist allerdings bereits schon seit Längerem widerlegt. Zwar ist Glyphosat alleine nicht direkt letal, allerdings wird es normalerweise mit anderen Netzmitteln (Beimischungen, durch die Blätter und Stängel gleichmäßiger benetzt werden; Anm. d. Red.) versetzt und zum Beispiel unter dem Markennamen ‚Roundup‘ angewendet. Vor kurzem konnten Wissenschaftler zeigen, dass die Mortalität bei Hummeln durch ‚Roundup‘ massiv ansteigt [1]. Glyphosat selbst hat vor allem subletale Effekte. So wurde zum Beispiel bereits gezeigt, dass es bei Honigbienen Auswirkungen auf das Lernverhalten, das Schlafverhalten und die Entwicklung gibt. Neu ist die Erkenntnis, dass auch die Entwicklung von Hummeln gestört wird, weil sie bei Nahrungsknappheit die Temperatur ihrer Nester nicht mehr so effizient regulieren können.“

„Methodisch ist die Studie gut gemacht. Um Effekte der Variabilität zwischen den Nestern auszuschließen, wurden die Nester geteilt und jeweils zur Hälfte mit Glyphosat-haltigem Zuckerwasser und normalem Zuckerwasser gefüttert. Die eingesetzte Glyphosat-Konzentration entspricht dabei in etwa dem Maß, das zum Beispiel in Honig nachgewiesen wurde. Zu kritisieren ist lediglich, dass die Autoren reines Glyphosat verwendet haben und nicht die (meist schädlicheren) Mischungen, die tatsächlich im Pflanzenschutz eingesetzt werden, wie zum Beispiel ‚Roundup‘.“

Auf die Frage, welchen Beitrag die Studie in der Diskussion um die Verwendung von Glyphosat liefert:
„Die Diskussion über ein Verbot von Glyphosat wurde lange vor allem durch die Diskussion über die Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit bestimmt. Dies hängt damit zusammen, dass Glyphosat von der Weltgesundheitsorganisation WHO als ‚wahrscheinlich krebserregend‘ eingestuft wurde. Seit einigen Jahren werden aber auch die negativen Auswirkungen auf die biologische Vielfalt stärker beachtet. Die Bundesregierung hat ja das Ziel, Glyphosat bis Ende 2023 vom Markt zu nehmen. Es ist aber zu befürchten, dass andere Herbizide eingesetzt werden, deren Wirkung bisher weniger gut untersucht ist. Unklar ist, warum solche Umweltgifte frei im Handel verfügbar sind und auch von Privatpersonen gekauft werden können.“

Auf die Frage, wie relevant die hier untersuchten Effekte im Verhältnis zu anderen bekannten Auswirkungen von Glyphosat auf Bestäuberinsekten sind:
„Subletale Effekte – wie die Beeinflussung der Temperaturregulierung im Nest – sind für uns weniger klar zu erkennen als direkte Mortalität. Sie können aber in ihrer Gesamtheit ebenfalls massive Auswirkungen auf Populationen von Insekten haben. Bislang sind solche subletalen Effekte nur wenig untersucht. Bekannt sind zum Beispiel Auswirkungen von Glyphosat auf die Darmflora, das Lern- und Schlafverhalten von Honigbienen oder die Auswirkungen von Neonicotinoiden auf das Orientierungsverhalten von Bienen. Das Experiment der Autoren der aktuellen Studie schließt nun eine weitere Wissenslücke zu diesem Thema. Dass Hummeln die Temperaturregulation des Nestes reduzieren, wenn der Nahrungsvorrat gering ist, war zwar zu erwarten. Allerdings zeigen die Autoren sehr klar, dass sie dies stärker tun, wenn Glyphosat im Spiel ist. Allerdings sind inzwischen auch direkte letale Effekte auf Hummeln bekannt [1]. Die Kombination aus letalen und subletalen Effekten könnte dann Insektenpopulationen nachhaltig beeinträchtigen.“

Auf die Frage, inwiefern Nahrungslimitierung ein reales Problem für wildlebende Bestäuberinsekten darstellt:
„Nahrungslimitierung spielt für viele Bestäuber eine zunehmend wichtigere Rolle. Dies hängt insbesondere mit der Verringerung des Blütenangebots in der Landschaft zusammen. Durch Veränderung der landwirtschaftlichen Wirtschaftsweise und die Überdüngung der Landschaft werden vermehrt Gräser gefördert, so dass gerade im Sommer das Blütenangebot für Hummeln knapp wird. Noch problematischer ist dies übrigens für andere Wildbienen-Arten, die teilweise nur an wenigen Pflanzenarten Pollen sammeln. Gerade spät blühende Arten – wie Glockenblumen oder Skabiosen – kommen oft nur noch vereinzelt an Wegrändern zur Blüte. Hierdurch befinden sich gerade solche Spezialisten auf den Roten Listen gefährdeter Arten.“

