Umfrage zu Embryonen-Auswahl
Umfrage in USA zu hypothetischer Auswahl von Embryonen bei künstlicher Befruchtung anhand von polygenem Screening
über die Hälfte der Befragten geben keine moralischen Bedenken an, die durchschnittliche Bereitschaft der Anwendung liegt bei 43 Prozent
europäische Forschende weisen auf mangelnde Forschungsgrundlage und ethische Bedenken hin
In einer Umfrage aus den USA stellten Forschende eine überraschend hohe moralische Akzeptanz sowie Bereitschaft fest, polygene Screenings bei der Auswahl von Embryonen im Rahmen einer künstlichen Befruchtung anwenden zu wollen, wenn sich dadurch ein höheres Bildungsniveau des zukünftigen Kindes erreichen ließe. Die Ergebnisse des Policy Forums wurden im Fachjournal „Science“ veröffentlicht (siehe Primärquelle).
Professor für Ethik in der Reproduktionsmedizin und Genforschung, Maastricht University, Niederlande
„Die Studie deutet darauf hin, dass einige angehende Eltern bereit wären, das PGT-P auch für kognitive Fähigkeiten zu nutzen – zumindest unter bestimmten Bedingungen –, insbesondere wenn PGT-P sicher und kostenlos wäre und wenn sie bereits eine IVF nutzen würden. Bei der weiteren ethischen und gesellschaftlichen Debatte sollten natürlich die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit (Abwägung der möglichen Vor- und Nachteile), der Achtung von Autonomie und der Gerechtigkeit berücksichtigt werden.“
„Wie sowohl die European Society of Human Reproduction and Embryology (ESHRE) als auch die European Society of Human Genetics (ESHG) festgestellt haben, wird der klinische Nutzen von PGT-P von kommerziellen Unternehmen, die dieses Verfahren anbieten, stark übertrieben. Die Berücksichtigung der Grenzen und Nachteile von PGT-P in der Praxis ist für die Debatte über seine (Un-)Verhältnismäßigkeit von entscheidender Bedeutung. Lassen Sie mich nur zwei Punkte nennen, die oft außer Acht gelassen werden. Erstens stehen die Ergebnisse des PGT-P in Form eines etwas höheren genetischen Risikos für eine multifaktorielle Störung im späteren Leben und/oder eines etwas höheren ,kognitiven Potenzials‘ einiger Embryonen oft im Widerspruch zu anderen embryologischen Parametern, die mit der Lebensfähigkeit und (höheren) Risiken für (andere) Störungen verbunden sind. Da diese anderen Parameter für die Priorisierung (,Ranking‘) von Embryonen für den Transfer oft relevanter sind, schränkt dies den klinischen Nutzen einer PGT-P erheblich ein. Und zweitens: Je strenger die Auswahlkriterien für PGT-P-Embryonen sind (,nur die besten‘?), desto weniger Embryonen stehen für den Transfer zur Verfügung und desto geringer ist die Erfolgsquote der IVF – eine unverhältnismäßige Belastung für die Frauen, die sich dann möglicherweise einem weiteren IVF-Zyklus unterziehen müssen. Pro-Life- und feministische Ethik scheinen sich in Bezug auf die Unverhältnismäßigkeit der PGT-P einig zu sein.“
„Die Voraussetzung der informierten Zustimmung drückt den Respekt vor der reproduktiven Autonomie der zukünftigen Eltern aus. Viele Befürworter des PGT-P scheinen diesen ethischen Grundsatz zu verhöhnen. Angesichts der Komplexität von PGT-P wird es eine ziemliche Herausforderung sein, eine echte informierte Zustimmung zu erreichen. Ein weiterer, meist vernachlässigter Aspekt hinsichtlich des Respekts vor der Autonomie, ist der Respekt vor der informationellen Selbstbestimmung der zukünftigen Kinder. Da viele PGT-P-Embryonen, die als ,zweiter oder dritter Klasse‘ eingestuft werden, möglicherweise in einem späteren Zyklus transferiert werden, bedeutet PGT-P de facto ein prädiktives genomisches Screening künftiger Kinder auf (eine größere Anzahl von) Prädispositionen für multifaktorielle Störungen und nichtmedizinische Merkmale. Was ist mit dem Recht künftiger Kinder auf Nichtwissen? Was ist mit den möglichen negativen Auswirkungen, zum Beispiel der Stigmatisierung, die mit einem hohen genetischen Risiko für psychiatrische Störungen verbunden ist?“
