Schilf-Glasflügelzikade als neues Schadinsekt: Einordnungen aus der Forschung
die Schilf-Glasflügelzikade breitet sich aus und nutzt zunehmend landwirtschaftliche Kulturen wie Kartoffel und Zuckerrüben als Wirtspflanzen
sie überträgt bakterielle Erreger, die Pflanzenkrankheiten verursachen und Erträge mindern
Forschende ordnen die aktuelle Ausbreitung und Bekämpfung der Zikade wissenschaftlich ein
Die Schilf-Glasflügelzikade etabliert sich zunehmend als Überträgerin von Pflanzenkrankheiten und erschließt neue Wirtspflanzen in Deutschland. Angesichts ihrer Ausbreitung warnte der Deutsche Bauernverband vor möglichen Ernteeinbußen bei Kartoffeln, Gemüse und Zuckerrüben. Bereits im Frühjahr 2025 hatte das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) zur Eindämmung der Zikade Notfallzulassungen für den zeitlich begrenzten Einsatz bestimmter Pflanzenschutzmittel für 120 Tage erteilt [I].
Die Schilf-Glasflügelzikade überträgt zwei bakterielle Erreger, die die Pflanzenkrankheiten Stolbur und SBR („syndrome basses richesses“) auslösen. Mittel zur direkten Bekämpfung der Bakterien stehen laut BVL derzeit nicht zur Verfügung. Bei Kartoffelpflanzen führen die Erreger zu kleineren und weicheren Knollen mit vermindertem Stärkegehalt. Die Erreger sind für den Menschen ungefährlich, machen die Knollen jedoch unverkäuflich und für die industrielle Weiterverarbeitung weitgehend unbrauchbar [II]. Die Übertragung der Erreger erfolgt durch erwachsene Zikaden auf oberirdischen Pflanzenteilen, aber auch durch die Nymphen, die nach der Eiablage in der Erde schlüpfen und unterirdische Pflanzenteile fressen. Inzwischen ist belegt, dass die Zikaden ihren gesamten Lebenszyklus an der Kartoffelpflanze vollziehen können [III] [IV]. Zudem erschließt die Schilf-Glasflügelzikade fortlaufend neue Wirtspflanzen [V] [VI]. Laut Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft waren in der Anbausaison 2024 etwa 85.000 Hektar Zuckerrüben und rund 22.000 Hektar Kartoffeln mit den von der Zikade übertragenen Erregern infiziert. Für die Kartoffel entspricht das rund acht Prozent der gesamten Anbaufläche in Deutschland [VII].
Leiterin des Instituts für Pflanzenschutz in Ackerbau und Grünland, Julius Kühn-Institut (JKI), Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, Braunschweig
Aktuelle Situation
„Forschung, Zulassungsbehörde, Pflanzenschutzberater und Landwirtschaft stehen vor einer absolut neuen Situation, die es so noch nicht gegeben hat. Ein heimisches Insekt, die Schilf-Glasflügelzikade, hat seine ökologische Nische verlassen und zunächst Zuckerrüben als Wirtspflanzen erschlossen und dann 2022 nachweislich einen Wirtswechsel auf die Kartoffel vollzogen. Das Insekt, welches inzwischen als Schadinsekt angesprochen werden muss, kann sich nun sowohl an Zuckerrüben als auch an Kartoffeln vollständig entwickeln und es überträgt als Vektorinsekt gleich zwei bakterielle Krankheiten.“
„Von wirtschaftlichen Verlusten sind sowohl die Zuckerrübenanbauer betroffen, als auch die verarbeitende Industrie, durch geringere Zuckermengen, aber auch durch geringere Produktionskapazitäten bei der Verarbeitung von Gummirüben. Bei Kartoffeln steigt die Befallsfläche stark an. Stärkekartoffeln sind bei Befall nicht mehr zu verarbeiten, bei Verarbeitungskartoffeln werden schwach befallene Partien teilweise beigemischt. Speisekartoffeln sind je nach Befallsgrad unterschiedlich betroffen und eingeschränkt vermarktungsfähig.“
