Solarenergie: Gesetzentwurf zur Vermeidung von Stromüberschüssen
Bundestag hat Gesetz zur Vermeidung von Stromüberschüssen angenommen
darin enthalten sind Änderungen zu Vergütung und Steuerung von Solaranlagen
unabhängige Forschende: Maßnahmen können Netzstabilität erhöhen, darüber hinaus ist eine erhöhte Flexibilität zum Beispiel durch netzdienlichen Einsatz von Batteriespeichern wichtig
Stellvertretender Institutsleiter, Bereichsleiter Netzstabilität und Stromrichtertechnik, Fraunhofer Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE, Kassel
Probleme für die Netzstabilität durch Stromüberschüsse
„Die Situation ist regional in den Verteilungsnetzen dort kritisch, wo es viele Solaranlagen gibt und die Netze schwach sind. Dort kann es zu Überlastsituationen kommen – momentan aber nur zu bestimmten Zeiten. Überregional, also auf der Übertragungsnetzebene kann die Frequenz nur gehalten werden, wenn die Summenleistung der Einspeisung auch gleichzeitig verbraucht oder eingespeichert werden kann. Hier stoßen wir ohne Abregelung der Einspeisung gerade in Schwachlastzeiten bei gleichzeitig sonnigem Wetter an unsere Grenzen. Der Muttertag oder Pfingsten sind typische Tage, an dem in den vergangenen Jahren große Solarüberschüsse entstanden sind. Die Situation verschärft sich, wenn die Photovoltaikanlagen weiter zugebaut werden und nicht gleichzeitig eine Leistungsbegrenzung ermöglicht wird. Im Gesamtsystem gibt es schon heute Anlagen die abgeregelt werden können. Es kann aber passieren, dass in Teilen des Netzes so viel Strom produziert wird, dass das Netz die Leistung nicht tragen kann. Bis wir ausreichend Flexibilitäten aufgebaut haben, um die Schwankungen auszugleichen, ist es deshalb absolut wichtig, den eingespeisten Strom insbesondere aus neu zugebauten Solaranlagen begrenzen zu können. Es geht dabei um vergleichsweise kurze Phasen, in denen das Stromnetz an seine Grenzen stößt.“
Maßnahmen, die über den Entwurf hinausgehen
„Es gibt verschiedene Maßnahmen, die dabei helfen, Stromüberschüsse durch Solarenergie zu vermeiden. Eine vermehrte Anbringung von Solaranlagen in Ost-West-Ausrichtung könnte beispielsweise den Peak zur Mittagszeit reduzieren. Außerdem muss insgesamt die Flexibilität erhöht werden, um die Netzstabilität zu erhöhen. Dazu können stationäre Speicher oder die Batterien aus der E-Mobilität beitragen. Allerdings muss man beachten, dass Batteriespeicher das Netz nicht zusätzlich belasten, indem sie dann Strom einspeisen, wenn bereits viel Strom von den Solaranlagen kommt. Wir müssen beim weiteren Batteriespeicher-Ausbau außerdem darauf achten, dass sich die Batteriesysteme möglichst auch netzdienlich verhalten.“
Gefahr durch missbräuchliche Abregelung über Wechselrichter
„Grundsätzlich besteht immer die Gefahr, dass ein Akteur bösartig in den Leistungsfluss eingreift. Das kann ein Hersteller aus einem anderen Land sein, aber auch ein Cyberangriff auf einen Hersteller aus dem eigenen Land. Bei der kumulativen Steuerbarkeit gibt es die potenzielle Gefahr, dass diese missbraucht wird. Um das Risiko zu minimieren, gibt es einerseits physikalisch-technische Möglichkeiten. So kann prinzipiell vermieden werden, dass große Mengen gleichzeitig gesteuert werden können. Auch könnte man versuchen die Gleichzeitigkeit in der Fläche beziehungsweise die Abregel-Geschwindigkeit künstlich zu reduzieren – sodass im Falle eines erfolgreichen Angriffs die restlichen Anlagen im Netz beziehungsweise der Netzbetrieb ausreichend Zeit haben, um zu reagieren und stabilisierende Maßnahmen zu ergreifen. Andererseits wäre es hilfreich, die Vielfalt der Wechselrichterhersteller zu erhalten und natürlich den Schutz vor Cyberangriffen stets zu priorisieren.“