„Die Autoren des vorliegenden Artikels betonen die mögliche Verschärfung der bestehenden Ungleichheit, da sich nur ,die Reichen‘ das PGT-P leisten können. Offensichtlich ist der ungleiche Zugang nur dann ein ethisches Problem, wenn das PGT-P aus medizinischen und/oder nichtmedizinischen Gründen das Kriterium der Verhältnismäßigkeit erfüllen würde – was höchst umstritten ist. Wenn dies der Fall ist, und sei es auch nur am Rande, kann die Ungleichheit, so argumentieren die Befürworter, durch die kollektive Finanzierung von PGT-P vermieden werden. Diese ,Lösung' ist jedoch bizarr, denn sie stünde in völligem Widerspruch zu einem anderen Gerechtigkeitsgebot: der gerechten Verteilung der knappen Ressourcen für die Gesundheitsversorgung.“
„Ich würde empfehlen, die Debatte über das genetische Präimplantationsscreening weiter auszudehnen, da das PGT-P nur ein Schritt auf dem Weg zu einer künftigen ,Ganzgenomsequenzierung und -analyse‘ von IVF-Embryonen ist, die es Kliniken und künftigen Eltern ermöglicht, das gesamte Genom von IVF-Embryonen zu berücksichtigen. Auch wenn einige Techniker versucht sein mögen, ein solches ,umfassendes' genomisches Embryoscreening als den Heiligen Gral zu betrachten, verkompliziert dieses Szenario die damit verbundenen normativen Fragen noch weiter.“
Juniorprofessor für Medizinische Ethik mit Schwerpunkt auf Digitalisierung, Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Universität Potsdam, und Leiter der Forschungsstelle „Ethik der Genom-Editierung“ am Institut für Ethik und Geschichte der Medizin, Eberhard Karls Universität Tübingen
„Seit Jahrzehnten werden Befragungen zur Einstellungen gegenüber den (zukünftigen) Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin durchgeführt – zuweilen von unterschiedlicher Qualität und nicht immer miteinander vergleichbar. Neben länderspezifischen Unterschieden zeigen sich vielmehr wesentliche Gemeinsamkeiten: Wenn es um die Herstellung oder Erhaltung der Gesundheit von Nachkommen geht, sind Zustimmungswerte hoch. Eingriffe zur Förderung oder Steigerung bestimmter Fähigkeiten werden dagegen meist kritischer gesehen – wobei sich meiner Wahrnehmung nach eine wachsende Bereitschaft zur genetischen Optimierung von Nachkommen einstellt.“
„Bezüglich der Möglichkeiten der Fortpflanzungsmedizin sehen wir insgesamt eine wachsende Technologieakzeptanz. Die vehemente Ablehnung gegenüber den ersten sogenannten Retortenbabys – Embryonen aus dem Reagenzglas – löst heute Unverständnis aus. Etwa 45 Jahre nach der ersten erfolgreichen IVF sitzt in jeder größeren Schulklasse ein Kind, das außerhalb des Mutterleibs gezeugt wurde. Niemand nimmt daran mehr Anstoß. Und das ist auch gut so. Daraus lässt sich allerdings nicht ableiten, dass jede technologische Möglichkeit auch irgendwann wünschenswert wird. Aber falls Keimbahneingriffe oder die Auswahl von Embryonen nach polygenem Screening einmal zu einer Erfolgsgeschichten werden und zum Familienglück verhelfen, würde sich wohl auch diese Technologie normalisieren. Umso mehr lohnt es sich, vorzeitig über die ethischen Implikationen zu reflektieren.“
