Pangenom als Referenz für menschliches Erbgut
internationales Forschungskonsortium stellt ersten Entwurf eines neuen Referenzgenoms für den Menschen vor
dieses sogenannte Pangenom basiert auf dem Erbgut von 47 Menschen und soll die menschliche Diversität abbilden
Forschende begrüßen die Veröffentlichung des Pangenoms und die damit verbundenen Möglichkeiten für die Genommedizin
Eine im Jahre 2001 erstmals veröffentlichte Sequenz des menschlichen Erbguts wird bis heute als Referenz für genetische Analysen und Experimente genutzt [I]. Dieses Referenzgenom, das zum größten Teil auf dem Erbgut eines einzelnen Menschen basiert, wird nun von dem „Human Pangenome Reference Consortium“ (HPRC) ersetzt. Einen ersten Entwurf des neuen Referenzgenoms stellten die Forschenden am 10.05.2023 im Fachjournal „Nature“ vor (siehe Primärquelle).
Projektleiter, Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie GmbH (IMP), Wien, Österreich
„Die erste Sequenz eines menschlichen Genoms, die vor über 20 Jahren veröffentlicht wurde, war ein Meilenstein der Genomik. Enorme Fortschritte in der DNA-Sequenzierung waren notwendig, um vor einem Jahr eine lückenlose Sequenz zu erstellen [1]. Mit dem nun verfügbaren Pangenom wird es das erste Mal möglich, auch Teile der genetischen Diversität der gesamten Menschheit abzubilden und nicht nur die Sequenz eines einzelnen Individuums.“
„Die 350 Genome, auf die das Projekt abzielt, ermöglichen es, einen großen Teil der menschlichen Diversität abzubilden. Wie jede Technologie hat sie auch Grenzen. Änderungen, die nur in einem Bruchteil der Bevölkerung vorkommen, werden übersehen.“
„Ein Genom ist wie ein Mosaik, das aus der Entfernung ein Gesamtbild ergibt. Viele Teile können durch Ähnliche ersetzt werden, ohne das Ergebnis zu verfälschen, manche haben keine Alternativen. Ein Pangenom stellt eine Art Katalog dar, der besagt, was an gewissen Stellen möglich ist, um noch ein gleichwertiges Ergebnis zu erhalten.“
„Die DNA-Sequenzierung liefert Sequenz-Fragmente des Genoms, welche dann in einem aufwendigen Prozess zu durchgehenden Sequenzen zusammengesetzt werden können. Ein Referenzgenom kommt hier als Abkürzung ins Spiel. Die erzeugten Fragmente werden hierbei einfach im Referenzgenom gesucht. Wird ein Fragment gefunden, weiß man, dass die Person exakt die gesuchte Sequenz im Genom hat. Falls nicht, wird aufgrund der beobachteten Unterschiede geschlussfolgert, welche Sequenz in der Person vorkommen könnte. Je mehr Sequenzen von unterschiedlichen Personen bekannt sind, desto leichter wird die Auswertung. Eine Sequenz das erste Mal zu entdecken, ist schwieriger als etwas Bekanntes wiederzufinden.“
„Wir stehen hier vor einem Umbruch in der Genomik. Das auf einer Person basierte Referenzgenom wird durch eine Zusammensetzung vieler ersetzt. Diese radikale Änderung der Grundlage vieler analytischer Verfahren erfordert eine Anpassung dieser oder die Entwicklung komplett neuer Ansätze.“
„Da ein Großteil der menschlichen Diversität in dem Pangenom abgebildet werden soll, wird es einfacher, Sequenzabschnitte im Genom einer Person, die potenziell mit Krankheiten in Verbindung stehen, zu entdecken. In vielen Individuen vorkommende Sequenzabschnitte können so ausgeschlossen werden. Alles, was noch nicht im Pangenom enthalten ist, stellt dann entweder die genomische Individualität einer Person dar, oder könnte in Verbindung mit einer Krankheit stehen. Anders gesagt, das normal vorkommende genomische Hintergrundrauschen kann durch ein Pangenom leichter erkannt werden und ermöglicht den Fokus auf potenziell relevantere Sequenzen.“
Leiter der Forschungsgruppe Statistische Genetik und Bioinformatik, Universität zu Köln
Auf die Frage, ob durch die Verwendung modernerer Techniken die Lücken im 2001 veröffentlichten Referenzgenom geschlossen werden können:
