Risiko für Lungenerkrankungen durch E-Zigaretten nicht belegt
Mitte Dezember machte eine Studie Schlagzeilen, die zu dem Schluss kam, der Konsum von E-Zigaretten alleine erhöhe das Risiko für schwerwiegende Lungenerkrankungen wie chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD), chronischer Bronchitis oder Asthma um ein Drittel. Jedoch weist die Studie von Dharma N. Bhatta und Stanton A. Glantz, die am Montag, den 16. Dezember 2019, im „American Journal of Preventive Medicine“ (siehe Primärquelle) publiziert wurde, starke Limitationen auf, die die Aussagekraft der Ergebnisse in Frage stellen.
Leiterin der Stabsstelle Krebsprävention, anerkanntes WHO-Kollaborationszentrum für Tabakkontrolle, Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ), Heidelberg
„Grundsätzlich sind prospektive Kohortenstudien, das heißt Studien, die ein Kollektiv von gesunden Personen über einen längeren Zeitraum hinsichtlich des Auftretens von Erkrankungen untersucht, geeignet, um die mit E-Zigaretten verbundenen Gesundheitsgefahren zu analysieren. Solche Langzeitstudien fehlen bislang weitgehend und sind daher von großem Interesse, insbesondere, da Tier- und Zellstudien sowie Kurzzeitstudien am Menschen nahelegen, dass E-Zigaretten langfristig Risiken für Herz-Kreislaufsystem und Lunge mit sich bringen könnten.“
„Die vorliegende Studie von Bhatta et al. hat ein solches Studiendesign nun verwendet, um den Zusammenhang zwischen E-Zigarettenkonsum und chronischen Lungenerkrankungen (COPD, chronische Bronchitis, Lungenemphysem und Asthma) zu untersuchen. Personen, die zu Studienbeginn keine ärztliche Diagnose über eine der genannten Lungenerkrankungen berichteten, wurden über drei Jahre beobachtet und wiederholt dahingehend befragt, ob zwischenzeitlich eine solche Erkrankung diagnostiziert wurde. Das Problem dabei: Chronische Lungenerkrankungen entwickeln sich über viele Jahre und zum Teil über Jahrzehnte. Darüber hinaus ist der Diagnosezeitpunkt in der Regel nicht übereinstimmend mit dem tatsächlichen Krankheitsbeginn, da bisweilen Jahre vergehen, bis eine bestehende Erkrankung auch tatsächlich diagnostiziert wird. Es ist daher höchst wahrscheinlich, dass Erkrankungen, die im Laufe des Beobachtungszeitraums diagnostiziert wurden, bereits vor Studienbeginn bestanden haben, möglicherweise gar bevor E-Zigaretten überhaupt auf den Markt kamen. Die zeitliche Zuordnung der im Beobachtungszeitraum neu diagnostizierten Lungenerkrankungen zum E-Zigarettenkonsum bei Studienbeginn ist dadurch höchst fragwürdig.“
„Die Studie findet darüber hinaus deutliche Hinweise darauf, dass Personen mit Lungenerkrankungen mit höherer Wahrscheinlichkeit von herkömmlichen Zigaretten auf E-Zigaretten umsteigen als Personen ohne Lungenerkrankungen. Dies könnte möglicherweise gar auf ärztliche Empfehlung erfolgt sein – einige Studien deuten darauf hin, dass es bei bestehender COPD besser ist, auf E-Zigaretten umzusteigen als weiter die deutlich schädlicheren Tabakzigaretten zu rauchen. Die kausale Interpretation der Studienergebnisse durch die Autoren, dass E-Zigaretten ein Risikofaktor für Lungenerkrankungen sind, ist dadurch jedoch fragwürdig. Denn tatsächlich lässt sich der gefundene Zusammenhang zwischen E-Zigaretten und Lungenerkrankungen auch dadurch erklären, dass E-Zigarettenkonsum die Folge bereits bestehender Lungenprobleme ist, die wiederum durch das vorherige Rauchverhalten verursacht wurden.“
„Und hier kommt ein weiteres Problem ins Spiel. Da die große Mehrheit der E-Zigarettennutzer aktuelle oder ehemalige Raucher sind, muss man das frühere Rauchverhalten statistisch herausrechnen, um den Effekt der E-Zigarettennutzung vom früheren Raucherhalten trennen zu können. Die Studie macht dies aber nur sehr unvollständig – so wurde nur der aktuelle Tabakkonsum herausgerechnet, nicht aber die Dauer und Menge des früheren Tabakkonsums. Da denkbar ist, dass insbesondere langjährige, schwere Raucher auf E-Zigaretten wechseln, dies aber in der Studie nur unvollständig herausgerechnet wurde, besteht die Möglichkeit, dass das Risiko für Atemwegserkrankungen, das dem E-Zigarettenkonsum zugeschrieben wird, tatsächlich teilweise oder gar vollständig auf das frühere Rauchverhalten zurückzuführen ist.“
„Einige dieser methodischen Limitationen werden in der Studie selbst zwar erwähnt, aber nicht hinreichend kritisch diskutiert und auch nicht hinreichend in der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigt. Alles in allem ist aufgrund der gravierenden methodischen Schwachpunkte der Studie davon auszugehen, dass der in der Studie gemessene Effekt der E-Zigarettennutzung auf Lungenerkrankungen, der im Übrigen deutlich geringer ist als der Effekt des Rauchens, tatsächlich überschätzt ist und in Teilen, wenn nicht gar vollständig, auf das frühere Rauchverhalten der E-Zigarettennutzer zurückzuführen ist.“