„Das hypothetische Szenario hat nichts mit den gegenwärtigen Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin zu tun und ist spekulativ. Die vorliegende Studie erscheint mir nur begrenzt aussagekräftig. Das Szenario ist ein reines Gedankenexperiment: Die Auswahl von Embryonen nach polygenem Screening sei nicht nur kostenlos, sondern auch sicher und zuverlässig. Die Belastungen durch eine sogenannte künstliche Befruchtung (IVF) würden zudem entfallen. Mit einer solchen Idealisierung werden zentrale ethische Bedenken gegenüber derartigen Versuchen ausgeklammert [1]. Das Szenario gleicht damit einem „Wünsch dir was“. Warum sollten Paare auch darauf verzichten, ihrem Kind bessere Startchancen mitzugeben? Gerade wenn die Befragten wenig oder kein Vorwissen über die beschriebenen Techniken haben, erscheint der Wunsch zur Verbesserung hier sehr verständlich.“
„Mittlerweile bieten erste Unternehmen aus dem Ausland eine Auswahl von Embryonen nach polygenem Screening an. Alles zum Wohl der zukünftigen Nachkommen. Derartige Versprechen lassen sich bislang aber kaum einlösen. Wir wissen nicht nur zu wenig über das Zusammenspiel von Genen und Umwelt – bereits die begrenzten Möglichkeiten während einer künstlichen Befruchtung würden Visionen einer signifikanten Steigerung von Intelligenz oder anderer komplexer Merkmale einen Riegel vorschieben [2]. Selbst wenn eine Selektion nach polygenem Screening effektiv möglich wäre, bleiben ethische Bedenken. Hierzu zählen insbesondere überzogene Erwartungshaltung der Eltern gegenüber ihren Nachkommen oder mögliche soziale Ungleichheiten. Zudem dürfen wir nicht vergessen, dass derartige Versprechen der Reproduktionsmedizin häufig zulasten der Wunscheltern und insbesondere der Frau gehen. Gerade in intimen und sensiblen Bereichen wie der Familienplanung, könnten Machbarkeitszwänge einen enormen Druck aufbauen.“
Richard McCormick Endowed Chair für Christliche Ethik, Loyola University Chicago (USA) und ehemaliges Mitglied der Europäischen Gruppe für Ethik in den Wissenschaften und Neuen Technologien der Europäischen Kommission“ (EGE, 2005 bis 2016), Loyola University, Vereinigte Staaten
„Das Paper diskutiert drei Szenarien: Keimbahn-gene-editing, polygene Präimplantationsdiagnostik und Vorbereitung auf den College-Eingangs-Test, der in den USA von zentraler Bedeutung für die Zulassung zum Studium bzw. die Universitätswahl ist. Mein Kommentar beschränkt sich allein auf die polygene Präimplantationsdiagnostik: Das verwendete Szenario für die Akzeptanz – moralische Beurteilung und Bereitschaft, polygene Präimplantationsdiagnostik (PGT-P) selbst zu nutzen – geht davon aus, dass in naher Zukunft diese Diagnostik angeboten werden kann – im Gegensatz zu reproduktivem gene editing wird diese Form der Vor-Schwangerschaftsuntersuchung bereits im Rahmen von IVF genutzt (als Referenz wird eine US-amerikanische Firma angegeben). Für die Umfrage im Januar 2022 machten die Autor*innen folgende Annahmen – die ich kurz kommentiere:
,PGT-P kann die Wahrscheinlichkeit, an eine Top-Universität zu kommen, von drei auf fünf Prozent anheben.‘
Diese Annahme ist eine durch keinerlei Fakten abgesicherte Annahme.
,In-Vitro-Fertilisation ist sicher.‘
Diese Annahme ist falsch – es gibt medizinische Nebenwirkungen der IVF, die systematisch unterbewertet werden. Zudem gibt es keine Garantie auf Erfolg, und unter Umständen werden Schwangerschaftsabbrüche in Kauf genommen.
,Paare, die PGT-P anwenden, bekommen tatsächlich Kinder.‘
Auch diese Annahme stimmt in dieser Allgemeinheit nicht.
Dann beschreiben die Autor*innen folgende Szenarien: Szenario 1: 1 von 10 Klient*innen nutzen die Diagnostik. Szenario 2: 9 von 10 Klient*innen nutzen die Diagnostik. Diese beiden Szenarien setzen darauf, dass die Akzeptanz der Mehrheitsmeinung folgt. Das ist in der Reproduktionsmedizin sicher richtig, ist aber trotzdem für die Fragestellung wenig aussagekräftig.