„Die moderneren Techniken bedeuten einen sehr großen Schritt für die Erfassung der vollständigen Genomsequenz einer Person. Long-read-Sequenzierung kombiniert mit einer graphenbasierten Darstellung der genetischen Variation vieler Genome können nahezu alle Lücken im menschlichen Genom, die seit 2001 bestanden, schließen. Insbesondere können strukturelle Varianten und komplexrepetitive Regionen, die häufig ‚blinde Flecken‘ für bisherige Sequenzierverfahren waren, sehr viel zuverlässiger erfasst werden. Die vorliegenden Genome sind für die analysierten Personen nun nahezu vollständig. Die Analyse weiterer Genome, insbesondere von Personen aus bisher nicht eingeschlossenen Populationen, wird die Pangenom-Referenz weiter verbessern, da sie ein vollständigeres Bild der vorhandenen genetischen Variation in der globalen Bevölkerung liefern werden.“
Auf die Frage, inwiefern 350 Genome ausreichend sind, um die genomische Diversität der Menschen abzubilden:
„Die 350 ausgewählten Genome stellen einen sehr wichtigen Zwischenschritt für die biomedizinische Forschung dar. Die entsprechenden Proben entstammen dem ‚1000-Genome-Projekt‘ und repräsentieren verschiedene kontinentale Regionen gut, aber nicht vollständig. Es bestehen weiterhin größere Lücken in der detaillierten Abbildung der menschlichen genomischen Diversität, beispielsweise für West- und Nordasien, Ozeanien sowie das südliche Afrika oder auch die australischen Aborigines. Die Schließung dieser Lücken ist für die kommenden Jahre geplant und wird den Nutzen der Pangenom-Referenz noch einmal wesentlich steigern.“
„Die biomedizinische Forschung war bisher häufig ‚blind‘ bezüglich struktureller Varianten und Varianten in komplexrepetitiven Regionen (DNA-Bereiche im Erbgut, deren Sequenz aus sich wiederholenden Abschnitten besteht; Anm. d. Red.) und damit auch für deren Rolle in der Entstehung von Krankheiten. Die nun mögliche umfassendere genomweite Untersuchung solcher Varianten eröffnet ein großes neues Forschungsfeld zu den genetischen und biologischen Mechanismen, die der Entstehung von Krankheiten zugrunde liegen. Es ist zu erwarten, dass die ursächlichen biologischen Mechanismen für viele bereits bekannte Assoziationen von kleinen genetischen Varianten mit häufigen Krankheiten nun aufgeklärt werden können. Es ist außerdem zu erwarten, dass für einen substanziellen Teil von genetisch bedingten Erkrankungen bei Kindern, bei denen bisherige Sequenzierungstechnologien keine Aufklärung der Ursache(n) brachten, in den kommenden Jahren eine Diagnose gestellt werden kann. Allerdings wird die Entstehung vieler Krankheiten nicht allein durch die genetische Information beeinflusst, sondern ebenso durch Genregulation, Genexpression, Proteineigenschaften und ähnliches. Hier kann die Pangenom-Referenz nur bedingt zur Aufklärung beitragen.“
Auf die Frage, wie zugänglich die Daten für externe Forschende sind und wie einfach es ist, technisch damit umzugehen:
„Genetische Daten werden mit den neuen Technologien in grundsätzlich anderer und auch komplexerer Form als bisher abgebildet. Für die Verarbeitung und Analyse sind neue Werkzeuge notwendig, die sich aber bereits in der Entwicklung befinden und frei verfügbar sein werden oder schon sind. Es ist zu erwarten, dass sich diese neuen Formate und Werkzeuge aufgrund ihrer Vorteile innerhalb weniger Jahre als neuer Standard in der biomedizinischen Forschung etablieren werden. Daher ist es wichtig, frühzeitig und umfänglich bioinformatisches Training anzubieten, um diese neuen Werkzeuge in die breite Anwendung zu bringen.“
„In den vergangenen Jahren ist viel Aufbauarbeit bezüglich der Genomforschung in Deutschland geleistet worden, wovon die Bevölkerung bereits profitiert hat und noch stärker in der Zukunft profitieren wird. Die sich schnell entwickelnden Technologien erfordern in kurzen Zyklen von nur einigen Jahren erweiterte beziehungsweise erneuerte Geräte, Computerinstallationen und angepasste bioinformatische Werkzeuge, vor allem aber auch fortlaufend ausgebildete und trainierte Wissenschaftler*innen und Mitarbeiter*innen. In der Zukunft werden diese Anforderungen an die Infrastruktur eine weitere Zentralisierung und Verstetigung notwendig machen.“
Direktor des Instituts für Medizinische Genetik und Humangenetik der Charité – Universitätsmedizin Berlin, und Leiter der Arbeitsgruppe Development & Disease, Max-Planck-Institut für molekulare Genetik, Berlin
Auf die Frage, ob durch die Verwendung modernerer Techniken die Lücken im 2001 veröffentlichten Referenzgenom geschlossen werden können:
„Das neue Genom wird lückenloser sein als das ursprüngliche Referenzgenom. Das alte hatte Lücken, weil es eher historisch gewachsen ist und viele Bereiche des Genoms durch die bisher verwendeten Technologien nicht abgebildet werden konnten. Es besteht zum Großteil aus dem Erbgut einer einzelnen Person und etwa 20 weiteren Individuen. Mit dem bisherigen Referenzgenom können nicht alle genetischen Varianten gefunden werden, weil dieses Genom einfach auf zu wenigen Daten beruht. Viele Teile des bisherigen Referenzgenoms sind noch nicht vollständig zusammengesetzt, und das wurde jetzt mit dem Pangenom vermutlich erreicht.“
Auf die Frage, inwiefern 350 Genome ausreichend sind, um die genomische Diversität der Menschen abzubilden:
„Das ist jetzt erst einmal ein Anfang, aber die vollständige Diversität wird man nie vollständig abbilden können, denn viele Varianten sind individuell. Nichtdestotrotz kann man näher dorthin kommen, dass unterschiedliche Ethnien mit ihrer genomischen Diversität abgebildet werden. Je mehr Genomesequenzen in das Referenzgenom eingeschlossen werden, desto genauer wird es, allerdings sind manche Varianten so selten, dass man sie nie vollständig abbilden können wird. Das Projekt wird mit der Zeit jedoch noch weiterwachsen, denn wenn man ein Referenzgenom hat, dann kommen auch immer mehr Vergleichsgenome hinzu, die das Bild immer mehr erweitern.“
Auf die Frage, welche Forschungsfragen mit dem Pangenom adressiert werden können:
„Auf der einen Seite wird es hilfreich sein, um weitere Assoziationen zwischen Krankheit und Genom aufzudecken. Für einen erheblicher Anteil der Patient*innen – etwa ein Drittel –, die eine genetische Krankheit haben, kann man die Krankheit bereits jetzt mit mithilfe des Referenzgenoms diagnostizieren. Allerdings können wir bei etwa zwei Drittel der Patient*innen, bei denen wir eine genetische Erkrankung vermuten, aber keine Erkrankung diagnostizieren. Mit dem vollständigen Genom sollte sich diese Situation verbessern. Das betrifft auch die Anfälligkeit für bestimmte häufig auftretende Erkrankungen. Mit einer verbesserte Datenlage wird es möglich werden, genauere Aussagen zu treffen.“
„Das Pangenom ermöglicht es zum Beispiel auch, Bereiche des Genoms anzugucken, die zum Beispiel hoch repetitiv sind, die man vorher nicht auswerten konnte. Und nun kann man analysieren, ob diese Bereiche auch für Krankheiten relevant sind.“
„Darüber hinaus kann das Pangenom dafür verwendet werden, Fragen zur biologischen Diversität, ethnische Verteilung oder Migration nachzugehen – dafür sind die Daten hoch interessant.“
Auf die Frage, wie zugänglich die Daten für externe Forschende sind und wie einfach es ist, technisch damit umzugehen:
„Mit der zunehmenden Datenmenge wird der Umgang mit diesen Daten immer komplexer und schwieriger zu interpretieren. Es erfordert besondere Expertise, damit umzugehen. Vor allem der Bereich der Genommedizin wird damit arbeiten und die Verfügbarkeit des Pangenoms wird deren Arbeit erheblich beeinflussen. Für die Verwendung und Analyse der Pangenomdaten sind wir in Deutschland gut aufgestellt. Allerdings kommen für die Erstellung des Pangenoms wenige Beiträge aus Deutschland. Die Datengenerierung erfolgt vor allem in den USA und UK, die auf dem Gebiet die Vorreiter sind und die wesentlichen Beiträge leisten.“
