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12.07.2019

Sondergutachten CO2-Preis

Das „Sondergutachten zum CO2-Preis“ des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung kommt zu dem Ergebnis, dass ein CO2-Preis ein wichtiger Baustein für den Klimaschutz ist. Zwar ist eine Ausdehnung des Europäischen Emissionshandels auf die Bereiche Verkehr, Gebäude, Gewerbe oder Landwirtschaft in den Augen der Experten der effizienteste Weg, um Kohlendioxid einzusparen, jedoch erscheint es für eine Übergangsphase sinnvoll, einen nationalen Weg einzuschlagen – entweder als CO2-Steuer oder als nationaler Emissionshandel.

Mit dem Sondergutachten wollte sich die Bundesregierung noch einmal eine Expertenmeinung holen, um im Herbst zu entscheiden, ob und welche Art von Preis für Kohlendioxid in Deutschland künftig gezahlt werden sollte.

 

Übersicht

  • Prof. Dr. Claudia Kemfert, Abteilungsleiterin der Abteilung „Energie, Verkehr und Umwelt“, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin
  • Prof. Dr. Manfred Fischedick, Vizepräsident, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH, Wuppertal
  • Prof. Dr. Anita Engels, Professorin für Soziologie, Universität Hamburg, Ko-Sprecherin des Exzellenzclusters Climate, Climatic Change, and Society (CLICCS), Universität Hamburg
  • Prof. Dr. Uwe Leprich, Hochschule für Wirtschaft und Technik des Saarlandes, Saarbrücken, ehemaliger Abteilungsleiter für Klimaschutz und Energie des Umweltbundesamtes, langjähriger wissenschaftlicher Leiter des Instituts für ZukunftsEnergieSysteme (IZES)
  • Prof. Dr. Ortwin Renn, Geschäftsführender Wissenschaftlicher Direktor am Institut für Transformative Nachhaltigkeitsforschung IASS, Potsdam
  • Prof. Dr. Andreas Löschel, Professor am Lehrstuhl für Mikroökonomik, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Statements

Prof. Dr. Claudia Kemfert

Abteilungsleiterin der Abteilung „Energie, Verkehr und Umwelt“, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin

„Die Studie bestätigt ebenso, dass eine CO2-Bepreisung ein wichtiger Baustein eines wirksamem Klimaschutzes ist. Da die Erweiterung des EU-Emissionsrechtehandels (abgekürzt ETS; Anm. d. Red) für die Non-ETS Sektoren (Wärme, Verkehr) kompliziert und langwierig ist, schlägt die Studie als Übergangslösung die Einführung der nationalen CO2-Bepreisung entweder über die Entwicklung eines Emissionsrechtehandels in Deutschland oder die Einführung einer CO2-Steuer vor.“

„Die Einführung einer CO2-Steuer ist leichter umsetzbar, sorgt für Transparenz und kann über eine Erhöhung des Steuersatzes zu einer adäquaten Lenkungswirkung führen. Sie sorgt für Planungssicherheit, da Investoren heutige Investitionsentscheidungen vor dem Hintergrund fällen, dass der CO2-Preis stark ansteigen wird und sich die Emissionsminderung auszahlt. Eine Reform der Energiesteuern ist ohnehin überfällig. Fossile Energien werden seit langem zu gering, Strom zu hoch besteuert. Es bietet sich somit an, dass eine derartige Reform auf den CO2-Gehalt der fossilen Energieträger ausgestaltet wird. Zudem kann das Steueraufkommen leicht rückerstattet werden, einmal um soziale Ungleichheiten zu vermeiden und zum anderen, um finanzielle Anreize für mehr Klimaschutz zu geben, wie beispielsweise die Förderung der Elektromobilität und die energetische Gebäudesanierung.“

„Die Ausweitung des EU-Emissionsrechtehandel auf die sogenannten Non-ETS Sektoren, also Verkehr und Wärme, hätte entscheidende Nachteile. Wenn man den Emissionsrechtehandel auf alle Sektoren ausweitet und die Emissionsminderung von 80 Prozent bis 2050 bindend umgesetzt wird, würde der Preis in der Tat sehr stark ansteigen, aufgrund der sehr hohen CO2-Vermeidungskosten insbesondere im Verkehrssektor. Abgesehen davon, ob es tatsächlich umsetzbar wäre, da es juristisch aufwendig ist und im EU Rahmen ein Jahrzehnt dauern kann, bis eine solche Erweiterung möglich werden würde – wenn wirklich alle EU Staaten zustimmen, ist es dennoch fraglich, ob es umsetzbar und zielführend wäre. Ein einheitlicher CO2-Preis wäre sehr hoch, aber es gibt unterschiedliche Vermeidungskosten in den einzelnen Sektoren. Die Einführung von Preiskorridoren widerspricht den eigentlichen Zielen der eigenständigen rein marktgetriebenen Preisfindung. Hohe CO2-Preise sind für die Industrie problematisch, die dann tatsächlich Gefahr läuft, nicht mehr im Wettbewerb bestehen zu können oder aber ins Ausland abzuwandern. Daher ist es durchaus sinnvoll, unterschiedliche CO2-Bepreisungen zuzulassen.“

„Eine Einführung eines nur in Deutschland stattfindenden Emissionsrechtehandels für die Sektoren Wärme und Verkehr ist administrativ enorm aufwendig, was zu ungeheuer hohen Transaktionskosten führen wird. Der einzige Vorteil läge in der möglichen Anschlussfähigkeit an das Europäische Emissionsrechtehandelssystem. Zur Erfüllung der Klimaziele ist es notwendig, dass in Deutschland die Emissionen bis zum Jahre 2030 massiv gesenkt werden müssen. Ein weiterer zeitlicher Aufschub von notwenigen Maßnahmen ist nicht möglich, es muss rasch gehandelt werden. Aufgrund der hohen Transaktionskosten einer solchen Maßnahme ist eine Energiesteuerreform allen anderen Maßnahmen überlegen.“

„Somit ist die CO2-Abgabe im Zuge einer Energiesteuerreform das Mittel erster Wahl.“

Prof. Dr. Manfred Fischedick

Vizepräsident, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH, Wuppertal

„Die Einführung eines dynamisch anwachsenden CO2-Preises ist eine notwendige aber nicht hinreichende Voraussetzung für die erfolgreiche Umsetzung der Energiewende. Es gilt zudem, Instrumente zu schaffen, die helfen, die vielfältigen nicht-monetären Hemmnisse im Bereich Verkehr und Gebäude zu überwinden und konkrete Innovationsimpulse für neue Technologien (inklusive Sprunginnovationen) und Infrastrukturen zu setzen. Ein Teil der zusätzlichen Einnahmen aus der Einführung eines CO2-Preises sollte daher in ein gezieltes Förder- und Innovationsprogramm fließen.“

Prof. Dr. Anita Engels

Professorin für Soziologie, Universität Hamburg, Ko-Sprecherin des Exzellenzclusters Climate, Climatic Change, and Society (CLICCS), Universität Hamburg

„Das Gutachten ‚Aufbruch zu einer neuen Klimapolitik‘ schlägt eine Politikwende vor, die eine Bepreisung von Treibhausgasemissionen ins Zentrum stellt. Mit dieser Verengung würde erneut die Chance für eine breite gesellschaftliche Trägerschaft des Klimaschutzes vergeben:

  • Das Gutachten geht davon aus, dass eine einheitliche Bepreisung sicherstellt, dass Emissionen immer vermieden werden, wenn die Vermeidung günstiger ist als der Preis. Das ist empirisch falsch, sowohl für Unternehmen als auch für Privathaushalte.
  • Marktwirtschaftliche Koordination ersetzt nicht komplexe Regierungs- und Verwaltungsaufgaben, die mit einer sektorübergreifenden Politikgestaltung einhergehen (zum Beispiel langfristige Infrastrukturplanungen).
  • ‚Soziale Ausgeglichenheit‘ wird hier lediglich als Mittel der Akzeptanzbeschaffung beziehungsweise Ruhigstellung betrachtet.
  • Sehr kritisch zu sehen ist die Hinterfragung der Notwendigkeit eigener nationaler Klimaziele im EU-Rahmen. Das verkennt politische Dynamiken auf der Ebene von Nationalstaaten.
  • Positiv zu würdigen ist die Möglichkeit einer möglichen Vorbildfunktion Deutschlands (anstelle einer Vorreiterrolle im EU- oder globalen Politikrahmen).“

„Fazit: CO2-Bepreisung ist als begleitende Maßnahme zum Klimaschutz wichtig, aber im Kern muss Klimapolitik für unterschiedliche Akteure in der Gesellschaft aktive Beteiligungsmöglichkeiten schaffen, die Kreativität freisetzen und tiefgreifenden Wandel möglich machen.“

Prof. Dr. Uwe Leprich

Hochschule für Wirtschaft und Technik des Saarlandes, Saarbrücken, ehemaliger Abteilungsleiter für Klimaschutz und Energie des Umweltbundesamtes, langjähriger wissenschaftlicher Leiter des Instituts für ZukunftsEnergieSysteme (IZES)

„Wie zu erwarten war, singt der Sachverständigenrat zunächst das hohe Lied des Emissionshandels, möglichst global, aber zumindest europäisch unter Einbeziehung der bislang nicht betroffenen Bereiche Wärme und Verkehr. Schmerzlich vermisse ich eine saubere Analyse, was hier bislang alles schief gelaufen ist und warum der Emissionshandel nur wenig zur CO2-Reduktion beigetragen hat.“

„Sehr wohl ahnend, dass die Forderung nach einem möglichst umfassenden Emissionshandel häufig eine schiere „Verzögerungstaktik“ (S. 128) ist, empfiehlt der Rat eine einheitliche CO2-Steuer. Allerdings: nur für einen Übergangszeitraum bis maximal 2030 und auch nur in einer Höhe von 25 bis 50 Euro als Startwert. Anstatt die üblichen akademischen Sperenzchen zu einem universellen Emissionshandel zu veranstalten, wäre es vor allem im Interesse der Planungssicherheit für die Industrie sinnvoller gewesen, die CO2-Steuer als realistische Perspektive für die nächsten 20 Jahre zu motivieren. Hierzu gibt es in dem Gutachten keinerlei Details, die der Fülle bereits vorliegender Gutachten eine klare Richtung gegeben hätten.“

„Insgesamt versteckt sich der Sachverständigenrat hinter der Wunschvorstellung eines funktionierenden universellen Emissionshandels, ohne die realistische, weil zeitnahe Perspektive einer nationalen CO2-Steuer im Detail analysiert zu haben. Insofern ist es für die aktuelle politische Diskussion für energische Schritte zu einer wirksamen Klimaschutzpolitik wenig hilfreich.“

Prof. Dr. Ortwin Renn

Geschäftsführender Wissenschaftlicher Direktor am Institut für Transformative Nachhaltigkeitsforschung IASS, Potsdam

„Die Notwendigkeit, die fossilen Brennstoffe für Strom, Wärme und Verkehr zu verteuern, um damit Anreize für Investitionen in Energieeffizienz und erneuerbare Energieträger zu schaffen, ist der richtige Weg, um den ambitionierten Klimaschutzzielen aus dem Pariser Abkommen näher zu kommen. Damit diese Verteuerung aber die entsprechende Lenkungswirkung haben kann und gleichzeitig auf breite Akzeptanz stößt, sollten die Einnahmen für solche Maßnahmen verwendet werden, die zweifelsfrei energiesparende oder fossile Energie substituierende Wirkung haben und vor allem diejenigen finanziell entlasten, die durch eine CO2-Bepreisung übermäßig belastet werden. Darunter fallen zum Beispiel direkte Zuschüsse zur Gebäude- und Wohnungsisolierung (auch durch Mietersanierung), Ausbau modaler Verkehrskonzepte für Pendler und Zuschüsse zur digitalen Steuerung von Strom und Wärme. Auf diese Weise können die Ziele der Energiewende mit dem Anspruch auf faire Verteilung der Belastungen verbunden werden.“

Prof. Dr. Andreas Löschel

Professor am Lehrstuhl für Mikroökonomik, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

„Das Sondergutachten des Sachverständigenrates unterscheidet richtigerweise lange und kurze Frist. Langfristig ist eine Ausweitung des EU-Emissionshandels die richtige Zielsetzung einer klugen europäischen Klimapolitik. Kurzfristig sollte einer CO2-Steuer der Vorrang vor einem separaten Emissionshandelssystem für die Sektoren Gebäude und Verkehr gegeben werden. Die Emissionsminderung in einem separaten Emissionshandelssystem dürfte nur mit CO2-Preisen möglich sein, die weit über denen im EU-Emissionshandelssystem liegen. Dies ist nicht nur aus Effizienzsicht problematisch, sondern auch politisch schwer durchhaltbar.“

„Das Sondergutachten verweist zurecht auf einen möglichen Höchstpreis im separaten Emissionshandelssystem. Allerdings funktioniert ein Emissionshandel mit bindendem Höchstpreis genau wie eine CO2-Steuer. Zudem dürfte eine einseitige Ausgestaltung eines deutschen Emissionshandels mit all seinen Spezialregeln eine spätere Einigung mit den anderen Mitgliedstaaten eher erschweren als erleichtern. Dann wäre es doch besser, rasch eine nationale CO2-Steuer einzuführen und direkt damit zu beginnen, gemeinsam mit den Mitgliedsstaaten ernsthaft an einer Ausweitung des EU-Emissionshandels zu arbeiten.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Alle: Keine angegeben.

Primärquelle

Sachverständigenrat zu Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2019): Aufbruch zu einer neuen Klimapolitik. Sondergutachten Juli 2019. Kurfassung hier - Langfassung hier

Weitere Recherchequellen

Science Media Center Germany (2019): Kann ein CO2-Preis unser Klima retten? Fact Sheet. Stand: 10.07.2019.