Semaglutid hilft nicht bei Alzheimer
Hersteller Novo Nordisk präsentiert Topline-Ergebnisse
vorangegangene Hinweise, dass Semaglutid das Fortschreiten von Alzheimer verlangsamen kann, konnte nicht bestätigt werden
Forschende bewerten das Ergebnis vorwiegend als erwartbar
Semaglutid kann das Fortschreiten von Alzheimer nicht verlangsamen. Das ist das frühzeitige Ergebnis von zwei großen, randomisierten und doppelblinden Phase-III-Studien, das vom Hersteller Novo Nordisk in einer Pressemitteilung bekannt gegeben wurde.
Vorangegangene präklinische Studien sowie Post-hoc-Analysen aus Studien zu Diabetes und Adipositas wiesen auf einen Effekt von Semaglutid auf eine Verlangsamung des Fortschreitens von Alzheimer hin.
Direktor, Institut für Diabetesforschung, Helmholtz-Zentrum München
„Es verwundert mich gar nicht, dass Semaglutid hier keine positiven Effekte auf Alzheimer zeigt, denn Semaglutid vermag nicht die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden. Es gelangt also gar nicht richtig tief in das Hirn hinein. Dies wurde unter anderem auch von Novo Nordisk schon publiziert.“
„Grundsätzlich wirkt Semaglutid auch anti-inflammatorisch. Aus diesem Grund ging man auch davon aus, dass dies zu einer Verbesserung von Alzheimer-Demenz führen kann. Obgleich dies auch schon allein durch den Gewichtsverlust möglich ist – was ja einige Studien belegen – scheint diese Studie hier dies nicht zu bestätigen. Es wäre sicher etwas anderes, wenn Semaglutid tief in das Hirn eindringen könnte, was leider jedoch nicht der Fall ist.“
Generalsekretär, Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), und niedergelassener Neurologe
Einordnung der Ergebnisse
„Das Ergebnis ist nicht ganz so überraschend, da ja die Wirkmechanismen der Substanz Semaglutid nicht primär auf die Prozesse abzielen, welche bei Alzheimer eine Rolle spielen. Bislang gibt es ja nur die Pressemeldung der Firma und wir kennen nicht die Details der Studienergebnisse. Interessant ist aber, dass es offensichtlich einen Effekt auf die Biomarker der Alzheimer-Erkrankung gegeben hat, auch wenn sich kein klinischer Effekt gezeigt hat.“
„Semaglutid ist ein GLP-1-Rezeptoragonist mit guter Wirksamkeit bei Diabetes mellitus Typ 2 und Adipositas. Beides sind Risikofaktoren für die Entwicklung einer Demenz, so dass eine Korrektur dieser Parameter präventiv wirksam sein kann.“
Unterschied der Evoke-Studien zu vorangegangenen Beobachtungsstudien
„Bei den vorliegenden Studien wurden die Auswahlkriterien für die Kollektive genau so gewählt wie bei den Amyloid-Beta-Antikörper-Studien bei Alzheimer-Demenz. Das bedeutet, es handelt sich um Personen mit milder kognitiver Einschränkung oder beginnender Demenz bei Nachweis einer Alzheimer-Pathologie. Gefäßrisikofaktoren wurden dabei nicht berücksichtigt. Wir wissen aber, dass die konsequente Korrektur von Gefäßrisikofaktoren das Alzheimer-Risiko senkt. Von daher ist es nicht überraschend, wenn die Substanz bei normgewichtigen Personen ohne Diabetes mellitus nicht wirkt. Interessant wird es sein, sich die Subgruppen in diesen beiden Studien anzusehen.”
Direktor des Instituts für kognitive Neurologie und Demenzforschung, Universitätsklinikum Magdeburg, und Leiter der Arbeitsgruppe Klinische Neurophysiologie und Gedächntis, Institute of Cognitive Neuroscience, University College London, sowie Sprecher des Standorts Magdeburg des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE)
Einordnung der Ergebnisse
„Es gab berechtigte Hoffnung, dass Glucagon-like peptide-1 Rezeptoragonisten (GLP-1-RA) durch eine Beeinflussung entzündlicher Prozesse, Nervenzell-Synapsenfunktion und möglicherweise auch vaskulärer Faktoren, das Fortschreiten der Alzheimer-Erkrankung verlangsamen können. Diese Substanzklasse hat auch unabhängig vom Gewichtsverlust einen positiven Effekt auf Entzündungsprozesse im Körper, die das Fortschreiten der Alzheimer-Erkrankung im Gehirn beeinflussen können.”
„In die Evoke- und Evoke+-Studien wurden Patienten mit klinisch bereits ausgeprägter Alzheimer-Erkrankung im Stadium einer leichten kognitiven Störung und leichten Demenz eingeschlossen.”
