Wegfall der Stoffstrombilanz: Fachliche Einordnungen
Das Bundeskabinett hat am 24.06.2025 der Aufhebung der Stoffstrombilanzverordnung zugestimmt. Auch das zuständige Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat (BMLEH) veröffentlichte eine entsprechende Pressemitteilung. Der Beschluss erfolgte im Rahmen einer sogenannten Ministerverordnung, für die weder der Bundestag noch der Bundesrat zustimmungspflichtig sind.
Leiter der Arbeitsgruppe Acker- und Pflanzenbau und Direktor des Instituts für Pflanzenbau & Pflanzenzüchtung, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Praxis der Stoffstrombilanz
„Die Stoffstrombilanzverordnung verursacht zusätzlichen Dokumentationsaufwand, der aber im Vergleich zum Dokumentationsaufwand im Bereich der Düngeverordnung insgesamt vergleichsweise gering ausfällt. Bereits die Düngeverordnung 2017 sah eine flächenbezogene Stickstoff- und Phosphorbilanzierung vor, die jedoch vor dem Hintergrund einer wenig fachlichen Diskussion um die Novellierung der Düngeverordnung mit der EU-Kommission aus der Verordnung gestrichen wurde.“
„Die Bundesregierung folgt bei der Abschaffung der Stoffstrombilanzverordnung Forderungen des Berufsstandes, der sich meines Erachtens aus einer allgemeinen und in vielen Teilen berechtigten Frustration über die überbordende Bürokratie im Bereich der Düngegesetzgebung wie beispielswiese die Düngeverordnung oder der AVVGeA (Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Ausweisung von mit Nitrat belasteten und eutrophierten Gebieten; Anm. d. Red.) im Lauf der Jahre aufgebaut hat. Landwirte unterliegen hierbei umfangreichen Dokumentationspflichten und Anwendungsbeschränkungen, die nur zum Teil als wissenschaftlich belegt und zielführend zu bezeichnen sind. Insofern setzt die aktuelle Diskussion um die Stoffstrombilanzverordnung an der falschen Stelle an.“
Wirkung der Stoffstrombilanz
„Die Stoffstrombilanzverordnung hat bisher nur einen geringen Effekt auf die Nährstoffeffizienz der Landwirtschaft, da der pauschale Grenzwert von 175 Kilogramm Stickstoff je Hektar Überschuss fast dreimal so hoch ist wie der mittlere Bilanzüberschuss der deutschen Landwirtschaft. Diese liegt damit am unteren Ende der Stickstoffbilanzüberschüsse von Ländern mit vergleichbarer Intensität der Landbewirtschaftung in Europa [1]. Eine Anpassung der Grenzwerte wäre die logische Folge, zu deren Höhe hat sich jedoch meines Wissens die Politik selbst bisher nicht konkret geäußert.“
„Meines Erachtens könnte eine an die regionalen Verhältnisse und die Höhe der Viehhaltung je Hektar angepasste Stoffstrombilanz den größten Teil der Dokumentationspflichten und Regelungen der Düngeverordnung obsolet machen. Ich vermute jedoch, dies wird nicht geschehen, da davon zu viele Arbeitsplätze in der Verwaltung abhängen. Niedersachsen hat beispielsweise eine eigene Düngebehörde eingeführt!“
Düngerecht
„Die Umsetzung des Verursacherprinzips ohne eine betriebliche Nährstoffbilanzierung ist kaum möglich. Eine zurzeit diskutierte beziehungsweise geforderte weitere Verdichtung der Nitrat-Messstellen wird hingegen keine Zuordnung von Belastungen zu einzelnen Betrieben ermöglichen.“
„Deutschland steht bei realistischer, vergleichender Betrachtung innerhalb Europas im Hinblick auf die Nährstoffbelastung aus der Landwirtschaft bereits vergleichsweise gut da [1]. Wichtig wäre eine Vereinheitlichung der Messmethoden zur Bewertung der Zielerreichung der Nitratrichtlinie innerhalb der EU. Hiervon ist man nach wie vor weit entfernt. Schleswig-Holstein meldet beispielsweise aktuell 40 Messstellen im Rahmen der Berichterstattung zur Nitratrichtlinie, davon lagen 40 Prozent oberhalb des Grenzwertes von 50 Milligramm Nitrat pro Liter Wasser (NO3/l.) Zur Verfügung stünden jedoch potentiell mehr als 200 Messstellen unter landwirtschaftlicher Nutzung. Bei dieser Grundgesamtheit liegen ‚nur‘ noch 22 Prozent oberhalb des Grenzwertes von 50 Milligramm Nitrat pro Liter Wasser.“
Nitratbelastung im Grundwasser
„Von mir aktuell durchgeführte Auswertungen zur Entwicklung der Nitratkonzentration im Grundwasser Niedersachsens und Schleswig-Holsteins zeigen bereits langsam sinkende Nitratkonzentrationen im Grundwasser. Rasch sinkende Trends sind vor dem Hintergrund der komplexen und langjährigen Prozesse der Stickstoffumsetzungen und des Nitrattransports im Boden bis in das Grundwasser auch nicht zu erwarten. Auch in den Zuflüssen von Nord- und Ostsee liegen sinkende Trends vor. Deutschland hat im Jahr 2022 den Zielwert der Bundesregierung für den Stickstoffbilanzüberschuss von 70 Kilogramm Stickstoff pro Hektar mit einem Wert von 63 Kilogramm Stickstoff pro Hektar bereits unterschritten.“
„Insgesamt liegen also eine abnehmende Belastung und insgesamt eine sinkende Tendenz der Nitratkonzentrationen vor. Insofern wäre ein Verlust dieser Bilanzierungsgrundlage nicht mit einer direkten Gefährdung der Qualität deutscher Gewässer verbunden.“
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Biologie und Umweltwissenschaften (IBU), Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Aufhebung der Stoffstrombilanzverordnung
„Ich werte diesen Schritt insbesondere als politisches Signal. Nachdem zuletzt ein Landwirtschaftsministerium von den Grünen geführt wurde, möchte die Union mit Minister Alois Rainer nun zeigen, dass schnell im Sinne der Landwirt:innen gehandelt wird.“
„Aus Sicht des Gewässerschutzes zeigt sich hingegen ein desolates Bild. Deutschland verfehlt nach wie vor massiv die Leitlinien der Wasserrahmenrichtlinie: Mehr als 90 Prozent aller deutschen Gewässer weisen keinen guten ökologischen Zustand auf. Weite Teile Deutschlands sind mit Nährstoffen nicht nur überversorgt, sondern durch ineffiziente Nutzung sogar belastet. Das hat nicht nur Auswirkungen auf Flora und Fauna in der unmittelbaren Nähe landwirtschaftlicher Flächen, sondern wirkt sich bereits negativ auf die küstennahen Gebiete der Nord- und Ostsee aus.“
„Wenn das Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat (BMLEH) den Schutz von Ernährung und Heimat ernst nehmen möchte, müssen die negativen Auswirkungen der Nährstoffbelastung, die überwiegend aus der Landwirtschaft stammen, aktiv angegangen werden. Minister Rainer macht nun erst einmal ein politisches Zugeständnis an eine Lobbyforderung, ohne zu signalisieren, welche Schritte zum Schutz der Umwelt er einleiten will. Damit erweist er den Landwirt:innen, die den Gewässerschutz ernst nehmen, einen Bärendienst.“
Praxis der Stoffstrombilanz
„Aufgrund des hohen verwaltungstechnischen Aufwands war die Stoffstrombilanz bei Landwirt:innen von Anfang an umstritten. Nichtsdestotrotz müssen wir uns vergegenwärtigen, wo wir im Jahr 2025 in Deutschland, einem Industrieland, stehen. Nach Jahrzehnten von Preis- und Mengendruck in der Landwirtschaft sind die meisten Landwirt:innen keine romantischen Kleinbauern mehr, die Ackerbau und Viehzucht kombiniert betreiben und am Wochenende ihren Heuschober an gestresste Städter vermieten. Diese Heinz-Erhardt-Komödien-Romantik ist passé – falls sie jemals überhaupt bestanden hat.“
„Landwirtschaftliche Betriebe sind technisiert und spezialisiert. Landwirt:innen sind geschulte Fachleute, die im Rahmen der guten fachlichen Praxis tagtäglich auch betriebswirtschaftliche Entscheidungen treffen und in starkem Wettbewerb stehen.“
Wirkung der Stoffstrombilanz
„Die Einführung der Stoffstrombilanz war ein Versuch, diesem besonderen Arbeitsumfeld Rechnung zu tragen. Landwirt:innen haben über Jahrhunderte hinweg Landschaften verändert. Um negative Auswirkungen zu vermeiden, muss der Staat einen funktionalen Ordnungsrahmen schaffen – darauf haben die Bürger:innen ein Recht. Die Stoffstrombilanzierung erschien als sinnvoller Baustein hierzu, da sie nicht gebiets-, sondern betriebsbezogen ist, also gewissermaßen am Hoftor gerechnet wird. Erst dies ermöglicht eine sinnvolle Identifizierung der Stickstoff- und Phosphor-Salden, die durch die Betriebe fließen.“
„Wenn Landwirt:innen die Anwendung dieser Verordnung als Eingriff in ihre betriebswirtschaftliche Freiheit verstehen, dann halte ich diesen Eingriff für gerechtfertigt. Wenn es allerdings Probleme bei der Anwendung gibt, hätte man über die Fachbehörden der Ministerien – wie beispielsweise die Landwirtschaftskammer Niedersachsen – verstärkt Schulungen und Beratungen anbieten können. Auch hätte man die Größe der verpflichteten Betriebe, das heißt die Hektar-Fläche beziehungsweise die Großvieheinheiten hinterfragen können. Bei Überschreitungen der Grenzwerte auf Jahresebene hätte eine Bewertung von beispielsweise fünfjährigen gleitenden Mittelwerten Landwirt:innen sinnvoll entlasten können.“
Nitratbelastung im Grundwasser
„Wir sehen uns mit der klassischen Allmende-Problematik (eine begrenzte, gemeinschaftlich genutzte Ressource wird durch individuelle Übernutzung erschöpft; Anm. d. Red.) konfrontiert. Die Grundwasserqualität ist ein öffentliches Gut, das von allen genutzt wird und auf das wir zukünftig immer stärker angewiesen sein werden. Wenn wir diese Ressource übernutzen beziehungsweise durch Stoffeinträge gefährden, dann betrifft das alle Nutzer:innen. Beim Grundwasser sind die Sanierungsoptionen zusätzlich stark begrenzt. Das Grundwasser reagiert sehr langsam auf chemische Veränderungen an der Oberfläche. Böden puffern Nährstoffeinträge ins Grundwasser zum Teil über Jahrzehnte ab. Somit ist es schwierig zu sagen, wer eine Schädigung verursacht hat.“
„Die Stoffstrombilanz war ein Baustein, um überhaupt den Nachweis führen zu können, wer gemäß dem Verursacherprinzip die Verschmutzung des Grundwassers herbeigeführt haben könnte. Fehlt dieser Baustein, muss zwangsläufig die öffentliche Hand einspringen, also die Steuerzahler:innen. Hier besteht dringend Regelungsbedarf.“
„Die Qualität deutscher Gewässer ist schlecht und wird sich nur verbessern lassen, wenn alle Akteur:innen erkennen, dass gesunde Gewässer einen gesellschaftlichen und im Bereich der Landwirtschaft einen betriebswirtschaftlichen Nutzen bringen. Wenn Landwirt:innen gewässerschützend wirtschaften, muss dies stärker entlohnt werden. Neben solchen freiwilligen Maßnahmen muss sich die Bundesregierung aber auch in die Lage versetzen, nachweisen zu können, dass es Anhaltspunkte für starke Nährstoffemissionen von einzelnen Betrieben gibt. Für unsere Umweltschutzgüter wird die Abschaffung der Stoffstrombilanz kein guter Tag sein.“
Projektleiter am Institut für Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Aufhebung der Stoffstrombilanzverordnung
„Die Bundesregierung stellt Lobbyinteressen der Landwirtschaft über das Gemeinwohl. Anders ist die Abschaffung der Stoffstrombilanzverordnung nicht zu erklären – mit Bürokratieabbau hat es jedenfalls nichts zu tun, denn das ‚Bürokratiemonster‘ ist die Düngeverordnung, nicht die Stoffstrombilanzverordnung – diese ist für gute Betriebe nichts anderes als klassisches ‚controlling'!“
Praxis der Stoffstrombilanz
„Ein Betriebsleiter, der die Kenntnis über die Zufuhr und Abfuhr von Nährstoffen in den Betrieb hinein und aus dem Betrieb heraus als ‚Bürokratie' diskreditiert, ist kein unternehmerisch handelnder Akteur, sondern jemand, der offensichtlich Beleg basierte Daten nicht preisgeben möchte und der vor allem nicht möchte, dass neben Stickstoff- auch das Thema Phosphorüberschüsse sichtbar wird.“
Wirkung der Stoffstrombilanz
„Es gibt keine seriöse wissenschaftliche Institution in Deutschland, die nicht die Stoffstrombilanz als das Instrument fordert, um Stickstoff- und Phosphorüberschüsse auf den Betrieben zu identifizieren und gegebenenfalls zu sanktionieren. Die Evaluation und Weiterentwicklung der Stoffbilanzverordnung unter Federführung des Thünen-Instituts belegt dies nachhaltig. Eine Abschaffung der Stoffbilanzverordnung kann damit als ein Akt gewürdigt werden, die wissenschaftliche Evidenz bewusst zugunsten von Partikularinteressen Weniger negiert.“
„Es muss im Sinne des Gewässer- und Ressourcenschutzes das Ziel sein, innerhalb der nächsten fünf Jahren mit der EU-Kommission dahingehend einen rechtlich gangbaren Weg zu definieren beziehungsweise die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen, die Düngeverordnung weitgehend durch die Stoffbilanzverordnung zu ersetzen. Es liegen heute schon mehrjährige Daten aus der Stoffbilanzverordnung aus den Betrieben vor. Der richtige Weg wäre, dies zwei weitere Jahre parallel zur Düngeverordnung fortzusetzten und mit einer nachfolgenden Evaluierung zur Validität und Effizienz der Stoffbilanzverordnung abzuschliessen. Ein Weg, der im Rahmen der Digitalisierung und der geforderten Aufzeichnungspflichten seitens des Handels zur Dokumentation des CO2-Fußabdruckes und so weiter von anderer Seite sowieso kommen dürfte.“
„Die derzeitige Monitoringverordnung wird nicht und die Düngeverordnung ebenso nicht ausreichen. Weil sie erstens für etliche Kulturen und Konstellationen zu hohe Nährstoffbedarfe ansetzt und zweitens so manipulationsanfällig ist, dass zu viele derjenigen, die sich nicht an die Regeln halten wollen beziehungsweise können, einfache Wege finden, die wissenschaftsbasierte, gute fachliche Praxis der Düngung entsprechend Paragraph 1 des Düngegesetzes zu umgehen und damit die guten Landwirte indirekt zu bestrafen, weil sie in sektorale Mithaftung genommen werden. Wir können das mit unseren Daten für Norddeutschland sehr klar zeigen.“
„Im Sinne einer wissenschaftsbasierten Politik für das Gemeinwohl ist daher die Weiterentwicklung der Stoffbilanzverordnung zum zentralen Regelinstrument des Staates zur Überwachung der Einhaltung der guten fachlichen Praxis der Düngung zu fordern und nicht die Abschaffung derselben.“
Direktor des IAMO und Leiter der Abteilung Strukturwandel, Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO), Halle (Saale)
Aufhebung der Stoffstrombilanzverordnung
„Bürokratieabbau ist notwendig. Es gibt in vielen Bereichen der Landwirtschaft eine Überregulierung, die der Landwirtschaft nicht nur unnötige Bürokratie aufbürdet, sondern in einer Weise in die Betriebe eingreift, die der Unterschiedlichkeit der betrieblichen, standörtlichen und auch witterungsbedingten Gegebenheiten nicht gerecht wird und teilweise sogar kontraproduktiv wirkt. In diese Kategorie von Bürokratie fällt die Stoffstrombilanzierung jedoch gerade nicht. Weder stellt sie Betriebe vor besondere bürokratische Herausforderungen, noch greift sie in überzogener Weise in die betrieblichen Prozesse ein. Ihre Abschaffung kommt letztlich primär solchen Betrieben zugute, die sich durch andere Düngevorgaben durchmogeln, sowie solchen, die über keine angemessenen betrieblichen Steuerungssysteme verfügen und die eigentlich alleine deswegen wenig zukunftsfähig sind. Insofern ist die Abschaffung der Stoffstrombilanzierung ein fatales und wenig in die Zukunft gerichtetes Signal.“
Leiter der Abteilung für Pflanzenernährung und Ertragsphysiologie, Department für Nutzpflanzenwissenschaften, Georg-August-Universität Göttingen, und wissenschaftlicher Leiter des Institute of Applied Plant Nutrition (IAPN), Göttingen
Aufhebung der Stoffstrombilanzverordnung
„Die Aufhebung der Stoffstrombilanzierung kommt faktisch einem Rückfall in die Gesetzlosigkeit im Bereich der Düngung gleich. Unter großem Aufwand ist über mehrere Jahre ein Monitoring- und Kontrollsystem entwickelt und eingesetzt worden, welches den Betrieben, der Agrarverwaltung und der Agrarpolitik wertvolle Daten zur Verfügung stellt. Sie haben erheblich dazu beigetragen, Probleme der Überdüngung zu mindern. Trotz Klagen aus der Landwirtschaft ist festzuhalten, dass der Erfüllungsaufwand in einem angemessenen Verhältnis zum Nutzen steht. Durch die Aufhebung der Paragrafen 8 ‚Nährstoffvergleich‘ und Paragrafen 9 ‚Bewertung des betrieblichen Nährstoffvergleichs‘ in der Düngeverordnung im Jahr 2020 kam von da an allein der Stoffstrombilanzverordnung die Aufgabe zu, Überdüngung betriebsgenau zu erkennen und zu sanktionieren. Durch die aktuelle Aufhebung der Stoffstrombilanzierung in Kombination mit der 2020 erfolgten Aufhebung der Paragrafen 8 und 9 der Düngeverordnung verstößt die Bundesrepublik Deutschland unter anderem gegen Paragraf 3a des deutschen Düngegesetzes und gegen die EU-Nitratrichtlinie.“
Praxis der Stoffstrombilanz
„Alle Parteien und Akteure Deutschlands fordern, dass im Zusammenhang mit der Überdüngung das Verursacherprinzip höchste Priorität haben muss. Bisher gibt es keine Alternativen zur Stoffstrombilanzierung, denn sie bietet ein Maximum an Verursachergerechtigkeit und durch Nachweisführung einen sehr guten Schutz gegen Missbrauch. Die Aufhebung der Stoffstrombilanzierung untergräbt massiv das Vertrauen in einen handlungsfähigen Rechtsstaat im Sinne der Verursachergerechtigkeit. Wer überdüngt, hat ab sofort wieder freie Fahrt, und wer im Sinne der Regelungen gehandelt hat und beispielsweise in moderne Düngetechnik oder größere Güllelager investiert hat, hat das Nachsehen.“
„Der nachdrückliche Appell zur Fortsetzung der Stoffstrombilanzierung bedeutet nicht, dass sie im Detail perfekt ist. Es besteht Nachbesserungsbedarf, sie deutlich weniger bürokratisch auszugestalten. Im Detail gibt es hinsichtlich des Erfüllungsaufwands große Chancen auf Vereinfachung, indem beispielsweise die aufzubewahrenden Belege maschinenlesbar ausgestaltet werden, um sie in Software zur Stoffstrombilanzierung einzulesen. In verschiedenen Bundesländern existieren dafür sehr gute Grundlagen. Weiterhin besteht dringender Bedarf, im Hinblick auf die Bewertung der bilanzierten Stoffströme zu Fortschritten zu kommen. Die bisher durchgeführten Evaluierungen der Stoffstrombilanzverordnung bilden dafür eine sehr gute Grundlage.“
Wirkung der Stoffstrombilanz
„Die Stoffstrombilanzierung bietet ein Maximum an Verursachergerechtigkeit bei sehr vertretbarem Aufwand. Wenngleich unter anderen Namen, findet sich die Stoffstrombilanzierung immer auch in den Regelungen der europäischen Nachbarn. Es existieren keine Konzepte für andere Verfahren zur verursachergerechten Überwachung der Düngung. Die Aufhebung der Stoffstrombilanzierung bedeutet, dass das mit der EU vereinbarte, nationale Wirkungsmonitoring entsprechend Artikel 5 der Nitrat-Richtlinie von 1991 in Deutschland ab sofort nicht mehr umgesetzt wird. Damit riskiert Deutschland die Wiederaufnahme des Vertragsverletzungsverfahrens, das die EU aufgrund erkennbarer Kontrollmaßnahmen 2023 eingestellt hat. Es kann als sicher gelten, dass die Stoffstrombilanzverordnung – maximal im Verlauf der nächsten zwei Jahre und dann sicherlich unter einen neuen Namen – wieder eingesetzt wird.“
„Das Düngegesetz, zuletzt geändert am 20.12.2022, bietet die Rechtsgrundlage für Verordnungen. Den Bundesländern ist anzuraten, zu prüfen, inwiefern eine Stoffstrombilanzierung im Landesrecht verankert werden kann. Das Bundesland Baden-Württemberg hat von solchen Möglichkeiten schon 1988 mit der Schutzgebiets- und Ausgleichsverordnung sehr erfolgreich Gebrauch gemacht. Diese Verordnung regelt den Schutz des Grundwassers vor Beeinträchtigung durch Stoffeinträge aus der Landbewirtschaftung. Baden-Württemberg ist mit Abstand das Bundesland mit dem geringsten Flächenanteil an Roten Gebieten, jenen Gebieten, in denen eine hohe Gewässerbelastung nachgewiesen wurde.“
Nitratbelastung im Grundwasser
„Die Daten aus einigen, stark von Überdüngung betroffenen Bundesländern – jene Länder, die im Gegensatz zu manchen anderen die Daten der Stoffstrombilanzierung auch auswerten – zeigen rückläufige Nährstoffüberschüsse. Aber auch der Krieg Russlands gegen die Ukraine hat daran aufgrund der massiv gestiegenen Düngemittelpriese einen nicht kleinen Anteil. Doch das erreichte Maß des Rückgangs ist bei Weitem nicht ausreichend, um von einer Entspannung der Lage zu sprechen. Die Gülleverordnungen der Bundesländer in den 1990er Jahren haben bewiesen, dass Rechtsvorschriften ohne Vollzug wirkungslos sind. Die inzwischen eingetretenen Belastungen der Gewässer konnten nur deshalb so groß werden, weil einige Bundesländer effektive Regelungen über Jahrzehnte verhindert haben. Erst auf massiven Druck der EU 2017 haben sich Bundestag und Bundesrat zunächst auf die Düngeverordnung und dann auf die Kombination mit der Stoffstrombilanzverordnung geeinigt.“
„Hinsichtlich der langfristigen Risiken für das Grundwasser erwarte ich, dass viele Betriebe die erreichten Verbesserungen in ihrer Düngepraxis nicht zurückentwickeln werden, so dass ich keine Rückkehr zu Verhältnissen der 1990er Jahre erwarte. Doch die seit 2017 erreichten Verbesserungen reichen bei Weitem nicht aus. Die Stoffstrombilanzierung war ein Schritt auf einem langen Weg. Ein Weg, der einen langen Atem verlangt, wenn es nicht zu massiven sozioökonomischen Umbrüchen im ländlichen Raum kommen soll. Darauf hatten sich die Staaten und die Politik der EU nach langem Ringen geeinigt. Die Wissenschaft hat für die deutsche Stoffstrombilanz Vorschläge erarbeitet, wie in sozioökonomisch vertretbaren Schritten weitere Verminderungen der Überschüsse erreicht werden können. Dieses Konzept wird durch die aktuelle, kurzsichtige Aufhebung um Jahre zurückgeworfen.“
Leitender Wissenschaftler in der Arbeitsgruppe Landnutzung und Resilienz, Department Klimaresilienz, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Potsdam
Aufhebung der Stoffstrombilanzverordnung
„Der Erfolg der Stoffstrombilanzverordnung scheint ihr zum Verhängnis geworden zu sein. Endlich wurde robust erfasst und begrenzt, wie viel Stickstoff ein Betrieb an die Umwelt verliert. Und trotz der lockeren Grenzwerte hat die Verordnung eine enorme positive Lenkungswirkung für die Umwelt entfacht. Seit ihrer Einführung ist die Menge an Stickstoff, die von landwirtschaftlichen Flächen in die Umwelt gelangt, um fast ein Drittel gefallen. Und das trotz gleichzeitiger stark steigender Wertschöpfung in der Landwirtschaft.“
Praxis der Stoffstrombilanz
