Reaktionen zum Klimaschutz-Gutachten des Internationalen Gerichtshofs
Internationaler Gerichtshof stellt fest, dass Staaten zum Klimaschutz verpflichtet sind
Gutachten ist rechtlich nicht bindend, setzt aber völkerrechtliche Maßstäbe für Klimaverfahren und internationale Klimapolitik
für Forschende unterstreicht das Gutachten die zentrale Rolle des Pariser Abkommens und der UN-Klimarahmenkonvention als Grundlage für die internationale Klimapolitik und setzt Maßstäbe für die Klimaschutzpflichten von Staaten
Staaten haben umfassende Verpflichtungen zum Schutz des Klimas und können für deren Verletzung zur Rechenschaft gezogen werden. Zu dieser Einschätzung kommt der Internationale Gerichtshof (IGH) in einem einstimmig beschlossenen Gutachten, das am Mittwoch, den 23.07.2025, vom vorsitzenden Richter Iwasawa Yuji verlesenen wurde [I]. Das Gutachten bildet den Schlusspunkt eines rechtshistorischen Verfahrens, in dem in den vergangenen Monaten mehr als 100 Staaten und Organisationen angehört wurden [II].
Der IGH wurde im März 2023 durch eine Resolution der UN-Vollversammlung mit der Erstellung eines Rechtsgutachtens zu den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Staaten im Zusammenhang mit dem Klimawandel beauftragt. Der pazifischen Inselstaat Vanuatu hatte die Initiative für das Gutachten gestartet. Dadurch sollte geklärt werden, inwieweit Staaten völkerrechtlich verpflichtet sind, Klimaschutz zu betreiben und ob sie für Klimaschäden zur Verantwortung gezogen werden können. Deutschland beteiligte sich an der Initiative und im März 2023 beauftragte die UN-Vollversammlung den IGH mit der Erstellung eines Rechtsgutachtens [III] [IV] . Als sogenannte „advisory opinion“ ist das Gutachten rechtlich nicht bindend, dennoch dürfte der Einfluss auf künftige Klimaklagen [V] und die internationale Klimapolitik beträchtlich sein. Weitere Informationen zum Gutachterverfahren des IGH können Sie im untenstehenden Hintergrund entnehmen.
Leiter der Forschungsgruppe Zeitliche Entwicklung von Anpassungshindernissen und ihre Bedeutung für klimabedingte Verluste und Schäden, Integratives Forschungsinstitut zum Wandel von Mensch-Umwelt-Systemen (IRI THESys), Humboldt-Universität zu Berlin, und Forschungsgruppenleiter und Senior Research Scholar, Integrierte Forschungsgruppe Klimaauswirkungen, Energie-, Klima- und Umweltprogramm, Internationales Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA), Laxenburg, Österreich
Relevanz des Gutachtens
„Das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs (IGH) zu den völkerrechtlichen Verpflichtungen im Klimaschutz stellt einen historischen Schritt für die internationale Klimapolitik dar. Das Gutachten bestätigt, dass das Völkerrecht zur Bekämpfung des Klimawandels bindende Verpflichtungen für alle Staaten begründet. Es ist vielleicht das wichtigste Dokument zum globalen Klimaschutz seit Jahren.“
Verpflichtung zur Begrenzung der Erderwärmung
„Das Gutachten stellt klar, dass die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius völkerrechtlich verpflichtend ist. Staaten müssen ihre Klimaschutzmaßnahmen auf dieses Ziel ausrichten – im Einklang mit wissenschaftlichen Erkenntnissen. Eine klare Botschaft auch an die deutsche Bundesregierung. Eine Verwässerung der Klimaziele ist unzulässig. Es braucht in Deutschland und Europa mehr und nicht weniger Klimaschutz.“