Direktor des Humangenetischen Instituts, Universitätsklinikum Erlangen
„Diese Studie, die jetzt in ‚Nature‘ erschienen ist, sowie die erste vollständige Genomsequenzierung, die letztes Jahr im Journal ‚Science‘ veröffentlicht wurde [1], schließen praktisch alle Lücken, die in der ersten Version des Genoms noch vorhanden waren. Das entspricht etwa fünf Prozent des Genoms und enthält vor allem repetitive Sequenzen, die mit herkömmlicher Technik überhaupt nicht oder nicht eindeutig zu sequenzieren waren. Der wesentliche Unterschied dieser neuen Studie zu der vom letzten Jahr ist, dass nun ein erster Teil der humanen Diversität in der Genomzusammensetzung aufgeklärt wurde. Die ‚Science‘-Studie hat nur eine einzige Genomkopie sequenziert, die zwar eine praktisch lückenlose Sequenz lieferte, jedoch keinerlei Aufschlüsse über die strukturellen Unterschiede in der Genomzusammensetzung der Menschen zulässt. Auch die 2001 veröffentlichte Referenzsequenz stammt in großen Teilen nur von einem Individuum. Für moderne Studien ist es aber erforderlich, ein möglichst vollständiges Referenzgenom zu haben, das auch diese strukturellen Unterschiede zwischen den Menschen berücksichtigt.“
Auf die Frage, inwiefern 350 Genome ausreichend sind, um die genomische Diversität der Menschen abzubilden:
„Strukturelle Unterschiede im Genom können einen großen Einfluss auf die Funktionen im Körper haben und somit auch gesundheitlich relevant sein. Bisherige Studien haben vor allem die Teile des Genoms untersucht, die die meisten Gene enthalten. Die regulatorischen Elemente, die sozusagen das Orchester der Gene steuern, sind bisher weniger gut verstanden. Strukturelle Veränderungen, die vor allem diese regulatorischen Sequenzen betreffen, sind bisher nur vereinzelt untersucht worden und dann vor allem in Menschen europäischer Abstammung. Die Analyse von 350 nicht verwandten Menschen aus aller Welt, also 700 unterschiedliche Kopien der Chromosomen, fängt nun einen signifikanten Teil der global vorhandenen Diversität ein. Es ist ein wichtiger erster Schritt in der Demokratisierung des Genoms und der Teilhabe von Menschen nicht-europäischer Abstammung an den Errungenschaften der Genomforschung. Natürlich kann das nur ein erster Schritt sein, viele relevante Varianten werden so selten sein, dass sie mit 700 Kopien nicht erkannt werden können. Aber diese Studien werden auch von einer starken Methodenentwicklung begleitet, um Genome zukünftig einfacher neu zusammenzusetzen und unabhängig von einer willkürlichen Referenz zu werden.“
„Das Pangenom erlaubt vor allem die Untersuchung des Einflusses von strukturellen Varianten auf Merkmale und Erkrankungen, die bisher nicht in großen genomweiten Assoziationsstudien von sogenannten Volkskrankheiten berücksichtigt werden konnten. Man vermutet, dass noch wichtige Krankheitsfaktoren in diesen Teilen des Genoms ‚versteckt‘ sind. Außerdem werden jetzt auch einige Gene analysierbar, die aus methodischen Gründen bisher nicht untersuchbar waren. Wir erwarten daraus auch neue Erkenntnisse zu Zusammenhängen zwischen Genveränderungen und Merkmalen des Menschen, vor allem bei den sogenannten Seltenen Erkrankungen. Natürlich ist dies nur ein erster Schritt, die mannigfaltigen Unterschiede zwischen den Menschen aufzuklären, aber das hilft uns weiter auf dem Weg, eines Tages das Genom jedes Menschen zu verstehen.“
Auf die Frage, wie zugänglich die Daten für externe Forschende sind und wie einfach es ist, technisch damit umzugehen:
