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11.12.2019

Von der Leyens Green Deal

Gerade elf Tage im Amt stellte die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, in Brüssel am 11.12.2019 dem EU-Parlament und der Öffentlichkeit den „Green Deal“ vor. Das 24-seitige Dokument listet umfassend auf, was in Sachen Umwelt und Klima der künftige und verbindliche Kurs der Europäischen Union sein soll (siehe Primärquelle). Die Liste reicht von Artenvielfalt, nachhaltiger Land- und Forstwirtschaft über ambitioniertere Reduktionen der CO2-Emissionen durch einen EU-weiten und auf weitere Sektoren erweiterten Emissionshandel bis hin zu besserer Luft- und Wasserqualität durch Senken der Verkehrsemissionen – das alles soll sozial verträglich ausgestaltet werden.

Ob der Green Deal ein Katalog guter Absichten und leerer Versprechen bleibt, wird erst die Zukunft zeigen. Ganz vorne weg steht jedoch das Ziel: Klimaneutralität und Netto-Null-Emissionen. Die EU soll bis 2050 gänzlich klimaneutral wirtschaften und ab März 2020 sogar durch ein Klimagesetz dazu verpflichtet werden. Auch die Ziele für 2030 sollen verschärft werden: Ein Minus an CO2-Emissionen von 55 Prozent verglichen mit 1990 ist die Vorgabe.

 

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Claudia Kemfert, Abteilungsleiterin der Abteilung "Energie, Verkehr und Umwelt", Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin
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  • Ute Dauert, Leiterin des Fachgebietes "Beurteilung der Luftqualität" in der Abteilung Luft, Umweltbundesamt (UBA), Dessau-Roßlau
    UND Marion Wichman-Fiebig, Leiterin der Abteilung Luft, Umweltbundesamt (UBA), Dessau-Roßlau
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  • Prof. Dr. Wolfgang Köck, Leiter des Departments Umwelt- und Planungsrecht, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH (UFZ), Leipzig
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  • Prof. Dr. Martin Führ, Professor für Öffentliches Recht, Rechtstheorie und Rechtsvergleichung, Hochschule Darmstadt
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  • Prof. Dr. Uwe Leprich, Dozent für Wirtschaftspolitik, Energiewirtschaft, Umweltpolitik, Hochschule für Wirtschaft und Technik des Saarlandes, Saarbrücken, und ehemaliger Abteilungsleiter für Klimaschutz und Energie des Umweltbundesamtes, und langjähriger wissenschaftlicher Leiter des Instituts für ZukunftsEnergieSysteme (IZES)
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  • Prof. Dr. Joachim Weimann, Fakultät für Wirtschaftswissenschaft (FWW) Lehrstuhl VWL, insbesondere Wirtschaftspolitik, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
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  • Prof. Dr. Ortwin Renn, Geschäftsführender Wissenschaftlicher Direktor am Institut für Transformative Nachhaltigkeitsforschung IASS, Institute of Advanced Sustainability Studies e.V. (IASS), Potsdam
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Statements

Prof. Dr. Claudia Kemfert

Abteilungsleiterin der Abteilung "Energie, Verkehr und Umwelt", Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin

„Mit dem EU Green Deal kann Europa bei erfolgreicher und ambitionierter Umsetzung eine Vorreiterrolle im internationalen Klimaschutz übernehmen. Die ehrgeizigen Emissionsminderungsziele für 2020 und 2030 sowie die vollständige Vermeidung von Emissionen bis 2050 zusammen mit dem Investitionsplan werden die europäische Wirtschaft stärken können.“

„Der Green Deal in Europa ist der Startschuss für eine nachhaltige Klima-Zukunft. Die Investitionen in neue Technologien schaffen Innovationen, Wertschöpfung und Arbeitsplätze. Die Energiewende vermeidet gigantische Kosten der Atom- und Kohleenergie. In der Kostenbilanz stehen die erneuerbaren Energien deutlich besser da als konventionelle Energien.“