Notfallzulassungen von Pflanzenschutzmitteln
„Es gilt nun also ein Insekt zu kontrollieren, für dessen Bekämpfung kein zugelassenes Insektizid existiert. Eine Notfallzulassung ist im wortwörtlichen Sinne genau das, der zeitlich und räumlich begrenzte Einsatz von Insektiziden in einer Notsituation, die die Pflanzenschutzdienste der einzelnen Bundesländer feststellen müssen.“
„Die zur Bekämpfung der Schilf-Glasflügelzikade erteilten Notfallzulassungen sind in ein Konzept eingebettet, das in enger Abstimmung vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit BVL, Julius Kühn-Institut (JKI) und den Pflanzenschutzdiensten der Länder entwickelt wurde. Hier muss je nach Region und Befallsgrad aber auch abhängig von Boden- und Klimaverhältnissen ein Maßnahmenkomplex greifen.“
„Der Schaden an Kartoffeln und Zuckerrüben in diesem Jahr wurde bereits durch die Larven angerichtet. Das heißt, der Effekt der Insektizide, die die erwachsenen Tiere in diesem Frühjahr getötet und somit an der Paarung und Eiablage gehindert haben, wird möglicherweise erst im nächsten Jahr sichtbar werden.“
„Die Experten, zu denen auch das JKI zählt, sind sich einig, dass Insektizidanwendungen allein das Insekt nicht an der Vermehrung und Ausbreitung hindern werden. Notfallzulassungen sind nur ein Baustein. Weitere Versuche zur Wirksamkeit einzelner Wirkstoffe, zur Wirksamkeit von Spritzfolgen und zu Anwendungszeitpunkten sind dringend notwendig, um die Potenziale von Insektizidmaßnahmen als Bekämpfungsbaustein abschließend zu bewerten.“
Zusätzliche Maßnahmen
„Vorweg: Eine vollständige Bekämpfung der Schilf-Glasflügelzikade und eine Tilgung der Erreger sind nicht möglich. Ziel aller Maßnahmen bleibt die deutliche Reduktion der Schäden.“
„Aufgrund des sehr langen Zeitraums des Zikadenzuflugs und der gleichzeitig schnellen Übertragung der Erreger kann die rasante Ausbreitung dieses Schaderregerkomplexes nur durch einen integrativen Ansatz, der alle Instrumente des Integrierten Pflanzenschutzes – wie Fruchtfolge, pflanzenbauliche Maßnahmen und Insektizideinsatz - vereint, gebremst werden.“
„Neben der konkreten Schadensbegrenzung ist auch die langfristige Strategie von großer Bedeutung. Das JKI forscht intensiv an verschiedenen biologischen und pflanzenbaulichen Ansätzen zur Bekämpfung der Zikade und ihrer Erreger – unter anderem an Fangpflanzen, Lock- und Repellentstoffen (Duftstoffe, die Insekten abschrecken; Anm. d. Red.), entomopathogenen Pilzen (Pilze, die bei Insekten Krankheiten verursachen; Anm. d. Red.) sowie den Züchtungsgrundlagen für die Entwicklung resistenter Sorten. Gleichzeitig werden Monitoring- und Diagnosesysteme gemeinsam mit den Pflanzenschutzdiensten der Bundesländer weiterentwickelt. In Modellregionen, zum Beispiel in der Elbaue in Sachsen-Anhalt, werden integrierte Ansätze gemeinsam mit der Praxis erprobt und wissenschaftlich begleitet.“
