Energie & Mobilität

24. Juli 2020

Wie finanzieren wir künftig die Energiewende?

Die Corona-Pandemie hat für kurze Zeit die Umlage für Strom nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) wieder ins Zentrum der politischen Aufmerksamkeit gerückt. Handel und Betriebe schlossen im Frühjahr 2020, Strombedarf und Großhandelspreis sackten ab. Damit sank auch der Erlös aus dem Verkauf von Wind- und Solarstrom. Deren Betreiber erhalten jedoch eine garantierten Gesamterlös für ihren Strom als Einspeisevergütung bei kleineren Anlagen oder als Summe aus Börsenmarktwert und Marktprämie. Das heißt: Je niedriger der jeweilige Marktwert am Day-Ahead-Handel der Strombörse ist, desto höher fallen Marktprämie und Differenz zur Einspeisevergütung aus, desto mehr muss über die Umlage ausgeglichen werden und desto stärker steigt diese. Berechnungen im Juni zeigten, dass die Umlage auf acht bis womöglich knapp zehn Cent hätte steigen können. Da seit Jahren die Höhe der Umlage eher ungerechtfertigt politisch und in den Medien als Kostenbarometer der Energiewende betrachtet wird, handelte die Bundesregierung schnell, brach mit den Grundsätzen der bisherigen Politik und senkte die Umlage mit Zuschüssen aus dem Staatshaushalt. Das ist ein Paradigmenwechsel, denn von jetzt an ist unstrittig, dass die Finanzierung durch das EEG durch den Wettbewerbskommissar der EU genehmigt werden muss.

Dieser Umstand kann auf die Diskussion um die Finanzierung der Energiewende einen neuen Blickwinkel eröffnen, denn von nun an ist auch eine vollständige Finanzierung der Erzeuger von erneuerbaren Energien über den Bundeshaushalt oder sogar anders als über die EEG-Umlage denkbar. Vor diesem Hintergrund zeigt dieses Fact Sheet an drei Beispielen die Spannweite möglicher Wege auf, die eingeschlagen werden können. Eine erste Gelegenheit dafür ergibt sich zum Beispiel im Herbst, wenn der erste Entwurf einer EEG-Novelle präsentiert wird.

Das Fact Sheet kann hier als PDF-Dokument heruntergeladen werden.

Übersicht

  • Was hat sich für die Finanzierung der Erneuerbaren geändert?
  • Einfach: die Steuerlösung
  • Einen Schritt weiter: die CO2-Preis-Lösung
  • Die Zukunft: weg vom Markt?
  • Literaturstellen, die zitiert wurden

Was hat sich für die Finanzierung der Erneuerbaren geändert?

Seit der Strommarkt-Liberalisierung 1998 wird Strom in der EU an Börsen gehandelt. Die Idee dabei ist: über den Handel kommen die kurzfristig günstigsten Erzeuger zum Zuge. Seit 2000 wird auch der Strom aus Wind-, Photovoltaik (PV)- und Biomasseanlagen auf der Börse gehandelt. Der Zuschlag erfolgt bei allen Erzeugern zum sogenannten Grenzkostenpreis; der Preis setzt sich aus den laufenden Kosten für Brennstoffe und Wartung zusammen. Weil Photovoltaik und Wind keine Brennstoffkosten haben, betragen ihre Grenzkosten null Euro pro Kilowattstunde (kWh). In einer Gebotsrunde kommen dann die Erzeuger in der Reihenfolge ihre (steigenden) Grenzkosten zum Zuge; die Grenzkosten des letzten zum Zuge kommenden Kraftwerks bestimmt den Erlös der ganzen Runde.