„Es ist wichtig, heute den Strukturwandel hin zu einem Umbau der Energieversorgung mit erneuerbaren Energien und mehr Energieeffizienz einzuleiten und in den kommenden Jahrzehnten zu begleiten. Daher ist es wichtig, die notwendigen Rahmenbedingungen so anzupassen, dass der Umstieg weg von jeglicher fossiler hinzu erneuerbarer Energien auch gelingt. Jegliche Investitionen müssen heute in erneuerbare und nicht mehr in fossile oder atomare Technologien fließen.“

„Eine Erweiterung und Anpassung des Europäischen Emissionsrechtehandels ist sicherlich nur ein Schritt von vielen. Deutschland muss nun seine Klimaziele weiter schärfen und an die ambitionierteren Ziele anpassen.“

„Das Ziel sollte sein, den Anteil erneuerbarer Energien möglichst schnell deutlich ansteigen zu lassen. Dafür sind entsprechende Rahmenbedingungen erforderlich: Die Vorteile für fossile Energien und Atomenergie sollten so schnell wie möglich abgebaut, den erneuerbaren Energien Vorrang eingeräumt und ihr Ausbau massiv forciert werden. Nur so wird es Europa gelingen, die Vorteile für die Volkswirtschaften, die sich aus einem stärkeren Klimaschutz und der Technologieführerschaft durch Innovationen und Wettbewerbsvorteilen ergeben, heben zu können.“

Ute Dauert

Leiterin des Fachgebietes "Beurteilung der Luftqualität" in der Abteilung Luft, Umweltbundesamt (UBA), Dessau-Roßlau und

Marion Wichman-Fiebig

Leiterin der Abteilung Luft, Umweltbundesamt (UBA), Dessau-Roßlau

„Derzeit kommt es noch in zahlreichen Mitgliedstaaten zu unterschiedlichen Zielverfehlungen. Die individuellen Verpflichtungen aller Staaten, die Emissionen der einschlägigen Luftschadstoffe bis 2030 substantiell zu mindern, ermöglicht aber eine Erhöhung des Ambitionsniveaus und damit eine Konvergenz hin auf die WHO-Empfehlungen.“

„Angestrebt sind klarere Vorschriften für die Messung und erstmals auch für die Modellierung zur Ermittlung der Luftbelastung. Obwohl die heutigen Messnetze bereits belastbare und qualitativ hochwertige Daten liefern, ist eine Überarbeitung der Anforderungen zu begrüßen. Die ergänzenden Heranziehung von Modelldaten trägt dem wissenschaftlichen Fortschritt Rechnung und verbessert das Verständnis hinsichtlich der Ursachen hoher Luftbelastungen.“

„Das Papier des Umweltbundesamtes ‚Kein Grund zur Lücke‘ [1], das diese Woche öffentlich wurde, zeigt Wege zu mehr Klimaschutz im Verkehr auf. Allerdings streben wir langfristig nicht nur klimaneutrale, sondern CO2-neutrale Lösungen an. Auf die Luftqualität werden sich die vorgeschlagenen Maßnahmen positiv auswirken.“

Prof. Dr. Wolfgang Köck

Leiter des Departments Umwelt- und Planungsrecht, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH (UFZ), Leipzig

„Der European Green Deal baut teilweise auf bereits bestehenden EU-Ansätzen auf, wird diese aber erweitern und auch deutlich verschärfen, wenn die Ankündigungen tatsächlich umgesetzt werden sollten. Bisher beruhte die Klimapolitik der EU ganz wesentlich auf dem Europäischen Emissionshandel (Emissionshandels-Richtlinie, zuletzt reformiert in 2018) und auf der Verpflichtung der Mitgliedstaaten, erneuerbare Energien zu generieren und einzuspeisen (Erneuerbare Energien Richtlinie, zuletzt reformiert 2018). Erst kürzlich, nämlich ebenfalls 2018, hat die EU diese Vorgaben ergänzt, und zwar um Vorgaben für die sogenannte Lastenteilung bei der Reduzierung von Treibhausgasen zwischen den EU-Mitgliedstaaten in den Sektoren, die nicht dem Emissionshandel unterliegen (sogenannte ‚Effort Sharing‘-Verordnung der EU, 2018).“