„Genomsequenzen sind wesentlich größer und komplexer als die bisher üblichen Sequenzen nur der kodierenden Sequenz (Exome). Sie sind derzeit also sowieso nur etwas für Spezialisten mit bioinformatischer und genomischer Expertise. Das gilt auch für die neuen Werkzeuge. Es müssen sicherlich noch einfachere Werkzeuge und Anwendungen entwickelt werden, bis eine breitere Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern damit arbeiten kann.“
„Die Genommedizin in Deutschland ist recht breit aufgestellt, mit einer diversifizierten Expertise. Allerdings finden sich die führenden Einrichtungen in den USA und Großbritannien, wo die Chancen der Genommedizin auf nationaler Ebene früher und dezidierter aufgegriffen wurden. Dort haben sich zahlreiche Exzellenz-Zentren entwickelt, die finanziell und apparativ sehr gut aufgestellt sind. Die führenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zieht es an diese Zentren. Deutschland versucht mit neuen Initiativen wie Genom.de, den Anschluss zu finden. Diese Aktivitäten gehen zwar in die richtige Richtung, die Chancen müssten allerdings noch beherzter aufgegriffen werden. Dies beinhaltet neben einer besseren apparativen und personellen Ausstattung der Zentren auch die Bereitschaft der Bevölkerung, vor allem die Chancen und nicht immer nur die Risiken der Genommedizin zu sehen und auf breiter Ebene wissenschaftliche Untersuchungen zur Genomsequenzierung zu unterstützen.“
Leiter der Abteilung Molekulare Genetik, Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ), und Geschäftsführender Direktor des Nationalen Zentrums für Tumorerkrankungen (NCT), Heidelberg
„Die Entstehung vieler Krankheiten, insbesondere von Krebs und von klassischen Erbkrankheiten, geht auf Veränderungen im Erbgut (Genom) zurück. Um die Veränderungen zu erkennen, die für die Entstehung oder Ausbreitung solcher Krankheiten verantwortlich sind, werden die Genome – beispielsweise von Tumorzellen – entschlüsselt und mit dem sogenannten humanen Referenzgenom verglichen. Das für diese Anwendung gegenwärtig aktuellste Referenzgenom ist aus Teilen von Genomen verschiedener Personen mosaikartig zusammengesetzt und enthält auch noch kleinste Lücken. Da die meisten Veränderungen keinen Einfluss auf die Zellen haben, also auch medizinisch irrelevant sind, gilt es, die krankheitsrelevanten Veränderungen zu identifizieren. Für eine solche Beurteilung ist es hilfreich, als Referenz ein repräsentatives Genom aus einer vergleichbaren menschlichen Population zu verwenden, da in verschiedenen Populationen unterschiedliche genomische Variationen vorherrschen.“
„Nachdem vor 20 Jahren (2003) das erste noch lückenhaft zusammengesetzte menschliche Referenzgenom publiziert wurde, gelang es im Jahre 2022 zum ersten Mal, ein individuelles Genom vollständig, also von einem Ende bis zum anderen, zu sequenzieren (entschlüsseln). Dabei konnten auch die kleinen Lücken weiter geschlossen werden. Das ‚Human Pangenome Reference Consortium‘ hat sich zum Ziel gesetzt, eine repräsentative Serie von 350 solcher kompletten Genome von unterschiedlichsten menschlichen Populationen zu sequenzieren. Die nun erfolgte Veröffentlichung der ersten 47 dieser Genome stellt einen erfolgreichen Meilenstein dieser wichtigen Initiative dar. Die Daten erlauben nicht nur, die genombiologischen Fragen nach der genetischen Variabilität innerhalb eines Individuums beziehungsweise global genauer zu untersuchen, sie legen auch den Grundstein für verbesserte, medizinisch nutzbare Referenzgenome. Die Autoren zeigen eindrucksvoll, dass sie mit ihren Analysen sogenannte strukturelle Veränderungen, also Umbauten bei denen Segmente des Erbguts rearrangiert werden, detaillierter auflösen können und beschreiben einige solcher genauer erfassten Umbauten auch im Erbgut von normalen Zellen – eine wichtige Information für die Optimierung eines Referenzgenoms.“