  • Problem dieser Konstruktion ist: Die Kosten für den Neubau eines Kraftwerkes kann ein Investor nicht in die Grenzkosten einpreisen. Er ist darauf angewiesen, dass in den Bieterrunden ein höherer Preis als die eigenen Grenzkosten erzielt wird. Das ist unter Umständen ein hohes Risiko.
  • Ein neues Kraftwerk lässt sich daher bei niedrigen Großhandelspreisen über den Börsenstrompreis schwer finanzieren.
  • Damit trotzdem neue Kraftwerke gebaut werden, kann das Risiko auf zwei verschiedene Weisen zumindest zum Teil abgefangen werden, die an dieser Stelle kurz vorgestellt und deren einzelne Ausgestaltungen in den nachfolgenden Kapiteln erklärt werden sollen.
    • A) Es kann zum Beispiel durch eine Umlage, einen Steuerzuschuss oder einen Differenzvertrag (Contract for Difference) abgesichert werden; die Kosten würden durch die Gesellschaft übernommen.
      • Beispiel: die Finanzierung vom Kernkraftwerk Hinkley-Point-C in Großbritannien.
      • Sie wurde durch einen komplexen „Contract for Difference“ mit einer Laufzeit von 60 Jahren abgesichert. Dabei wird dem Betreiber ein „Strike Price“ von 92,5 britische Pfund (ohne zusätzlichen Inflationsausgleich) pro Megawattstunde (MWh) gelieferter Leistung garantiert. Fällt der Preis darunter, erhält er einen Ausgleich; steigt der Preis darüber, muss er die Mehreinnahmen an das Land Großbritannien als Vertragspartner abführen [4].
      • Nach den Daten der britischen Marktaufsicht OFGEM wurde dieser Preis seit 2010 nie erreicht; in der Regel pendelt er zwischen 40 und 50 britische Pfund mit Ausreißern nach oben und unten [5].
      • Beispiel für eine Umlage: Die derzeitig geltende Vergütung nach dem EEG. Die Vergütung besteht aus den erzielten Einnahmen aus dem Verkauf an der Börse und einer Umlage, mit der die Differenz zwischen Vergütung und Verkaufseinnahmen auf die Stromkunden umgelegt wird.  (Differenzkosten)
    • B) Das Risiko (bzw. beim EEG die Differenzkosten) werden durch eine gezielte Verteuerung des Verkaufspreises an den Strombörsen verringert.
      • Beispiel: der Emissionshandel mit CO2-Zertifikaten der EU
      • der Preis für diese Zertifikate darf und wird von den Kraftwerksbetreibern auf den Grenzkostenpreis an der Strombörse aufgeschlagen. Siehe dazu auch das Fact Sheet zum CO2-Preis des SMC: Kann ein CO2-Preis unser Klima retten?
  • Viele Ökonomen bemängeln, dass die Höhe der Umlage der Differenzkosten auf den Strompreis reduziert werden müsse, da dieser inzwischen so teuer sei, dass sich Strom für Wärmeanwendungen oder zur Wasserstofferzeugung nicht gegen fossile Energieträger durchsetzen könne.
  • Nachfolgend sollen drei Konzepte vorgestellt werden, wie die Differenzkosten beziehungsweise die Kosten für den Ausbau der erneuerbaren Anlagen künftig aufgebracht werden könnten; alle drei sind jüngst vorgestellt worden.

Zwei Punkte sind zuvor noch wichtig:

  • Die Differenzkosten verteuern den Bau neuer Anlagen im Prinzip nicht unbedingt, sie sind lediglich ein anderer Weg, die für den Bau entstehenden Kosten zu decken.
  • Ein inzwischen größerer Posten für den Strompreis in Deutschland als die EEG-Umlage selbst sin die Kosten für Betrieb, Erhalt und Ausbau der Stromnetze. Diese werden über die Netzentgelte abgedeckt. Die lagen 2019 für Haushaltskunden im Schnitt bei 7,2 Cent/kWh – zum Vergleich: die EEG-Umlage bei 6,4 Cent. Diese Kosten werden in einem anderen Gesetz geregelt, wir werden sie zu einem späteren Zeitpunkt in einem eigenen Fact Sheet erklären [6].