,PGT-T wird schon genutzt (im Gegensatz zu germline gene editing, das eher als eine Zukunftstechnik angeführt wird).‘
Es wird eine einzige Firma angeführt, die die Diagnostik bereits anbietet – die Aussage ist daher zumindest fragwürdig. Vielmehr suggeriert der ganze Essay eine faktische Anwendung, während sie jedoch nur eine Möglichkeit darstellt, deren Wahrscheinlichkeit gerade durch die Szenarien-Umfrage eruiert werden soll. Unter Umständen gibt es durch das Design aber eine Self-fulfilling-prophecy-Dynamik: Je mehr Akzeptanz als Vor-Annahme angeführt wird, umso mehr steigt auch die Akzeptanz der Befragten in dieser Umfrage (siehe Annahme drei).
,Die Diagnostik ist kostenfrei im Rahmen von IVF (was Klient*innen schon nutzen, so die Annahme).‘
Diese Annahme entbehrt jeder Grundlage und kann so nicht vorausgesetzt werden – zumal die Daten für die Firma LifeView dies nicht nahelegen. Reproduktionsmedizin ist ein lukrativer Markt, der sicher nicht – und sicher nicht in den USA – kostengünstige oder gar kostenfreie Nutzung der PGT-P gewährt.
Zusammenfassend: Die Annahmen suggerieren eine Wirklichkeit, die mit der faktischen Reproduktionsmedizin nicht übereinstimmt.“
„Eine wichtige Annahme ist die Einführung der Tests innerhalb von IVF-Verfahren (dafür wirbt auch die Firma LifeView). Dass PGT-P sich hier durchsetzen könnte, ist in der Tat nicht auszuschließen, zumal die Diagnostik für therapeutische und Enhancement-Zwecke in den letzten Jahren sehr protegiert wird – nicht zuletzt auch von Vertreter*innen der Bioethik. Die Autor*innen haben recht darin, dass eine breitere öffentliche Diskussion notwendig ist – allerdings auf einer breiteren Basis ethischer, rechtlicher und sozialer Aspekte der Reflexion.“
Auf die Frage, welche medizinethischen Bedenken das PGT-P-Verfahren bei Embryonen im Rahmen einer IVF mit sich bringt:
„Die Autor*innen führen an: Gerechtigkeit – die Kluft zwischen besser und schlechter gebildeten jungen Menschen könnte sich vergrößern. Der Informationsstand der breiten Bevölkerung (junge Menschen ohne Studium) weicht unter Umständen von den besser gebildeten Gruppen ab – dies erfordert dann zusätzliche Anstrengungen. PGT-P wurde für einen bestimmten genetischen Typus entwickelt – was bedeutet dies für davon abweichende genetische Profile? Kann die Diagnostik eingegrenzt werden? Wie werden insgesamt reproduktive Rechte eingeschätzt (im Kontext der USA vor allem durch die Einschränkung des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch). Die Autor*innen berücksichtigen dagegen nicht die grundsätzlichen Fragen, die alle weitere Diagnostik oder Therapien betreffen: Wer hat die Entscheidungsmacht über die Entwicklung der Tests (welche Krankheiten und Merkmale sollen getestet und gegebenenfalls verworfen werden)? Welche Regulierungen sind vorgesehen? Kann genetische Diagnostik mit Tutorien für Bildungstests zusammengesehen werden? Wie suggestiv ist die Annahme einer Kontinuität von Bildungs-Verbesserung und genetischem Enhancement? Welche Marktinteressen gibt es? Welche Regulierungsmöglichkeiten des Reproduktionsmedizin-Markts sind überhaupt möglich? Welche Folgen hat die Entwicklung der PGT-P für die verbrauchende Embryonenforschung und die Verwerfung von Embryonen im Rahmen von IVF? Hier gibt es viele regionale Unterschied – für die EU ist die Oviedo Konvention (völkerrechtlicher Vertrag des Europarates zu Menschenrechten und Biomedizin; Anm. d. Red.) aber maßgeblich.“