„Die Ankündigungen zum European Green Deal zeigen nun, dass man deutlich ambitioniertere Ziele anvisiert, dass systematisch auch die Bereiche erfasst werden, die bislang wenig beachtet worden sind (beispielsweise Treibhausgase durch die Landwirtschaft) und dass dezidierter als bisher auch Auswirkungen auf andere Politikbereiche (zum Beispiel Schutz der Biodiversität) erfasst werden. Darüber hinaus sollen auch sozioökonomische Wirkungen der Klimapolitik einbezogen werden. All dies benötigt nicht nur konzeptionelle, also programmatische, Anstrengungen im Sinne von neuen Strategien und Politikprogrammen, sondern auch diverse Rechtsetzungsakte auf europäischer Ebene. Die dafür notwendigen Mehrheiten im europäischen Gesetzgebungsprozess (Trilog von Kommission, Rat und Parlament) zu finden, wird alles andere als einfach sein. Soweit es um europarechtlich verankerte steuerliche Instrumente zum Klimaschutz geht (im European Green Deal Dokument ist von einer ‚Energy Taxation Directive‘ die Rede), wird sogar Einstimmigkeit benötigt. Für umweltrechtliche Regelungen genügt demgegenüber schon eine qualifizierte Mehrheit, die zwar in der heutigen, deutlich erweiterten EU nicht einfach zu bekommen sein wird, die aber erreichbar erscheint.“

„Wenn die EU-Rechtsetzung gelingt, ergibt sich aus dem Vorrang des EU-Rechts die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, ihre Rechtsordnung an das Recht der EU anzupassen. Das gilt dann auch für Deutschland. Da die deutsche Politik mit Blick auf den Klimaschutz unter hohem Druck steht, weil das Klimaschutzthema relevant für Wahlen geworden ist, gehe ich davon aus, dass sich Deutschland bei der Formulierung einer neuen EU-Klimaschutzpolitik konstruktiv zeigen wird. Durchgreifende Änderungen in der Klimapolitik werden wohl auch davon abhängen, wann jungen Menschen ein Wahlrecht eingeräumt wird. Das bisherige Wahlalter (18 Jahre) schließt viele junge Menschen von der politischen Willensbildung aus. Auch daran wird gearbeitet werden müssen, um Klimaschutz und Demokratie besser aufeinander zu beziehen.“

Prof. Dr. Martin Führ

Professor für Öffentliches Recht, Rechtstheorie und Rechtsvergleichung, Hochschule Darmstadt

„Das Dokument enthält sehr viele wichtige und wegweisende Aussagen. Als politische Absichtserklärung ist es – gemeinsam mit Europäisches Parlament und Ministerrat – in verbindliche Vorgaben zu überführen, die dann von den Mitgliedstaaten und den gesellschaftlichen Akteuren umzusetzen sind. Die ‚Mühen der Ebene‘ stehen also noch bevor.“

„Kurz zusammengefasst: Die zutreffende Analyse des Papiers ist in einen regulativen Rahmen zu überführen, der denjenigen Unternehmen Marktvorteile einräumt, die sich auf den Weg in Richtung der nachfolgend beschriebenen vier Punkte machen und damit Beiträge zu SDG 12 (Sustainable Development Goal 12, zwölftes Nachhaltigkeitsziel der Vereinten Nationen; Anm. d. Red.) leisten. Hier den schwarzen Peter auf die Konsumenten abzuschieben hieße, deren Rolle massiv zu überfrachten. Die anbietende Wirtschaft ist in der Pflicht voranzuschreiten, benötigt aber Hilfestellung durch einen entsprechenden institutionellen Rahmen. Das Papier enthält dafür viele richtige Einsichten; die Probe auf Exempel steht noch aus.“

„Inhaltlich möchte ich nur eine Passage (auf Seite 7, vorletzter Absatz) und das darin enthaltene Handlungsfeld der Circular Economy herausgreifen. Kurz vor der betreffenden Passage enthält das Dokument eine Problembeschreibung: Die globale Gewinnung von Rohmaterialien hat sich zwischen 1970 und 2017 verdreifacht; mit weiter ansteigender Tendenz. Etwa die Hälfte der Treibhausgas-Emissionen und 90 Prozent anderer globaler Umweltwirkungen gehen darauf zurück. Dies zeigt, wo meines Erachtens der ‚Schlüssel‘ für den Green Deal liegt: in den Produktions- und Konsummustern (Sustainable Development Goals 12, SDG 12). Den größten Fußabdruck hinterlässt die EU auf anderen Kontinenten.“