Einfach: die Steuerlösung

Der erste Weg konzentriert sich auf die Differenzkosten. Sie könnten künftig nur noch zum Teil oder gar nicht mehr auf den Stromkunden umgelegt, sondern aus dem Staatshaushalt – und damit aus Steuern – finanziert werden. Das wurde bereits in der Vergangenheit vorgeschlagen [7], der jüngste Vorschlag der Deutschen Energie-Agentur DENA berücksichtigt jedoch die neue Rechtslage zur Senkung der EEG-Umlage aus Haushaltsmitteln und führt diesen Ansatz konsequent weiter [1].

  • Ziel: Direkt sichtbare Kosten für Stromverbraucher senken, um
    • sozial Benachteiligte zu unterstützen,
    • den Preis für Elektromobilität, Wärme und zukünftig Wasserstoff zu senken,
    • die Finanzierung der bestehenden Anlagen für alle Beteiligten deutlich einfacher und unstrittiger als heute zu gestalten [1, S.6].

Idee: Die EEG-Umlage wird statt auf 6,5 Cent/kWh auf null Euro gesenkt, die Vergütung der Differenzkosten für die Erneuerbaren werden durch Einnahmen aus dem 2021 beginnenden nationalen Emissionshandel im Wärme- und Verkehrsbereich, einer (vorübergehenden) Erhöhung der Stromsteuer und vorübergehend aus anderen Haushaltsmitteln oder Krediten bestritten.

  • Im Einzelnen bedeutet das:
    • Die Summe der Umlage übernimmt der Bund.
    • 2019 beträgt diese Summe 24,7 Mrd. Euro, bis 2030 fällt sie auf 12,5 Mrd. Euro [1, Tab. 10, S.46]
    • Zur Gegenfinanzierung nutzt der Bund:
      • die Einnahmen aus dem Brennstoffe–Emissionshandel von 2021: 7,1 Mrd. Euro, 2030 13,5 Mrd. Euro
      • eine Erhöhung der Stromsteuer von 2,05 Cent/kWh auf 4,1 Cent, macht 2021 6,6 Mrd. Euro, 2030 9,47 Mrd. Euro.
  • Daraus ergibt sich 2021 zunächst eine Finanzierungslücke von 11,5 Mrd. Euro, die 2026 geschlossen ist und sich bis 2030 in einen Einnahmeüberschuss von 8,3 Mrd. Euro bis 2030; 2031 ist das Saldo der jährlichen Defizite vor 2026 und der Mehreinnahmen bis zu diesem Jahr ausgeglichen.
    • Der Strompreis für Haushaltskunden fiele um knapp 4,45 Cent pro kWh.
    • Circa 2030 kann die Steuer wieder auf das heutige Niveau gesenkt werden.
  • Prognostizierte Vorteile
    • Netzbetreiber, Stromerzeuger und -händler, Eigenversorger und Industrie sowie der Staat müssten statt zwei nur eine Zahlung erfüllen und kontrollieren.
    • Aus dem EEG könnten sämtliche Umlage- und Ausnahmeregelungen, insgesamt 26 Paragrafen gestrichen werden (viele weitere kürzer werden) [1, S.8, S.20ff.]
    • Streitfälle würden fortfallen [1, S.31]
    • Bis 2023 ergibt sich eine Entlastung der Haushalte im unteren Einkommensbereich [1, S.19]
    • Senkung des Strompreises würde sektorübergreifenden Einsatz von Strom attraktiver machen. Eine hohe Wirkung sieht der Vorschlag für Mobilität und Industriewärme, dann folgen Speicher für den Betrieb der Stromnetze, Power to Gas, Power to heat, und in geringem Umfang auch die Eigenstromversorgung von Mehrfamilienhäusern [1, S. 32ff.].
  • Wichtige Hinweise:
    • Die Zahlen beziehen sich auf das günstigere Modell. Beim ungünstigeren werden nicht alle Einnahmen des Brennstoffemissionshandelsgesetzes zur Gegenfinanzierung herangezogen, so dass sich die Refinanzierung bis Mitte der 2030er Jahre hinzieht.
    • Der Vorschlag konzentriert sich auf eine Erstattung der Differenzkosten. Die Preisbildung an der Strombörse wird nicht angetastet.
    • Der vorgeschlagene Weg geht nur über eine Senkung der Umlage, weil EU-rechtlich die Stromsteuer nicht auf null fallen darf. Ausnahmen von der EEG-Umlage sollen in Entlastungen von der Stromsteuer umgewandelt werden, was wiederum neue Ausnahmeregelungen schaffen könnte.
    • Der Vorschlag ist eine Übergangslösung: Langfristig soll die Stromsteuer durch ein CO2-basiertes Energiesteuersystem ersetzt werden [1, S.11]
    • Zur Einschätzung der Größenordnung der Zahlen: Die Übernahme der EEG-Differenzkosten von 24,6 Mrd. Euro wären der viertgrößte Posten im Bundeshaushalt nach den Etats der Ministerien für Arbeit, Verteidigung und Inneres [1, S. 41].
    • Die anfangs zu deckenden 11 Milliarden Euro sind fast doppelt so viel wie der Weltgesundheitsorganisation für zwei Jahre zur Verfügung stehen: 5,6 Milliarden Dollar für die Gesundheit der gesamten Welt (wovon sie aber nur über 20 Prozent frei verfügen kann).

