Risiko von Herzfehlern nach natürlicher und künstlicher Befruchtung
große skandinavische Studie untersucht Rate an angeborenen Herzfehlern bei über sieben Millionen Neugeborenen
angeborene Herzfehler traten häufiger nach Einsatz assistierter Reproduktionstechniken auf
unabhängige Expertinnen und Experten begrüßen die Studienergebnisse und betonen den Vorteil von Einzelembryonenübertragung bei künstlicher Befruchtung
Wie ist die Rate angeborener Herzfehler bei Neugeborenen, die mit assistierten Reproduktionstechniken gezeugt wurden, im Vergleich zu der Gruppe natürlich gezeugter Neugeborener? Damit hat sich eine in Skandinavien groß angelegte Studie befasst, die im Fachblatt „European Heart Journal“ erschienen ist (siehe Primärquelle).
Leiter der Abteilung für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, Universitätsspital Bern, Schweiz
Zur Methodik
„Es handelt sich um eine große multinationale Registerstudie. Die Daten bestätigen das bereits zuvor in Studien gezeigte erhöhte Risiko für kardiale Fehlbildungen. In einem systematischen Review [1] wurden bereits die zu dieser Zeit bekannten Studienergebnisse dargestellt. Die Untersuchung von 25.000 ART-Kindern versus 287.000 Kindern nach Spontankonzeption (insgesamt acht Studien) zeigte eine Risikoerhöhung einer odds-ratio von 1,45 mit einem 95-prozentigen Konfidenzintervall von 1,20 bis 1,76 (bei der odds-ratio bedeutet ein Wert größer eins, dass die Chancen der ersten Gruppe größer sind; Anm. d. Red.).“
„Das Problem in dieser Studie ist der lange Auswertungszeitraum. So hat sich beispielsweise das Risiko für eine ART-bedingte Erhöhung für einen erhöhten Blutdruck seit 2000 verringert [1].“
Bedeutung der Ergebnisse
„Die erhöhte Prävalenz (der angeborenen Herzfehler; Anm. d. Red.) ist eindeutig. Allerdings ist die Risikoerhöhung in absoluten Zahlen gering.“
Mögliche Ursachen für häufigere angeborene Herzfehler
„Die Ursachen sind unklar. Möglicherweise liegt es an epigenetischen Modifikationen bei der ART-Therapie, insbesondere der Fertilisierung in vitro und der Embryokultur [1]. Das erhöhte Risiko bei Zwillingen ist auch nicht wirklich erklärbar. Hier ist eine Vielzahl möglicher Ursachen denkbar, die aber alle rein hypothetischer Natur sind.“
Implikationen der Studienergebnisse
„Wie schon in dem Ärzteblattartikel als Schlussfolgerung gesagt: Die Risiken sind gering, aber gegeben. Deswegen sollte eine ART-Therapie nur nach Ausschöpfung konservativer Therapien durchgeführt werden (beispielsweise Stimulation der Eierstöcke mit niedrigdosierten Hormonpräparaten; Anm. d. Red.).“
Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe, Schwerpunkt Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, Facharztzentrum für Kinderwunsch, pränatale Medizin, Endokrinologie und Osteologie, amedes fertility Hamburg Barkhof, Hamburg
Zur Methodik
„Das ConARTas-Register der nordischen europäischen Länder gilt als eines der bedeutendsten Studienkollektive zur Einschätzung gesundheitlicher Risiken bei den Nachkommen einer assistierten Reproduktion. Die Studiengruppe hat hierzu bereits eine relevante Anzahl qualitativ hochwertiger Publikationen erstellt. Eine Erhöhung kongenitaler Fehlbildungen am Herzen sowie auch insgesamt leicht erhöhte Fehlbildungsrate nach assistierter Reproduktion ist seit vielen Jahren bekannt, auch aus anderen Studienkollektiven. Das absolute Risiko ist aber gering. Zudem ist dieses Risiko auch nach spontaner Konzeption vorhanden, wenn auch in geringerem Maße. Das Studiendesign überzeugt durch die hohe Zahl von ausgewerteten Geburten von über sieben Millionen. Als typische Registerstudie hat sie aber den Nachteil, dass sie keine Rückschlüsse auf die Kausalität erlaubt.“
Bedeutung der Ergebnisse
„Es handelt sich um eine klinisch relevante Risikozunahme bei jedoch insgesamt relativ niedriger Prävalenz der Erkrankung. Werden 1000 Kinder geboren, so tritt eine Auffälligkeit bei 18 Kindern nach Einsatz von ART auf, gegenüber elf nach spontaner Empfängnis geborenen Kindern. Das Auftreten im Zusammenhang mit einer genetischen Auffälligkeit war dabei vergleichbar zwischen den beiden Gruppen. Es ist hervorzuheben, dass das Risiko insbesondere durch das Vorliegen einer Mehrlingsschwangerschaft erhöht wurde.“
Mögliche Ursachen für häufigere angeborene Herzfehler
