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02.11.2022

Belastbare Studiendaten zur Behandlung von Depression mit Psilocybin

     

  • erstmals belastbare klinische Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit von Psilocybin bei therapieresistenter Depression vorgelegt
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  • höhere Dosierung führte kurzfristig zu signifikant weniger depressiven Symptomen
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  • Studienergebnisse müssen durch weitere klinische Prüfungen erhärtet werden
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Bei Personen mit schwersten Depressionen, bei denen unterschiedliche Therapien mit Antidepressiva keine Wirkung zeigen, soll eine einmalige Dosis des Psychedelikums Psilocybin in Kombination mit einer psychotherapeutischen Behandlung kurzfristig die Symptome lindern. Der Erfolg dieser Behandlung konnte bisher nur in kleineren Patientengruppen gezeigt werden [I][II][III]. Nun erscheinen erste Daten einer größeren, multizentrisch angelegten klinischen Phase-IIb-Studie im Fachjournal „New England Journal of Medicine“, die Dosierung, Wirksamkeit und Nebenwirkungsprofil von Psilocybin bei Personen mit therapieresistenter Depression untersucht hat (siehe Primärquelle).

Die in zehn Ländern als multizentrische und von der Firma Compass Pathfinder finanzierte Studie mit insgesamt 233 randomisierten Probanden untersuchte die Sicherheit und Wirksamkeit einer einmaligen Gabe von Psilocybin in verschiedenen Dosierungen (1, 10 und 25 Milligramm). Die Dosis von 25 Milligramm, nicht aber die niedrigere 10-Milligramm-Dosis, führte nach drei Wochen zu einem signifikant niedrigeren Niveau depressiver Symptome im Vergleich zur Kontroll-Dosierung von einem Milligramm – bei 29 Prozent der Behandelten in der 25-Milligramm-Gruppe ließen in dieser Zeit die Symptome nach, in der 10-Milligramm-Gruppe bei 9 Prozent und bei 8 Prozent in der 1-Milligramm-Gruppe. Unerwünschte Nebenwirkungen traten bei 77 Prozent der Teilnehmenden auf, darunter Kopfschmerzen, Übelkeit und Schwindel. Suizidgedanken, suizidales Verhalten oder Selbstverletzungen traten in allen Dosisgruppen auf.

Die Hoffnung auf die Wirksamkeit von Psilocybin vor allem bei therapieresistenten Depressionen lässt sich an der Vielzahl der registrierten klinischen Studien ablesen: 42 sind bei clinicaltrials.gov gelistet, eine davon ist eine in Berlin und Mannheim (hier stand fälschlicherweise zuvor, dass die Studie in Frankfurt durchgeführt wurde. Wir bitten um Entschuldigung; Anm. d. Red.) durchgeführte Placebo-kontrollierte klinische Studie, die unterschiedliche Dosen sowie eine doppelte Gabe des Psychedelikums untersucht (EPIsoDE Studie, [IV]).

In einem parallel erscheinenden Editorial fasst die Autorin die Studienergebnisse als interessant, aber auch als ein wenig ernüchternd zusammen [V]. Zwar habe die hohe Dosis des Psychedelikums im Vergleich zur geringeren Dosis die depressiven Symptome nach drei Wochen signifikant reduziert, allerdings konnte die Studie die höhere Wirksamkeit von Psilocybin aus vorangegangenen kleineren Studien nicht bestätigen. Dennoch soll nach Angaben der Firma Compass Pathways eine Phase-III-Zulassungsstudie starten. Ob die vorliegenden Studienergebnisse eine Fortführung der klinischen Prüfung von Psilocybin bei der Behandlung von therapieresistenten Depressionen bestärken oder eher entkräften, schätzen eine Expertin und zwei Experten in den nachfolgenden Statements ein.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Matthias Liechti, Stellvertretender Chefarzt, Universitätsspital Basel, Schweiz
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  • PD Dr. Katrin Preller, Leiterin der Arbeitsgruppe Pharmaco-Neuroimaging and Cognitive-Emotional Processing, Institut für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Universität Zürich, Schweiz
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  • Prof. Dr. Gerhard Gründer, Leiter der Abteilung Molekulares Neuroimaging, Zentralinstitut für seelische Gesundheit Mannheim
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Statements

Prof. Dr. Matthias Liechti

Stellvertretender Chefarzt, Universitätsspital Basel, Schweiz

„Psilocybin verbesserte dosisabhängig die depressiven Symptome. Im Vergleich zu Placebo (1 Milligramm Psilocybin) war jedoch nur eine mäßig hohe Dosis von 25 Milligramm Psilocybin wirksam, nicht aber eine geringe Dosis von 10 Milligramm. Die Verträglichkeit war hoch. Zu den unerwünschten Wirkungen am Tag der Verabreichung des Medikaments gehörten Kopfschmerzen, Übelkeit und Schwindelgefühl. Wie bei Patienten mit behandlungsresistenten Depressionen zu erwarten, traten im Verlauf der Studie und in allen Dosisgruppen als unerwünschte Ereignisse Suizidgedanken auf. Diese sind aber nicht durch Psilocybin verursacht."

„Insgesamt waren die Wirkungen im Vergleich zu früheren, weniger strengen Studien etwas weniger robust. Dies spiegelt eine realistischere Wirksamkeit oder Effektivität in einer üblichen Umgebung mit mehreren Zentren wider, im Vergleich zu vorläufigen, weniger kontrollierten Studien. Dort wurden Resultate gefunden, die übermäßig enthusiastisch gedeutet wurden.“

„Es ist anzumerken, dass in der Studie nur eine einmalige Dosis verabreicht wurde. Fachleute weisen darauf hin, dass bei vielen Patienten zwei oder mehr Behandlungssitzungen einer psychedelisch unterstützten Therapie erforderlich sein könnten, um eine stärkere und anhaltende Reaktion zu erzielen. Somit kann vermutlich eine höhere Wirksamkeit bei mehr als einer einzigen Verabreichung erreicht werden.“

„Bemerkenswert ist, dass in der Studie nur Psilocybin alleine verwendet wurde und jegliche antidepressive Behandlung eingestellt wurde. Jüngste Studien deuten darauf hin, dass Psilocybin als Zusatz zu klassischen Antidepressiva verabreicht werden kann, wodurch das Absetzen etablierter Medikamente entfallen könnte. Weitere Studien müssen nun die Wirksamkeit und Effektivität einer Psilocybin-Behandlung allein oder als Zusatztherapie zu Antidepressiva, einer oder zwei Dosen Psilocybin sowie über einen längeren Nachbeobachtungszeitraum bestätigen.“

PD Dr. Katrin Preller

Leiterin der Arbeitsgruppe Pharmaco-Neuroimaging and Cognitive-Emotional Processing, Institut für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Universität Zürich, Schweiz

„Die Studie von Goodwin et al. zeigt in einem randomisierten, kontrollierten Design, dass eine Psilocybin-gestützte Therapie bei der Behandlung von therapieresistenter Depression helfen kann. Durch die Testung verschiedener Dosen, der größeren Probandenzahl und besseren Kontrollbedingung als in früheren Studien, lässt sich durch diese Studie realistischer abschätzen, wie wirksam die Psilocybin-gestützte Therapie tatsächlich ist. Die Studie zeigt, dass durch die Psilocybin-gestützte Therapie mit einer einmaligen Dosis von 25 Milligramm eine signifikante Verringerung der depressiven Symptome erzielt wurde. Die Studie zeigt aber auch, dass die Psilocybin-gestützte Therapie nicht allen Patienten gleichermaßen hilft. Die Ergebnisse machen deutlich, dass die Fortführung der klinischen Prüfung sinnvoll ist. In der Zukunft sollte außerdem untersucht werden, welche Patienten am stärksten von dieser Art der Therapie profitieren.“

„Es ist nicht ungewöhnlich, dass in kleineren Pilotstudien stärkere Effekte gezeigt werden als in größeren, gut kontrollierten Studien. Auch in dieser Studie wurde gezeigt, dass eine Psilocybin-gestützte Therapie zu einer schnellen Abnahme der depressiven Symptomatik führen kann. Dass nicht alle Patienten gleichermaßen profitieren, ist bei psychiatrischen Erkrankungen nicht überraschend. In der Zukunft muss also besser untersucht werden, wer von der Therapie profitiert und wer nicht.“

Prof. Dr. Gerhard Gründer

Leiter der Abteilung Molekulares Neuroimaging, Zentralinstitut für seelische Gesundheit Mannheim

„Die Ergebnisse der Studie sind nicht unerwartet. Sie sind zwar bei Weitem nicht so positiv wie die ersten kleinen offenen Pilotstudien vermuten ließen. Aber sie zeigen ganz klar, dass Psilocybin bei therapieresistenter Depression wirksamer ist als ein Placebo. Die Weiterführung der klinischen Prüfung ist definitiv gerechtfertigt. Die Ergebnisse decken sich auch mit unseren Erfahrungen in unserer EPIsoDE-Studie: Es gibt Patienten, die durch die Behandlung von ihrer Depression befreit werden, aber viele Patienten profitieren auch gar nicht. Zudem gibt es einen großen Graubereich zwischen diesen Polen.”

“Die Studie zeigt auch, dass bei einer nicht kleinen Gruppe von Patienten die antidepressive Wirkung mit der Zeit abnimmt. Die Studie dämpft die Euphorie, die gerade in der Laienpresse oft geschürt wird. Es gibt aber wichtige Erkenntnisse, die wir daraus lernen (und die sich mit den Erfahrungen aus unserer Studie decken): Viele Patienten brauchen die Möglichkeit, eine zweite Dosis und dann wahrscheinlich auch weitere Dosen zu erhalten, um eine dauerhafte Verbesserung zu erreichen. Das aber wird nur sinnvoll umsetzbar sein, wenn die Therapie in eine systematische psychotherapeutische Begleitung eingebettet wird. Das sieht das Behandlungsmodell von Compass Pathways derzeit nicht vor.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

PD Dr. Katrin Preller: „An der Universität Zürich arbeite ich an akademischen Studien, die Psilocybin für die Therapie von Depressionen und Alkoholabhängigkeit testen. Ich bin außerdem angestellt bei Boehringer-Ingelheim GmBH & Co KG, allerdings hat diese Beschäftigung keinen Bezug zur Psychedelika-gestützten Therapie.“

Prof. Dr. Gerhard Gründer: „Ich bin Initiator und Leiter der klinischen Prüfung ‚EPIsoDE: Wirksamkeit und Sicherheit von Psilocybin bei therapieresistenter Depression‘, die derzeit am ZI Mannheim und an der Charité Berlin durchgeführt wird. Ich bin Mitgründer, Gesellschafter und Geschäftsführer der OVID Health Systems, Berlin, die eine Gesundheitsinfrastruktur auf der Basis einer psychedelika-unterstützten Psychotherapie entwickelt.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Primärquelle

Goodwin GM et al. (2022): Single-Dose Psilocybin for a Treatment-Resistant Episode of Major Depression. New England Journal of Medicine. DOI: 10.1056/NEJMoa2206443.

Weiterführende Recherchequellen

Science Media Center: Wirkweise von Psychedelikum bei Depression. Research in Context. Stand: 11.04.2022.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] COMPASS Pathways (09.11.2021): COMPASS Pathways announces positive topline results from groundbreaking phase IIb trial of investigational COMP360 psilocybin therapy for treatment-resistant depression. Pressemitteilung des Unternehmens.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Davis AK et al. (2021): Effects of psilocybin-assisted therapy on major depressive disorder: a randomized clinical trial. JAMA Psychiatry. DOI: 10.1001/jamapsychiatry.2020.3285.

[II] Carhart-Harris RL et al. (2016): Psilocybin with psychological support for treatment-resistant depression: an open-label feasibility study. Lancet Psychiatry. DOI: 10.1016/S2215-0366(16)30065-7.

[III] Carhart-Harris R et al. (2021): Trial of psilocybin versus escitalopram for depression. NEJM. DOI: 10.1056/NEJMoa2032994.

[IV] ClinicalTrials.gov: Efficacy and Safety of Psilocybin in Treatment-Resistant Major Depression (EPIsoDE).

[V] Madras BK (2022): Psilocybin in Treatment-Resistant Depression. New England Journal of Medicine. DOI: 10.1056/NEJMe2210975.