Einen Schritt weiter: die CO2-Preis-Lösung

Ein Beispiel für einen zweiten Weg – oder den nächsten Schritt – ist der Kommentar der Expertenkommission zum Monitoring-Prozess „Energie der Zukunft“ [2]. Der setzt in Bezug auf die Differenzkosten auf eine Doppelstrategie: Zum einen sollen sie wie im Vorschlag der DENA vom Bundeshaushalt übernommen werden, zum anderen aber soll auch der Preis an den Strombörsen zum Beispiel durch die Einführung eines CO2-Mindestpreises sowie eines nationalen CO2-Preises angehoben werden. Dadurch würden zwar die Großhandelspreise steigen, die Differenzkosten aber sinken. Die Vorschläge sind sehr umfassend, hier beschränken wir uns auf die Teile zur Finanzierung der Erneuerbaren Energien.

  • Ziel: Ausbau der Erneuerbaren Energien, beschleunigte De-Karbonisierung der Industrie, Aufbau der Wasserstoffwirtschaft, geringere Kosten für Mobilität und Wärme [2, S.1f.].
  • Idee: Umfassende Reformen der Energie-Bepreisung auf nationaler und europäischer Ebene; zentrales Steuerelement ist der CO2-Preis [2, 15ff.].
  • Im Einzelnen regen die Kommentatoren für Reformen in Deutschland folgendes an [2, S. 16-19]:
    • Senken der Stromsteuer auf in der EU erlaubtes Mindestmaß von 0,01 Cent/kWh
    • Übernahme der Differenzkosten für Erneuerbare Anlangen (und Kraft-Wärme-Kopplung) durch Bundeshaushalt
    • Folge: Bund übernimmt Verpflichtungen von rund 30,4 Mrd. Euro (Zahl für 2021, vgl. [1, Tab. 10, S.46], dort lassen sich die Zahlen für die kommenden Jahre bis 2030 ableiten).
    • Refinanzierung durch CO2-Preise:
      • nationaler CO2-Preis von 50 Euro pro Tonne CO2
      • nationaler Mindestpreis für den Europäischen Emissionshandel
    • Dadurch zusätzliche Einnahmen von rund 25 Mrd. Euro
    • Grüne Energieträger sollen zusätzlich von Energiesteuern befreit werden.
  • Reformen in Europa:
    • EU-Emissionshandel überarbeiten – der deutsche Kohleausstieg darf nicht zu einem Verfall des CO2-Preises führen [2, S. 24]
    • europaweite Ausschreibungen für Ausbau von Erneuerbaren in allen Ländern ermöglichen [2, S. 29]
    • europaweit grenzüberschreitende Förderrichtlinien und Marktmechanismen, zumindest für die Menge an Erneuerbarer Energie, die sich aus Green-Deal der EU ergibt [2, S. 30, vgl. S.51ff.]
    • Energiesteuerrichtlinie so überarbeiten, dass sie stärker in Richtung Klimaschutz steuert und andere Richtlinien, wie zum Beispiel die CO2-Flottengrenzwerte, unterstützt [2, S. 17]
    • EU-weit möglichst einheitliche und umfassende CO2-Bepreisung einführen [2, S. 51]
    • Einheitliche Rahmenrichtlinien, um Grüne Investitionen zu bewerten [2, S. 50].
  • Prognostizierte Vorteile