„Eine Aussage zur Kausalität ist anhand dieser Studie nicht möglich. Mehrlingsschwangerschaften sind aber allgemein mit erhöhten Risiken in der Schwangerschaft und für die Kinder verbunden. Die fehlenden Unterschiede zwischen verschiedenen Methoden der assistierten Reproduktion (IVF oder Intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI)) beziehungsweise auch der Durchführung frischer oder nach Einfrieren durchgeführter Embryotransfere ist mit Vorsicht zu interpretieren (die Studie untersucht auch die Auswirkungen verschiedener Methoden von ART auf die Rate der angeborenen Herzfehler, Anm. d. Red.). Dies gilt, weil insbesondere in der Indikationsstellung sowie auch der Häufigkeit der Anwendung von Kryokonservierungsverfahren die stärksten Unterschiede über die Studienzeit ergeben haben dürften.“
Implikationen der Studienergebnisse
„Eine erhöhte kindlich Fehlbildungsrate ist bereits Teil der Aufklärung vor einer assistierten Reproduktion. Da die weit überwiegende Mehrzahl der Kinder nach assistierter Reproduktion gleichermaßen wie nach einer spontanen Empfängnis gesund geboren werden, gilt es auf eine vorausgegangene assistierte Reproduktion als möglichen Risikofaktor in der Schwangerschaft hinzuweisen und damit das Angebot vorgeburtlicher Untersuchungen mit dem Ziel einer verbesserten Versorgung unmittelbar zur Geburt zu ermöglichen. Für die Reproduktionsmedizin und die in Deutschland bestehenden regulatorischen Strukturen sind diese Daten ein starker zusätzlicher Appell zur Vermeidung von Mehrlingsschwangerschaften durch eine überwiegende Strategie des Single-Embryo-Transfers.“
Ärztlicher Leiter der universitären Kinderwunschzentren Lübeck und Manhagen, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein
Bedeutung der Ergebnisse
“Die skandinavische Arbeitsgruppe bestätigt an einem großen und robusten Datensatz bereits lange bekannte Erkenntnisse: Kinder, die durch assistierte Reproduktionstechnologien (ART) gezeugt wurden, zeigen erhöhte Raten von Fehlbildungen. Die absoluten Risikosteigerungen sind jedoch gering und können nicht überzeugend kausal auf den Einsatz der ART-Technologien zurückgeführt werden.“
„Die vorliegende Arbeit beschreibt nun eine Risikoerhöhung spezifisch für Herzfehler – mit die häufigsten schweren Fehlbildungen beim Menschen. Die aus meiner Sicht entscheidenden Zahlen sind bei den Einlingskindern zu suchen. Bei Einlingen, die durch ART gezeugt wurden, lag die Rate schwerer angeborener Herzfehler bei 1,62 Prozent im Vergleich zu 1,11 Prozent bei spontan gezeugten Einlingen (Risikoerhöhung um das 1,19-Fache, 95-prozentiges Konfidenzintervall 1,14 bis 1,24). Bei schweren Herzfehlern betrug die Rate 0,31 Prozent bei ART-Einlingen gegenüber 0,25 Prozent bei SC-Einlingen (spontaneous conception-Einlinge, Einlinge aus natürlicher Befruchtung; Anm. d. Red.) (Risikoerhöhung um das 1,20-Fache, 95-prozentiges Konfidenzintervall 1,09 bis 1,33).“
Implikationen der Studienergebnisse
„Diese Risikoerhöhungen sind im Einklang mit der bisherigen Literatur. Die vorliegende Studie zeigt also kein neues ‚Risikosignal‘. In absoluten Zahlen sind alle maternalen und fetalen/neonatalen Risiken deutlich erhöht bei Zwillingen und höhergradigen Mehrlingen im Vergleich zur geschätzten Risikoassoziation im Rahmen der eigentlichen ART-Behandlung. Aus diesem Grund streben wir Reproduktionsmediziner seit Jahren den Single-Embryo-Transfer an, um somit die Entstehung von Einlingsschwangerschaften durch ART zu fördern. Ob die ART-Behandlung kausal Fehlbildungen auslöst, oder infertile Paare erhöhte inherente Risiken in die ART-Behandlung ‚mitbringen‘, kann nicht abschließend geklärt werden. Entscheidend ist, dass die ganz überwiegende Mehrzahl der nach ART gezeugten Kinder gesund ist.“
„Ich bin aktuelle Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin und erhalte Vortragshonorare in diesem Bereich. Des Weiteren bin ich Ko-Autorin der deutschen ICSI-Follow-up-Studie III (Publikationen 2020-23).“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Primärquelle
Sargisian N et al. (2024): Congenital heart defects in children born after assisted reproductive technology: a CoNARTaS study. European Heart Journal. DOI: 10.1093/eurheartj/ehae572.
Weiterführende Recherchequellen
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] von Wolff M et al. (2020): In Vitro Fertilization Technology and Child Health. Deutsches Ärzteblatt. DOI: 10.3238/arztebl.2020.0023.
Prof. Dr. Michael von Wolff
Leiter der Abteilung für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, Universitätsspital Bern, Schweiz
Prof. Dr. Barbara Sonntag
Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe, Schwerpunkt Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, Facharztzentrum für Kinderwunsch, pränatale Medizin, Endokrinologie und Osteologie, amedes fertility Hamburg Barkhof, Hamburg
Prof. Dr. Georg Griesinger
Ärztlicher Leiter der universitären Kinderwunschzentren Lübeck und Manhagen, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein