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13.12.2022

Möglicher Durchbruch bei der Fusionsforschung

     

  • kontrollierte Kernfusion könnte neue Energiequelle erschließen
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  • US-Forschung soll jetzt einen Energieüberschuss im Plasma gewonnen haben
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  • Forschende: Das Ergebnis muss noch genau geprüft werden – Stromerzeugung ist noch weit weg
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Dem Team des staatlichen Lawrence Livermore National Laboratory (LLNL) ist es nach eigenen Angaben gelungen, zum ersten Mal im Plasma mehr Energie bei einem Fusionsexperiment freizusetzen, als in das Plasma selbst geflossen ist. Das berichtete die „Financial Times“ unter Berufung auf zwei ungenannte Mitarbeiter des Instituts. Die Forschenden nutzten demnach für ihr Experiment die Trägheitsfusion. Dabei wird mit Lasern ein sorgsam konstruiertes Kügelchen aus den Wasserstoff-Isotopen Deuterium und Tritium bestrahlt und so eine Fusion ausgelöst.

Das für das Institut zuständige Energieministerium der USA hat seine Ergebnisse am Dienstag, 13.12.2022, 16:00 Uhr auf einer Pressekonferenz präsentiert. Hält die Meldung einer unabhängigen Prüfung durch Physikerinnen und Physiker stand, wäre es tatsächlich ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer kontrollierten Fusion, mit der zukünftig auch Strom erzeugt werden könnte.

Um die Bedeutung dieses Experiments für ein mögliche Stromerzeugung einzuschätzen, kommt es auf zwei weitere Dinge an: Zum einen muss die gewonnene Energiemenge richtig zugeordnet werden. In der Regel wird in der Forschung nur die Energiebilanz des Plasmas selbst angegeben. Dabei wird nicht berücksichtigt, wie viel Strom zum Beispiel in die Laser geflossen ist, also die Gesamtbilanz. Für eine künftige Stromerzeugung ist es aber wichtig, dass die Gesamtbilanz der Fusion positiv ist [I]. Während der Vorstellung ihrer Ergebnisse bezifferte das Forscherteam die vom Laser für die Zündung der Fusion aufgenommene Energiemenge mit rund 300 Megajoule (MJ). Die Energie des Laserlichts habe 2,05 MJ betragen, bei der Fusion wurden rund 2,9 bis 3 MJ freigesetzt.

Zum andern kommt es bei der Energiemenge auch darauf an, um welche Energie es sich handelt. In der Regel wird bei den Fusionsexperimenten keine elektrische Energie erzeugt, sondern überwiegend thermische, also Wärme. Für die Umwandlung der thermischen Energie in elektrische treten Verluste auf, nach Schätzungen können 30 bis vielleicht 50 Prozent der thermischen Energie als Strom genutzt werden.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Sybille Günter, Wissenschaftliche Direktorin, Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP), Garching
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  • Dr. Klaus Hesch, Sprecher des KIT-Programms FUSION, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Eggenstein-Leopoldshafen
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  • Prof. Dr. Christian Linsmeier, Direktor am Institut für Energie- und Klimaforschung, Leiter des Bereichs Plasmaphysik, Forschungszentrum Jülich GmbH (FZJ), Jülich
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Statements

Prof. Dr. Sybille Günter

Wissenschaftliche Direktorin, Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP), Garching

Auf die Frage, was womöglich am NIF erreicht wurde:
„Es wurde mutmaßlich erstmals mehr Energie durch Fusionsreaktionen freigesetzt als der Laser eingestrahlt hat. Nicht einberechnet bei dem ‚net energy gain‘ ist die Effizienz der Laser, bei der Umwandlung von elektrischer in Laser-Energie.“