„Das Gutachten unterstreicht die zentrale Rolle des Pariser Abkommens und der UN-Klimarahmenkonvention als Grundlage für die internationale Klimapolitik. Es bestätigt, dass diese Abkommen bindende Verpflichtungen begründen und nicht nur eine freiwillige Selbstverpflichtung darstellen. Gleichzeitig stellt es klar, dass Klimaverpflichtungen im umfassenden Rahmen des Völkerrechts gelten. Also auch ein Austritt aus dem Pariser Abkommen unter Präsident Trump heißt nicht, dass die USA keine Verpflichtungen zum Klimaschutz mehr hätten, ganz im Gegenteil. Der IGH hat damit die Relevanz des internationalen Rechts für die Bewältigung der Klimakrise unterstrichen.“
Verantwortung für Klimaschäden
„Der IGH setzt klare Maßstäbe für die Klimaschutzpflichten von Ländern. Staaten haben eine völkerrechtliche Verpflichtung, alle Maßnahmen zu ergreifen, um Treibhausgasemissionen zu reduzieren und die Ziele das Pariser Abkommen zu erreichen. Diese Pflichten sind sehr weitreichend und gelten auch für die Regulierung des Privatsektors. Der IGH stellt klar, dass insbesondere die Erteilung von Lizenzen für die Exploration fossiler Energien sowie die Gewährung von Subventionen für fossile Brennstoffe eine völkerrechtswidrige Handlung darstellen können. Das sollte sich auch die deutsche Bundesregierung zu Herzen nehmen. Gleichzeitig können Staaten für die Unterlassung von Klimaschutzmaßnahmen zur Rechenschaft gezogen werden. Das eröffnet die Möglichkeit, dass Staaten für Schäden haftbar gemacht werden können, die durch das Versagen bei der Erfüllung ihrer Klimapflichten entstanden sind.“
Klimagerechtigkeit und Verantwortung für zukünftige Generationen
„Das Gutachten unterstreicht die Verbindlichkeit der Klimaschutzverpflichtungen für alle Staaten. Gleichzeitig unterstreicht es die Bedeutung von Klimagerechtigkeit und die besondere Verantwortung von Ländern mit besonders hohen historischen Emissionen – wie zum Beispiel Deutschland – für die eine Reihe von Verpflichtungen erwachsen.“
„Das Gericht stell klar: Das Recht auf eine saubere und gesunde Umwelt ist untrennbar mit der Bewahrung der Menschenrechte für heutige und zukünftige Generationen verbunden. Das Gericht unterstreicht dabei, dass bei der Erfüllung internationaler Verpflichtungen die Interessen zukünftiger Generationen zwingend berücksichtigt werden müssen. Die Erkenntnis, dass Staaten für ihre Untätigkeit zur Rechenschaft gezogen werden können, wird die Diskussion um eine gerechtere Verteilung der Lasten im Klimaschutz weiter vorantreiben.“
Jurist und Researcher in der Abteilung Kreislaufwirtschaft, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gGmbH
Verpflichtung zur Begrenzung der Erderwärmung
„Bestehende Klimaschutzabkommen wie beispielsweise die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) und das Pariser Klimaschutzübereinkommen verpflichten die Vertragsstaaten, ihre Treibhausgasemissionen schrittweise zu senken, sich an unvermeidbare Klimafolgen anzupassen, eng zu kooperieren und ihre nationalen Beiträge fortlaufend zu verschärfen.“
„Ergänzend leitet der IGH aus dem Völkergewohnheitsrecht – ungeschriebenen und durch Staatenpraxis getragenen Regeln des Völkerrechts – eine Pflicht zum Klima- und Umweltschutz ab. Internationale Menschenrechte verpflichten Staaten, effektiven Klima- und Umweltschutz zu betreiben – es wird ein Recht auf eine saubere Umwelt anerkannt. Ein Verstoß gegen diese Pflichten gilt als völkerrechtswidrig und kann im Einzelfall Wiedergutmachungspflichten nach sich ziehen. Das Gutachten ist nicht verbindlich, sodass Staaten es nicht zwingend einhalten müssen; seine Beachtung ist davon abhängig, dass Staaten die Autorität des IGH und seine Aussagen anerkennen und Beteiligte das Gutachten in gerichtlichen Verfahren einbringen.“