    • Fortfall der Umlagen und Senken der Stromsteuer ergeben für Privathaushalt mit 3500 kWh Jahresverbrauch eine theoretische Strompreissenkung von 310 Euro ohne Mehrwertsteuer. Da der Strompreis durch die CO2-Abgabe steigt, bleibt eine Reduktion von etwa 50 Euro [2, S. 19].
    • Europaweite Wind- und PV-Ausschreibungen sollen den für Zubau der günstigsten Stromerzeuger anreizen.
    • Implizit ergeben sich in Bezug auf die Vereinfachung des EEG ähnliche Vorteile wie bei der Steuerlösung [1].
  • Hinweise:
    • Der Vorschlag weist eine Differenz zwischen Kostenübernahme und Gegenfinanzierung von rund fünf Mrd. Euro auf. Die Autoren führen an, eine anspringende Konjunktur durch Investitionen in eine umfassende Energiewende generierten zusätzliche Staatseinnahmen, die diese Lücke schließen können [2, S. 16].
    • Die europaweite Änderung von Richtlinien und Mechanismen kann unter Umständen Jahre in Anspruch nehmen. Eine Umsetzung der Vorschläge würde sich über einen entsprechend langen Zeitraum hinziehen.
    • Unter Umständen ließen sich die Vorschläge der Expertenkommission mit den Vorschlägen der DENA in einer Art Zwei-Stufen-Modell kombinieren.
    • europaweite Ausschreibungen von Erneuerbaren Energien bedeuten auch einen europaweiten Ausbau des Stromnetzes zu Übertragung großer Leistungen. Dafür sind entweder höhere Spannungen als heute notwendig oder mehr Gleichstromleitungen, auf jeden Fall mehr und unter Umständen höhere Strommasten als heute.
    • Dies berücksichtigt nicht unbedingt, dass auch die anderen EU-Staaten zur Erreichung der Klimaziele mehr Erneuerbare zubauen müssen und dass der Ausbau nur in den Regionen mit den günstigsten Stromerzeugungskosten dort alleine nicht ausreichend sein könnte oder dort zu Akzeptanzproblemen führen könnte. Hier wäre eine genaue Untersuchung sinnvoll.
    • Das Konzept enthält die Möglichkeit, dass ein höherer CO2-Preis zu höheren Preisen an der Strombörse führt, die Erlöse der Erneuerbaren dadurch steigen und die Mehrbelastung des Bundeshaushalts durch die Übernahme der Differenzkosten sinkt (vgl. Annahmen zur Entlastung von Haushalten unter Vorteile).
    • Implizit enthält das Konzept die Option, über einen höheren Strompreis mehr Investitionen in Erneuerbare Energien anzuregen.
    • Aus einer Energiesteuerreform ergibt sich auch die Möglichkeit, Mehreinnahmen zu generieren, um die höheren Ausgaben für den Bundeshaushalt gegenzufinanzieren.
    • Die Finanzierung über einen CO2-Preis hat systembedingt eine Grenze: Wenn keine fossilen Brennstoffe mehr verfeuert werden, fallen auch die Einnahmen weg. Das Modell müsste diesen Zeitpunkt entsprechend früh abschätzen und die Finanzierung der Erneuerbaren rechtzeitig ändern.

