Studie: Menge des nicht verwerteten Plastikmülls könnte um 91 Prozent reduziert werden
mit gut gewählten Maßnahmen ließe sich Menge des nicht verwerteten Plastikmülls um 91 Prozent senken
zunehmende Nutzung von Kunststoffen und immer mehr Plastikmüll machen Handlungen dringlich
Expertinnen halten Studie für methodisch robust, äußern allerdings substanzielle Kritik an Schlussfolgerungen
Die global anfallende Menge nicht verwerteten Plastikmülls ließe sich um 91 Prozent verringern. Dafür müssten vier der acht Instrumente zum Einsatz kommen, die bei den Ende November anstehenden Verhandlungen für ein internationales Plastikabkommen debattiert werden [I]. Gleichzeitig ließen sich so Treibhausgasemissionen, die durch Herstellung und Nutzung von Plastik entstehen, um ein Drittel senken. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie, die im Fachjournal „Science“ erschienen ist. Die für diese Arbeit genutzten Modelle finden: Ohne diese Interventionen verdoppelt sich die schlecht gemanagten Menge Plastikmüll und die damit verbundenen Treibhausgasemissionen steigen um 37 Prozent bis zum Jahr 2050.
Senior Researcher im Forschungsbereich Produkte & Stoffströme, Öko-Institut e.V., Freiburg
„Die Ergebnisse der Studie zum Baseline-Szenario sind alles andere als überraschend, denn die global produzierte Kunststoffmenge steigt seit Jahrzehnten ungebremst an. Ein großer Teil dieses Wachstums ist an die Entwicklung der Wirtschaft und Bevölkerung in Ländern mit geringem und mittlerem Einkommen geknüpft. Zudem suggerieren Werbebotschaften auf aller Welt, dass übermäßiger Konsum und aufwändige Einwegverpackungen zu einem ‚modernen‘ Leben dazugehören würden.“
„Bei einer solch globalen Betrachtung müssen zwangsläufig Vereinfachungen gemacht werden. Dazu gehört auch, dass einzelnen Maßnahmen – wie zum Beispiel Investitionen in Recyclinginfrastruktur – nicht weiter ausbuchstabiert werden. Das ist verständlich, lenkt zum Teil aber von wichtigen Umsetzungsfragen ab. Zuerst einmal von der Frage, warum Unternehmen dieses Geld nicht bereits heute investieren. Plastikabfall wäre genug da – er wird nur in vielen Fällen nicht getrennt, gesammelt oder sortiert. Leider ist es so, dass für Plastikrecycling kaum Investitionssicherheit herrscht, da die Recycler immer noch mit Herstellern von Neuplastik aus im Preis stark schwankenden Rohöl konkurrieren.“
„Es besteht eine gewisse Gefahr, Plastik pauschal zu verteufeln. Wir wissen aber, dass beispielsweise das Ausweichen auf andere Materialien nicht unbedingt besser ist. Denken Sie an Oliven im Supermarkt. Aus Umweltsicht schneidet hier der Schlauchbeutel aus Plastik besser ab als das Einwegglas mit Einweg-Blechdeckel. Zumindest ein Teil des prognostizierten Rückgangs in Europa hängt wohl mit Verschiebungen zu anderen Verpackungsmaterialien zusammen.“
„Maßnahmen zur Reduktion – sowohl bei Verpackungen als auch bei anderen Anwendungen und Materialien – haben ein hohes Potenzial, werden aber politisch oft kaum unterstützt. Dabei gibt es vielversprechende Beispiele. Österreich hat Anfang diesen Jahres eine Mehrwegangebotspflicht eingeführt. Dort müssen nun alle größeren Supermärkte Mehrwegflaschen für Getränke im Sortiment haben.“
auf die Frage, welche Rolle den Verhandlungen zu einem internationalen Plastikabkommen bei der Lösung des Problems zukommt:
„Die Verhandlungen zum UN-Plastikabkommen senden ein wichtiges Signal, dass das Thema wichtig ist und nicht dem freien Spiel der Marktkräfte überlassen werden kann. Auswirkungen und Umweltkosten müssen verringert und letztendlich den Verursachern in Rechnung gestellt werden. Dennoch wird sich ein Verhandlungsergebnis nicht unmittelbar auf die Realität der Plastikproduktion und Entsorgung durchschlagen. Unabhängig vom Ausgang müssen Maßnahmen je nach Region, Land und zum Teil sogar Kommune umgesetzt und angepasst werden. Das dauert. Und leider bewegen wir uns auch in einer Welt, in der einige Scharlatane schnelle und scheinbar einfache Lösungen vorgaukeln und damit in die Irre führen. Hierzu zählen zum Beispiel die Stimmen, die einen weitgehenden Umstieg der Plastikindustrie auf Biomasse vorschlagen. ‚Bioplastik‘ klingt zwar gut, als Einzelstrategie würde das aber den Druck auf die weltweiten Agrar- und Ökosystem enorm steigern und viele andere Krisen auslösen und verschärfen.“
Leiterin der Arbeitsgruppe für Nachhaltigkeit und Technologie, Department für Management, Ökonomie und Technologie, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETHZ), Zürich, Schweiz
„Die acht aufgelisteten Szenarien bieten sicherlich wichtige Diskussionspunkte für die Verhandlungen des Abkommens. Sie adressieren jedoch unterschiedliche Ebenen. Zunächst sind da fünf übergeordnete Maßnahmen: die Begrenzung der Produktion von Neuplastik, eine Infrastruktur für das Abfallmanagement, eine Infrastruktur für das Recycling, ein Mandat zur Recyclingquote und eine Verpackungssteuer. Dazu kommen sektor- beziehungsweise produktspezifische Maßnahmen: die Reduzierung von Einwegverpackungen und ein Mandat zur Wiederverwendung von Verpackungen.“
„Ich habe bei der Lektüre drei Inkonsistenzen festgestellt.