„Man muss den bürokratischen Aufwand an der Lenkungswirkung messen. Hier schneidet die Stoffstrombilanzverordnung sehr gut ab, auch wenn sie noch weiter verbessert werden könnte. Der größte Aufwand für die Landwirte bestand darin, dass sie sich in diese neue Regelung einarbeiten und ihre Abrechnungen entsprechend anpassen mussten. Das ist ja nun bereits geschehen. Der Aufwand, diese Zahlen jedes Jahr zu aktualisieren, ist im Vergleich sehr begrenzt. Wer Bürokratie abbauen möchte, sollte eher die Düngeverordnung entschlacken, nicht die Stoffstrombilanzverordnung streichen.“
Nitratbelastung im Grundwasser
„Stickstoff ist weit mehr als nur ein Problem für unser Grundwasser und unsere Seen und Flüsse. Wir haben inzwischen eine ganze Kaskade an Umweltfolgen, die damit zusammenhängen, dass unser Stickstoffkreislauf vollständig außer Rand und Band geraten ist. Als Ammoniak und Stickoxid verursacht Stickstoff Luftverschmutzung – direkt oder durch den Beitrag zu Feinstaub und bodennahem Ozon. In der Form von Lachgas erwärmt Stickstoff die Atmosphäre und zersetzt die Ozonschicht in der Stratosphäre. Über den Wind werden Stickstoffverbindungen in Wälder, Wiesen und Naturschutzgebiete verweht. Dort führen sie als Nährstoff zu einer Vereinfachung und Schädigung dieser Ökosysteme, in denen viele Organismen darauf spezialisiert waren, mit wenig Nährstoffen auszukommen, und denen nun die Existenzgrundlage entzogen wird. Die Stoffstrombilanzverordnung hat den Vorteil, dass sie zur Minderung all dieser Umweltschäden beiträgt, indem sie umfassend alle Umweltverluste von Stickstoff aus der Landwirtschaft reguliert.“
„Es liegen keine Interessenkonflikte vor.“
„Interessenkonflikte sind mir nicht bekannt.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Weiterführende Recherchequellen
Science Media Center (2020): Neue Düngeverordnung vom Deutschen Bundesrat verabschiedet. Statements. Stand: 27.03.2020.
Science Media Center (2018): Europäischer Gerichtshof entscheidet Nitrat-Klage im Verfahren gegen Deutschland. Fact Sheet. Stand : 19.06.2018.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Ritchie H (2021): Excess fertilizer use: which countries cause environmental damage by overapplying fertilizers? Our World in Data.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Bundesamt für Justiz (2017): Verordnung über den Umgang mit Nährstoffen im Betrieb und betriebliche Stoffstrombilanzen. Verordnung.
[II] Deutsche Umwelthilfe (2025): Stellungnahme der Deutschen Umwelthilfe zum Referentenentwurf „Verordnung zur Aufhebung der Stoffstrombilanzverordnung“ des BMLEH (Stand 03.06.2025.). Pressemitteilung.
Prof. Dr. Henning Kage
Leiter der Arbeitsgruppe Acker- und Pflanzenbau und Direktor des Instituts für Pflanzenbau & Pflanzenzüchtung, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Dr. Philipp Maurischat
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Biologie und Umweltwissenschaften (IBU), Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Es liegen keine Interessenkonflikte vor.“
Prof. Dr. Friedhelm Taube
Projektleiter am Institut für Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Prof. Dr. Alfons Balmann
Direktor des IAMO und Leiter der Abteilung Strukturwandel, Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO), Halle (Saale)
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Interessenkonflikte sind mir nicht bekannt.“
Prof. Dr. Klaus Dittert
Leiter der Abteilung für Pflanzenernährung und Ertragsphysiologie, Department für Nutzpflanzenwissenschaften, Georg-August-Universität Göttingen, und wissenschaftlicher Leiter des Institute of Applied Plant Nutrition (IAPN), Göttingen
Dr. Benjamin Leon Bodirsky
Leitender Wissenschaftler in der Arbeitsgruppe Landnutzung und Resilienz, Department Klimaresilienz, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Potsdam