„Im Kern schafft der IGH eine mosaikartige Übersicht über Klimaschutzpflichten im Völkerrecht. Es werden aus zahlreichen Quellen – Umweltvölkerrecht, Klimavölkerrecht, Seevölkerrecht, Menschenrechte und Völkergewohnheitsrecht – Verpflichtungen gezogen, die sich gegenseitig ergänzen und beeinflussen.“
„Im Kern sorgt ein großer Teil des Völkerrechts für einen engmaschigen Klimaschutz. Internationale Verträge werden ausführlich untersucht. Die UN-Klimarahmenkonvention und das Pariser Klimaschutzabkommen beispielsweise enthalten konkrete Pflichten, an die sich die Staatengemeinschaft halten muss. Sie stellen einen wichtigen Baustein dar, aus ihnen werden Reduktions-, Anpassungs-, Kooperations- und weitere Pflichten gezogen. Das 1,5-Grad-Ziel aus dem Pariser Klimaschutzabkommen ist dabei als Richtwert für staatliches Handeln anzusehen.“
Relevanz des Gutachtens
„Mit Gutachten und Verfahren vor Gerichtshöfen wird allgemein stärker konturiert, wie die klimabezogenen Pflichten von Staaten oder Unternehmen ausgestaltet sind. Das ist wichtig, um konkrete Leitlinien für politische Prozesse und Umsetzungsmaßnahmen zu erhalten.“
„Wenn ein Gericht, so auch ein internationales Gericht, durch ein Urteil in einer Sache entschieden hat, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es in künftigen Fällen ähnlich entscheidet. Deshalb entfaltet ein Urteil auch über den Einzelfall hinaus ein starkes Signal, die Entscheidung zu beachten.“
„Das vorliegende Gutachten ist nicht verbindlich – es stellt jedoch klar, wie die Rechtslage wohl aussähe, wenn die aufgeworfenen Fragen vor Gericht verhandelt würden. Dementsprechend hat es – ähnlich wie ein Urteil – eine Art Orientierung- oder Warnungsfunktion für Staaten. Das sorgt für eine gewisse Verhaltenssteuerung und kann dementsprechend Akteure wie Staaten und Unternehmen dazu bringen, ihr Verhalten anzupassen.“
Verantwortung für Klimaschäden und Klimagerechtigkeit
„Das Gutachten dürfte hier spannende Impulse setzen. Der IGH erkennt ein Menschenrecht auf eine gesunde Umwelt an sowie, dass unterlassener, unzureichender Klimaschutz zu völkerrechtlicher Haftung führen kann. Das wiederum kann dafür sorgen, dass im Einzelfall vulnerable Staaten Völkerrechtsverletzungen oder Individuen Menschenrechtsverletzungen geltend machen und dafür Wiedergutmachung verlangen können. Insofern sind die Instrumente betroffener Staaten und Individuen, mit denen sie sich Gehör und Klimagerechtigkeit verschaffen können, geschärft worden.“
Professorin für Völkerrecht und Rechtsethik, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Relevanz des Gutachtens
„Gutachten des IGHs sind nicht rechtsverbindlich im formalen Sinne, aber haben entscheidende rechtliche Wirkungen, weil sie den Stand des Völkerrechts darlegen. Jedenfalls die Staaten und Gerichte, die sich der Völkerrechtsordnung verpflichtet fühlen, werden die Aussagen des IGHs sehr ernst nehmen und als Leitlinie für ihr weiteres Handeln ansehen. Dieses wichtige Gutachten wird über viele Jahre und Jahrzehnte entscheidend sein, als Grundlage der Bestimmung und Reichweite der Rechte und Pflichten in diesem Bereich der Staatenpflichten zur Bekämpfung des Klimawandels.“
Klimarahmenkonvention von 1992
„Der IGH hat die Pflichten der Staaten und der EU betont, die Partei der Klimarahmenkonvention von 1992 sind, die umfassend gilt: Deutschland ist unter anderem seit 1994 gebunden; die USA sind ebenfalls Partei und gebunden. Alle diese Staaten sind verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen, in Bezug darauf, zur Minderung der Treibhausgasemissionen und zu Anpassungen an den Klimawandel beizutragen. Zudem gibt es eine Pflicht dieser Staaten, zusammenzuarbeiten, um das Ziel der Konvention zu erreichen.“
