Videokonferenz-Qualität beeinflusst Gefühle gegenüber Gesprächspartnern
technische Störungen in Videokonferenzen führen laut Studie zu Unwohlsein und schlechterer Bewertung des Gegenübers
immer öfter finden etwa Beratungs- oder Bewerbungsgesprächen digital statt; technische Probleme könnten nachteilige Auswirkungen für Beteiligte haben
Forschende sehen Unwohlsein als Ursache für negative Bewertung realistisch, obwohl auch weitere Aspekte Einfluss haben können; Ergebnisse könnten auch für reale Situationen relevant sein
Wer in einer Videokonferenz von technischen Störungen betroffen ist, könnte von seinem Gegenüber nachteilig wahrgenommen werden. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die in der Fachzeitschrift „Nature“ erschienen ist (siehe Primärquelle). Laut dem Forschungsteam könnte ein Grund für die nachteilige Wahrnehmung sein, dass Unterbrechungen in Bild- oder Tonübertragung – sogenannte Glitches – Unwohlsein beim Gegenüber hervorrufen.
Videokonferenzen haben spätestens seit der COVID-19-Pandemie in viele Lebensbereiche Einzug gehalten. Technische Störungen wie Bild- oder Audiounterbrechungen sind dabei fast unvermeidbar. Laut der Studie fühlen sich die Teilnehmenden einer Videokonferenz durch solche Störungen „uncanny“, also unwohl. Der Begriff „Uncanniness“ stammt unter anderem aus der Robotikforschung. Demnach ist die Reaktion eines Menschen auf einen Roboter oder Avatar zunächst umso positiver, desto menschlicher dieser wirkt. Das ist aber nur bis zu einem gewissen Punkt der Fall: Wird der Roboter zu menschlich, empfinden Probanden das eher als unheimlich. Dieses Phänomen ist als Uncanny-Valley-Effekt bekannt.
Professor für Wirtschaftspsychologie, Sales and Sustainable Business Institute, Hochschule Neu-Ulm
Beurteilung der Methodik
„Die Studien nutzen überwiegend experimentelle Designs, bei denen Störungen gezielt manipuliert wurden. Dadurch lassen sich Kausalzusammenhänge grundsätzlich gut prüfen. Besonders überzeugend ist, dass die Forschenden verschiedene Kontexte, unterschiedliche Arten von Störungen und verschiedene abhängige Variablen berücksichtigt haben. Solche Variablen sind etwa Vertrauen oder Einstellungswahrscheinlichkeit.“
„Einschränkend bleibt, dass Unwohlsein (Uncanniness) teils von anderen Personen eingeschätzt wurde als denen, die später die Bewertung vornahmen. Das erschwert die direkte Ableitung eines kausalen Effekts, zum Beispiel in Studie 4 Wave 2 und Wave 3. Insgesamt sind die Versuchsaufbauten aber solide und geeignet, um belastbare Aussagen zu machen.“
Unwohlsein als Grund für schlechtere Bewertung
„Die Befunde sind plausibel und decken sich klar mit der bestehenden Forschung zu digitaler Kommunikation und meinen eigenen Erfahrungen und Studien im Bereich Personalauswahl: Glitches in Videokonferenzen machen die Illusion präsenter, einem real anwesenden Menschen gegenüberzusitzen und beinträchtigen somit die wahrgenommene soziale Präsenz.“
„Studien – etwa zu digitalen Bewerbungsgesprächen – zeigen seit Jahren, dass die Einschränkungen in der sozialen Präsenz zu unterschiedlichen Bewertungen von Kandidatinnen und Kandidaten führen können. Sie zeigen auch, dass diese Einschränkungen sowohl die Leistung von Bewerber:innen, als auch die Bewertung durch die Interviewer:innen beeinflussen [1]. Dazu gibt es Erklärungsversuche aus der Evolutionspsychologie [2]: Digitale Kollaboration untergräbt demnach unser Bedürfnis nach sozialer Zugehörigkeit und dem Gefühl von Vertrauen. Wenn ich eine Person nur als digitales Abbild sehe, ist das einfach nicht das Gleiche. Ich kann mir unterbewusst nie richtig sicher sein, dass es echt ein Mensch ist.“
Übertragung auf reale Situationen
„Die Schlussfolgerungen sind aus meiner Sicht auf reale Bewerbungsgespräche gut übertragbar. Praktisch relevant ist, dass Videointerviews Bewerber:innen tatsächlich benachteiligen können, wenn Störungen auftreten. Das können sie selbst dann, wenn Interviewer:innen explizit darauf hingewiesen werden, dies nicht in ihre Entscheidung einfließen zu lassen [3]. Forschung zeigt zudem, dass Bewerber:innen in Videokonferenzinterviews im Durchschnitt schlechter eingeschätzt werden als in Präsenzinterviews. Das kann teilweise durch die eingeschränkte soziale Präsenz erklärt werden [1].“
„Die neuen Ergebnisse der aktuellen Studie unterstreichen aus meiner Sicht daher die Notwendigkeit, das Medium für Interviews innerhalb eines Bewerberpools konsequent zu standardisieren, damit einzelne Personen nicht im Nachteil sind. Interviews vermeintlich zuvorkommend mit einzelnen Personen per Videokonferenz zu führen, weil diese für ein Face-to-Face-Interview eine zu lange Anreise hätten, ist daher nicht ratsam.“
