Was bedeutet der Windkraftausbau für den Artenschutz? Politische Pläne und wissenschaftliche Perspektiven
Die Bundesregierung will die Windkraft in Deutschland an Land und auf See stark ausbauen und dafür unter anderem die Richtlinien für den Artenschutz anpassen. Den Erneuerbaren Energien soll ein Status einer „überragenden öffentlichen Bedeutung“ zugeschrieben werden, sodass „andere Schutzgüter nachrangig bewertet“ werden können, erklärte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck am Dienstag bei der Veröffentlichung der „Eröffnungsbilanz Klimaschutz“ [1] [2].
Das Transkript können Sie hier als pdf herunterladen.
Das SMC hat die Expertinnen und Experten am Ende des Press Briefings um kurze Abschlussstatements zur Frage, wie der Windkraft-Ausbau in Deutschland artenfreundlich umgesetzt werden kann, gebeten. Diese möchten wir Ihnen nachfolgend als Statements zur Verfügung stellen.
Wissenschaftlicher Leiter, Stiftung Umweltenergierecht, Würzburg
"Wir werden versuchen müssen, die Probleme auf der ersten Ebene so gut wie geht räumlich zu trennen. Dafür müssen wir bessere Daten und Informationen verfügbar machen. Wir werden gucken, dass wir im konkreten Einzelfall die Konflikte minimieren und wo wir sie nicht minimieren können, technisch vermeiden und auf der dritten Ebene müssen wir – und das ist der Schwenk zum Populationsbezug – eben nicht nur den räumlichen Bereich rund um die Windenergieanlagen betrachten, sondern wir müssen ganz gezielt andere Flächen in den Blick nehmen und dort über Flächenmanagement und Artenhilfsprogramme für die Biodiversität einen großen Dienst leisten."
Leiterin Fachinformation, Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende (KNE), Berlin
"Ich denk, dass der Vermeidung tatsächlich auch im konkreten Genehmigungsfall ein ganz großes Gewicht zukommt. Bei der Windenergie habe ich nicht viele Möglichkeiten, Flächen anderweitig aufzuwerten, das Projekt irgendwie noch verträglich zu gestalten. Da kommt es wirklich sehr stark auf Vermeidungs- und Schutzmaßnahmen an, die wirksam sind und zum Einsatz kommen. Da darf man keine Abstriche machen."
"Die andere Seite der Medaille ist dann dort, wo Beeinträchtigungen, Verluste nicht vermeidbar sind, dafür zu sorgen, dass in der Gesamtbilanz ein guter Bestand erhalten bleibt. Aus meiner Sicht wäre auch noch wichtig zu betonen, dass wir die räumliche Trennung aus Naturschutz-fachlicher Sicht – weil wir eben diese Großräumigkeit haben, weil wir diese großen Reviere auch haben, in denen sich die Vögel bewegen – wahrscheinlich am besten auf dieser regionalen Ebene identifizieren können."
"Und ich möchte auch noch mal abschließend auf zwei Forschungsprojekte hinweisen, die sich im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz daran gemacht haben, aus bundesweiter Perspektive einmal die konfliktarmen oder relativ konfliktärmsten Bereiche zu identifizieren. Die beruhigende Nachricht ist zumindest aus dem Bereich, dass ausreichend Fläche zur Verfügung steht, um das Zwei-Prozent-Ziel naturverträglich umzusetzen. Es bedarf aber einer starken räumlichen Steuerung und einem entsprechenden politischen Willen, diese räumliche Steuerung auch im jeweiligen Bundesland dann umzusetzen."
Abteilungsleiter Evolutionäre Ökologie, Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW), Berlin
"Beide Ziele sind enorm wichtig, wir müssen sowohl das Klima schützen als auch das Artensterben beenden und diese Spirale stoppen. Das Verständnis, dass beides genauso wichtig ist, hat zur Folge, dass man das auch als gleichrangig bewertet. Das hat mich etwas nachdenklich gestimmt nach der Antrittsrede von Herrn Habeck, weil er es als vorrangig sieht, den Klimaschutz zu bedienen. Frau Lemke hat das etwas differenzierter dargestellt, was mich wiederum erfreut hat. Wir müssen in der Energiewende ökologisch nachhaltig werden, denn beide Ziele sind extrem wichtig. Ich würde mir wünschen, dass die Fehler aus der Vergangenheit korrigiert werden, weil das eine höhere Akzeptanz in den Ehrenämtern, in den Naturschutzverbänden erzeugen würde und auch eine größere Bereitschaft, sich zu bewegen. Ob Artenschutzhilfsprogramme, Dichtezentren dann wirklich tragen, ob sie umsetzbar sind, müsste eigentlich Begleitforschung zeigen, die wir dringend brauchen. Und deswegen der Appell, tatsächlich mehr in Begleitforschung zu investieren, denn nur durch ein gemeinsames Ziehen an beiden Strängen schaffen wir das."
Direktorin Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung (SGN), Frankfurt am Main
"De facto haben wir Klimawandel und Artenschutz als die beiden großen Umwelt-Herausforderungen der Zukunft. Und es sind beides Symptome desselben Problems, dass wir Menschen die Natur übernutzen. Aber man kann eben auch beides gemeinsam angehen. Wir dürfen uns da nicht in der Polarisierung das eine gegen das andere treiben lassen, sondern müssen durch ein ganz großes Bündel an Maßnahmen schauen, dass wir Klimawandel und Artenschutz in den Griff bekommen. Da brauchen wir auch kreative Lösungen und müssen idealerweise raus aus den kleinen Konflikten, an denen sich dann die Sache oft festfrisst. Man kann durch kreative Lösungen Artenschutz und Klimaschutz gleichzeitig durchführen, durch große Schutzgebiete, durch Extensivierung der Landschaft, aber auch bis hin zu Änderungen in der Landwirtschaft und bis hin zur Änderung in unserem eigenen Konsum und Ernährungsverhalten. An dem Punkt müssen wir groß denken und positiv denken. Ich bin da sehr zuversichtlich, dass es da Lösungen gibt, mit denen beides vorangetrieben werden kann."
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Grünkorn et al. (2016): Ermittlung der Kollisionsraten von (Greif-)Vögeln und Schaffung planungsbezogener Grundlagen für die Prognose und Bewertung des Kollisionsrisikos durch Windenergieanlagen (PROGRESS), Zusammenfassung.
[2] Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende (2017): Untersuchungen und Maßnahmen zur Minderung der Auswirkungen von Windenergieanlagen im Wald.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[1] BMWi (2021): Eröffnungsbilanz Klimaschutz – Pressekonferenz von Bundesminister Robert Habeck und Staatssekretär Patrick Graichen. Videoaufzeichnung der Pressekonferenz.
[2] BMWi (2021): Eröffnungsbilanz Klimaschutz. Bericht zu geplanten Klimaschutz-Maßnahmen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klima. Stand: 11.01.2021
Thorsten Müller
Wissenschaftlicher Leiter, Stiftung Umweltenergierecht, Würzburg
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
Es wurden keine Interessenkonflikte abgefragt.
Dr. Elke Bruns
Leiterin Fachinformation, Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende (KNE), Berlin
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
Es wurden keine Interessenkonflikte abgefragt.
Dr. Christian Voigt
Abteilungsleiter Evolutionäre Ökologie, Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW), Berlin
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
Es wurden keine Interessenkonflikte abgefragt.
Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese
Direktorin Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung (SGN), Frankfurt am Main
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
Es wurden keine Interessenkonflikte abgefragt.