„Wichtig ist, dass die sogenannten Anhang-I Staaten dieses Vertrages, wie Deutschland, Schweiz, UK, USA, Kanada, Japan und Australien, mit der EU, besonders in dem Gutachten hervorgehoben werden: Sie sind zusätzlich verpflichtet, eine Führungsrolle bei der Bekämpfung des Klimawandel zu übernehmen, indem sie ihre Treibhausgasemissionen begrenzen und Treibhausgassenken fördern.“
„Zu den Anhang-I Staaten gehören die Industriestaaten und EU mit Stand von 1992, dabei auch die ehemaligen Staaten des sogenannten Ostblocks und der Sowjetunion, die sich damals im Übergang zur Marktwirtschaft befanden, wie beispielsweise Russland und Ungarn, nicht aber China.“
Kyoto Protokoll von 1997
„Auch die Fortgeltung des Kyoto Protokolls von 1997 wurde betont für die Vertragsparteien, wie Deutschland und die EU, aber auch Russland. Das ist auch wichtig für Staaten, die zwar das Kyoto Protokoll aber nicht das jüngere Pariser Abkommen ratifiziert haben, wie Iran, Libyen und Jemen. Die USA sind jedoch nicht durch das Kyoto Protokoll gebunden.“
Pariser Abkommen
„Das jüngste Abkommen – das Pariser Abkommen – verpflichtet die Parteien, wie der IGH betont, mit angemessener Sorgfalt zu handeln. Dies im Einklang mit dem sogenannten Grundsatz der gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortlichkeiten und jeweiligen Fähigkeiten, um Maßnahmen zu ergreifen, um einen angemessenen Beitrag zum Temperaturziel dieses Abkommens zu leisten. Das bedeutet eine echte Handlungspflicht für jeden Staat, die auch verletzt werden kann.“
„Das Temperaturziel – so wird betont – ist nach dem Abkommen, die Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius – nicht mehr nur 2 Grad Celsius – über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Auch das ist eine wichtige Klarstellung durch den IGH.“
„Neben dieser Sorgfaltspflicht bezogen auf Handlungen der Parteien (die USA sind noch gebunden, haben aber ihren Austritt erklärt), verpflichtet das Pariser Abkommen, wie der IGH betont, jede Partei, ‚sukzessive und progressive‘ national bestimmte Beiträge (NDCs) zu erstellen, mitzuteilen und aufrechtzuerhalten. Die NDCs sollen jedenfalls zusammengenommen geeignet sein, die Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Die Vertragsparteien sind dabei aber selbst verpflichtet, Maßnahmen zu verfolgen, die geeignet sind, die Ziele der jeweiligen NDCs zu erreichen.“
Verpflichtung außerhalb von bestehenden Abkommen
„Wichtig sind die gewohnheitsrechtlichen Pflichten, die der IGH konkretisiert, die für alle Staaten gelten, um den Schutz des Klimas und anderer Bereiche der Umwelt vor Treibhausgasemissionen. Sie ergänzen die vertraglichen (wenn sie bestehen) und umfassen solche, die nicht Vertragspartei sind, wie Taiwan, oder aus Verträgen austreten, wie die USA aus dem Pariser Abkommen. Der IGH stellt klar, dass alle Staaten die Pflicht haben, mit gebotener Sorgfalt erhebliche Umweltschäden zu verhindern.“
„Dabei haben sie eine Pflicht, alle ihnen mögliche Mittel zu nutzen, um zu verhindern, dass Aktivitäten unter ihrer Kontrolle erhebliche Umwelt- und Klimaschäden zu verursachen; auch dies wieder im Einklang mit dem sogenannten Grundsatz der gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortlichkeiten und jeweiligen Fähigkeiten.“