„Inwiefern die technischen Gegebenheiten, wie Internetverbindung, Webcams und Setting, für Videokonferenzinterviews standardisiert werden können, um niemanden zu benachteiligen, können jedoch bis dato weder die aktuelle Studie noch andere Personen beantworten. Eine Rückkehr zu 100 Prozent vor Ort durchgeführten Gesprächen kann sich durch die vielen – auch ökologischen – Vorteile der online geführten Interviews auch wiederum niemand vorstellen. Diskussionen über die Inanspruchnahme von künstlicher Intelligenz durch Bewerber:innen in digitalen Vorstellungsgesprächen und einhergehende Verfälschung [4], könnten diese Überlegung nach einer Rückkehr zum traditionellen Vorstellungsgespräch vor Ort jedoch wieder verstärken.“
Weitere mögliche Ursachen für schlechtere Bewertung
„Die Autor:innen schließen einige naheliegende Alternativerklärungen sinnvoll aus. Dazu zählen etwa reine Informationsverluste. Dennoch könnten weitere Faktoren eine Rolle spielen: Zum Beispiel könnte die kognitive Belastung des Arbeitsgedächtnisses durch Glitches in Videokonferenzen steigen. Das liegt daran, dass Inhalte schwerer zu verarbeiten sind und zusätzliche Aufmerksamkeit für technische Aspekte erforderlich ist. Dies könnte wiederum zu weniger durchdachten Entscheidungen führen.“
„Auch evolutionspsychologische Überlegungen sprechen dafür, dass digitale Kommunikation grundlegende Bedürfnisse nach Nähe und Vertrauensbildung weniger gut erfüllt [2]. Was Uncanniness oder soziale Präsenz am Ende des Tages wirklich ist, ist und bleibt eine spannende Frage – ein vermutlich nicht objektivierbares Gefühl.“
Hohe Erwartung an Videokonferenzen
„Aus meiner Sicht ist ein spannender Aspekt der Umstand, dass Videokonferenzen den Anspruch haben, ein vollwertiger Ersatz für persönliche Gespräche zu sein. Denn man sieht und hört sich ja vollumfänglich. Das ist eine aus kommunikationspsychologischer Sicht hohe Erwartung. Dadurch entsteht eine Art Erwartungslücke: Nutzer:innen rechnen mit einer kommunikativen Qualität, die der Face-to-Face-Interaktion gleichgestellt ist. Störungen könnten sie daher als besonders irritierend empfinden.“
„Bei Telefonaten ist diese Erwartung zum Beispiel deutlich niedriger. Hier ist allen bewusst, dass nonverbale Informationen fehlen und technische Aussetzer wie Funklöcher und Schwierigkeiten in der Gesprächsführung – beispielsweise Unterbrecher, weil man nicht sieht, dass die andere Person gerade zum Antworten ansetzt – zum Format gehören. Diese hohen Erwartungen werden auch in den qualitativen Interviews durch Manager gezeigt (extended Data Table 1).“
Juniorprofessorin für Wirtschaftspsychologie, Fachbereich Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Methodik der Untersuchungen
„Über insgesamt sechs Studien untersuchen die Autor:innen die Effekte von Glitches in Videokonferenzen auf unterschiedliche Resultate (Outcomes). Dazu zählen etwa Sympathie, Vertrauen, Einstellungsabsichten oder die Entlassung auf Bewährung. Die Studien erstrecken sich über unterschiedliche Kontexte wie Telemedizin, Finanzberatung oder Justizvollzug. Außerdem nutzen sie korrelative und experimentelle Designs und zumindest in Studie 6 auch tatsächliche ‚real-world‘ Felddaten.“
„Erkenntnisse über den kausalen Zusammenhang zwischen Glitches und wahrgenommenem Unwohlsein (Uncanniness) lassen sich dabei nur aus Studien 3, 4 und 5 ziehen. Nur in diesen wurden gezielt Glitches experimentell manipuliert und deren Effekt auf wahrgenommene Uncanniness gemessen. Die Versuchsaufbauten hierzu erscheinen passend und tragen jeweils inkrementell zum Erkenntnisgewinn bei. Beispielsweise variieren sie zehn unterschiedliche Subtypen von Glitches, zum Beispiel kurze versus lange Unterbrechungen des Audio- oder Videostroms. Außerdem untersuchen sie die Effekte der Glitches unter unterschiedlichen Bedingungen: face-to-face-Gespräch versus geteilte Präsentation.“
Unwohlsein als Grund für schlechtere Bewertung
„Ich beurteile die Ergebnisse über die verschiedenen Studien hinweg als durchaus aussagekräftig. Das Konzept der Uncanniness ist in der Forschung schon länger bekannt und hat seinen Ursprung in der Robotik [5]. Uncanny kann hierbei als ‚unheimlich‘ verstanden werden. Die inzwischen im Kontext von Mensch-Maschine-Interaktion vielfach untersuchte Uncanny-Valley-Hypothese geht daher davon aus, dass ein zu menschenähnlicher Roboter als unheimlich empfunden wird. Überblicksarbeiten erklären den Effekt aus psychologischer Sicht durch Dehumanisierung [6]. Wenn ein Roboter oder ein autonomer Agent zunächst menschlich erscheint, sich aber dann doch ‚nicht-menschliche‘ oder mechanistische Attribute erkennen lassen, dann löst dies ein unheimliches Gefühl aus.“