Professor für Solarökonomie, Lappeenranta University of Technology (LUT), Finnland
Überlastung der Stromnetze durch Solarenergie
„Eine belastende Situation für Stromnetze durch zu viel Solarstrom kann punktuell in lastschwachen Regionen mit viel Photovoltaik auftreten. Stromausfälle sind nicht zu erwarten, da Wechselrichter auf Frequenzabweichungen reagieren – große Anlagen mit aktiver Steuerung und kleine Anlagen mit passiver Steuerung.“
Maßnahmen, die über den Entwurf hinausgehen
„Es geht darum, Flexibilität in das System zu lassen. Flexibilität betrifft insbesondere Batteriespeicher – vom Heimspeicher bis zur Großbatterie. Besonders wichtig ist netzdienliches Laden von E-Fahrzeugen. Entsprechenden Aggregatoren sollten Steine aus dem Weg geräumt werden. Darüber hinaus ist die Kopplung von Sektoren sehr wichtig – auch im Wärmesektor. Wärmepumpen können beispielsweise auch Solarstrom aufnehmen und gegebenenfalls mit Wärmespeichern auch zwischenspeichern. Seit Jahren ist es gängige Praxis, Elektrizität in Zeiten von hohem Überfluss und sehr niedrigen Kosten direkt in Wärme umzuwandeln und in Nahwärmenetzen zu nutzen. Meist mit Speichern bis zu einigen Tagen und bislang meist mit Windkraft. Dies funktioniert technisch identisch mit Solarstrom, wobei sich die Zeiten von Stromverfügbarkeit und Bedarf saisonal nur teilweise überlappen. Neben dieser kurzfristigen Speicherung ist auch die saisonale Speicherung von Wärme für Nahwärmenetze eine wichtige Möglichkeit. Denn hiermit lässt sich Solarstrom vom Sommer effizient in den Winter schieben. In Dänemark wird dies schon länger praktiziert, in Finnland wird es gerade eingeführt.“
Institutsleiter des Instituts für Elektrische Anlagen und Netze, Digitalisierung und Energiewirtschaft, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen (RWTH)
Probleme für die Netzstabilität durch Stromüberschüsse
„Der Begriff ‚überlastete Netze‘ ist irreführend. Es geht in diesem Fall nicht darum, dass etwa Leitungen überlastet werden. Zwar ist der Netzausbau auch ein aktuelles Thema, aber hier geht es um die mangelnde Marktintegration von PV-Anlagen. Hier gibt es zwei Probleme:“
„Erstens speisen kleine PV-Anlagen nach aktuellem Regelwerk auch dann ein, wenn es keinen Abnehmer für den Strom gibt. Die Netzbetreiber nehmen heute immer den Strom kleiner PV-Anlagen gegen eine Festpreisvergütung ab und verkaufen diesen an der Börse weiter. Mit zunehmendem Überangebot an Strom bei viel Sonne und PV-Boom und gleichzeitig wenig Verbrauch werden die Netzbetreiber aber keinen Käufer für diesen Strom an der Börse finden. Sie müssten eigentlich in diesem Fall eine Einspeisung ins Netz unterbinden, so wie jede andere Erzeugungsanlage, die direkt ihren Strom an der Börse verkauft, das auch machen wird. Das können die Netzbetreiber aber zurzeit nicht verlässlich. Mit dem Gesetz werden die technischen Möglichkeiten für die Netzbetreiber geschaffen, eine Einspeisung in diesem Fall zu unterbinden.“
„Zweitens verzerrt die Marktprämie selbst bei großen PV-Anlagen eine ökonomisch sinnvolle Vermarktung in Zeiten eines Überangebots an Strom. Denn eigentlich würden Solaranlagen, die ihren Strom direkt vermarkten, bei mangelndem Vermarktungserfolg – wenn sie keinen Käufer finden – nicht einspeisen. Statt bei negativen Preisen unter 0 Euro pro Megawattstunde von einer Einspeisung abzusehen – was ökonomisch sinnvoll wäre – verkaufen große PV-Anlagen ihren Strom wegen der Marktprämie auch bei negativen Preisen, solange der Verlust durch negative Preise kleiner als die Förderung durch die Marktprämie ist. Mit dem Gesetz entfällt der Anreiz zu einem derartig ökonomisch unsinnigen Verhalten bei Stromüberangeboten.“