Prof. Dr. Teja Tscharntke

Leiter der Abteilung Agrarökologie, Department für Nutzpflanzenwissenschaften, Georg-August-Universität Göttingen

„Die Autor*innen zeigen mit eleganten und aufwändigen Laborexperimenten, dass Glyphosat in der Nahrung die Temperaturregulation in Hummelkolonien bei gleichzeitigem Nahrungsmangel beeinträchtigen kann. Die Aufrechterhaltung der Kolonietemperatur ist sowohl bei kühler als auch bei heißer Außentemperatur wichtig und die Hummeln verbrauchen dafür viel Energie.“

„Diese Ergebnisse zeigen erstmals, dass ein Herbizid wie Glyphosat eine ähnlich schädliche Wirkung auf die Temperaturregulation von Hummeln hat, wie es von Insektiziden – namentlich den Neonicotinoiden – bekannt ist. Diese Ergebnisse sind ein weiterer Beleg dafür, dass nicht nur Insektizide, sondern auch Herbizide und Fungizide einen negativen Einfluss auf Vitalität, Lebensdauer und Reproduktion von Insekten haben können. Die Bedeutung solcher subletalen Effekte ist sehr gut bekannt, wird aber leider bei der Zulassung von Pestiziden nicht beachtet.“

Auf die Frage, wie relevant die hier untersuchten Effekte im Verhältnis zu anderen bekannten Auswirkungen von Glyphosat auf Bestäuberinsekten sind:
„Wildbienen und andere Insekten sind verschiedenen Stressoren ausgesetzt, gerade auch in Agrarlandschaften, wobei Glyphosat auch über die Vernichtung blühender Pflanzen auf dem Acker zum Hungerstress von Wildbienen beiträgt. Neben dem Einsatz von Agrochemikalien und der Vernichtung von Nahrungspflanzen erhöhen auch der Mangel an Nistplätzen sowie Parasiten und Krankheiten ihre Überlebensfähigkeit.“

„Die dramatischen Verluste an Häufigkeit und Vielfalt von Insekten zeigen, dass es ganz grundlegende Änderungen für Schutz und Wiederherstellung der Vielfalt an Wildbienen und anderen Insekten in unseren Agrarlandschaften braucht. Dazu gehören die dramatische Verkleinerung von Feldern (zum Beispiel auf einen Hektar), die zeitliche wie räumliche Diversifizierung der angebauten Kulturarten und ein Minimum an naturnahen Lebensräumen (mehr als 20 Prozent). Solch ein struktureller Umbau könnte die Artenvielfalt in unseren Landschaften vervielfachen.“

Dr. Dimitry Wintermantel

Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Professur für Naturschutz und Landschaftsökologie, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

„Das Autorenteam der aktuellen Studie zeigt, dass die aktive Substanz Glyphosat die kollektive Wärmeregulierung von Hummelvölkern negativ beeinträchtigen kann, wenn es den Völkern gleichzeitig an Nahrung mangelt. Dies hat potenziell starke Auswirkungen auf deren Reproduktion, da die Temperatur im Nest der durch Nahrungsmangel und Glyphosat-Exposition doppelt gestressten Völker häufig so niedrig war, dass erhöhte Brutmortalität wahrscheinlich ist, wie die Autoren aufzeigen. Dies verlangsamt das Wachstum der Kolonien und nur Völker, die früh genug im Jahr groß werden, produzieren neue Königinnen, welche bei Hummeln als einzige den Winter überleben.“

„Es ist nicht neu, dass Pflanzenschutzmittel die Thermoregulierung von Hummeln und anderen Bienen beeinträchtigen können. Dass dies aber nicht nur bei Insektiziden, sondern auch bei einem Herbizid auftritt, ist meines Wissens bisher unbekannt gewesen.“

„Die verfütterte Glyphosat-Konzentration entspricht dem, was Hummeln im Feld ausgesetzt sein können. Dennoch stellt sich die Frage, inwieweit solche Effekte in der Realität auftreten. Vor allem, da eine kontinuierliche Exposition von mehreren Wochen unwahrscheinlich ist, weil die Wildpflanzen, auf denen Glyphosat ausgebracht wird, nach wenigen Tagen absterben. Außerdem lässt das Studiendesign Rückschlüsse von Glyphosat-Auswirkungen auf die Entwicklung des Hummelvolkes nur bedingt zu, da die Königin täglich zwischen der Glyphosat-exponierten und nicht exponierten Hälfte versetzt wurde, die Anzahl der Arbeiterinnen regelmäßig angepasst wurde und die Hummeln nicht furagieren (Nahrung herbeischaffen, Anm. d. Red.) konnten. Letzteres könnte besonders relevant sein, da die negativen Auswirkungen auf die Wärmeregulierung nur bei Ressourcenarmut auftreten.“

Auf die Frage, welchen Beitrag die Studie in der Diskussion um die Verwendung von Glyphosat liefert:
„Eine Verlängerung der Glyphosatzulassung in der EU wird derzeit untersucht. Während das potenzielle menschliche Krebsrisiko von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit als gering eingestuft wird, treten mögliche ökologische Auswirkungen immer mehr in den Vordergrund. Die Studie zeigt einen weiteren subletalen Effekt auf Hummeln, welcher allerdings unter reelleren Bedingungen noch getestet werden sollte.“

„Glyphosat wird vielfältig eingesetzt: Vor der Einsaat von Kartoffeln oder Getreide, im Frühjahr und Sommer im Obst- und Weinbau oder in Parkanlagen und vereinzelt kurz vor der Erntezeit von Leguminosen oder Getreide. Bienen können mit dem Wirkstoff direkt während der Applikation oder durch das Sammeln von Pollen und Nektar von besprühten Wildpflanzen oder Leguminosen in Kontakt kommen.“

Auf die Frage, inwiefern Nahrungslimitierung ein reales Problem für wildlebende Bestäuberinsekten darstellt:
„Auch wenn Erdhummeln und die meisten anderen Hummeln sich von einer Vielzahl an Blütenpflanzen ernähren und damit deutlich besser vor Ressourcenarmut geschützt sind als jene Wildbienen, die sich auf einige wenige Pflanzen spezialisiert habe, leiden auch Hummeln immer wieder unter Ressourcenarmut, zum Beispiel bei zu heißem Wetter oder Starkregen oder in Landschaften, die von Monokulturen dominiert sind.“

Dr. Ulrich Ernst

Wissenschaftlicher Mitarbeiter Landesanstalt für Bienenkunde, Universität Hohenheim

„Glyphosat wird gelegentlich in von Honigbienen produziertem Honig nachgewiesen. Teilweise werden dabei auch Grenzwerte von 0,05 Milligramm pro Kilogramm Honig überschritten. Honig ist zwar konzentrierter als Nektar, weil bei der Herstellung im Bienenvolk dem gesammelten Nektar Wasser entzogen wird; andererseits sammelt ein Bienenvolk an vielen verschiedenen Standorten, was zu einer Verdünnung der Wirkstoffkonzentration im Honig führt, wenn nur einer der beflogenen Standorte mit Glyphosat belastet ist. Insofern scheint es realistisch, dass Hummeln einer ähnlichen Wirkstoffkonzentration im Nektar ausgesetzt sein könnten. Eine hundertfache Überschreitung des Grenzwerts im Honig – fünf Milligramm pro Kilogramm Honig, entspricht etwa sieben Milligramm pro Liter Honig – entsprechend der Konzentration, der die Hummeln im Experiment ausgesetzt waren, wurde in Deutschland bisher allerdings nur selten nachgewiesen und dürfte die Ausnahme darstellen. Es ist aber nicht auszuschließen, dass bisher zu wenige Proben untersucht wurden; es gibt auch nur wenige Studien, die Glyphosat-Konzentrationen im Nektar messen. Dabei wurden – wenige Tage nach der Anwendung in einer blühenden Kultur – teilweise Konzentrationen in Nektar von bis zu 31,3 Milligramm pro Kilogramm gemessen [2], also höhere Werte als in der aktuellen Studie verwendet wurden. Wenn Glyphosat auf blühenden, für Hummeln attraktiven Pflanzen angewendet wird oder durch Abdrift blühende Bestände erreicht, besteht durchaus die Möglichkeit, dass Hummeln entsprechend hohen Wirkstoffkonzentrationen ausgesetzt sind. Das könnte zum Beispiel dann der Fall sein, wenn im Obstbau Unterwuchs durch Glyphosat entfernt werden soll – zum Beispiel, um zu verhindern, dass Honigbienen die Anlagen anfliegen, wenn dort andere (bienenschädliche) Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden sollen – oder bei der Sikkation von Getreide (Einsatz kurz vor der Ernte zur Beschleunigung des Abreifens; seit 2014 in Deutschland nur noch eingeschränkt erlaubt; Anm. d. Red.), falls sich blühende Ackerwildkräuter in den Schlägen befinden.“