„Es gibt erste Erkenntnisse aus Modellregionen, dass eine Fruchtfolge ohne Wintergetreide nach Rüben oder Kartoffeln die Zahl der Schilf-Glasflügelzikaden deutlich verringern kann. Das könnte eine kurzfristig wirksame Bekämpfungsmöglichkeit in betroffenen Gebieten sein. Nach heutigem Wissen ist eine sogenannte Schwarzbrache – also ein Acker, der nach der Ernte der Hauptkultur bis zum nächsten Frühjahr ohne Bewuchs bleibt – dabei am effektivsten.“
Schädlingsdynamik
„Tatsächlich schauen wir hier einem Insekt bei seiner Evolution zu. Das ist aus wissenschaftlicher Sicht spannend, für die Landwirtschaftliche Praxis jedoch frustrierend, weshalb das Thema von Politik und Gesellschaft gleichermaßen ernst genommen werden muss. Es geht um Arbeitsplätze und den Verdienst in der Landwirtschaft und der verarbeitenden Industrie und letztlich darum, dass heimische Produkte knapp und teuer werden können.“
„Der Erstnachweis der Krankheiten und auch die großen Befallsgebiete ackerbaulicher Kulturen liegen in wärmebegünstigten Lagen Süddeutschlands und der Elbaue. Von dort aus breiten sich die großen Schilf-Glasflügelzikadenpopulationen und die mit ihr assozierten Bakterien-Krankheiten weiter aus. Die Lebensweise der Schilf-Glasflügelzikade zeigt einen klaren Zusammenhang zwischen Temperatur und Flugaktivität. Ist eine gewisse Temperatur-Schwelle im Jahresverlauf erreicht, fliegen die Tiere aus den Überwinterungsbeständen aus und suchen andere passende Wirtspflanzen zur Paarung und Eiablage. Dies ließ sich durch die intensiven Monitoringaktivitäten in der Zuckerrübe und Kartoffel deutlich zeigen.“
„Um die Ausbreitung zu überwachen, ist ein bundesweit abgestimmtes Monitoring zwischen JKI, Pflanzenschutzdiensten der Länder und den Anbauverbänden eingerichtet worden. Die Ergebnisse werden wöchentlich gesichtet und Maßnahmen eng zwischen allen Beteiligten abgestimmt.“
„Vor diesem Hintergrund wurden die Anbaugebiete, in Abstimmung zwischen den Pflanzenschutzdiensten der Länder, bundesweit in drei Befallsregionen eingeteilt: Hot-Spot-Regionen, Übergangsregionen und Grenzregionen. Diese Klassifizierung dient der abgestimmten Ableitung differenzierter Pflanzenschutzstrategien zum Schutz der Kulturen vor der Schilf-Glasflügelzikade und den von ihr übertragenen Erregern.“
„Da sich aus den Monitoringdaten derzeit keine festen Bekämpfungsschwellen ableiten lassen, erfolgt die Ableitung geeigneter Maßnahmen vorrangig auf Basis der regionalen Befallsausbreitung und der amtlichen Erregernachweise der Pflanzenschutzdienste der Länder.“
Übertragung auf andere landwirtschaftliche Kulturen
„Die Schilf-Glasflügelzikade ist polyphag (hat ein breites Nahrungsspektrum; Anm. d. Red.) und für ihren Lebenszyklus nicht auf eine bestimmte Kultur angewiesen. Daher ist ein Ausweichen beziehungsweise eine Ausbreitung auf weitere Kulturen nicht ausgeschlossen. Durch die hohen Populationen der Schilf-Glasflügelzikade ist auch in den kommenden Jahren mit Befall in bereits heute betroffenen Kulturen zu rechnen. Inwieweit weitere Kulturen betroffen sein werden, hängt maßgeblich von der Größe der Population der Schilf-Glasflügelzikade und von der weiteren Anpassung des Insekts an neue Wirtspflanzen ab.“
Leiter der Abteilung Agrarentomologie, Department für Nutzpflanzenwissenschaften, Georg-August-Universität Göttingen