„Was passiert, wenn man das Problem nicht löst: Eine Überschusssituation an Strom, die größer als die für solche Fälle vorgehaltene Regelreserve ist – in Deutschland circa 2.000 Megawatt negative Reserve – kann von Netzbetreibern nur durch weitere Notfallmaßnahmen behoben werden. Dabei kann es gegebenenfalls auch zu Stromabschaltungen von Verbrauchern kommen, wenn man Stromeinspeisungen der PV-Anlagen nicht gezielt, was das Gesetz nun ermöglichen soll, sondern nur durch Abschalten von ganzen Verteilnetzen mit Erzeugungsüberschüssen unterbinden kann.“
„Die Maßnahmen des Gesetzentwurfes halte ich für geeignet, um die Netzstabilität zu erhöhen.“
Begrenzung der EEG-Fördersummen für Solarenergie
„Gewisse Einsparpotenziale werden gehoben, da eine Auszahlung von Marktprämien bei negativen Preisen nicht mehr erfolgt. Den Umfang kann ich ad hoc nicht beziffern.“
Maßnahmen, die über den Entwurf hinausgehen
„Bezüglich weiterer Maßnahmen zur Systemstabilität verweise ich auf die Roadmap Systemstabilität des BMWK. Um Fördersummen in Grenzen zu halten, sollte man nur große PV-Freiflächenanlagen fördern. Hier führen Skaleneffekte gegenüber den kleineren PV-Dachanlagen zu geringeren Fördersummen.“
Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Energy Systems and Energy Economics, Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme, Freiburg
Probleme für die Netzstabilität durch Stromüberschüsse
„Bereits 2011 warnte der damalige Präsident der Bundesnetzagentur vor einem drohenden Überangebot durch Photovoltaik an Pfingsten [1]. Die Diskussion zur Netzstabilität aufgrund eines Überangebots durch Photovoltaik ist fast so alt wie die Energiewende selbst. Bereits heute ist etwa zwei Drittel der installierten Photovoltaikleistung fernsteuerbar – entweder durch den Netzbetreiber und/oder einen Direktvermarkter. Nach den vorliegenden Daten droht in der gesamten Gebotszone kein Überangebot. In Regionen mit hoher Photovoltaik-Installation kann es jedoch lokal zu Überproduktion und einer Überlastung einzelner Netzelemente wie Transformatoren kommen. Hierfür ist es dringend notwendig, dass die Netzbetreiber die vorhandenen Fernsteuerungseinrichtungen effizient nutzen und im Ernstfall eine Abregelung vornehmen können sowie mittelfristig die Verteilnetze an den geeigneten Stellen ausbauen. Auch Batteriespeicher können hier effizient eingesetzt werden, um ein temporäres, lokales Überangebot aufzufangen.“
Maßnahmen des Gesetzentwurfs zur Netzstabilität
„Die Netzbetreiber sollten in Ausnahmefällen genügend Handlungsspielraum haben, um die Netzstabilität zu gewährleisten. Viele Maßnahmen des Gesetzentwurfs erweitern sinnvoll den Handlungsspielraum der Netzbetreiber und beheben frühere Fehler, etwa das Fehlen eines Rückkanals zur Betriebszustandsmeldung vieler Fernsteuerungseinrichtungen.“
Maßnahmen des Gesetzentwurfs zu EEG-Fördersummen
„Die aktuell geplanten Maßnahmen haben ein nur sehr geringes Potenzial zur Begrenzung der EEG-Fördersummen. Hier sollten keine falschen Erwartungen geweckt werden. Die Fördersummen sind nicht – wie vielfach angenommen – aufgrund negativer Börsenstrompreise sehr hoch, sondern weil wir es aktuell noch nicht schaffen, den zu immer längeren Zeiten reichlich zur Verfügung stehenden Strom aus Photovoltaik und Wind auch dann zu nutzen, wenn dieser zur Verfügung steht, oder zeitlich mithilfe von Batteriespeichern zu verschieben.“
Maßnahmen, die über den Entwurf hinausgehen