„Dabei gilt dies – nach weiteren Verträgen, wie dem Seerechtsübereinkommen – auch für weitere Bereiche der Umwelt, wie der Meeresumwelt, mit spezifischen Pflichten zum Schutz gegen nachteilige Auswirkungen durch den Klimawandel.“
„Dabei gelten auch internationale Menschenrechte, wie der IGH betont. Danach müssen Staaten die effektive Ausübung von Menschenrechten respektieren und sicherstellen, indem sie notwendige Maßnahmen treffen, um das Klimasystem und andere Bereiche der Umwelt zu schützen.“
Auswirkungen auf die internationale Klimapolitik
„Das Gutachten wird die internationale Klimapolitik über Jahre und Jahrzehnte beeinflussen und Maßstab und Bezugspunkt in diesen Fragen sein. Die Bedeutung aller Klimaverträge, aber auch besonders der Menschenrechte und des Seerechtsübereinkommens wurden betont. Und immer wieder wurde auch betont, dass diese Verträge sich gegenseitig ‚informieren‘, so dass die Kohärenz der internationalen Rechtsordnung verstärkt wurde.“
Auf die Frage, welche Signalwirkung das Gutachten für zukünftige Klimaklagen auf nationaler und internationaler Ebene hat:
„Das bleibt abzuwarten. Wenn es zu Gerichtsverfahren kommt – jedenfalls auf internationaler Ebene ist dies nicht leicht möglich, da ein Staat sich der Gerichtsbarkeit des IGHs unterwerfen muss – wird das Gutachten eine rechtliche Leitlinie sein, unter das jedoch konkrete Fälle gefasst werden müssten. Es wird oft nicht leicht möglich sein, im Einzelfall beispielsweise die konkreten Sorgfaltspflichten eines Staates zu bestimmen.“
Professor für Völkerrecht und Europarecht, Universität St. Gallen, Schweiz
Herr Burri bezieht sich in den nachfolgenden Äußerungen auch auf Daten dieser Publikation: [1]
Relevanz des Gutachtens
„Das Gutachten ist ein Meilenstein des Völkerrechts und des Klimaschutzrechts, welches immens gestärkt aus dem Gutachten hervorgeht. Die Staaten, die sich einer Weiterentwicklung des Klimarechts durch den Internationalen Gerichtshof entgegengestellt haben – etwa 10 Prozent aller Teilnehmenden –, haben eine herbe Niederlage erfahren. Die Staaten auf der entgegengesetzten Position, etwa 80 Prozent der Teilnehmenden, inklusive der kleinen Inselstaaten, die dieses Verfahren allen voran veranlasst haben, haben in allen entscheidenden Fragen obsiegt. Der Gerichtshof hat die Entscheidung einstimmig gefällt. Geschichtlich betrachtet ist das nicht selbstverständlich. Angesichts der bahnbrechenden Rulings ist es besonders bemerkenswert; es erhöht die Autorität der Entscheidung wesentlich.“
Verpflichtung außerhalb von bestehenden Abkommen
„Der Gerichtshof bringt auf praktisch allen Ebenen einen weiten Ansatz zur Anwendung und zieht insbesondere das gesamte Völkerrecht heran, nicht nur die drei Klimaverträge (UN-Rahmenübereinkommen, Kyoto Protokoll, Pariser Abkommen), die im Übrigen keine ‚lex specialis‘ sind, die das allgemeine Völkerrecht verdrängen. Diesen weiten Ansatz hatten etwa 80 Prozent der Teilnehmenden befürwortet, 10 Prozent waren dagegen, so beispielswiese Indien, Japan, Vereinigtes Königreich und die USA. 10 Prozent hatten keine entschiedene Position dazu.“
„Das Verständnis des Gutachtens beruht auf einem ungewöhnlichen Ansatz, welcher der Mehrheitsmeinung unter den Staaten großes Gewicht beimisst. Dies zeigt sich nicht nur anhand der erwähnten Zahlen, das heißt der IGH folgt letztlich der zahlenmäßigen Mehrheit der Teilnehmenden, sondern auch des Textes des Gutachtens“