„Dann noch Fragen wie: Welche Folgen hat die Normalisierung von IVG plus PGD und PGT-P gegenüber natürlicher Zeugung für das Reproduktionsverhalten junger Menschen? Wie frei sind sie in Zukunft in ihrer Entscheidung? Die Studie geht davon aus, dass junge Menschen der Diagnostik gegenüber aufgeschlossener sind als ältere Menschen (die womöglich von den Entscheidungen nicht mehr betroffen sind, die aber auch die parallelen Diskussionen miterlebt haben). Aber die zuvor genannten Annahmen zeigen, dass viele Informationen nicht gegeben wurden, die aber genauso entscheidungsrelevant sind. Gibt es einen impliziten Rassismus und ,classism‘, die beide schon in der Forschung beginnen und sich in der Diskussion fortsetzen? Wie viele Ressourcen werden für die Forschung und Entwicklung gebunden, die für andere Felder innerhalb der Reproduktionsmedizin nicht zur Verfügung stehen? In den USA stieg die Kinder- und Müttersterblichkeit in den letzten Jahren an, und sie trifft vor allem ethnische Minderheiten. Die pränatale und perinatale Versorgung ist aber für die gesundheitliche Entwicklung eines Kindes unter Umständen wichtiger als die genetische Diagnostik, die auf Wahrscheinlichkeiten beruht.“
„Dies sind nur einige Sätze, die dazu anhalten, die vorliegende Studie mit einem sehr kritischen Blick zu hinterfragen. In einer Hinsicht aber leistet sie etwas, das in der Tat neu ist: Sie schiebt die polygene Diagnostik in den Vordergrund der Debatte um die Zukunft der Reproduktionsmedizin, und das ist nur zu begrüßen.“
Direktorin des Instituts für Kardiogenetik, Universität zu Lübeck
„Grundsätzlich gilt, dass IVF-Embryonen genetisch sehr viel ähnlicher sind als unverwandte Individuen. Die Effekte, die man durch einen polygenetic risk score (PRS) nachweisen kann, sind ja grundsätzlich marginal, aber noch geringer sind sie, wenn man IVF-Embryonen untereinander vergleicht [3].“
„Bislang kaum verstanden, geschweige denn kontrollierbar sind die Risiken, die durch Pleiotropie (die Ausprägung unterschiedlicher phänotypischer Merkmale, die durch ein einzelnes Gen hervorgerufen wird; Anm. d. Red.) entstehen. Varianten für bestimmte Merkmale sind negativ korreliert, das heißt, wenn man Embryonen aufgrund eines hohen PRS für Merkmal X aussortiert, kann es sein, dass man damit das Risiko für Merkmal Y erhöht. Bekanntermaßen wird bei der Berechnung von PRS aktuell der Einfluss von Gen/Umwelt nicht berücksichtigt. PRS sind sehr populations-spezifisch und die Übertragung eines PRS von einer auf die andere Population hat wenig Aussagekraft. Das allgemeine Risiko einer IVF muss berücksichtigt werden.“
„In Bezug auf das Paper von Meyer et al. bedeutet das, dass die Umfrage die Problematiken der PRS komplett ausgeblendet hat, und damit hat meines Erachtens das Umfrageergebnis wenig Aussagekraft.“
„Ich bin aber auch davon überzeugt, dass wir zu diesem Thema eine unvoreingenommene und transparente Diskussion in der breiten Bevölkerung beginnen sollten. Die Methodik, vielleicht heute noch nicht realistisch und vor allem nicht sinnvoll, wird uns aber in den nächsten Jahren/Jahrzehnten begleiten.“
Post-Doc am Institut für Wissenschafts- und Technikforschung, Universität Wien, Österreich
„Die Ergebnisse der Befragung sind interessant, sollten in ihrer Bedeutung aber nicht überbewertet werden. Die Befragung thematisiert Einstellungen von US-Amerikaner*innen zum polygenen Testen von Embryonen. Letzteres zum Thema von öffentlichen und regulatorischen Debatten zu machen, ist wichtig. Die Umfrage befragt Teilnehmer*innen zu ihren Meinungen und Einschätzung zu einem Szenario, das auf sehr unwahrscheinlichen Annahmen beruht. Es geht davon aus, dass polygenes Testen von Embryonen in der Lage sein wird, die Bildungschancen von Jugendlichen zu erhöhen, und mit keinen Risiken und Kosten in Verbindung steht. Damit befragt die Umfrage Teilnehmer*innen nach ihren Meinungen und Einstellungen zu einem fiktiven Szenario, das eher unter die Kategorie Science-Fiction fällt. Einstellungen zu fiktiven Zukunftszentarien sind nicht irrelevant; deren Bedeutung sollte aber nicht überschätzt werden.“
