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21.10.2021

Schweineniere an hirntote Frau angeschlossen

Es gibt bisher keine wissenschaftliche Publikation, keine klinische Studie, allein eine Reportage der „USA Today“ [I] sowie eine erste Einordnung der „New York Times“ [II]. Demnach hat der Transplantationschirurg Robert Montgomery, Leiter des Transplant Institute an der New York University Langone Health, in einer Operation eine Schweineniere der US-Firma United Therapeutics mit dem Kreislauf einer Hirntoten verbunden – allerdings lediglich für 54 Stunden. Ziel des Experiments sei es gewesen, zu beweisen, dass die außerhalb des Körpers über die Beinvenen mit der Hirntoten angeschlossene Schweineniere keine unmittelbare Immunattacke auslöse.

Einen medizinischen Wendepunkt stellt diese Operation noch nicht dar, dafür dauerte das Experiment nicht lange genug. Das verwendete gentechnisch veränderte Schwein, GALSafe der Firma Revivicor, ist im Feld der sogenannten Xenotransplantation zudem nicht mehr state of the art [III][IV]. Die akute Abstoßungsreaktion artfremder Organe ist zudem längst nicht mehr die einzige und entscheidende Barriere für eine klinische Transplantation von Schweineorganen in den Menschen.

Die Berichte aus den USA können eher als Anzeichen dafür gedeutet werden, dass sich der weltweite Wettlauf um erste ethische vertretbare klinische Xenotransplantationsversuche verschärft. Derzeit publizieren mehrere seriöse Forscherteams zu möglichen regulatorischen Wegen, ersten Indikationen und klinischen Studien für eine Xenotransplantation von soliden Organen in den Menschen [V][VI][VII]. Aus Experimenten mit Pavianen ist zum Beispiel bekannt, dass Nieren und Herzen von gentechnisch veränderten Schweinen prinzipiell über mehrere Monate in den Pavianen intakt bleiben können – allerdings nur mit intensiver Immunsuppression, um eine Abstoßung oder Fehlfunktion der artfremden Organe zu verhindern [VIII]. Inwieweit diese Experimente Auskunft über mögliche klinische Anwendungen geben, bleibt unter Forschenden und Klinikern umstritten.

Klar ist, dass sich die akute Abstoßung artfremder Organe zwar inzwischen dank gentechnisch veränderter Schweine verhindern lässt. Trotzdem kommt es weiterhin zu schwer beherrschbaren Immunreaktionen gegen das artfremde Organ, die dessen Funktionsfähigkeit stark beeinträchtigen können. Zudem besteht weiterhin das theoretische Risiko, den Empfänger von Schweineorganen durch eine Transplantation mit im Erbgut vorhandenen endogenen Schweine-Retroviren zu infizieren (Porcine Endogene Retro Virus, PERV). Einige Biotechfirmen versuchen daher, virenfreie Laborschweine zu züchten, deren Organe dann als Transplantate infrage kommen.

Das SMC Germany hat deutsche Forschende im Feld der Xenotransplantation befragt, was Sie von dem aktuellen Experiment in New York halten.

Übersicht

     

  • Dr. Joachim Denner, Leiter der Arbeitsgruppe Virussicherheit der Xenotransplantation am Institut für Virologie, Freie Universität Berlin
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  • Dr. Konrad Fischer, Leiter der Sektion Xenotransplantation, Technische Universität München (TUM), München
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  • Prof. Dr. Uta Dahmen, Leiterin Experimentelle Transplantationschirurgie, Universitätsklinikum Jena
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Statements

Dr. Joachim Denner

Leiter der Arbeitsgruppe Virussicherheit der Xenotransplantation am Institut für Virologie, Freie Universität Berlin

„Wie die ,New York Times‘ berichtet, hat in den USA ein Team um Dr. Robert Montgomery, dem Direktor des N.Y.U. Langone Transplantations-Instituts in Manhattan, den Blutkreislauf einer hirntoten Patientin mit der Niere eines gentechnisch veränderten Schweins verbunden und gezeigt, dass die Niere über 54 Stunden voll funktionsfähig ist, das menschliche Blut reinigt und Urin ausscheidet. Dieser Beweis ist ein weiterer Schritt auf dem Wege der Einführung der Xenotransplantation unter Verwendung von Schweineorganen in die Klinik. Die Xenotransplantation wurde aufgrund des Mangels menschlicher Spenderorgane entwickelt. So wurden im Jahr 2020 in Deutschland 1 909 Nieren transplantiert, aber es gab 7 338 Patienten auf der Warteliste für eine Nierentransplantation. In den USA stehen 90 240 Patienten auf der Warteliste für eine Spenderniere, zwölf sterben jeden Tag ohne ein Organ erhalten zu haben.“

„Die Schweineniere war gentechnisch verändert, durch das Ausschalten bestimmter Schweinegene wurde sie dem menschlichen Organ ähnlicher gemacht, um damit die Abstoßung durch das menschliche Immunsystem zu verhindern. Solch modifizierte Organe wurden bereits mit großem Erfolg in präklinischen Studien mit nicht-humanen Primaten eingesetzt. Studien, die weitaus wichtiger sind für die Entwicklung der Xenotransplantation. In diesen Studien konnte gezeigt werden, dass Schweinenieren fast 500 Tage funktionieren können, Schweineherzen bis zu 195 Tage, ein Rekord, der einem Team in München im Rahmen eines DFG-geförderten Sonderforschungsbereichs gelungen ist. Wichtig für das lange Überleben war unter anderem, dass die Donorschweine frei von bestimmten Schweineviren waren, sogenannten PERVs.“

„Zum Vergleich: Der Patient mit der weltweit ersten Herztransplantation eines menschlichen Herzens überlebte 18 Tage, der erste Patient in Deutschland 27 Stunden.“

„Die Schweineniere wurde im aktuellen Fall außerhalb des Körpers mit dem Blutkreislauf der hirntoten Patientin verbunden, damit man ihre Funktion besser beobachten konnte. Tatsächlich begann sie auch sofort mit der Produktion von Urin, etwas, was bei menschlichen Spendernieren manchmal erst viel später einsetzt. Wenn auch die Beobachtung der funktionierenden Schweineniere nur 54 Stunden erfolgte, eine Zeit, die viel zu kurz ist, um Aussagen zur immunologischen Abstoßung oder zur möglichen Übertragung von Schweineviren zu treffen, ist dies doch ein weiterer Schritt der Xenotransplantation in die Klinik.“

„Führende Wissenschaftler auf dem Gebiet der Xenotransplantation wie Prof. David Cooper vom Xenotransplantation-Programm der Universität Alabama, in Birmingham, USA, schätzen ein, dass die Grundlagen für eine erste klinische Anwendung geschaffen wurden. Sie verweisen sowohl auf die langen Überlebenszeiten der Organe in den präklinischen Studien als auch darauf, dass in den meisten präklinischen Studien keine Schweineviren übertragen wurden. Vor allem in den ersten klinischen Untersuchungen in Neuseeland und Argentinien, bei denen Inselzellen des Schweins zur Behandlung von Diabetes in Patienten transplantiert wurden, konnte keine Übertragung von Schweineviren festgestellt werden.“

„Cooper schreibt, dass Patienten, die nicht lange genug leben würden, um eine menschliche Niere zu bekommen, von einer Schweineniere profitieren würden und so eine Dialyse-freie Zeit hätten, und man dabei auch noch Erfahrungen für zukünftige Transplantationen gewinnt.“

„Die Niere wird nach den Inselzellen als erstes Organ favorisiert, weil man bei einer Nicht-Funktion zu einer Dialyse zurückkehren könnte. Aber auch die Forschung zur Herztransplantation ist weit vorangeschritten, neben den oben berichteten 195 Tagen bei orthotopen Herztransplantationen (das Schweineherz wird anstelle des Pavianherzen eingesetzt), erreichte man bei der heterotopen Herztransplantationen (das Pavianherz bleibt, das Schweineherz schlägt an anderer Stelle im Bauchraum – nachträgliche Korrektur, zuvor hieß es an dieser Stelle ‚Brustraum‘) 945 Tage.“

Dr. Konrad Fischer

Leiter der Sektion Xenotransplantation, Technische Universität München (TUM), München

„Generell sind wir in der Xeno-Transplantationsforschung sehr darüber erfreut, dass dieser Versuch beim Menschen durchgeführt wurde und offenbar erfolgreich verlaufen ist. Aus wissenschaftlicher Sicht fällt es aber sehr schwer, hier eine klare Stellungnahme abzugeben. Es fehlt die klare Versuchsbeschreibung, Durchführung und Auswertung, die bisher nicht publiziert wurde. Ebenso fehlen uns die pathologischen Untersuchungen der Niere.“

„Auch das Schweinemodell wurde nicht klar beschrieben. Es handelt sich um ein Tier von Revivicor. Diese haben als genetische Modifikation meist eine Inaktivierung des Gens GGTA1 (alpha 1,3 Gal) und Expression von Thrombomodulin (hTM), das die Blutgerinnung verhindert. Sowie CD46, einen humanen Komplementregulator, der die Lyse und Abstoßung des Transplantats verhindert. Revivicor hat jedoch auch andere transgene Schweinelinien. Ohne klare Nennung kann man hier keine verlässliche Auskunft geben. Handelt es sich um dieses GGTA1-hTM-CD46-Tiermodell, so ist es schon ein sehr alter Genotyp. Wesentlich bessere und modernere Genotypen sind bereits verfügbar – auch von der TU München [1] [2] [3].”

„Es bleiben folgende weitere Punkte unklar: Die Versuchsdauer von 54 Stunden war sehr kurz gewählt. Eine hyperakute Abstoßungsreaktion tritt bereits während der ersten Stunden auf. Diese hyperakute Abstoßungsreaktion wurde klar überwunden. Dies war zu erwarten, da notwendige Modifikationen in den vergangenen Jahrzehnten schon sehr ausführlich beschrieben wurden. Diese Modifikationen sind in den heutigen transgenen Schweinelinien bereits alle enthalten (GGTA1 Knockout bzw. Expression von CD46, CD55 und/oder CD59).“

„Jedoch treten anschließend noch zahlreiche weitere Abstoßungsreaktionen auf – unter anderen akut vaskuläre Abstoßungsreaktionen und zelluläre Abstoßungsreaktionen. Diese treten nach einigen Tagen bis einigen Wochen auf. Leider wurde der Versuch zu früh beendet, um Aussagen hierüber treffen zu können. Die heutige Herausforderung besteht gerade darin, auch diese Abstoßungsreaktionen zu überwinden und ein langzeitiges Überleben der Transplantate im Körper der Empfänger zu gewährleisten. Deshalb werden die Schweinelinien ständig weiterentwickelt, was zusätzliche Geninaktivierungen (CMAH und B4GALNT2) sowie Expression weiterer Transgene wie HO1, A20, CD47, HLA-E/B2M, EPCR beinhaltet [4].“

„Die eigenen Nieren der Patientin waren offenbar intakt. Dadurch ist es nicht erstaunlich, dass der Kreatinin-Wert stabil blieb – da die eigenen Nieren der Hirntoten weiterarbeiteten. Daten hierzu sind notwendig.“

„Ohne pathologische Beurteilung der Niere kann keine Aussage über eine eventuelle Schädigung getroffen werden. Die Niere könnte nach den 54 Stunden schon völlig zerstört gewesen sein. Dies muss erst geklärt werden.“

„Für uns handelt es sich momentan nicht um einen wirklichen Durchbruch. Dies kann sich jedoch schnell ändern, falls ein völlig neuer Genotyp, Immunsuppression etc. eingesetzt wurden. Dazu fehlen aber momentan die Daten. Die bisher beschriebenen Ergebnisse waren anhand von zahlreichen Versuchen mit nicht-humanen Primaten in den vergangenen Jahren zu erwarten. So wurden hier Transplantationen von transgenen Schweinenieren durchgeführt, bei denen die Nieren über mehrere Monate funktionell waren und nicht abgestoßen wurden. Ebenso war dies anhand von Perfusionsversuchen, bei denen Schweinenieren ex vivo mit humanem Blut durchströmt werden, zu erwarten.“

„Es bleibt also noch offen, ob es tatsächlich der beschriebene Durchbruch war. Man sollte aber auf jeden Fall auf die großen Erfolge im Bereich der Xenotransplantation verweisen. Gerade in den vergangenen Jahren waren die Entwicklungen atemberaubend und wir stehen kurz vor einer klinischen Anwendung beim Menschen [5]. Im Bereich der Inselzelltransplantation (Diabetes) ist dies schon Realität.“

Prof. Dr. Uta Dahmen

Leiterin Experimentelle Transplantationschirurgie, Universitätsklinikum Jena

„Die Gruppe um Robert Montgomery vom NYU Langone Transplant Institute hat erstmals den prinzipiellen Beweis erbracht, dass die hyperakute Abstoßungsreaktion bei Transplantation von Schweineorganen in einen menschlichen Blutkreislauf vermeidbar ist.“

„Dazu wurde ein ungewöhnliches Vorgehen gewählt. Die Chirurgen haben die Niere eines genetisch modifizierten Schweines mit den großen Blutgefäßen (Arterie und Vene) in der Leiste eines hirntoten, aber kreislaufstabilen Organspenders, dessen Organe nicht zur Transplantation geeignet waren, verbunden. Die Niere wurde für über 50 Stunden außerhalb des menschlichen Körpers mit dem menschlichen Blut des Spenders durchspült, ohne dass die sonst in Minuten auftretende Abstoßungsreaktion einsetzte. Im Gegenteil, die Niere produzierte sofort Urin, ein Hinweis auf die normale Funktion des Organs.“

„Die hyperakute Abstoßung tritt auf, sobald ein Schweineorgan von humanem Blut durchspült wird, da die Schweineendothelzellen (die Zellen, die die Blutgefäße auskleiden) ein Molekül auf der Oberfläche tragen, was eine akute Gerinnungsreaktion bei Kontakt mit menschlichem Blut hervorruft. Mithilfe der genetischen Veränderung der Niere wurde verhindert, dass die Schweinegefäßzellen ein besonderes Zuckermolekül auf der Zelloberfläche ausbilden und somit die Gerinnungsreaktion nicht ausgelöst wird.“

„Basierend auf dieser grundlegenden Beobachtung ist nun der erste Schritt in Richtung einer klinisch erfolgreichen Xenotransplantation erfolgt. Weitere Untersuchungen, voraussichtlich unter Verwendung hirntoter Organspender, müssen erfolgen, bevor das Verfahren in einer sonst klinisch ausweglosen Situation unter Berücksichtigung sämtlicher ethischer Bedenken erprobt werden kann.“

„Wenn sich das Verfahren als erfolgreich zeigt, ist das größte Hindernis in der Transplantationsmedizin, der Mangel an Spenderorganen, prinzipiell überwunden. Die genetisch modifizierten Schweine lassen sich züchten, sodass theoretisch jedem Patienten in Not ein Organ zur Verfügung gestellt werden könnte.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Alle: Keine Angaben erhalten.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Fischer et al. (2016): Efficient production of multi-modified pigs for xenotransplantation by „combineering“, gene stacking and gene editing. Nature Scientific Reports. DOI: 10.1038/srep29081.

[2] Fischer et al. (2019): Viable pigs after simultaneous inactivation of porcine MHC class I and three xenoreactive antigen genes GGTA1, CMAH and B4GALNT2. Xenotransplantation. DOI: 10.1111/xen.12560.

[3] Yue Y et al. (2021): Extensive germline genome engineering in pigs. Nature Biomedical Engineering. DOI: 10.1038/s41551-020-00613-9.

[4] Kemter E et al. (2020): Xeno-organ donor pigs with multiple genetic modifications – the more the better? Current Opinion in Genetics & Development. DOI: 10.1016/j.gde.2020.05.034.

[5] Längin M et al. (2018): Consistent success in life-supporting porcine cardiac xenotransplantation. Nature. DOI: 10.1038/s41586-018-0765-z.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] USA Today (2021): Pig kidneys to the rescue? Groundbreaking transplant a step toward solving our organ shortage.

[II] New York Times (2021): In a First, Surgeons Attached a Pig Kidney to a Human — and It Worked.

[III] Kempter E et al. (2020): Xeno-organ donor pigs with multiple genetic modifications – the more the better? Current Opinion in Genetics & Development. DOI: 10.1016/j.gde.2020.05.034.

[IV] Javma News (2021): FDA approves genetic alteration in pigs. American Veterinary Medical Association.

[V] Cooper D et al. (2021): „You cannot stay in the laboratory forever“: Taking pig kidney xenotransplantation from the laboratory to the clinic. EBioMedicine. DOI: 10.1016/j.ebiom.2021.103562.

[VI] Reichart B et al. (2021): Pathways to Clinical Cardiac Xenotransplantation. Transplantation. DOI: 10.1097/TP.0000000000003588.

[VII] Garcia LR et al. (2021): Clinical trials in cardiac xenotransplantation: Are we ready to overcome barriers? Journal of Cardiac Surgery. DOI: 10.1111/jocs.15747.

[VIII] Science Media Center (2018): Xenotransplantation: Paviane überleben einzig mit Schweineherz längere Zeit. Research in Context. Stand: 05.12.2018.