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13.03.2024

Fusionskraftwerke – möglicherweise eine Option für die Post-Energiewendezeit

     

  • Bundesforschungsministerin hat Förderung der Fusionsforschung durch Bundesregierung vorgestellt 
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  • Ziel ist unter anderem schnellstmöglich ein deutsches Fusionskraftwerk 
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  • Forschende: Fusionskraftwerke kommen für den Klimaschutz zu spät, könnten aber in ferner Zukunft eine Rolle spielen  
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Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger hat heute Mittag um 13 Uhr das neue Fusionsforschungsprogramm der Bundesregierung vorgestellt. Es zielt unter anderem darauf ab, „schnellstmöglich“ ein Fusionskraftwerk in Deutschland zu bauen.

Die Forschungsministerin widmet sich seit der Erfolgsmeldung des Lawrence Livermore National Laboratory vom Dezember 2022 stärker der Kernfusion [I]. Den US-Forschern war ein wichtiger Zwischenschritt auf dem Weg zur kontrollierten Zündung einer Fusion im Labor mithilfe von Lasern gelungen. Die Wissenschaftler selbst hatten im Pressegespräch darauf hingewiesen, eine Anwendung des von ihnen getesteten Verfahrens für kommerzielle Kraftwerke werde wahrscheinlich einige Jahrzehnte benötigen [II]. Das Forschungszentrum Jülich geht in einer Stellungnahme für den Landtag in Nordrhein-Westfalen davon aus, dass von der Entscheidung für den Bau eines „Demonstrationskraftwerks“ bis zur Inbetriebnahme rund 20 Jahre ins Land gehen dürften – wobei neben der Technik für die Kernfusion selbst auch die Technik zur Stromgewinnung aus Kernfusion noch entwickelt werden muss [III]

Das sind Zeiträume, in denen die Energiewende abgeschlossen und die Stromerzeugung von Windkraft, Photovoltaik und Back-up-Systemen geprägt sein soll – nicht nur in Deutschland, sondern in weiteren Teilen Europas und womöglich weltweit. Daher hat das SMC Forschende gefragt, welche Rolle Fusionskraftwerke im Energiesystem der Zukunft nach der Energiewende übernehmen könnten. 

Übersicht

  • Dr. Jan Wohland, Mitarbeiter bei Professur für Klimaphysik, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETHZ), Zürich, Schweiz
  • Dr. Klaus Hesch, Sprecher des KIT-Programms FUSION, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Eggenstein-Leopoldshafen

Statements

Dr. Jan Wohland

Mitarbeiter bei Professur für Klimaphysik, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETHZ), Zürich, Schweiz

„Wir müssen jetzt Emissionen reduzieren, um den Klimawandel aufzuhalten. Kernfusion funktioniert – Stand jetzt – nicht und wird deswegen zum Beispiel im Energie-Kapitel des aktuellen IPCC-Berichtes [1] nicht erwähnt. Angesichts der begrenzten Fortschritte in der Kernfusion in der Vergangenheit erscheint es mir sehr unwahrscheinlich, dass Kernfusion in den nächsten Jahrzehnten nennenswert zu unserer Energieversorgung beitragen wird. Kernfusion kann deswegen kein relevanter Bestandteil unserer Bemühungen sein, das 1,5- beziehungsweise 2-Grad-Ziel zu erreichen. Stattdessen sollten wir funktionierende CO2-neutrale Technologien zubauen.“

„Falls Kernfusion irgendwann verlässlich funktionieren würde, so wäre sie allerdings ein Game Changer für CO2-neutrale Energiesysteme. Im Gegensatz zu Erneuerbaren gäbe es dann keine Wetterabhängigkeit in der Erzeugung. Kernfusion würde damit einige der Herausforderungen lösen, die beim Übergang zu Netto-Null existieren. Aber all das ist hypothetisch. Stand jetzt wissen wir weder ob, noch wann oder zu welchen Kosten Kernfusion einsetzbar sein wird. Deswegen macht es keinen Sinn, in heutigen Planungen des Energiesystems auf Kernfusion Rücksicht zu nehmen. Wir verlassen uns bei unserer Altersvorsorge ja auch nicht darauf, dass wir demnächst im Lotto gewinnen. Auch wenn das natürlich toll wäre.“

Dr. Klaus Hesch

Sprecher des KIT-Programms FUSION, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Eggenstein-Leopoldshafen

„Zur künftigen Rolle von Fusionskraftwerken – im Hinblick auf die Energiewende und darüber hinaus: Zwischen den deutschen Fusionsforschungs-Einrichtungen herrscht Konsens, dass ein deutsches oder europäisches Demonstrations-Fusionskraftwerk bei einem sehr ambitionierten und entsprechend mit Ressourcen ausgestatteten Programm auf einer Zeitskala von circa 20 Jahren realisiert werden könnte. Der ‚Roll-out‘, das heißt der tatsächliche Beitrag zur Energieversorgung, dauert natürlich entsprechend länger.“

„Wenn man die Energiewende ausschließlich unter dem Gesichtspunkt ‚Deutschland 2045‘ sieht, bringt das also nichts. Ein solcher Ansatz wäre aber ausgesprochen dumm, denn die Energiewende funktioniert, wenn überhaupt, nur weltweit – und der Energiebedarf wird weltweit auch noch in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts stark ansteigen. Man kann angesichts des Flächenbedarfs nicht davonausgehen, alles mit Windenergie und Photovoltaik zu decken – selbst Indien, wo die Voraussetzungen für Sonnenergie optimal sind, setzt auf Fusion.“

„Es fehlt bei dieser Betrachtung allerdings der ganz wesentliche Gesichtspunkt der Energie-Unabhängigkeit. Mit dem Versuch, nun grünen Wasserstoff aus Übersee einzukaufen, ersetzen wir eine Energieabhängigkeit – die vom russischen Gas – durch eine andere. Auch wenn das im Moment absolut angezeigt ist, ist das langfristig keine Lösung. Wir bleiben verletzlich, nicht nur wegen der Abhängigkeit vom guten Willen der Lieferanten, sondern auch wegen der Transportwege. Genau hier bietet die Fusion die benötigte Lösung.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Dr. Klaus Hesch: „Da ich das Fusionsprogramm des KIT leite, kann ich das Thema natürlich nicht neutral und unvoreingenommen betrachten. Ich werde aber versuchen, rein sachlich zu argumentieren.“ 

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Weiterführende Recherchequellen

Science Media Center (2022): Möglicher Durchbruch bei der Fusionsforschung. Rapid Reaction. Stand: 13.12.2022.

Science Media Center (2023): Das erneuerbare Energiesystem – Ausblick auf die Kraftwerksstrategie. Data Report. Stand: 20.10.2023.

Literaturstellen, die von den Expertinnen und Experten zitiert wurden

[1] IPCC Sixth Assessment Report. Working Group III: Mitigation of Climate Change (2022): Chapter 6: Energy systems.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] U.S. Department of Energy (2023): DOE National Laboratory Makes History by Achieving Fusion Ignition.

[II] U.S. Department of Energy (2023): Livestream: Secretary Granholm to Announce Major Scientific Breakthrough by DOE National Laboratory. Youtube.

[III] Lambrecht A et al. (2024): Stellungnahme zum Antrag der Fraktion der FDP: ,,Ein klares Bekenntnis für die Fusionstechnik - Nordrhein-Westfalen als Standort für das erste Demonstrationskraftwerk in Deutschland vorbereiten" (Drucksache 18/538 7).