„Das sind tolle Ergebnisse, zu denen wir den Kollegen des Labors der National Ignition Facilitiy (NIF) gern gratulieren. In solchen Experimenten kann man insbesondere studieren, wie sich ein Pellet verhält, wenn es nicht nur mit Lasern geheizt wird, sondern auch mit bei der Fusion freigesetzten Helium-Kernen (alpha-Teilchen). Das ist ganz spannende Plasmaphysik.“

Auf die Frage, wie nah die Fusion nun als nutzbare Energiequelle ist:
„Bei der Laserfusion geht es zunächst mal um die ‚Zündung‘ eines Pellets. Das ist schwierig, weil die Situation, dass Laser auf eine schwere Schale schießen, in der sich leichterer Wasserstoff befindet, instabil ist. Daher muss man das Pellet möglichst homogen bestrahlen, was bei direkter Bestrahlung mit Lasern schwierig ist. Deshalb verwendet man bei NIF einen sogenannten Hohlraum, in dem die Laser erst auf eine Wand schießen und dort Röntgenstrahlung erzeugen, die sehr homogen ist. Für ein Kraftwerk ist das vermutlich zu ineffizient, dort muss man direkt bestrahlen. Außerdem müsste man in einem Kraftwerk so ein Pellet mindestens zehnmal pro Sekunde zünden. Diese und viele andere technologische Fragestellungen müssen noch geklärt werden, bevor man an den Bau eines Kraftwerks denken kann.“

Dr. Klaus Hesch

Sprecher des KIT-Programms FUSION, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Eggenstein-Leopoldshafen

„Abgesehen davon, dass der Energie ‚output‘ der experimentellen Fusion von 2,5 MegaJoule (MJ) noch nicht bestätigt ist, bleibt die Frage, was die Angabe 2,1 MJ ‚energy in the lasers‘ meint. Wenn die Zahlen so stehen bleiben, und 2,1 MJ tatsächlich die Energie der gesamten Laserpulse, die synchron abgegeben wurden, meint, wäre dies in der Tat ein sehr beachtlicher, ja durchaus historischer, Erfolg.“

„Es ist aber aus dem Zitat nicht wirklich klar, was tatsächlich gemeint ist. Oft wird als Bezugsgröße die im ‚Hohlraum‘ der Reaktionskammer absorbierte Energie verwendet – oder auch nur die Energie, die dann in Form von Röntgenstrahlung auf das eigentliche Target aus Deuterium und Tritium einwirkt. Je nachdem, welche Größe als Bezug genommen wird, sieht das Verhältnis aus Fusionsenergie und ‚Zündenergie‘ dann mehr oder weniger imposant aus.“

„Bei der Magnetfusion berechnen wir den Q-Faktor als das Verhältnis von Fusionsleistung (weil hier der Prozess ja über einen längeren Zeitraum läuft) zu ins Plasma eingestrahlter Heizleistung. Dabei bleibt aber außer Betracht, wieviel elektrische Leistung benötigt wird, um diese Heiz(strahlungs)leistung zu generieren und wieviel elektrische Leistung für die sonstigen Systeme des Reaktors benötigt wird. Entsprechendes muss man auch bei den LLNL-Experimenten berücksichtigen. Das heißt, man muss sehen, mit welchem Wirkungsgrad die Laserenergie (Strahlung) aus elektrischer Energie aus dem Netz erzeugt wird. Bei einem der in der Magnetfusion genutzten Plasmaheizsystemen (Gyrotrons; Mikrowellenstrahlung) haben wir da zurzeit einen Wirkungsgrad von circa 50 Prozent erreicht, wollen aber natürlich noch besser werden. Wie das bei den bei LLNL eingesetzten Lasern aussieht, weiß ich nicht.“

„Hinzu kommt, dass die Fusionsenergie thermisch anfällt, also erst mit einem entsprechenden Faktor in elektrische Energie umgewandelt werden muss.“

„In jedem Fall wäre aber das Überschreiten des ‚break even‘ schon zwischen Heizenergie und Fusionsenergie ein wichtiger Punkt, der zum weiteren Optimieren hin zu einer insgesamt positiven Energiebilanz anspornt.“