„Übertragen auf das aktuelle Paper lässt sich daher vermuten, dass Glitches punktuell die ‚Menschlichkeit‘ der Interaktion gefährden und diese somit als unheimlich erlebt wird.“
Übertragung auf reale Situationen
„Die Befunde sind aus meiner Sicht durchaus auf einige Szenarien im echten Leben übertragbar, die auf Interaktionen mit fremden Personen beruhen. Hier lässt sich durchaus eine Robustheit über unterschiedliche Kontexte hinweg erkennen. Hierzu gehören auch Bewerbungsgespräche, in denen sich zumindest in der ersten Runde die Bewerber:innen und ihr Gegenüber noch nicht kennen.“
„Dennoch basiert keine der durchgeführten Studien auf Interaktionen zwischen Personen, die sich bereits besser kannten. Auch wenn sich das in Studie 6 nicht ganz so gut beurteilen lässt, eine längere Interaktionsgeschichte ist hierbei aber nicht zu vermuten. Da Dehumanisierung eher bei unbekannten oder entfernten Personen passiert, könnte man annehmen, dass diese Effekte deutlich schwächer bei bekannten Personen ausfallen – oder dort sogar verschwinden. Es steht daher noch offen, inwiefern sich die Ergebnisse auf Videokonferenzen im Allgemeinen übertragen lassen.“
Weitere mögliche Ursachen für schlechtere Bewertung
„Die Autor:innen schließen folgende Alternativerklärungen für negative Bewertungen aus: Unterbrechungen und Informationsdefizite sowie dispositionale Attributionen (angenommene Charaktereigenschaften oder Fähigkeiten der Personen; Anm. d. Red.). So wie ich die dargestellten Informationen und das online zur Verfügung gestellte Zusatzmaterial einschätze, lassen sich diese Alternativerklärungen dennoch nicht völlig ausschließen. So sind die Subtypen, die mit den geringsten Einstellungsabsichten verbunden sind, jeweils mit vergleichsweise höherem wahrgenommenen Informationsverlust und Unterbrechungen verbunden als mit wahrgenommener Uncanniness.“
„Auch erscheint in der Zusatzanalyse noch ein vermutlich signifikanter Zusammenhang zwischen der Attribution auf die eigene Internetverbindung und die Eignung der Bewerber:innen. Demnach könnten Teilnehmende Bewerber:innen positiver bewerten, wenn sie die technische Störung auf ihre eigene Internetverbindung zurückführen und nicht etwa auf die der Bewerber:innen. Dies wird jedoch nicht in der Hauptstudie erwähnt.“
„Es bestehen keine Interessenkonflikte.“
„Ich sehe keinen Interessenkonflikt.“
Primärquelle
Brucks MS et al. (2025): Video-call glitches trigger uncanniness and harm consequential life outcomes. Nature. DOI: 10.1038/s41586-025-09823-0.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Basch JM et al. (2021): It Takes More Than a Good Camera: Which Factors Contribute to Differences Between Face-to-Face Interviews and Videoconference Interviews Regarding Performance Ratings and Interviewee Perceptions? Journal of Business and Psychology. DOI: 10.1007/s10869-020-09714-3.
[2] van Vugt M et al. (2024): Digitally Connected, Evolutionarily Wired: An Evolutionary Mismatch Perspective on Digital Work. Organizational Psychology Review. DOI: 10.1177/20413866241232138.
[3] Fiechter JL et al. (2018): Audiovisual quality impacts assessments of job candidates in video interviews: Evidence for an AV quality bias. Cognitive Research: Principles and Implications. DOI: 10.1186/s41235-018-0139-y.
[4] Canagasuriam D et al. (2025): ChatGPT, can you take my job interview? Examining artificial intelligence cheating in the asynchronous video interview. International Journal of Selection and Assessment. DOI: 10.1111/ijsa.12491.
[5] Mori M (2012): The Uncanny Valley: The Original Essay by Masahiro Mori. IEEE Spectrum.
Die Orginalversion wurde 1970 im Fachjournal „Energie“ publiziert
[6] Wang S et al. (2015): The Uncanny Valley: Existence and Explanations. Review of General Psychology. DOI: 10.1037/gpr0000056.
Prof. Dr. Johannes Basch
Professor für Wirtschaftspsychologie, Sales and Sustainable Business Institute, Hochschule Neu-Ulm
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Es bestehen keine Interessenkonflikte.“
Prof. Dr. Lisa Handke
Juniorprofessorin für Wirtschaftspsychologie, Fachbereich Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich sehe keinen Interessenkonflikt.“