Auf die Frage, inwiefern die Schilf-Glasflügelzikade mit den aktuell zugelassenen Insektiziden im Rahmen der 120-Tage-Notfallzulassungen effektiv bekämpft werden kann:
„Ich denke, es ist noch zu früh, um das beurteilen zu können, da es kaum Daten gibt. Das Problem ist die lange Zeitperiode, in der die Zikade in die Felder einfliegt. Diese könnte es notwendig machen, das Insektizid häufig auszubringen. Ein Versuch der KWS (Pflanzenzüchtungsunternehmen; Anm. d. Red.) hat jedoch gezeigt, dass es ausreichen könnte, die Zuckerrüben zu einem frühen Zeitpunkt mit Insektiziden gegen die Zikade zu schützen. Selbst wenn die Pflanzen in späteren Wochen infiziert werden, wirkt sich das weniger stark auf den Ertrag aus.“
Schädlingsdynamik
„Die Zikade hat sich im süddeutschen Raum sowie in Teilen Ostdeutschlands sehr schnell verbreitet. Im westlichen Teil Norddeutschlands ist sie hingegen kaum über Hessen hinausgekommen. Die Gründe dafür sind nicht geklärt. Möglicherweise entwickelt sie sich in den wärmeren Regionen besser.“
„Ich gehe davon aus, dass der Befall weiterer Kulturpflanzen ein Spill-over-Effekt ist. Die Insekten haben sich massenhaft auf der Zuckerrübe entwickelt und dann vermutlich damit begonnen, benachbarte Pflanzen zu nutzen. Aus unseren eigenen Versuchen wissen wir, dass sie sich besonders von Zuckerrüben ernähren können, während die anderen Wirtspflanzen zunächst weniger gut geeignet sind. Eine Hypothese, warum sich die Zikade besonders gut auf der Zuckerrübe entwickelt, könnte damit zusammenhängen, dass das symbiontisch im Insekt lebende Bakterium Candidatus Arsenophonus phytopathogenicus plötzlich pflanzenpathogen geworden ist und den Metabolismus der Pflanze so verändert, dass sie eine bessere Nahrungsressource für die Zikade darstellt. Ähnliches ist von Blattläusen bekannt, die Viren übertragen. Eine viruserkrankte Zuckerrübe stellt ebenfalls einen besseren Wirt für das Insekt dar.“
Weitere Maßnahmen
„Die Vermeidung von Winterweizenanbau nach Zuckerrüben und eine längere Brache bis April stellen bisher die beste Bekämpfungsmethode dar [1]. Allerdings ist dies für die Landwirte nicht besonders attraktiv. Daher suchen wir nach Zwischenfrüchten, die von der Zikade nicht als Wirte genutzt werden können. Die Zikade hat zwar natürliche Feinde, deren Effekt auf die natürliche Population ist jedoch kaum erforscht. Wir experimentieren im Labor mit insektenpathogenen Pilzen und Fadenwürmern und konnten zeigen, dass diese die Zikade infizieren. Allerdings ist ihr Wirkungsgrad bisher noch begrenzt. Welche räuberischen oder parasitischen Insekten die Zikade befallen, ist noch unbekannt.“
„Die Universität Regensburg forscht im Rahmen eines Projekts an dsRNA (doppelsträngige Ribonukleinsäure; Anm. d. Red.) gegen die Zikade. Eine Herausforderung hierbei ist, dass die dsRNA in die Zikade gelangen muss, um wirksam zu werden. Da die Zikade Phloemsaft (Pflanzensaft; Anm. D. Red.) saugt, kann die dsRNA ihr jedoch vermutlich nicht über eine Sprühapplikation verabreicht werden. Am effektivsten wäre eine transgene Pflanze, die die tödliche dsRNA exprimiert (die genetische Information für die dsRNA ist im Genom der Pflanze eingebaut, wird abgelesen und in die dsRNA umgewandelt; Anm. d. Red.). Allerdings sind genveränderte Pflanzen in Deutschland wenig populär.“