Die Zukunft: weg vom Markt?

Ein dritter Weg wäre schließlich, das Finanzierungsmodell vollständig zu ändern, in der Annahme, dass von der Strombörse spätestens dann kein Signal mehr für den Neubau von Kraftwerken ausgeht, wenn Erneuerbare Energien überwiegend zum Zuge kommen und damit die Erlöse an der Börse dauerhaft niedrig bleiben. Diesen Weg schlägt Uwe Leprich vor, Professor für Energiewirtschaft, Wirtschafts- und Umweltfragen in Saarbrücken. Er leitete von 2016 bis 2018 die Energieabteilung des Umweltbundesamtes. Für diese Idee liegt bis jetzt nur eine Skizze vor [3], sie könnte in den kommenden Monaten vertieft werden. Dabei würde es Differenzkosten nicht mehr geben.

  • Das Ziel: einen Finanzierungsrahmen schaffen für eine von Erneuerbaren Energien bestimmte Stromversorgung, der für den Ausbau und den sicheren Einsatz der notwendigen Anlagen sorgt.
  • Idee: Ein Energieleitgesetz wird den drei Energiegesetzen in Deutschland (EEG, EnWG, KWK-G) vorgeschaltet. Es verzahnt die bisher nebeneinander bestehenden Bestimmungen dieser Gesetze. Ein Independent System Operator übernimmt die koordinierende Rolle des Strommarktes. Die Strombörse wird ihre (begrenzte) Rolle als Impulsgeber für Investitionen verlieren, je öfter der Strombedarf von Erneuerbaren Stromerzeuger zu einem Grenzkostenpreis von fast null Euro pro kWh gedeckt wird. Die Finanzierung der Erneuerbaren Energien erfolgt weiter über das EEG ohne Berücksichtigung des Strompreises an der Börse.
  • Im Einzelnen schlägt die Skizze vor:
    • Der Finanzbedarf für Investitionen kann und sollte daher auch ohne Bezug auf den Strompreis an der Börse ermittelt und festgelegt werden.
    • Ein Vergütungsanspruch besteht nur, solange die Stromerzeugung aus Erneuerbaren nicht über 100 Prozent steigt.
    • In diesem Fall sollen Betreiber ihren Strom vorzugsweise an Wärmeerzeuger oder Wasserstofferzeuger verkaufen.
    • Zusätzliche Einnahmen sollen PV- und Windstromanbieter durch ihre Teilnahme an Regel-Energie-Märkten erzielen können.
    • Die Strombörse bleibt für Gas- und gegebenenfalls Kohlekraftwerke bestehen
    • Ihre heutige Aufgabe, den Einsatz aller Stromerzeuger über Gebote und Nachfrage zu koordinieren, übernähme eine neue Position ein „Independent System Operator“ (ISO).
    • Der ISO legt die Vergütungen für Erneuerbare Anlagen über Ausschreibungen fest (heute tut das die Bundesnetzagentur), übernimmt den Geldfluss an die Betreiber dieser Anlagen (heute die Aufgabe der Übertragungsnetzbetreiber) und ist für die Sicherheit der Stromversorgung verantwortliche (heute ebenfalls Aufgabe der Übertragungsnetzbetreiber).
    • Der Strompreis für den Kunden setzt sich bei diesem Verfahren zusammen aus:
      • Vergütungen für EEG- und KWK-Anlagen
      • Vergütungen für Anlagen oder Verfahren, die der Versorgungssicherheit dienen
      • Netzentgelten.
    • Steuer und Abgaben kann der Staat flexibel einsetzen.
  • Vorteile
    • Der Vorschlag denkt weiter in die Zukunft als die beiden anderen. Er eignet sich unabhängig von einem CO2-Preis für die Finanzierung der Stromversorgung auch in einer vollständig dekarbonisierten Welt.
    • Auch eine Finanzierung von Backup-Kraftwerken ist mit diesem Verfahren möglich.
    • Es bezieht sehr stark lokale und regionale Akteure der Energiewende ein und kann daher vor Ort für eine höhere Akzeptanz sorgen.
  • Hinweise
    • Mit seiner Abkehr von einer tragenden Rolle des Strommarktes nimmt dieser Vorschlag eine Sonderrolle ein. Er kann erheblichen Widerstand in der Fachwelt, der Verwaltung, der Politik hervorrufen.
    • Durch die Verlagerung von Aufgaben von heutigen Akteuren auf eine neu zu schaffende Stelle (ISO) kann der Vorschlag erhebliche Widerstände bei den heutigen Akteuren hervorrufen.
    • Im Prinzip jedoch ähnelt der Vorschlag dem Weg einer Sozialisierung der Differenzkosten (er ersetzt sie lediglich durch die Vollkosten) und der Beeinflussung des Strompreises beim Verkauf auf einem Strommarkt (statt durch einen CO2-Aufpreis durch den Verkauf auf einem Sondermarkt, den Regelenergiemärkten).
    • Die Gesamtkosten liegen nicht höher als heute, werden nur grundsätzlich anders erbracht: Die Gesamtvergütungszahlen für alle über das EEG finanzierten Anlagen lagen nach Angaben des Bundeswirtschaftsministerium 2018 bei rund 32 Mrd. Euro, 25,7 davon wurden über die Umlage erhoben, rund 6,3 Mrd. wurden an der Börse erwirtschaftet [8]. Diese Summe würde künftig nicht mehr durch Verkauf aufgebracht (der letztlich auch den Stromkunden in Rechnung gestellt wird), sondern über eine Erhöhung der Umlage. Die Größenordnung ist dabei in etwa vergleichbar mit den Einnahmen der Stromsteuer, auf die zum Beispiel die Expertenkommission verzichten will.
    • Zu berücksichtigen wäre auch, dass die Gesamtvergütungszahlen und die Umlage bis 2030 erheblich sinken werden, wie im Kapitel zur Steuerlösung [1] gezeigt.
    • Ob sich dieser Vorschlag EU-Regelkonform umsetzen ließe, müsste geprüft werden.