„Darüber hinaus fehlen aus meiner Sicht fünf Überlegungen.
„Zusammenfassend lässt sich feststellen: Die aktuelle Studie präsentiert eine interessante Datenanalyse, die einige relevante Hypothesen aufzeigt und möglicherweise auf einem komplexen Berechnungsmodell basiert. Es besteht jedoch die Sorge, dass einige Schlussfolgerungen und Vorschläge für politische Maßnahmen irreführend sein könnten, da der gesamte Umfang der Auswirkungen – zum Beispiel die Aspekte Gesundheit, Chemikalien, Mikroplastik – nicht ausreichend berücksichtigt und die Machbarkeit der wirkungsvollsten Maßnahme – 40 Prozent recycelter Inhalt über alle Sektoren hinweg – hinterfragt wird.“
Senior Fellow und Koordinatorin der Arbeitsgruppe Plastik, Ecologic Institute
„Die Methodik ist – soweit ich es beurteilen kann – von der Modellierungsseite her robust. Was mir persönlich etwas zu kurz kommt, ist der Zusammenhang zwischen den einzelnen Politikmaßnahmen: Die Abfall- oder Müll-Sammlung ist eine der Voraussetzungen dafür, dass Recycling überhaupt stattfinden kann, ebenso eine Recycling-Infrastruktur. Beide Maßnahmen sind aber separat vom Recycling-Mandat aufgelistet. Das sorgt zwar für Transparenz, kann aber auch suggerieren, dass es das eine ohne das andere geben könne.“
„Die aktuelle Studie betrachtet nicht den derzeitigen Stand der Technologie. Aktuell werden weltweit nur etwa zehn Prozent des Plastiks recycelt. Das liegt zwar auch an fehlender Müll-Sammel- und -Trenn-Infrastruktur, aber eben auch daran, dass wir (noch) nicht die technischen Möglichkeiten haben, diverse Kunststoffe zu recyceln und im Kreislauf zu führen. Einige Studien zeigen, dass sich zum Beispiel durch das Recycling auch toxische Chemikalien in Kunststoffen anreichern – ein großes Problem für die menschliche Gesundheit!“
„Trotzdem ist diese Studie sehr wichtig und hilfreich, sowohl für die wissenschaftliche, als auch für die politische Debatte. Erstens zeigen die Autor:innen damit, dass auch eine Reduktion der primären Plastikproduktion direkt zu einer Reduktion der Plastikverschmutzung beiträgt – hier besteht demnach ein direkter Zusammenhang. Zweitens zeigt die Modellierung, welche Maßnahmen wie viel bringen würden, also auch, dass wir dringend den Fokus auf recycelte Materialien legen müssen – aber eben nicht nur: Die Reduktion der Plastikproduktion gehört unbedingt auch dazu.“
„Für die anstehenden UN-Verhandlungen ist dieser Punkt extrem wichtig, denn mit Recycling alleine werden wir das Plastikmüllproblem nicht lösen können – was viele aber immer noch suggerieren.“
Leiterin der Departments Umweltpolitik, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Leipzig, und Professorin für Umweltpolitik, Friedrich-Schiller-Universität Jena
„Die Monte-Carlo-Simulation ist eine gut etablierte Methode. Den Ansatz des maschinellen Lernens kann ich nicht bewerten. Er ist zu weit von meiner Ausbildung und Erfahrung entfernt.“
„Die von den Autoren bewerteten Verfahren sind sehr weit gefasst und umfassen viele verschiedene Maßnahmen. Zum Beispiel kann ‚Reduzierung von Einwegplastik‘ Verschiedenes bedeuten: Verbote, Steuern, Pfandsysteme oder Abfallbewirtschaftungsinfrastrukturen wie Mülleimer, Sortieranlagen und so weiter. All diese Maßnahmen erfordern unterschiedliche Infrastrukturen sowie personelle und finanzielle Ressourcen. Die Ergebnisse der Autoren beruhen daher auf sehr weit gefassten Annahmen über die Auswirkungen dieser Maßnahmen.