„Ein Verdienst des Beitrags ist es, polygenes Testen von Embryonen zum Thema zu machen. Dabei handelt es sich um eine rezente Entwicklung im Repertoire an Tests, die an Embryonen durchgeführt werden. Diese ergänzen Tests für monogenetische Erkrankungen, die vor allem bei Paaren durchgeführt werden, die Träger*innen von mit monogenetischen Erkrankungen assoziierten Genvarianten sind, und sie ergänzen das Testen von Chromosomen von Embryonen, das die Erfolgschancen einer In-Vitro-Fertilisation erhöhen soll. Neben den ethischen Fragen zum Präimplantationstesten, die bereits diskutiert werden, besteht mein Bedenken gegenüber dem polygenen Testen von Embryonen vor allem im Eindruck, dass hier Firmen Tests verkaufen, für deren Mehrwert es kaum Evidenz gibt.“
Leiter des Fachbereichs Biomedizinische Ethik und Ethik des Gesundheitswesens, Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften, Krems, Österreich
„Natürlich erscheint es zunächst naheliegend, von der öffentlichen Akzeptanz einer Technologie oder eines medizinischen Verfahrens gegenüber auf deren Zulässigkeit zu schließen. In liberalen Gesellschaften entscheiden schließlich demokratische Prozesse vielfach über die Legalität, also das Erlaubtsein technologischer oder medizinischer Anwendungen. Eine Mehrheitsmeinung sagt jedoch nichts über die Moralität, das heißt die ethische Zulässigkeit aus. Davon abgesehen, ist die vorliegende Studie aus einem wesentlichen Grund nicht aussagekräftig: Sie suggeriert einen Grad an Informiertheit und das Vorhandensein der Kompetenz, die relevanten Informationen einzuordnen, enthält den Befragten aber wesentliche Informationen hinsichtlich der sozialen Rahmenbedingungen dieser Maßnahmen vor.“
„Die Autor:innen hantieren mit den Konzepten ,PGP-T‘ und ,Genome Editing‘ so, als hätten diese eine unverrückbare, inhärente Bedeutung. Erstens handelt es sich hier um zwei grundverschiedene Maßnahmen. PGP-T ist eine Form des genetischen Screenings, während Genome Editing einen Überbegriff für verschiedene Techniken der Intervention in das Genom darstellt. Beides in einer Umfrage-Studie zu vermengen, suggeriert eine Gleichwertigkeit auch in ethischer Hinsicht, die keinesfalls gegeben ist.“
„Zweitens können beide Maßnahmen nicht an sich, losgelöst von konkreten Kontexten und Zielen bewertet werden. Die sozialen Umstände und die sozialen Praktiken sowie die Zielsetzungen, in die diese Maßnahmen eingebettet sind, formen erst ihre Bedeutung. So können Verfahren des Genome Editing zum Beispiel in bestimmten Fällen einen hohen therapeutischen Nutzen zeigen, etwa bei der Behandlung der Beta-Thalassämie oder bei bestimmten Krebserkrankungen. Theoretisch könnten diese Verfahren aber auch für nicht-indizierte Zwecke eingesetzt werden. Nur über die Verfahren an sich zu diskutieren, ist deshalb unzureichend. Des Weiteren kann man beide Maßnahmen nicht von den sozialen Determinanten trennen, die ihre Anwendung beeinflussen. Interessanterweise stellen die Autor:innen diese Fragen, etwa welche sozialen Ungleichheiten hier erzeugt oder verstärkt werden könnten oder für welche Merkmale nach welchen Kriterien getestet werden soll und darf. Allerdings sind diese Fragen nicht Teil der Studie, sondern sollen von zukünftiger Forschung geklärt werden. Genau diese Kontextualität fehlt aber der Studie und macht sie daher wenig aussagekräftig, da den Befragten eben jene zentralen Fragen nicht vorgelegt oder der entsprechende Kontext erläutert wurden. Zudem ist die Gleichung ,bessere‘ Gene gleich größere Erfolgswahrscheinlichkeit im Studium oder der Arbeitswelt ebenso übervereinfacht wie irreführend. Sie suggeriert direkte kausale Zusammenhänge zwischen genetischem Set-up und sozialem wie ökonomischen Erfolg, die in dieser Form nicht bestehen.“