„Die Details der Studienresultate werden Anfang Dezember in San Diego bei der Clinical Trials in Alzheimer’s Disease (CTAD)-Konferenz präsentiert. Dann wird sich herausstellen, inwiefern das Fortschreiten der Alzheimer-Pathologie durch das Medikament beeinflusst worden ist und ob es kognitive Effekte gab, die Hoffnung machen, diese Substanzklasse weiter zu untersuchen – auch wenn diese aktuellen Studienergebnisse negativ sind.”
Weitere Auswertung
„Es gab auch bei den Amyloid-Antikörperstudien zunächst viele Rückschläge. Eine wichtige Erkenntnis aus den meisten bisher durchgeführten Studien ist, dass eine Krankheitsbeeinflussung vor allem dann gelingt, wenn die Therapie früh eingesetzt wird. Möglicherweise waren die Patienten in dieser Studie schon zu stark betroffen. Hier wird man im Detail in die Studienergebnisse schauen müssen, um zu sehen, ob bei einer Gruppe eher früh betroffener Patienten nicht doch relevante positive Effekte zu sehen sind. Das würde zumindest weitere Untersuchungen mit dieser Substanzklasse ermutigen.”
Unterschied der Evoke-Studien zu vorangegangenen Beobachtungsstudien
„Beobachtungsstudien und Daten aus der Versorgung zeigen in der Tat, dass bei Menschen mit Typ-2-Diabetes, die GLP-1-Medikamente bekamen, ein geringeres Risiko besteht, im Verlauf eine Demenzdiagnose zu bekommen. Allerdings sind diese Patienten möglicherweise klinisch weniger stark von der Alzheimer-Krankheit betroffen als die Patienten in den Evoke- und Evoke+-Studien. Diabetes ist zudem ein Risikofaktor für eine Alzheimer-Krankheit und deren Behandlung. Die resultierende metabolische Verbesserung hat möglicherweise eine Rolle in den Beobachtungsstudien gespielt, aber eben nicht bei den metabolisch gesünderen Patienten in Evoke und Evoke+. Darüber hinaus hatten diese Beobachtungsstudien das primäre Ziel, kardio-vaskuläre Erkrankungen zu untersuchen und nicht primär die Demenzentwicklung. Daher konnte auch oft nicht genau betrachtet werden, welche Form der Demenz besonders stark beeinflusst wurde – also zum Beispiel Alzheimer oder gefäßbedingte Demenz.”
„Trotzdem bleibt dies meiner Meinung nach eine wichtige Substanzklasse für die Behandlung neurodegenerativer Erkrankungen. Es muss Novo Nordisk hoch angerechnet werden, dass sie diese Studie durchgeführt haben und wir können nur hoffen, dass Industrie und akademische Forschung hier im Schulterschluss dranbleiben.”
Leiter klinische Forschung Abteilung Diabetologie, Medizinische Klinik I, St. Josef-Hospital,, Katholisches Klinikum Bochum
Einordnung der Ergebnisse
„Dies war eine Studie, deren Ergebnisse man nicht vorhersehen konnte, weil es zwar Hinweise, aber keine einheitlichen Belege gab, dass ein positiver Effekt zu erwarten war. Bei Alzheimer-Demenz ist eine große Heterogenität zu erwarten – beispielsweise aufgrund des Stadiums und der Diagnosekriterien – , soodass das Potenzial für eine eine überzeugende Wirkungen eher nicht für das ganze Spektrum zu erwarten ist.“
Möglicher Mechanismus
„Das Fehlen eines Effektes ist immer schwierig mechanistisch zu erklären, zumal die Presseerklärung zu eventuellen Trends, also Hinweisen für einen geringfügigen Effekt, der die notwendige Signifikanz nicht erreicht, nichts sagt. Hier muss man die endgültige Präsentation der Ergebnisse abwarten. Die ‚wortkarge‘ Formulierung der Presseerklärung ist bemerkenswert und ungewöhnlich.“
Unterschied der Evoke-Studien zu vorangegangenen Beobachtungsstudien
„Beobachtungsstudien zum Thema beruhen allein auf einer dokumentierten Diagnose der (Alzheimer-)Demenz. Wie die in den Studien gestellt wurde, ist nicht im Einzelnen nachzuvollziehen.“
Alle: Keine Angaben erhalten.
Weiterführende Recherchequellen
Science Media Center (2025): GLP-1-Analoga zum Abnehmen. Living Fact Sheet. Stand: 24.11.2025.
Prof. Dr. Timo Müller
Direktor, Institut für Diabetesforschung, Helmholtz-Zentrum München
Prof. Dr. Peter Berlit
Generalsekretär, Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), und niedergelassener Neurologe
Prof. Dr. Emrah Düzel
Direktor des Instituts für kognitive Neurologie und Demenzforschung, Universitätsklinikum Magdeburg, und Leiter der Arbeitsgruppe Klinische Neurophysiologie und Gedächntis, Institute of Cognitive Neuroscience, University College London, sowie Sprecher des Standorts Magdeburg des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE)
Prof. Dr. Michael Nauck
Leiter klinische Forschung Abteilung Diabetologie, Medizinische Klinik I, St. Josef-Hospital,, Katholisches Klinikum Bochum