Implikationen für die mediale Berichterstattung
„Es ist wichtig, zwischen experimentell gesicherten Erkenntnissen und Behauptungen, die von irgendjemandem in die Welt gesetzt und dann unkritisch weiterverbreitet wurden, zu unterscheiden. So wurde beispielsweise vor einiger Zeit noch behauptet, die Schilf-Glasflügelzikade sei ein nach Deutschland eingeschlepptes, invasives Insekt, das vom Klimawandel profitiere. Ersteres ist falsch, denn die Art ist bei uns heimisch. Für die zweite Aussage gibt es keine Daten.“
Leiter des Institutsteils Bioressourcen im Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie, Gießen, und Direktor im Institut für Insektenbiotechnologie der Justus-Liebig-Universität Gießen
Notfallzulassungen von Pflanzenschutzmitteln
„Durch die Lebensweise der Zikaden gestaltet sich eine Bekämpfung mit Insektiziden nicht einfach: Denn die Zikaden fliegen über mehrere Wochen von anderen Feldern in die Rüben- und Kartoffelfelder ein, sodass der Landwirt mehrmals Insektizidbehandlungen durchführen muss. Weiterhin sind die Zikaden sehr effektive Überträger der Krankheitserreger, sodass bereits ein kurzes Zeitfenster ausreichend für eine Infektion der Pflanzen ist. Ein wichtiger Faktor ist daher der richtige Zeitpunkt der Insektizidbehandlungen im Zusammenspiel mit passender Witterung.“
Schädlingsdynamik
„In den vergangenen Jahren kam es zu einer starken Ausbreitung der Schilf-Glasflügelzikade in neue Anbaugebiete, sodass mittlerweile fast alle Bundesländer betroffen sind. Die Hotspots des Zikadenbefalls liegen vor allem in Rheinland-Pfalz und Hessen am Rhein, sowie in Baden-Württemberg, Bayern, Sachsen-Anhalt und Sachsen. Die Daten der vergangenen Jahre weisen auf eine Zunahme der Populationen am Rand der Befallsgebiete hin, eine genaue Prognose der weiteren Ausbreitung und der Auswirkungen auf die Erträge ist jedoch nicht möglich.“
Zusätzliche Maßnahmen
„Die Zikadenpopulation kann reduziert werden, wenn im Folgejahr statt Wintergetreiden Sommerkulturen, wie beispielsweise Mais oder Soja angebaut werden. Dadurch fehlt den Zikaden bei der Überwinterung die Nahrungsgrundlage und im nächsten Sommer fliegen weniger Zikaden aus. In den Feldern finden sich zahlreiche natürliche Feinde der Schilf-Glasflügelzikade, wie zum Beispiel Webspinnen, Laufkäfer und Nematoden, aber auch Pilze und weitere Mikroorganismen. Eine Förderung dieser natürlichen Gegenspieler kann einen wesentlichen Beitrag bei der Bekämpfung der Zikaden leisten.“
„Gegenwärtig arbeiten wir intensiv an der RNA-Interferenz, das heißt wir entwickeln ein auf doppelsträngiger RNA basierendes Spray, mit dem artspezifisch und umweltfreundlich die Schilf-Glasflügelzikade bekämpft werden kann.”
“Des Weiteren konnten bereits resistente Pflanzen gezüchtet werden, jedoch benötigen neue Sorten Zeit, die Entwicklung der Krankheit hingegen ist sehr dynamisch. Neben der Züchtung können die Pflanzen nur durch eine Bekämpfung der Zikaden als Überträger geschützt werden.“
Dieses Statement entstand in Zusammenarbeit mit Herrn Andre Rinklef, der gemeinsam mit Herrn Vilcinskas am Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie in Gießen tätig ist.