„Als größter Verbrauchermarkt der Erde trägt die EU nicht nur eine besondere Verantwortung, sondern verfügt auch über einen großen Hebel. Die notwendigen Innovationen in Richtung SDG 12 sind dabei von den zentralen Akteuren (von Rohstoff- und Chemie-Industrie über das verarbeitende Gewerbe bis hin zu ‚brands‘ und Handel) in Angriff zu nehmen. Deren ‚extended producer responsibility‘ (EPR) ist dabei vorrangig in vier Punkten zu stärken (und damit der letzte Satz der zitierten Passage mit Leben zu füllen):

  1. Die Verantwortung beginnt – anders als bislang – bereits bei der Rohstoff-Gewinnung. Nach dem Vorbild der European Timber Regulation sind hier Sorgfaltspflichten für alle Primär-Rohstoffe zu verankern (und nicht nur für ‚Konflikt-Materialien‘, denn letztlich sind alle Materialien nach der Analyse der Kommission ‚kritisch‘), die eine Nachverfolgbarkeit (traceability) sowohl der Rohstoffquellen als auch der Umwelt- und Sozialbedingungen bei deren Gewinnung und Weiterverarbeitung erlauben.
  2. Die Verantwortung in Richtung Re-Use, Refurbishment und Recycling darf nicht – wie in der Vergangenheit – auf kollektive Systeme, wie ‚Grüner Punkt‘, verschoben und damit verwässert werden. Vielmehr sind für die Hersteller wirksame Anreize zu formulieren. Notwendig ist also eine ‚individuell spürbare‘ Produktverantwortung (individual EPR).
  3. Im Hinblick auf die Kreislaufführung der Materialien ist zudem ein ‚riskcycle‘ zu verhindern. Problematische Inhaltsstoffe sind aus den Produkten zu verbannen, bestehende Stoffströme sind zu ‚entgiften‘ (siehe das Ziel der ‚toxic-free environment‘, gestützt auf die ‚zero pollution ambition‘ unter 2.1.8. und die ‚chemicals strategy for sustainability‘ auf S. 15). Voraussetzung dafür ist eine (zukünftig) vollständige Transparenz über die Inhaltsstoffe der Produkte, die entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu gewährleisten ist.
  4. Für eine ‚sustainable products’ policy letztlich entscheidend ist die Design-Phase. Um hier Anreize in Richtung Langlebigkeit und damit Ressourcenschonung zu setzen, ist nicht allein die Versorgung mit Ersatzteilen zu gewährleisten – wie in den jüngst verabschiedeten Durchführungsverordnungen zur Öko-Design-Richtlinie –, sondern es sind vor allem deutliche ökonomische Signale erforderlich. Am deutlichsten wäre ein solches Signal, wenn man die gesetzlichen Gewährleistungspflichten produktgruppenspezifisch und vorhersehbar stufenweise heraufsetzt. Denn dann ergibt sich für die Designer der Hersteller die Anforderung, langlebige und reparaturfähige Produkte zu entwickeln. Zugleich sind damit Beschäftigungsmöglichkeiten in allen Regionen Europas verbunden.“

Prof. Dr. Uwe Leprich

Dozent für Wirtschaftspolitik, Energiewirtschaft, Umweltpolitik, Hochschule für Wirtschaft und Technik des Saarlandes, Saarbrücken, und ehemaliger Abteilungsleiter für Klimaschutz und Energie des Umweltbundesamtes, und langjähriger wissenschaftlicher Leiter des Instituts für ZukunftsEnergieSysteme (IZES)

„Beim Klimaschutz steht für die Europäische Kommission in ihrem Green Deal instrumentell der Europäische Emissionshandel im Zentrum: So will sie vorschlagen, ihn auf den Schiffsverkehr anzuwenden, und sie will prüfen, inwieweit er auf den Gebäudebereich und den Straßentransportsektor ausgedehnt werden kann. Darüber hinaus will sie die Anzahl der kostenlosen Zuteilung von Zertifikaten für den Flugverkehr reduzieren.”