Literaturstellen, die zitiert wurden

[1]     Deutsche Energie-Agentur DENA (2020): Vorschlag für die Senkung der EEG-Umlage auf null. Ein Impuls für die Beschleunigung der Energiewende.

[2]     Löschel A. et al. (2020): Expertenkommission zum Monitoring-Prozess „Energie der Zukunft“: Klimaschutz vorantreiben, Wohlstand stärken – Kommentierung zentraler Handlungsfelder der deutschen Energiewende im europäischen Kontext.

[3]     Leprich U (2020): Für ein klimaverträgliches Strom-Wärme-System: Ein Energieleitgesetz für das neue Jahrzehnt. Neue energie 05/2020, S.18-20.

[4]     Commission Decision (EU) 2015/658 on the aid measure SA.34947 (2013/C) (ex 2013/N) which the United Kingdom is planning to implement for support to the Hinkley Point C nuclear power station.

[5]     Ofgem: All wholesale electricity charts and indicators, Chart: Energy prices Day ahead baseload contracts – monthly average from 26/04/2010 to 05/04/2020.

[6]     Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags (2020): Fragen zur Entwicklung der Netzentgelte im Stromsektor. Dokumentation WD5 – 3000 – 012/20

[7]     Bettzüge MO et al. (2017): Kurzstudie: Alternativen zur Finanzierung des EEG.

[8]     Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2020): EEG in Zahlen: Vergütungen, Differenzkosten und EEG-Umlage 2000 bis 2020. Stand 28. Februar 2020.