Vielversprechender Quantenalgorithmus entwickelt
erster allgemeiner Quantenalgorithmus für Simulation kleinster Systeme unter Wärmeeinfluss entwickelt
diese Simulationen könnten langfristig bei der Entwicklung neuer elektronischer Bauteile oder Medikamente helfen und als Grundlage für weitere Algorithmen dienen
Forschende sehen vorgestellten Algorithmus als vielversprechenden Schritt, da er tatsächlich praxisrelevante Materialien präziser simulieren könnte als klassische Computer – allerdings nur mit fehlerkorrigiertem Quantencomputer
Bisher ist unklar, welche relevanten Aufgaben Quantencomputer besser lösen werden als klassische Computer. Spekuliert wird etwa über Anwendungen in der Materialforschung. Eine amerikanische Forschungsgruppe stellt nun eine mögliche Aufgabe aus diesem Bereich in der Fachzeitschrift „Nature“ vor (siehe Primärquelle). Das Team hat einen Quantenalgorithmus entwickelt, der kleinste Teilchen unter Wärmeeinfluss simuliert. Der Algorithmus sei der erste seiner Art und könne eine Basis für weitere Anwendungsfälle bieten, so die Forschenden in der Studie.
Winzige Strukturen haben großen Einfluss auf das alltägliche Leben: Wechselwirkungen auf molekularer Ebene sind dafür verantwortlich, dass Medikamente Wirken oder Handys laden. Klassische Computer können das nur unvollständig oder mit hohem Rechenaufwand simulieren. Möglichkeiten, neue Arzneimittel, Batterien und andere Materialien zu finden, sind dadurch beschränkt. In speziellen Fällen könnten Quantencomputer Abhilfe leisten: Für sie soll die Simulation dieser kleinen, sogenannten Quantensysteme möglich sein. Allerdings brauchen sie dafür die passende Anleitung in Form eines Quantenalgorithmus. Solange es aber noch keinen großen, fehlerkorrigierten Quantencomputer gibt, bleibt unklar, was in der Realität möglich und sinnvoll anwendbar ist.
Professor für Physik am Institut für Quanteninformation, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen (RWTH), und Gastdozent am Imperial College London, Department of Computing, Vereinigtes Königreich
Bedeutung und Inhalt der Studie
„Der Beitrag stellt einen effizienten Quantenalgorithmus mit rigorosen Komplexitätsgarantien vor. Besonders überzeugend ist, dass die Autor:innen diese formalen Resultate durch physikalische Intuition, heuristische Laufzeitabschätzungen sowie numerische Analysen für physikalisch relevante Instanzen ergänzen. Die Struktur des vorgeschlagenem Quantenalgorithmus ist konzeptionell neu und bewegt sich auf höchstem wissenschaftlichem Niveau. Im Vergleich zu vielen vorherigen Arbeiten im Bereich der Quantensimulationen geht die Studie deutlich weiter, da sie eine neue Richtung mit großem Potenzial eröffnet. Es besteht die berechtigte Hoffnung, dass sich der präsentierte Ansatz für stark korrelierte Quantensysteme ähnlich erfolgreich und breitwirksam etabliert, wie die klassisch wichtigen Markov-Chain-Monte-Carlo (MCMC)-Methoden – welche jedoch genau im Bereich von stark korrelierten Quantensystemen (physikalische Systeme, die starke quantenmechanische Eigenschaften wie etwa Verschränkung aufweisen; Anm. d. Red.) teilweise versagen.“
Bedeutung für Materialentwicklung
„Die Quantensimulation gilt als einer der vielversprechendsten Bereiche, in denen Quantenalgorithmen klassische Methoden übertreffen könnten. Bisher beziehen sich jedoch die meisten rigorosen Effizienzgewinne auf die zeitabhängige Dynamik von Quantensystemen, während Gleichgewichtsphänomene – etwa die Bestimmung von Energieniveaus oder thermischen Zuständen – bislang wenigsten analytisch schwer zugänglich blieben. Klassische MCMC-Methoden sind hier äußerst erfolgreich, stoßen jedoch bei stark korrelierten Quantensystemen aufgrund quantenstatistischer Effekte an fundamentale Grenzen, etwa beim Fermi-Hubbard-Modell – einem wichtigen System für das Verständnis von Hochtemperatursupraleitung.“
„Der vorgestellte Algorithmus könnte diese Lücke schließen, indem er erstmals eine effiziente Quantensimulation von Gleichgewichtszuständen (Ausgleich der Temperatur, wenn ein System mit einem Wärmebad in Kontakt kommt; Anm. d. Red.) ermöglicht. Gelingt die Umsetzung auf einem Quantencomputer, wären dadurch realistische Simulationen komplexer Materialien und neuartiger Quantenphasen erreichbar, die heute jenseits der Möglichkeiten klassischer Supercomputer liegen.“
Ausblick auf künftige Anwendung
„Der vorgestellte Algorithmus ist konzeptionell überzeugend, da er auf effizienter Thermalisierung (Ausgleich der Temperatur zwischen zwei Systemen; Anm. d. Red.) basiert – inspiriert von physikalischen Prozessen, wie sie in der Natur etwa durch die Kopplung eines Systems an ein Wärmebad auftreten. Entscheidend ist nun, die Mischzeit – und damit die effektive totale Laufzeit des Algorithmus – für physikalisch- und praxisrelevante Vielteilchensysteme genauer zu bestimmen. Besonders spannend ist, dass sich die mathematische Struktur stark korrelierter Quantensysteme, etwa beim Fermi-Hubbard-Modell, direkt in die Analyse einbeziehen lässt. Unter bestimmten Bedingungen ergeben sich dann dazu beweisbare Effizienzgarantien [1] [2] [3].“
„Wie sich die Laufzeiten in der Praxis – insbesondere in Regimen, in denen klassische Methoden versagen – tatsächlich verhalten, bleibt Gegenstand zukünftiger Forschung. Insgesamt handelt es sich um eine der vielversprechendsten und konzeptionell neuartigsten Ideen der vergangenen Jahre, die zudem ein guter Kandidat für erste fehlerkorrigierte Quantencomputer ist – auch wenn die erforderlichen Qubit-Zahlen und Fehlerraten noch deutlich jenseits der heutigen Hardware liegen. In naher Zukunft dürften jedoch vereinfachte, teilweise fehlertolerante Demonstrationsversionen als Machbarkeitsbeweis realisiert werden [4].“
Wo ist ein Quantenvorteil möglich?
„Quantenalgorithmen sind in nahezu allen Anwendungsfeldern noch Gegenstand aktiver Forschung, auch wenn dies in der populärwissenschaftlichen Literatur und den Medien oft anders dargestellt wird [5]. Zwar existieren bereits viele theoretisch gut verstandene Verfahren, doch ohne fehlertolerante Quantenhardware lassen sich ihre praktischen Vorteile gegenüber klassischen Methoden derzeit nicht experimentell bestätigen oder optimieren. Die zentrale offene Frage bleibt daher, für welche praxisrelevanten Aufgaben ein nachweislicher Quantenvorteil gegenüber klassischen Methoden erreichbar ist – sowohl in der Wissenschaft als auch in der Industrie. Der hier vorgestellte Algorithmus zur Quantensimulation thermischer Gleichgewichtszustände ist aus meiner Sicht einer der bislang überzeugendsten neuen Ansätze in den vergangenen Jahren: Er verbindet tiefe physikalische Intuition mit einer mathematisch rigorosen Analyse und einem breiten Anwendungspotenzial von der Materialwissenschaft bis zur Chemie.“
Professor für theoretische Quantenphysik mit dem Schwerpunkt Quantenoptik, Institut für Theoretische Physik, Universität Innsbruck
Bedeutung und Inhalt der Studie
„Einer der vielversprechendsten potenziellen Anwendungsbereiche zukünftiger Quantencomputer ist die Simulation von Quantenvielteilchensystemen (auf kleinsten Skalen miteinander wechselwirkende Teilchen; Anm. d. Red.). Von Interesse sind dabei sowohl die Dynamik dieser Systeme als auch deren Gleichgewichtseigenschaften (Eigenschaften des Systems, wenn sich etwa die Temperatur nicht mehr ändert; Anm. d. Red.). Während für die Simulation von Dynamik bereits verschiedene Quantenalgorithmen entwickelt und teilweise getestet wurden, gibt es vergleichsweise weniger Methoden zur Berechnung von Gleichgewichtseigenschaften thermischer Systeme. Und die Leistungsfähigkeit der existierenden Algorithmen ist teils unklar. Insbesondere die effiziente Berechnung der Eigenschaften von Quantensystemen bei tiefen Temperaturen stellt oft eine große Herausforderung dar.“
„In der vorliegenden Studie wird ein Quantenalgorithmus für thermische Quantenzustände entwickelt. Die Kernidee beruht auf einer quantenmechanischen Verallgemeinerung stochastischer Methoden, die in Algorithmen für klassische thermische Systeme außerordentlich erfolgreich eingesetzt werden (Quantensysteme sind von Wahrscheinlichkeit abhängig, mathematische stochastische Methoden werden bereits heute genutzt, um das abzubilden. In der Studie wurden diese Methoden für einen Quantenalgorithmus angepasst; Anm. d. Red.). Ähnlich wie in einem klassischen Monte-Carlo-Algorithmus wird der thermische Zustand eines Quantensystems als stationärer Zustand einer maßgeschneiderten stochastischen Dynamik realisiert. Dieser Ansatz an sich ist nicht neu. Der hier beschriebene Algorithmus weist jedoch Eigenschaften auf, die konzeptionell interessant sind, da sie klare Analogien zu diesen wichtigen klassischen Algorithmen herstellen. Außerdem wird gezeigt, dass die notwendige Dynamik prinzipiell effizient auf einem Quantencomputer realisiert werden kann. Dennoch kann die Laufzeit des Algorithmus unter Umständen sehr groß sein.“
Limitationen und Ausblick
„Angesichts der theoretischen und praktischen Bedeutung klassischer Monte-Carlo-Algorithmen ist es naheliegend, entsprechende Quantenalgorithmen zu formulieren. Die Lücke zwischen den Hardwareanforderungen dieser Algorithmen und dem derzeitigen Stand der Technik bleibt allerdings erheblich.“
„Als Professor für Quanteninformation an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen arbeite ich an der Entwicklung von Quantenalgorithmen, insbesondere auch im Bereich von Quantensimulationen, um thermische Zustände von stark korrelierten Quantenvielteilchensystemen aufzulösen. Ich habe in der Vergangenheit mehrfach mit allen Autoren der betreffenden Studie gemeinsam publiziert. Der Erstautor, Chi-Fang Chen, war 2022 mein Praktikant bei Amazon Web Services (AWS). Fernando Brandão war Host meines Stipendiums des Schweizerischen Nationalfonds (SNSF) am California Institute of Technology (2016- 2017) sowie mein Vorgesetzter bei AWS (2020-2022). Ich war jedoch zu keiner Zeit an dem vorliegenden Projekt beteiligt und habe keine aktuellen finanziellen oder institutionellen Verbindungen zu AWS.“
„Ich sehe keine Interessenkonflikte.“
Primärquelle
Chen CF et al. (2025): Efficient quantum thermal simulation. Nature. DOI: 10.1038/s41586-025-09583-x.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Tong Y et al. (2025): Fast Mixing of Weakly Interacting Fermionic Systems at Any Temperature. PRX Quantum. DOI: 10.1103/h1dx-ps5p.
[2] Šmíd Š et al. (2025): Polynomial Time Quantum Gibbs Sampling for Fermi-Hubbard Model at any Temperature. Arxiv. DOI: 10.48550/arXiv.2501.01412.
Hinweis der Redaktion: Es handelt sich hierbei um eine Vorabpublikation, die noch keinem Peer-Review-Verfahren unterzogen und damit noch nicht von unabhängigen Experten und Expertinnen begutachtet wurde.
[3] Šmíd Š et al. (2025): Rapid Mixing of Quantum Gibbs Samplers for Weakly-Interacting Quantum Systems. Arxiv. DOI: 10.48550/arXiv.2510.04954.
Hinweis der Redaktion: Es handelt sich hierbei um eine Vorabpublikation, die noch keinem Peer-Review-Verfahren unterzogen und damit noch nicht von unabhängigen Experten und Expertinnen begutachtet wurde.
[4] Ding Z et al. (2025): End-to-End Efficient Quantum Thermal and Ground State Preparation Made Simple. Arxiv. DOI: 10.48550/arXiv.2508.05703.
Hinweis der Redaktion: Es handelt sich hierbei um eine Vorabpublikation, die noch keinem Peer-Review-Verfahren unterzogen und damit noch nicht von unabhängigen Experten und Expertinnen begutachtet wurde.
[5] Dalzell AM et al. (2025): Quantum Algorithms A Survey of Applications and End-to-end Complexities. Cambridge University Press. ISBN: 9781009639644.
Prof. Dr. Mario Berta
Professor für Physik am Institut für Quanteninformation, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen (RWTH), und Gastdozent am Imperial College London, Department of Computing, Vereinigtes Königreich
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Als Professor für Quanteninformation an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen arbeite ich an der Entwicklung von Quantenalgorithmen, insbesondere auch im Bereich von Quantensimulationen, um thermische Zustände von stark korrelierten Quantenvielteilchensystemen aufzulösen. Ich habe in der Vergangenheit mehrfach mit allen Autoren der betreffenden Studie gemeinsam publiziert. Der Erstautor, Chi-Fang Chen, war 2022 mein Praktikant bei Amazon Web Services (AWS). Fernando Brandão war Host meines Stipendiums des Schweizerischen Nationalfonds (SNSF) am California Institute of Technology (2016- 2017) sowie mein Vorgesetzter bei AWS (2020-2022). Ich war jedoch zu keiner Zeit an dem vorliegenden Projekt beteiligt und habe keine aktuellen finanziellen oder institutionellen Verbindungen zu AWS.“
Prof. Hannes Pichler, Ph.D.
Professor für theoretische Quantenphysik mit dem Schwerpunkt Quantenoptik, Institut für Theoretische Physik, Universität Innsbruck
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich sehe keine Interessenkonflikte.“