„Im Unterschied zum ‚Klimapäckchen’ der Bundesregierung hat die EU-Kommission aber sehr wohl erkannt und akzeptiert, dass der Emissionshandel Teil eines intelligenten Instrumentenmixes sein muss. Die Streichung von Subventionen für fossile Energieträger gehört ebenso dazu wie eine Verschärfung der CO2-Flottenstandards für PKW und LKW und eine gründliche Überarbeitung der europäischen Steuerrichtlinie inklusive Stopfen von Schlupflöchern.”

„Diese ganzheitliche Betrachtung des Instrumentenmixes für den Klimaschutz macht den europäischen Green Deal im Vergleich zur bundesdeutsche Klimaschutzpolitik erheblich glaubwürdiger, die ihre Mutlosigkeit mit immer neuen ambitionierten Zielen und unausgegorenen Einzelinstrumenten zu kaschieren versucht.”

„Gleichwohl wäre die EU-Kommission gut beraten gewesen, das hohe Lied auf den Emissionshandel etwas verhaltener anzustimmen, hat er doch in den 15 Jahren seit seiner Einführung nur sehr wenig zum klimaverträglichen Umbau des Energiesystems beigetragen. Schmerzlich vermisst wird im Green Deal insbesondere die Erwägung einer europaweiten Einführung einer CO2-Steuer in den Nicht-ETS-Bereichen (ETS, kurz für Emission Trading System, Emissionshandel; Anm. d. Red.) als rasche und unbürokratische Alternative zum Emissionshandel sowie ein CO2-Mindestpreis für den ETS-Bereich. Hiermit wird völlig unnötig eine Diskussion ausgeblendet, die in der wissenschaftlichen Diskussion bislang keinesfalls zugunsten des Emissionshandels entschieden ist.”

Prof. Dr. Joachim Weimann

Fakultät für Wirtschaftswissenschaft (FWW) Lehrstuhl VWL, insbesondere Wirtschaftspolitik, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

„Mit dem European Green Deal (EGD) hat die EU-Kommission offenbar den Versuch unternommen, die Behandlung von Umweltproblemen zu einer Art ‚conditio sine qua non‘ der europäischen Politik zu machen. Alle anderen Aufgabenbereiche, so der Eindruck, von der Wirtschaftspolitik bis zur Sozialpolitik müssen sich den Erfordernissen des EGD unterordnen und haben nur dann eine Chance darauf, Bestandteil der europäischen Politik zu werden, wenn sie dem großen Deal nicht im Wege stehen. Das eröffnet Chancen, birgt aber auch erhebliche Risiken und Gefahren.“

„Ein erster, flüchtiger Blick auf die Maßnahmen, die die Kommission plant, offenbart Stärken und Schwächen. Positiv ist hervorzuheben, dass der Emissionshandel weiterhin eine zentrale Rolle der EU-Politik spielen soll. Es bleibt abzuwarten, ob es 2021 möglich sein wird, ihn um weitere Sektoren zu erweitern – was dringend geboten und wünschenswert wäre. Positiv ist auf jeden Fall, dass die Kommission dies anstrebt. Die Bundesregierung gerät durch diesen Plan in die Defensive, denn sie hat ja gerade beschlossen, bis zum Jahr 2026 keinen Handel mit Emissionsrechten in den Sektoren Verkehr und Wärme zuzulassen (warum auch immer). Wenn die EU nun vorprescht (mit einer deutschen Präsidentin), dann fragt man sich erst recht, warum die Bundesregierung es 2021 nicht schaffen soll, mehr als einen Emissionshandel ohne Handel und mit einem Festpreis ohne Mengenbeschränkung der Emissionen einzuführen. Man darf gespannt sein, wie sich die dann im Amt befindliche Regierung zu den EU-Plänen stellen wird.“

„Positiv ist ebenfalls zu bemerken, dass die EU über einen Grenzausgleich nachdenken will, der verhindert, dass durch den Handel mit Ländern, die nicht dem EU ETS angehören, CO2- Emissionen quasi importiert werden. Ein solcher Import konterkariert nicht nur die Klimapolitik der EU, er gefährdet auch die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Unternehmen. Ein erweiterter EU-Emissionshandel, der sich an den Grenzen dagegen schützt, von anderen Ländern für seine klimapolitischen Anstrengungen bestraft zu werden, ist eine durchaus positiv zu bewertende Zukunftsvision.“