„Die Verpflichtungen, das Klima zu schützen, wurden wesentlich gestärkt. Die gewohnheitsrechtliche Pflicht, Umweltverschmutzungen vorzubeugen, findet auch auf Treibhausgasemissionen Anwendung – das ist ein großer Schritt, den wiederum 80 Prozent der Teilnehmenden unterstützt haben. Das bewirkt unter anderem, dass die USA als Nichtmitglied des Pariser Abkommens mehr oder weniger die gleichen Pflichten haben, wie Vertragsstaaten – unabhängig davon, ob sie jetzt beim Pariser Abkommen dabei sind oder früher dabei waren. Die Pflichten gemäß Pariser Abkommen selbst wurden auch verstärkt und konkretisiert; die Staaten haben weniger Ermessensspielraum als es schien. Sie müssen konkrete Maßnahmen ergreifen. Die Entscheidungen der Vertragsparteien (‚COP‘) erhalten mehr Gewicht, wodurch das Klimarecht verbindlich weiterentwickelt wird. Das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu beschränken, ist nun verbindlich – noch ein großer Schritt. Der Schutzstandard ist im Wesentlichen hoch.“
„Dem Vorbringen, das Recht auf Entwicklung könne gewisse Staaten von den Klimaschutz-Verpflichtungen befreien, erteilte der Gerichtshof eine Abfuhr. Insbesondere auch China, das mittlerweile für einen enormen Teil der Treibhausgasemissionen verantwortlich ist, muss Maßnahmen ergreifen.“
Verantwortung für Klimaschäden
„Die Staatenverantwortlichkeit, welche die Folgen von Völkerrechtsverpflichtungen regelt, ist in vollem Umfang anwendbar (wiederum etwa 80-10-10-Prozent-Verhältnisse). Der Gerichtshof öffnet damit die Türe für Schadenersatzansprüche auf nationaler Ebene (‚Klimaklagen‘), und zwar unerwartet weit, auch wenn er die Verantwortlichkeit natürlich nicht konkret anwendet. Danach wurde er nicht gefragt. Der Gerichtshof bezieht solche Ansprüche insbesondere auch auf Produktion, Konsum, und Lizenzierung fossiler Brennstoffe.“
„Weitere erstaunlich mutige Punkte: Staaten behalten ihre Staatlichkeit grundsätzlich, auch wenn sie teilweise oder ganz im Meer versinken; die Menschenrechte werden breit angewendet, ein Recht auf saubere Umwelt im Endeffekt als rechtlich verpflichtend anerkannt – auch das ein großer Schritt, den kaum die Hälfte der Staaten explizit befürwortete.“
Zweitmeinungen der Richterinnen und Richter
„Die Zweitmeinungen der Richterinnen und Richter, die dem Gutachten wie häufig beigefügt sind, sind nicht etwa skeptischer, sondern hätten es, allgemein gesagt, vorgezogen, wenn der Gerichtshof weitergegangen wäre oder tiefergehende Ausführungen gemacht hätte. Lediglich drei Ausnahmen erscheinen erwähnenswert: Richter Nolte äußert eine gewisse Skepsis insbesondere bezüglich des Teils der Entscheidung zur Staatenverantwortlichkeit. Richterin Xue vertritt als Einzige die (isolierte) Position, Entwicklungsländer dürften im Kern Treibhausgas-Emissionen im Namen der Entwicklung praktisch ohne Beschränkung ausstoßen. China gehört für sie zu den Entwicklungsländern, auch wenn ihre ‚separate Opinion‘ dies hinter dem drohenden Schicksal der kleinen Inselstaaten zu verbergen sucht. Richterin Xue ist damit die einzige Richterin, welche ihrem Herkunftsstaat offen das Wort redet. Richter Yusuf hätte ein konkreteres Gutachten vorgezogen, das die historischen Entwicklungen, sowie die ‚Schuld‘ stärker einbezogen hätte und näher an der Anfrage der Generalversammlung, welche verursachende und leidtragende Staaten stärker unterschied, gewesen wäre. Ähnlich, aber weniger entschieden äußert sich auch Vize-Präsidentin Sebutinde.“
wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Energie-, Umwelt- und Seerecht (IfEUS), Universität Greifswald, und Referentin beim Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU)
Relevanz des Gutachtens
„Erstmals formuliert der Internationale Gerichtshof, dass Staaten auf Grundlage internationalen Rechts zur Reduktion von Treibhausgasen und zum Schutz des Klimas und anderer Teile der Umwelt verpflichtet sind. Diese Verpflichtung umfasst auch die Regulierung privater Akteure durch die Staaten. Das Gutachten findet allerding bereits eine Grenze in seiner fehlenden rechtlichen Verbindlichkeit. Aber es kann und wird voraussichtlich von nationalen Gerichten zur Auslegung internationaler Verpflichtungen herangezogen werden und wird darüber Eingang in rechtsverbindliche Entscheidungen finden.“
Verpflichtung außerhalb von bestehenden Abkommen
„Das Gutachten formuliert klar die Verpflichtung der Staaten zum Schutz des Klimas und anderen Teilen der Umwelt vor menschlich verursachten Treibhausgasemissionen. Diese Verpflichtung sieht der IGH durch die Klimarahmenkonvention, das Kyoto-Protokoll und das Abkommen von Paris in spezifische Verpflichtungen ausbuchstabiert, die er auch darlegt.“
„Die Verpflichtung zum Klima- und Umweltschutz vor menschlich verursachten Treibhausgasen folgt für den IGH aber nicht nur aus den Klimaverträgen, sondern unter anderem auch aus dem internationalen Biodiversitätsrecht, dem Seerecht und dem internationalen Menschenrechtsschutz und aus Gewohnheitsrecht – damit wird die Verpflichtung auch für die Staaten ausformuliert, die etwa den Klimaverträgen nicht beigetreten sind. Die Tatsache, dass der IGH die Verpflichtungen nicht nur aus dem Klimavölkerrecht ableitet, betont, dass sich die Staaten nicht darauf zurückziehen können, dass Klimaschutz eine partikulare Aufgabe sei, für die nur spezifische Regeln zur Anwendung kommen. Stattdessen sind die Staaten auf Grundlage des internationalen Rechts in quasi allen Bereichen staatlichen Handelns zum Klimaschutz verpflichtet.“
„Ich habe die Daten für meine Statistik über die Schweiz erhalten. Daraus ergibt sich aber meines Wissens kein Interessenkonflikt. Ich habe insbesondere keine Bezahlung von der Schweiz erhalten, der Schweiz allerdings die Datenanalyse, soweit erhältlich, vorab zur Verfügung gestellt. Die Datenanalyse ist nach streng wissenschaftlichen Grundsätzen erfolgt.“
„Es liegen keine potenziellen Interessenkonflikte vor.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Der Internationale Gerichtshof ist das wichtigste Rechtssprechungsorgan der Vereinten Nationen und nahm seine Arbeit im April 1946 auf. Dem Gerichtshof gehören 15 Richterinnen und Richter an, die von der Vollversammlung und dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen für eine Amtszeit von neun Jahren gewählt werden. Der Gerichtshof erfüllt zwei zentrale Aufgaben: Zum einen entscheidet er über völkerrechtliche Streitigkeiten zwischen Staaten, zum anderen verfasst er Rechtsgutachten („advisory opinions“). Nur bestimmte, in der UN-Charta oder in Abkommen festgelegte Organisationen und Stellen dürfen solche Gutachten beim Internationalen Gerichtshof beantragen– insbesondere die Vollversammlung, der Sicherheitsrat und weitere spezialisierte Organisationen wie WHO, FAO oder WMO [VI]. Nach Eingang eines Antrags legt der IGH ein schriftliches und oft auch mündliches Verfahren fest. Staaten sowie internationale Organisationen können Stellungnahmen einreichen und in Anhörungen vertreten sein. Anders als Urteile in Streitigkeiten zwischen Staaten sind Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofes rechtlich nicht bindend, gelten allerdings als maßgeblich bei Auslegung und Klärung völkerrechtlicher Fragen [VII].
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Burri Th (2024): The ICJ's Advisory Opinion on Climate Change: A Data Analysis of Participants' Written Submissions (full data update). American Society of International Law. DOI: 10.2139/ssrn.5054120.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Internationaler Gerichtshof (2025): Obligations of states in respect of climate change. Advisory opinion. Stand: 23.07.2025.
[II] Internationaler Gerichtshof (2025): Obligations of states in respect of climate change: Written proceedigs. Stand: 23.07.2025.
[III] UN-Vollversammlung (2023): Resolution adopted by the General Assembly on 29 March 2023. A/RES/77/276. Stand: 29.03.2023.
[IV] Republik Vanuatu (2023): Vanuatu ICJ Initiative. Stand: 18.07.2025.
[V] Max-Planck-Gesellschaft (2025): Hintergründe zum Klimaurteil gegen den Energiekonzern RWE. Pressemitteilung. Stand: 30.05.2025.
[VI] Internationaler Gerichtshof (2025): Organs and agencies authorized to request advisory opinions. Stand: 21.07.2025.
[VII] Internationaler Gerichtshof (2025): Advisory Jurisdiction. Stand: 21.07.2025.
Prof. Dr. Carl-Friedrich Schleussner
Leiter der Forschungsgruppe Zeitliche Entwicklung von Anpassungshindernissen und ihre Bedeutung für klimabedingte Verluste und Schäden, Integratives Forschungsinstitut zum Wandel von Mensch-Umwelt-Systemen (IRI THESys), Humboldt-Universität zu Berlin, und Forschungsgruppenleiter und Senior Research Scholar, Integrierte Forschungsgruppe Klimaauswirkungen, Energie-, Klima- und Umweltprogramm, Internationales Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA), Laxenburg, Österreich
Giacomo Sebis
Jurist und Researcher in der Abteilung Kreislaufwirtschaft, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gGmbH
Prof. Dr. Silja Vöneky
Professorin für Völkerrecht und Rechtsethik, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Prof. Dr. Thomas Burri
Professor für Völkerrecht und Europarecht, Universität St. Gallen, Schweiz
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe die Daten für meine Statistik über die Schweiz erhalten. Daraus ergibt sich aber meines Wissens kein Interessenkonflikt. Ich habe insbesondere keine Bezahlung von der Schweiz erhalten, der Schweiz allerdings die Datenanalyse, soweit erhältlich, vorab zur Verfügung gestellt. Die Datenanalyse ist nach streng wissenschaftlichen Grundsätzen erfolgt.“
Catharina Caspari
wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Energie-, Umwelt- und Seerecht (IfEUS), Universität Greifswald, und Referentin beim Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU)
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Es liegen keine potenziellen Interessenkonflikte vor.“