„Grundsätzlich sind prospektive Kohortenstudien dieser Art zu begrüßen. Doch bei einem solch sensiblen Thema, das erhebliche Implikationen für die Risikokommunikation und die Gesundheit von Millionen Rauchern und E-Zigarettennutzern hat, müssen epidemiologische Methoden sorgfältig angewandt und ein hoher wissenschaftlicher Standard eingehalten werden. Dies ist in der vorliegenden Studie nicht der Fall – damit schadet sie auch der Glaubwürdigkeit der Gesundheitswissenschaften.“
Professor für Suchtforschung und klinische Epidemiologie, Institut für Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Düsseldorf
„Die Studie hat gravierende methodische Mängel, und die Schlussfolgerung, dass der Konsum von E-Zigaretten Lungenerkrankungen wie COPD, chronische Bronchitis, und Emphysem verursacht, ist falsch.“
„Die größte methodische Schwäche der Studie besteht darin, dass die untersuchten Lungenerkrankungen COPD, chronische Bronchitis, und Emphysem oft erst nach jahrzehntelanger schädigender Belastung klinisch sichtbar werden [1]. Die Studie hatte aber nur einen Beobachtungszeitraum von zwei bis drei Jahren und hat die Dosis der Belastung durch E-Zigaretten nicht erfasst. Dies macht einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Konsum von E-Zigaretten und dem Auftreten dieser Erkrankungen unglaubwürdig.“
„Das Rauchen von Tabak ist der wichtigste Risikofaktor für die Entstehung von COPD, chronischer Bronchitis und Emphysem. Die Ergebnisse der Studie lassen sich demnach so erklären, dass langjährige Raucher*innen aufgrund ihrer Lungenprobleme die E-Zigarette nutzen, um das Tabakrauchen zu reduzieren oder ganz damit aufzuhören. Es besteht also ein umgekehrt kausaler Zusammenhang.“
„Tabakraucher*innen sollten sich durch die irreführenden Ergebnisse dieser Studie und die unreflektierte Berichterstattung nicht verunsichern lassen: E-Zigaretten sind nach wie vor wesentlich weniger schädlich als Tabak und helfen bei der Tabakentwöhnung.“
Direktorin des Programmbereich Asthma & Allergie, Forschungszentrum Borstel, Leibniz Lungenzentrum, Borstel
„Die Studie ist mit über 32.000 Personen sehr groß und legt nahe, dass E-Zigaretten die Gefahr für Lungenerkrankungen steigern. Allerdings wurden sowohl der (E)-Zigarettenkonsum als auch die Berichte über respiratorische Krankheiten über Fragebögen erhoben. Somit fehlen objektivierbare Messparameter wie zum Beispiel Cotintinwerte (Nikotin wird im menschlichen Körper zu Cotinin verstoffwechselt; es dient aufgrund der leichteren analytischen Zugänglichkeit und der langanhaltenden Nachweisbarkeit als Maß für einen stattgefundenen Tabakkonsum; Anm. d. Red.) beziehungsweise Lungenfunktionsmessungen. Gleichzeitig gibt es sehr viele verschiedene E-Zigaretten auf dem Markt, deren Verdampferflüssigkeiten zum Teil selbst gemischt werden. Häufig werden sowohl konventionelle als auch E-Zigaretten genutzt (sogenannte ‚dual-users‘) oder frühere Zigarettenraucher steigen auf E-Zigaretten um. Die Studie versucht dies in ihrer Analyse zu berücksichtigen und kommt zu dem Schluss, dass E-Zigaretten unabhängig von konventionellen Zigaretten einen eigenen schädigenden Effekt haben. Besorgniserregend ist, dass ‚dual use‘ sich besonders negativ auf die Lungengesundheit auszuwirken scheint.“
„Es besteht die Möglichkeit, dass zum Beispiel milde Erkrankungsformen bereits vor Studienbeginn vorlagen. Weiter unterscheidet die Studie nicht nach den einzelnen Erkrankungen, obwohl deren Pathophysiologie unterschiedlich ist. Grundsätzlich muss man abwarten, welche Ergebnisse weitere Studien erbringen.“
„Keine.“
„Keine.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Primärquelle
Bhatta DN et al. (2019): Association of E-Cigarette Use With Respiratory Disease Among Adults: A Longitudinal Analysis. Am J Prev Med 2019;000(000):1−9. DOI: 10.1016/j.amepre.2019.07.028.
Weiterführende Recherchequellen
Science Media Center Germany (2017): E-Zigaretten: Entwöhnungsmittel für Raucher oder neue Gefahrenquelle?Fact Sheet. Stand: 09.02.2017.
Science Media Center Germany (2018): E-Zigaretten: mehr Schaden als Nutzen für die Bevölkerung? Research in Context. Stand: 14.03.2018.
Science Media Center Germany (2019): E-Zigaretten als Entwöhnungsmittel für Raucher? Research in Context. Stand: 30.01.2019.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Kotz D et al. (2009): Efficacy of confronting smokers with airflow limitation for smoking cessation. Eur Respir J; 33(4): 754-62. DOI: 10.1183/09031936.00116308.
PD Dr. Ute Mons
Leiterin der Stabsstelle Krebsprävention, anerkanntes WHO-Kollaborationszentrum für Tabakkontrolle, Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ), Heidelberg
Prof. Dr. Daniel Kotz
Professor für Suchtforschung und klinische Epidemiologie, Institut für Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Düsseldorf
Prof. Dr. Susanne Krauss-Etschmann
Direktorin des Programmbereich Asthma & Allergie, Forschungszentrum Borstel, Leibniz Lungenzentrum, Borstel