Vegetation und Klimawandel: Rolle der täglichen Niederschlagsvariabilität
durch den Klimawandel werden Niederschläge seltener, aber intensiver
Niederschlagsschwankungen beeinflussen Wachstum und Fotosyntheseaktivität von Pflanzen in den globalen Vegetationszonen unterschiedlich
unabhängige Experten halten die Auswirkungen für erwartbar, doch die globale Analyse auf dieser Skala stelle einen wichtigen Forschungsbeitrag dar
Tägliche Niederschlagsschwankungen beeinflussen Vegetation in ihrem Wachstum und ihrer Fotosyntheseaktivität maßgeblich. Zu diesem Schluss kommt eine Studie, die am 11.12.2024 im Fachjournal „Nature“ veröffentlicht wurde (siehe Primärquelle). Schwankungen der Niederschlagsmenge resultieren hauptsächlich aus der Entwicklung, dass Niederschläge im Zuge des Klimawandels seltener, dafür jedoch intensiver auftreten [I]. Wie die Autorinnen und Autoren schreiben, reagieren Pflanzen empfindlich auf diese Niederschlagsvariabilität. Während intensivere Regenfälle insbesondere das Wachstum der Vegetation in trockenen Ökosystemen förderten, hatte eine unregelmäßige Wasserversorgung in Kombination mit Starkregenereignissen in feuchten Ökosystemen, wie der gemäßigten Zone, eher negative Auswirkungen auf die Vegetation. Die Forschenden warnen, dass solche Schwankungen die Fotosynthesefähigkeit und das Wachstum der Vegetation beeinträchtigen könnten, was die Kohlenstoffaufnahme durch Pflanzen negativ beeinflussen würde.
Professor für Biogeographie, Universität Bayreuth
Zunahme von Starkregenereignissen
„Mit zunehmender globaler Erwärmung verändern sich sowohl atmosphärische Zirkulationsmuster wie die Lage und Dauer von Hoch- beziehungsweise Tiefdruckgebieten als auch die Evaporation (Verdunstung; Anm. d. Red.) über den Meeren wie beispielsweise dem Mittelmeer. Dies wiederum verändert den Energiehaushalt in der Atmosphäre. Kurz ausgedrückt: Es ist schon theoretisch sehr wahrscheinlich, dass es zu selteneren und dann auch intensiveren Niederschlagsereignissen kommt. Meteorologische Studien bestätigen dies zunehmend durch Daten.”
„Vegetation und Ökosysteme reagieren insgesamt weniger auf die langfristigen Durchschnittswerte des Klimas im 30-jährigen Mittel, sondern stärker auf einzelne Ereignisse, wie Dürren oder Starkregen, ebenso wie auf wegfallende tiefe Fröste. Die Grundannahme ist folglich sinnvoll.”
„Die Übertragung auf alle Regionen der Erde hingegen muss hinterfragt werden, denn in den inneren Tropen, wo es ohnehin schon sehr feucht ist, werden die Niederschläge wahrscheinlich deutlich zunehmen. In den Subtropen werden sie dagegen eher abnehmen. In den hohen Breiten werden Niederschläge leicht zunehmen, dort sind aber Temperaturveränderungen eher entscheidend. Zusätzlich sind verschiedene Ökosysteme in sehr unterschiedlichem Maß an Niederschlagsvariabilität angepasst.”
Verwendete Indizes
„Der Normalized Difference Vegetation Index (NDVI ) ist ein etablierter Index für die fotosynthetische Aktivität der Vegetation. Die Solar-Induced Fluorescence (SIF) ist weniger gebräuchlich. Es handelt sich um spektrale Informationen (Messung von elektromagnetischer Strahlung über verschiedene Wellenlängenbereiche; Anm. d. Red.) zur Vegetationsbedeckung (vegetation cover), welche mithin keine Aussagen auf Biodiversität und Ökosystemfunktionen erlaubt. Es ist kein direkter Schluss auf Biomasse und damit auch nicht auf Kohlenstoffsequestrierung möglich. Die Autoren sprechen von einem ‚Proxy‘, aber es ist eben auch nicht mehr als ein Hinweis auf die Aktivität der Vegetation. Vegetationsperioden werden damit recht gut wiedergegeben, aber nicht die innere Struktur und die Stoffflüsse innerhalb der Ökosysteme.”
Niederschlagsvariabilität als maßgeblicher Faktor
„Meine Einschätzung ist, dass in den meisten Biomen (großflächige Lebensräume mit dem gleichen Klima; Anm. d. Red.) die Niederschlagsvariabilität sogar ein noch bedeutsamerer Faktor für die Funktionalität der Vegetation ist als die gesamte jährliche Wasserverfügbarkeit.”
„Allerdings müssen die Ökosysteme der Biome differenzierter betrachtet werden. Diese Studie ebnet den Weg in diese Richtung. Die Tatsache, dass der Vegetationsindex auf eine veränderte Niederschlagsvariabilität reagiert, ist keineswegs überraschend. Es wurde nur bisher so nicht auf globaler Ebene gezeigt.”
„Die biogeographische Differenzierung in trockenen Ökosystemen, wie zum Beispiel Steppen mit positiven Reaktionen, und humiden Ökosystemen, wie dem tropischen Regenwald, entspricht dem, was man von Ökosystemen erwarten muss, die sich im Hinblick auf bisherige Präadaption (Voranpassung; Anm. d. Red.) bezüglich Variabilität in saisonalen oder trockenen Bedingungen oder Konstanz in ganzjährig feuchten Bedingungen, entwickelt haben.“
Landgebundene Kohlenstoffaufnahme
„Bezüglich der Kohlenstoff- ‚Aufnahme‘ ist es nicht möglich aus der Studie direkte Schlüsse zu ziehen. Ein positiver Puls der Indizes in ariden Gebieten bedeutet nicht zwangsläufig eine starke Zunahme der Kohlenstoffaufnahme über das Jahr. Allerdings signalisieren die Ergebnisse für die humiden Gebiete mit bisher ganzjährig feuchtem Klima, wie dem Regenwald, mögliche Verluste des dort gespeicherten Kohlenstoff-Pools.“
„Im temperaten Klima Mitteleuropas signalisiert ein Trend zunehmender Klimavariabilität, dass die Landnutzung stärker als bisher sowohl auf Dürre als auch auf Starkregen eingestellt werden sollte. Es muss insbesondere darauf hingewirkt werden, die Risiken von starkem Oberflächenabfluss schon in den Einzugsgebieten zu reduzieren. Beispielsweise durch Feuchtgebiete, Auwälder und Schwammlandschaften. Dies ist nicht durch bauliche Maßnahmen finanzierbar, sondern vor allem durch ‚Nature-based Solutions‘.“
Professor für Fernerkundung in der Geo- und Ökosystemforschung, Universität Leipzig
Zunahme von Starkregenereignissen
„Die Grundannahme der Untersuchung, dass Niederschlagsereignisse im Zuge des Klimawandels weltweit seltener, aber intensiver werden, ist gerechtfertigt. Allgemein gibt es einen weltweiten Trend, dass Extremereignisse häufiger auftreten. Dies trifft neben extremen Niederschlagsereignissen zum Beispiel auch auf die Dauer von Trocken- und Hitzeperioden zu. Welche konkreten Auswirkungen diese Ereignisse für die Biodiversität, das Funktionieren der Ökosysteme und damit auch für uns Menschen haben, ist eine der drängenden Fragen in der Erdsystemforschung. Insofern ist die Untersuchung hoch relevant.“
Verwendete Indizes
„Der Normalized Difference Vegetation Index (NDVI) ist seit den 1970er Jahren der etablierte Standard in der Fernerkundung von Ökosystemen, der die ‚Grünheit‘ der Vegetation misst. Er bietet den Vorteil, dass er in langen Zeitreihen vorliegt und damit weit zurückreichende Analysen ermöglicht. Daneben hat der NDVI jedoch einige Schwächen: Zum einen treten Sättigungseffekte für eine sehr dichte Vegetation auf, das heißt eine weitere Zunahme der Fotosyntheseleistung wird dann nicht mehr erfasst. Zum anderen macht sich bei schütterer und trockener Vegetation der Erdboden im Hintergrund bemerkbar und beeinflusst die Indexwerte.“
„Solar-Induced Fluorescence (SIF) ist erst seit ein paar Jahren verfügbar und misst die Fotosyntheseleistung auf direktem Weg. Diese Art der Erfassung erfordert spezielle Sensoren, ist jedoch ebenfalls dabei, als neuer Standard etabliert zu werden.“ „Die AutorInnen widmen einigen der methodischen Probleme bei der Untersuchung dieser komplexen Zusammenhänge viel Aufmerksamkeit. Insbesondere die Berücksichtigung der Tatsache, dass räumlich und zeitlich nah beieinander liegende Beobachtungen häufig sehr ähnlich sind, ist gut umgesetzt.“