„Langfristig wird es das Ziel sein, selbst über die 350 Fälle hinaus individuelle Genome zu entschlüsseln, um letztendlich eine repräsentative Datenbasis aller genetischen Populationen auf der Erde für eine optimale Selektion des jeweiligen Referenzgenoms zu erhalten.“
„Die Autoren der Arbeit machen ihre Ergebnisse in vorbildlicher Weise der Öffentlichkeit zugänglich und beschränken sich dabei nicht nur auf die Bereitstellung der DNA-Daten, für die eine umfangreichen Einverständniserklärung vorliegt, sondern machen auch ihre in dieser Arbeit vorgestellten neuen Werkzeuge generell zugänglich. So kann die wissenschaftliche Community sehr viel schneller diese wichtigen neuen Befunde weiterentwickeln und für mögliche medizinische Anwendungen nutzen.“
„Die Genommedizin ist in Deutschland aufgrund von Fördermaßnahmen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) international kompetitiv aufgestellt. Dabei spielt das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) mit seiner exzellenten Einheit für die Sequenzierung gesamter Genome und das daran gekoppelte Programm der Molekularen Präzisionsonkologie (MPOP) am Nationalen Zentrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg eine zentrale Rolle. Hier werden seit geraumer Zeit jährlich die vollständigen Tumorgenome von ungefähr 1000 Krebspatienten sequenziert, umfangreich analysiert und innerhalb von klinischen Studien zur Entscheidung von zielgerichteten Therapien herangezogen. Relevante neue Entwicklungen wie die hier besprochenen Daten können unmittelbar integriert werden. Die kürzlich durch das BMBF erfolgte Ausweitung des NCT zu einem nationalen Netzwerk mit insgesamt sechs Standorten bietet die Möglichkeit, in Zukunft die genommedizinische Spitzensituation in Heidelberg zum Nutzen der Krebspatienten auf nationalem Level auszurollen.“
„Bezüglich möglicher Interessenkonflikte möchte ich darauf hinweisen, dass ich mit einigen der Autoren des Papers aktuell an einem gemeinsamen Forschungsvorhaben beteiligt bin.“
„Keine Interessenkonflikte.“
„Ich habe keinen Interessenkonflikt anzugeben.“
„Mir sind keine Interessenkonflikte bekannt.“
„Es bestehen keine Interessenkonflikte.“
Primärquelle
Liao WW et al. (2023): A draft human pangenome reference. Nature. DOI: 10.1038/s41586-023-05896-x.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Nurk S et al. (2022): The complete sequence of a human genome. Science. DOI: 10.1126/science.abj6987.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Venter JC et al. (2001): The sequence of the human genome. Science. DOI: 10.1126/science.1058040.
[II] Wang T et al.(2022): The Human Pangenome Project: a global resource to map genomic diversity. Nature. DOI: 10.1038/s41586-022-04601-8.
[III] Vollger MR et al. (2023): Increased mutation and gene conversion within human segmental duplications. Nature. DOI: 10.1038/s41586-023-05895-y.
[IV] Guarracino A et al. (2023): Recombination between heterologous human acrocentric chromosomes. Nature. DOI: 10.1038/s41586-023-05976-y.
[V] Massarat A et al. (2023): A collective human reference genome. Nature.
Dr. Siegfried Schloissnig
Projektleiter, Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie GmbH (IMP), Wien, Österreich
Prof. Dr. Michael Nothnagel
Leiter der Forschungsgruppe Statistische Genetik und Bioinformatik, Universität zu Köln
Prof. Dr. Stefan Mundlos
Direktor des Instituts für Medizinische Genetik und Humangenetik der Charité – Universitätsmedizin Berlin, und Leiter der Arbeitsgruppe Development & Disease, Max-Planck-Institut für molekulare Genetik, Berlin
Prof. Dr. André Reis
Direktor des Humangenetischen Instituts, Universitätsklinikum Erlangen
Prof. Dr. Peter Lichter
Leiter der Abteilung Molekulare Genetik, Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ), und Geschäftsführender Direktor des Nationalen Zentrums für Tumorerkrankungen (NCT), Heidelberg