„Wie in anderen Studien auch wird deutlich, dass multiple Stressoren zu negativen Effekten führen, die ein einzelner (milder) Stressor nicht auslösen würde. Das ist vergleichbar mit multiplen Stressoren bei Menschen, bei denen etwa eine Kombination aus Schlafmangel, Fehlernährung und körperlicher Belastung zu einer erhöhten Krankheitsanfälligkeit führt, die durch einen Faktor allein (etwas Schlafmangel) nicht in dem Maße auftreten würde. Während größere Nester mit vielen Individuen in der Regel besser in der Lage sind, die Homöostase zu bewahren – also das Gesamtsystem gegen extreme Ausschläge zu puffern – sind kleinere Nester (zu Beginn der Wachstumsphase) weniger robust gegen Störungen. Besonders kritisch ist dabei die Nestgründungsphase, bei der eine Hummelkönigin zunächst ganz auf sich alleine gestellt ist und danach erst über nur wenige Arbeiterinnen verfügt. Da die Nestgründung bei vielen Hummelarten im zeitigen Frühjahr stattfindet, in dem häufig auch kältere Perioden auftreten, ist eine Beeinträchtigung der Wärmeregulation besonders schwerwiegend.“

„Hummeln legen nur geringe Vorräte an und sind daher auf ein kontinuierliches Nektar- und Pollenangebot angewiesen. Sollte eine Anwendung von Glyphosat erst zu einer verminderten Thermoregulation eines Hummelvolks – direkter Effekt von Glyphosat – und dann zu einer Reduzierung des Nahrungsangebots – indirekter Effekt von Glyphosat durch das Abtöten blühender Pflanzen – führen, wäre das Hummelvolk doppelt betroffen.“

„Viele Hummelarten sind im Rückgang begriffen, was vermutlich an einer Kombination von Zerstörung von Lebensraum (Nistmöglichkeiten), Mangel an Nahrung (weniger blühende Wiesen, weniger Beikräuter in Getreidefeldern), Klimaveränderungen und weiteren Stressoren wie Insektiziden liegt. Dass Herbizide ebenfalls Hummeln zusetzen können, ist ein noch nicht hinreichend untersuchter Aspekt.“

Auf die Frage, inwiefern die Ergebnisse dieser Studie auf Bienen übertragbar sein könnten:
„Meines Wissens gibt es keine Studien bei Honigbienen, die den Effekt von Glyphosat auf die Thermoregulation untersucht hätten. Bienenvölker sind deutlich individuenreicher – mehrere tausend bis zehntausende Arbeiterinnen – als Hummelvölker – wenige Dutzend bis mehrere hundert Arbeiterinnen – und in der Lage, ihr Brutnest recht konstant auf 34 Grad Celsius zu temperieren, auch weil sie in der Regel über ausreichend Futtervorräte verfügen. Daher sind dort weniger Effekte zu erwarten. Dennoch besteht auch bei kleinen Honigbienenvölkern – zum Beispiel bei der Ablegerbildung durch Imker*innen – eher als bei großen Völkern die Gefahr, dass sie beim Zusammentreffen mehrerer ungünstiger Umwelteinflüsse – zum Beispiel Krankheiten, Parasiten, Pollenmangel, Hitze oder Kälte, Insektizide – diese Effekte nicht mehr ausgleichen können. Das kann die Volksentwicklung beeinträchtigen und gegebenenfalls so weit verlangsamen, dass das Volk zu klein bleibt, um den Winter überleben zu können.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Axel Hochkirch: „Ich habe keine Interessenkonflikte.“

Dr. Dimitry Wintermantel: „Es bestehen keine Interessenkonflikte.“

Dr. Ulrich Ernst: „Ich bin mir keiner Interessenkonflikte bewusst.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Primärquellen

Weidenmüller A et al. (2022): Glyphosate impairs collective thermoregulation in bumblebees. Science. DOI: 10.1126/science.abf7482.

begleitend ist eine kommentierende Perspective erschienen:
Crall J (2022): Glyphosate impairs bee thermoregulation. Science. DOI: 10.1126/science.abq5554.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Straw EA et al. (2021): Roundup causes high levels of mortality following contact exposure in bumble bees. Journal of Applied Ecology. DOI: 10.1111/1365-2664.13867.

[2] Thompson HM et al. (2014): Evaluating exposure and potential effects on honeybee brood (Apis mellifera) development using glyphosate as an example. Integrated Environmental Assessment and Management. DOI: 10.1002/ieam.1529.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Science Media Center (2017): Rückgang der Insektenbiomasse um über 75 Prozent. Research in Context. Stand: 18.10.2017.

[II] Science Media Center (2020): Metastudie zum globalen Insektenrückgang. Research in Context. Stand: 23.04.2020.