„Methodisch problematisch ist meiner Ansicht nach jedoch, dass der hier untersuchte Einfluss der Menge und Verteilung der Niederschläge nur eine von vielen wichtigen Einflussgrößen auf die Indexwerte ist. Neben der Niederschlagsverteilung werden die Indexwerte von vielen anderen Prozessen gesteuert, deren Einflüsse sich überlagern.“
„Da die AutorInnen über das Jahr zusammengefasste Indexwerte in Bezug zu Extremereignissen setzen, die wenige Tage dauern, lassen sich die genauen Einflüsse und die jeweiligen treibenden Kräfte nicht im Detail ermitteln. Die Datenauswertung der AutorInnen greift daher möglicherweise etwas zu kurz. Da zudem die Einflüsse der Niederschlagsverteilung je nach Ökosystem unterschiedlich schnell eintreten und unterschiedlich lang anhalten, erwarte ich Unsicherheiten in der Abschätzung der Effekte. Eine Berücksichtigung der kurzfristigen Veränderungen der Indexwerte über die Vegetationsperiode der Ökosysteme hinweg kann hier mehr Informationen liefern.“
Niederschlagsvariabilität als maßgeblicher Faktor
„Ich gehe davon aus, dass die Schlussfolgerung der AutorInnen trotz vorhandener methodischer Probleme und der starken Vereinfachung der komplexen Zusammenhänge weitgehend zutrifft. Dass die Auswirkungen einer veränderten Niederschlagsverteilung auf die Vegetationsindizes insbesondere die Ökosysteme betreffen, in denen Niederschlag eher knapp und damit die limitierende Größe ist, ist zu erwarten.“ „Ebenso ist es wenig überraschend, dass die Vegetationsentwicklung in humiden Ökosystemen ohne Wassermangel weniger von der Niederschlagsverteilung im Jahresverlauf abhängt. Insofern bestätigen die Ergebnisse die bekannten Zusammenhänge und Erwartungen. Neu ist, dass die Untersuchung diese Zusammenhänge global angeht und versucht, sie auf einen einfachen Nenner zu bringen.“
Landgebundene Kohlenstoffaufnahme
„Die terrestrische Kohlenstoffaufnahme ist direkt an die Fotosyntheseleistung der Vegetation gekoppelt. Insofern ist die Niederschlagsverteilung ausschlaggebend für die Aufnahme und Speicherung von Kohlenstoff, aber auch für die Sicherheit von Ernteerträgen.“ „In Mitteleuropa spielen bei einer unregelmäßigen Wasserversorgung und gleichzeitigem Auftreten von Starkregenereignissen auch das begrenzte Wasserrückhaltevermögen und die Wasseraufnahmekapazität des Bodens eine wichtige Rolle. Während regelmäßige Niederschläge gut abgepuffert und infiltriert werden können, führen Starkregenereignisse zu zunehmender Bodenerosion und im schlimmsten Fall zu Hochwasserkatastrophen. Unsere Wälder sind hier als natürliche Wasserspeicher gefragt, können diese Aufgabe aber nur bewältigen, wenn sie selbst unter den geänderten Klimabedingungen noch funktionieren.“
„Ich habe keinerlei Interessenkonflikt mit den Autoren oder ihrer Arbeit.“
„Es besteht kein Interessenkonflikt oder eine Befangenheit bezüglich dieses Statements.“
Primärquelle
Feldman A et al. (2024): Large global-scale vegetation sensitivity to daily rainfall variability. Nature. DOI: 10.1038/s41586-024-08232-z.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Pendergrass A et al. (2018): The uneven nature of daily precipitation and its change. Geophysical Research Letters. Geophysical Research Letters. DOI: 10.1029/2018GL080298.
[II] Tucker C et al. (1986): Satellite remote sensing of primary production. International Journal of Remote Sensing. International Journal of Remote Sensing. DOI: 10.1080/01431168608948944.
Prof. Dr. Carl Beierkuhnlein
Professor für Biogeographie, Universität Bayreuth
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe keinerlei Interessenkonflikt mit den Autoren oder ihrer Arbeit.“
Prof. Dr. Hannes Feilhauer
Professor für Fernerkundung in der Geo- und Ökosystemforschung, Universität Leipzig
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Es besteht kein Interessenkonflikt oder eine Befangenheit bezüglich dieses Statements.“