„Die Modellierung geht außerdem davon aus, dass jede Maßnahme sehr wirksam ist. Die Wirksamkeit ist jedoch nicht garantiert, sie hängt von vielen Faktoren bei der Gestaltung und Umsetzung der Politik ab.“
„Meiner Meinung nach besteht der wichtigste Beitrag der aktuellen Studie in der Einschätzung, wie groß das Problem des unkontrollierten Plastikmülls wird, wenn nicht eingegriffen wird. Die Projektion der zukünftigen Plastikproduktion und des Plastikverbrauchs scheint mir am zuverlässigsten zu sein, da sie nicht sehr von früheren Analysen abweicht, zum Beispiel [1] [2].“
„Der Verpackungsmarkt braucht eine starke Neuorientierung in Richtung Verpackungsreduzierung, hin zu nachhaltigen Wiederverwendungssystemen, einer stärkeren Standardisierung von Verpackungen und Pfandsystemen. All diese Dinge können dazu beitragen, die Lebensdauer von Verpackungen zu verlängern. Der Kern jeder Maßnahme sollte also darin bestehen, die Lebensdauer von Verpackungen zu verlängern, zum Beispiel durch Wiederverwendung oder Wiederbefüllung. Gleichzeitig sollten die Wiederverwendung und die Verlängerung der Lebensdauer mit einem Minimum an Energie- und Wasserverbrauch für Reinigung, Transport und so weiter erfolgen, um die Umweltauswirkungen der Wiederverwendung von Verpackungen zu verringern, zum Beispiel [3].“
„Die Finanzierung all der Maßnahmen ist eine wesentliche Voraussetzung für deren Erfolg. Diese Finanzierung muss durch eine Umverteilung der Lasten weg von den Ländern mit dem geringsten Plastik-Verbrauch erfolgen, die derzeit aber die stärksten Auswirkungen auf Umwelt und Menschen durch den unsachgemäßen Umgang mit Kunststoffabfällen haben.“
„Es besteht kein Interessenkonflikt.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
„Es bestehen keine Interessenkonflikte meinerseits.“
„Keine Interessenkonflikte bekannt.“
Primärquelle
Pottinger AS et al. (2024): Pathways to reduce global plastic waste mismanagement and greenhouse gas emissions by 2050. Science. DOI: 10.1126/science.adr.3837.
Weiterführende Recherchequellen
OECD (2022): Global Plastics Outlook - Policy Scenarios to 2060.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Dokl M et al. (2024): Global projections of plastic use, end-of-life fate and potential changes in consumption, reduction, recycling and replacement with bioplastics to 2050. Sustainable Production and Consumption. DOI: 10.1016/j.spc.2024.09.025.
[2] OECD: Plastics use projections to 2060. Global Plastics Outlook: Policy Scenarios to 2060.
[3] Food Packaging Forum: JRC publishes case studies on single-use versus reusable packaging.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] UNEP (09.07.2024): Compilation of draft text of the international legally binding instrument on plastic pollution, including in the marine environment. Entwurf des internationalen Vertrages. abgerufen am 13.11.2024.
[II] Jambeck JR et al. (2015): Plastic waste inputs from land into ocean. Science; 347, 6223, 768-771. DOI: 10.1126/science.1260352.
[III] Boucher J et al. (2017): Primary microplastics in the oceans: a global evaluation of sources. IUCN. DOI: 10.2305/IUCN.CH.2017.01.en.
[IV] UNEP: Fifth Session (INC-5) on plastic pollution. Webseite zur finalen Verhandlungsrunde für ein internationales Plastikabkommen.
[V] Science Media Center (2023): UN-Plastikabkommen: Muss die Produktion gedrosselt werden? Statements. Stand: 02.06.2023. Statements im Vorfeld der zweiten von fünf Verhandlungsrunde im Juni 2023 zu generellen Fragestellungen eines Plastikabkommens.
Dr. Andreas Manhart
Senior Researcher im Forschungsbereich Produkte & Stoffströme, Öko-Institut e.V., Freiburg
Dr. Catharina Bening
Leiterin der Arbeitsgruppe für Nachhaltigkeit und Technologie, Department für Management, Ökonomie und Technologie, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETHZ), Zürich, Schweiz
Doris Knoblauch
Senior Fellow und Koordinatorin der Arbeitsgruppe Plastik, Ecologic Institute
Prof. Dr. Sina Leipold
Leiterin der Departments Umweltpolitik, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Leipzig, und Professorin für Umweltpolitik, Friedrich-Schiller-Universität Jena