„Insgesamt basiert diese Studie auf sehr vielen nicht hinterfragten Prämissen. Wie informiert sind die Befragten, wie kompetent im Umgang mit den relevanten Informationen? Was ist mit den sozialen Praktiken und Determinanten, welche die Maßnahmen formen? Welche epistemologische Legitimation haben genetischer Essentialismus und Reduktionismus, die die Relevanz und Aussagekraft ihrer Resultate schmälern? Ein wertvoller Beitrag zur ethischen Debatte um PGP-T und Genome Editing wird dadurch nicht geleistet.“
„Ko-Autor des Statements der European Society of Human Genetics (ESHG) re PGT-P: Forzano F, Antonova O, Clarke A, De Wert G, Hentze S, Jamshidi Y, et al. The use of polygenic risk scores in preimplantation genetic testing. Eur J Hum Genet 2022;30:493-5."
„Keinen Interessenkonflikt.“
„Ich habe keinen Interessenkonflikt.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Primärquelle
Meyer MN et al. (2023): Public views on polygenic screening of embryos. Science. DOI: 10.1126/science.ade1083.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Ranisch R. (2021): Liberale Eugenik? Kritik der selektiven Reproduktion. JB Metzler.
[2] Karavani E et al. (2019): Screening human embryos for polygenic traits has limited utility. Cell. DOI: 10.1016/j.cell.2019.10.033.
[3] Turley P et al. (2021): Problems with Using Polygenic Scores to Select Embryos. New England Journal of Medicine. DOI: 10.1056/NEJMsr2105065.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] UK Biobank. Website.
[II] Sunderam S et al. (2020): Assisted Reproductive Technology Surveillance. MMWR Surveillance Summaries. DOI: 10.15585/mmwr.ss6909a1.
[IV] ESHRE: ESHRE supports the position of ESHG on embryo selection based on polygenic risk scores. Website.
[V] Forzano F et al. (2022): The use of polygenetic risk scores in pre-implantation genetic testing: an unproven, unethical practice. European Journal of Human Genetics. DOI: 10.1038/s41431-021-01000-x.
Prof. Dr. Guido de Wert
Professor für Ethik in der Reproduktionsmedizin und Genforschung, Maastricht University, Niederlande
Prof. Dr. Robert Ranisch
Juniorprofessor für Medizinische Ethik mit Schwerpunkt auf Digitalisierung, Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Universität Potsdam, und Leiter der Forschungsstelle „Ethik der Genom-Editierung“ am Institut für Ethik und Geschichte der Medizin, Eberhard Karls Universität Tübingen
Prof. Dr. Hille Haker
Richard McCormick Endowed Chair für Christliche Ethik, Loyola University Chicago (USA) und ehemaliges Mitglied der Europäischen Gruppe für Ethik in den Wissenschaften und Neuen Technologien der Europäischen Kommission“ (EGE, 2005 bis 2016), Loyola University, Vereinigte Staaten
Prof. Dr. Jeanette Erdmann
Direktorin des Instituts für Kardiogenetik, Universität zu Lübeck
Dr. Ingrid Metzler
Post-Doc am Institut für Wissenschafts- und Technikforschung, Universität Wien, Österreich
Prof. Dr. Giovanni Rubeis
Leiter des Fachbereichs Biomedizinische Ethik und Ethik des Gesundheitswesens, Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften, Krems, Österreich