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Die Schilf-Glasflügelzikade (Pentastiridius leporinus) ist ein heimisches, flugfähiges Insekt, das als Überträgerin zweier Krankheitserreger auf landwirtschaftliche Kulturen fungiert. Bei den Erregern handelt es sich um das Proteobakterium Candidatus Arsenophonus phytopathogenicus und das Phytoplasma Candidatus Phytoplasma solani. Letzteres ist ein zellwandloses Bakterium, dessen Genom bereits vollständig entschlüsselt wurde [VIII] [IX]. Die Schilf-Glasflügelzikade überträgt die Erreger während ihrer zwei- bis dreimonatigen Flugzeit im Früh- und Hochsommer auf landwirtschaftliche Kulturen. Diese Flugzeit endet in der Regel im August. Weibliche Zikaden legen ihre Eier im Boden an den Pflanzen ab. Die Nymphen ernähren sich an den unterirdischen Pflanzenteilen und Wurzeln. Sie überdauern den Winter im Boden und ernähren sich nach der Aussaat von Wintergetreide an dessen Wurzeln, ohne dabei die bakteriellen Erreger auf die Getreidepflanzen zu übertragen [X]. Im darauffolgenden Frühjahr entwickeln sich die Nymphen zu adulten Tieren und fliegen aus. Warme, trockene Sommer und milde Winter begünstigen das Überleben und die Vermehrung der Zikaden. Ursprünglich lebte die Schilf-Glasflügelzikade vor allem an Schilf und anderen Uferpflanzen, inzwischen nutzt sie jedoch auch landwirtschaftliche Kulturen wie Zuckerrüben, Kartoffeln und verschiedene Gemüsearten als Wirtspflanzen.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Pfitzer R et al. (2024): Effects of succession crops and soil tillage on suppressing the syndrome ‘basses richesses’ vector Pentastiridius leporinus in sugar beet. Pest Management Science. DOI: 10.1002/ps.8041.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (2025): BVL ermöglicht Bekämpfung von Glasflügelzikaden als Überträger bakterieller Krankheitserreger in Kartoffeln. Fachmeldung. Stand: 23.04.2025.
[II] Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat (2025): Schilf-Glasflügelzikade als Überträger bakterieller Krankheitserreger. Artikel. Stand: 23.04.2025.
[III] Therhaag E et al. (2024): Pentastiridius leporinus (Linnaeus, 1761) as a vector of phloem-restricted pathogens on potatoes: ‘Candidatus Arsenophonus Phytopathogenicus’ and ‘Candidatus Phytoplasma Solani’. Insects. DOI: 10.3390/insects15030189.
[IV] Behrmann SC et al. (2023): Potato (Solanum tuberosum) as a new host for Pentastiridius leporinus (Hemiptera: Cixiidae) and Candidatus Arsenophonus Phytopathogenicus. Insects. DOI: 10.3390/insects14030281.
[V] Lang C et al. (2025): Pentastiridius leporinus as a plant disease vector: The practical state of knowledge and derived research objectives. Sugar Industry International. DOI: 10.36961/si33023.
[VI] Therhaag E et al. (2024): Onion (Allium cepa) as a new host for ‘Candidatus Arsenophonus phytopathogenicus’ in Germany. Plant disease. DOI: 10.1094/PDIS-03-24-0526-PDN.
[VII] Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (2024): Erntebericht 2024 – Mengen und Preise.
[VIII] Toth R et al. (2024): The complete genome sequence of the stolbur pathogen “Candidatus Phytoplasma solani” from Pentastiridius leporinus. Microbiology Resource Announcements. DOI: 10.1128/mra.00640-24.
[IX] EPPO (2025): 'Candidatus Phytoplasma solani'. EPPO datasheets on pests recommended for regulation. Stand: 10.06.2025.
[X] Bundesinformationszentrum Landwirtschaft (2025): Neue Strategien gegen die Schilf-Glasflügelzikade und die Rübenkrankheit SBR. Artikel. Stand: 10.06.2025.
Dr. Sabine Andert
Leiterin des Instituts für Pflanzenschutz in Ackerbau und Grünland, Julius Kühn-Institut (JKI), Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, Braunschweig
Prof. Dr. Michael Rostás
Leiter der Abteilung Agrarentomologie, Department für Nutzpflanzenwissenschaften, Georg-August-Universität Göttingen
Prof. Dr. Andreas Vilcinskas
Leiter des Institutsteils Bioressourcen im Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie, Gießen, und Direktor im Institut für Insektenbiotechnologie der Justus-Liebig-Universität Gießen