„Mittelfristig sollten wir nicht die Abregelung von Solar- und Windstrom als Lösung betrachten, sondern die Flexibilität des Netzes erhöhen, um möglichst viel erneuerbaren Strom zu nutzen. Gleichzeitig erlauben uns diese Flexibilitäten auch kleinere Solaranalgen ohne Fernsteuerbarkeit unproblematisch in das Energiesystem zu integrieren, ohne uns in der sehr aufwendigen Steuerung und Überprüfung von Kleinstanlagen zu verlieren.“
Gefahr durch missbräuchliche Abregelung über Wechselrichter
„Viele der Wechselrichter besitzen bereits heute eine Internetanbindung und sind insofern auch angreifbar, wenn entsprechende Steuerungs- oder Updatefunktionen vorgesehen sind. Hier ist es von sehr großer Bedeutung klare Vorgaben hinsichtlich Verschlüsselung und IT-Sicherheit vorzugeben. Die im Gesetzentwurf vorgesehene, für Anlagenbetreiber freiwillige Steuerung durch die Übertragungsnetzbetreiber über die Herstellerschnittstellen führt zu keinem zusätzlichen Sicherheitsrisiko. Es werden nur vorhandene Gefahren sichtbar, die ohnehin adressiert werden müssen. Die Verwendung dieser Schnittstellen ermöglicht eine kosteneffiziente Lösung kurz- und mittelfristig die Steuerbarkeit vieler Anlagen ohne zusätzlichen Hardwareinstallationen sicherzustellen.“
„Ich sehe keinen Interessenkonflikt meinerseits.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
„Ich habe eine Kurzstudie für den Bundesverband Solarwirtschaft e. V. (BSW) erstellt, die die Auswirkungen der geplanten Neuregelung des § 51a EEG untersucht. Diese betrifft die Verlängerung des Förderzeitraums als Ausgleich für nicht vergütete Zeiten bei negativen Börsenstrompreisen. Darüber hinaus bestehen keine Interessenkonflikte.“
Weiterführende Recherchequellen
Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (2023): Roadmap Systemstabilität.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] ntv (02.06.2011): Stromnetz leidet unter Stress.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Deutscher Bundestag: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Energiewirtschaftsrechts zur Vermeidung von temporären Erzeugungsüberschüssen. Gesetzentwurf.
[II] Deutscher Bundestag (2025): Abstimmung über mehrere energiepolitische Initiativen.
[III] Zeit Online (27.01.2025): SPD, Grüne und Union einigen sich auf Wirtschafts- und Energievorhaben.
[IV] Theurer M (16.11.2024): „Es droht Stress im Stromnetz“. Interview mit Klaus Müller. Frankfurter Allgemeine Zeitung.
[V] Enkhardt S (14.01.2025): 50 Hertz-Chef fordert dringend Verabschiedung des „Solarspitzen“-Gesetzes. Pv magazin.
Dr. Philipp Strauß
Stellvertretender Institutsleiter, Bereichsleiter Netzstabilität und Stromrichtertechnik, Fraunhofer Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE, Kassel
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich sehe keinen Interessenkonflikt meinerseits.“
Prof. Dr. Christian Breyer
Professor für Solarökonomie, Lappeenranta University of Technology (LUT), Finnland
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
Prof. Dr. Albert Moser
Institutsleiter des Instituts für Elektrische Anlagen und Netze, Digitalisierung und Energiewirtschaft, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen (RWTH)
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
Leonhard Probst
Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Energy Systems and Energy Economics, Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme, Freiburg
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe eine Kurzstudie für den Bundesverband Solarwirtschaft e. V. (BSW) erstellt, die die Auswirkungen der geplanten Neuregelung des § 51a EEG untersucht. Diese betrifft die Verlängerung des Förderzeitraums als Ausgleich für nicht vergütete Zeiten bei negativen Börsenstrompreisen. Darüber hinaus bestehen keine Interessenkonflikte.“