„Es bleibt die Frage, wie reproduzierbar dieser ‚Schuss‘ tatsächlich ist, das heißt letztlich, wie kontrolliert das ganze abläuft. Daneben spielt die mögliche Wiederholrate eine Rolle: In früheren Statements von LLNL war davon die Rede, dass für einen quasi-kontinuierlichen Kraftwerksbetrieb pro Sekunde circa zehn Targets gezündet werden müssen.“

„Selbstverständlich hat man damit aber noch kein Kraftwerk. Die Systeme zur Tritium-Erzeugung ‚in situ‘ sowie zur kontrollieren Abfuhr der Fusionsenergie, damit diese dann in konventionellen Systemen in Elektrizität umgewandelt werden kann, sind meines Wissens für die Trägheitsfusion weniger weit entwickelt als für die Magnetfusion, wo durchaus auch noch Entwicklungsarbeit zu leisten ist. Allerdings habe ich bei der Trägheitsfusion da keinen genauen Einblick. Zumindest die Materialien wären in erster Näherung die gleichen, aber auch die müssen wir ja erst noch qualifizieren.“

Prof. Dr. Christian Linsmeier

Direktor am Institut für Energie- und Klimaforschung, Leiter des Bereichs Plasmaphysik, Forschungszentrum Jülich GmbH (FZJ), Jülich

Auf die Frage, was womöglich am NIF erreicht wurde:
„Hierzu wäre ich zurückhaltend, bis tatsächlich die Zahlen bestätigt sind. Der Financial Times-Text spricht hier ja noch von Unsicherheiten. Der ‚Proof of Principle‘ ist ja bereits früher erbracht (also, dass Laserfusion kernphysikalische funktioniert) und hängt in einem Experiment nicht von der Energiebilanz ab.“

„Auch bei der National Ignition Facility NIF hat es vom Baubeschluss bis zum erfolgreichen Experiment viele Jahre gedauert (Unterschrift in 1993, das heißt 29 Jahre bis heute). Bei ITER wird seit 2006 gebaut. Natürlich kann es beim zweiten Mal schneller gehen, aber das gilt ja auch für einen Tokamak (Fusionsreaktortyp wie ITER, Anm. d. Red). Und ITER ist ein internationales Projekt, dessen Konstellation nicht auf schnelle Fertigstellung, sondern auf Beteiligung von 50 Prozent der Menschheit optimiert ist.“

Auf die Frage, wie nah die Fusion nun als nutzbare Energiequelle ist:
„Zur Frage, ob mit der Technologie ein Kraftwerk realisiert werden kann, möchte ich nur folgende Zahlen zu bedenken geben. Ein Laserfusionskraftwerk mit 1 Gigawatt thermischer Energie soll diese aus einem Puls pro Sekunde erzeugen. Das heißt, pro Pellet würde 1 GigaJoule Energie freigesetzt werden. Dies entspricht etwa 250 Kilogramm TNT, das heißt, eine mittelgroße Bombe pro Sekunde. Für ein Kraftwerk im Dauerbetrieb sind das, vorsichtig ausgedrückt, gewagte Anforderungen.“

„Fusion sieht sich grundsätzlich als Grundlast-Versorgung. Dies ist auch in einer volatilen ‚erneuerbaren Stromwelt‘ für Ballungszentren und die Industrie unbedingt erforderlich. Ein Wechselspiel ist in einem Stromnetz eine Frage der Steuerung. Grundsätzlich können jedoch gepulste Energiequellen auch Lücken abdecken – das ist eine Frage der Wirtschaftlichkeit.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Alle: Keine Angaben erhalten.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] European Parliament Scientific and Technological Options Assessment STOA (1988): Criteria for the assessment of European Fusion Research. STOA Fusion Project, Vol. 1