„Was in diesem Zusammenhang fehlt, ist der politische Wille, das EU ETS aktiv zu erweitern. Dies könnte geschehen, indem das System mit anderen ETS zusammengeschlossen wird, von denen es inzwischen immerhin mehr als zwanzig gibt. Außerdem könnte das System dadurch erweitert werden, dass weitere Länder in das System integriert werden, was vermutlich Transferzahlungen in diese Länder erforderlich machen würde. Davon steht leider nichts im EGD.“

„Negativ fällt auf, dass die EU in ihrer Klimapolitik weiterhin nicht konsistent ist und sich nicht auf eine klare Linie verständigen kann. Ein Emissionshandel begrenzt wirksam und sicher die CO2-Emissionen und überlässt die Frage, wie die notwendigen Einsparungen vorzunehmen sind, dem Markt. Genau diesem Markt aber scheint die EU-Kommission genauso zu misstrauen, wie es die deutsche Bundesregierung tut. Deshalb finden sich im EGD eine Fülle von dirigistischen Maßnahmen, die die Effizienz, die die EU mit dem Emissionshandel aufbaut, mit dem ordnungspolitischen Hintern wieder umschmeißt. Von der Häuserdämmung bis zum Energiesektor soll durch den Planer entschieden werden, wie CO2 einzusparen ist. Die Erfahrungen in Deutschland haben gezeigt, dass dies zu extremen Kosten und geringen CO2-Einsparungen führt. Leider hat die EU daraus nichts gelernt.“

„Schließlich kneift die EU an einer neuralgischen Stelle. Die Idee, dass sich der gesamte Energiebedarf Europas mit erneuerbaren Energien wird decken lassen, ist nicht sehr realistisch. In Deutschland decken die Erneuerbaren angeblich 40 Prozent des Strombedarfs, allerdings sind dabei die Exporte des volatilen Stroms nicht berücksichtigt. Der gesamte Energiebedarf wird aber gegenwärtig nur zu 20 Prozent durch Strom gedeckt, das heißt, die erneuerbaren Energien im Energiesektor schaffen gegenwärtig gerade einmal bestenfalls acht Prozent. Angesichts der massiven Widerstände gegen den Ausbau der Windenergie dürfte es nicht sehr realistisch sein, dort eine Vervielfachung der Kapazitäten zu erreichen. Wie aber soll dann der Energiebedarf gedeckt werden? Langfristig müssen neue Technologien her. Wie diese entstehen sollen, und was die EU unternimmt, um deren Entwicklung zu forcieren, dazu findet man im EGD leider nichts.“

Prof. Dr. Ortwin Renn

Geschäftsführender Wissenschaftlicher Direktor am Institut für Transformative Nachhaltigkeitsforschung IASS, Institute of Advanced Sustainability Studies e.V. (IASS), Potsdam

„Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach. Die Ziele sind alle ambitioniert, doch die bisherigen Vorschläge ihrer Einlösung sind entweder zu vage oder werden nach dem heutigen Kenntnisstand die Ziele nicht erreichen können.“

„Nichts wäre fataler als den Eindruck zu hinterlassen, dass man sich verbal zu den Zielen bekennt, aber dann nicht den Mut oder die Kraft hat, die dazu gehörigen Maßnahmen konkret zu benennen. Hier ist der Entwurf noch sehr zögerlich. Das kann das Vertrauen in die Problemlösungskapazität der Politik erschüttern.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Claudia Kemfert: „Es gibt keinen Interessenkonflikt.“

Alle anderen: Keine angegeben.

Primärquelle

European Commission (2019): The European Green Deal

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Hendzlik M et al. (2019): Kein Grund zur Lücke. Umweltbundesamt.

Weitere Recherchequellen

Science Media Center Germany (2019): Die CO2-Emissionen steigen auch 2019 weiterhin an. Research in Context. Stand: 04.12.2019.

Science Media Center Germany (2019): Kann ein CO2-Preis unser Klima retten? Fact Sheet. Stand: 10.07.2019.

Science Media Center Germany (2018): Luftverschmutzung durch Stickstoffdioxid. Fact Sheet. Stand: 26.02.2018.