Milchkonsum bei Laktoseintoleranz assoziiert mit verringertem Risiko für Diabetes
Studie zeigt Zusammenhang zwischen Milchkonsum und Schutz vor Diabetes bei Laktoseintoleranz
Milch fördert das Wachstum bestimmter Darmbakterien, die Stoffwechsel positiv beeinflussen
unabhängige Forschende erläutern die Plausibilität der Ergebnisse
Der Konsum von Kuhmilch kann sich bei laktoseintoleranten Personen positiv auf die Gesundheit auswirken, indem er das Risiko für einen Typ-2-Diabetes verringert. Zu diesem Ergebnis kommt eine US-amerikanische Studie, die am 23.01.2024 im Fachmagazin „Nature Metabolism“ veröffentlicht wurde (siehe Primärquelle).
Leiter der Arbeitsgruppe Klinisches Studienzentrum am Deutschen Diabetes-Zentrum – Leibniz-Zentrum für Diabetes-Forschung an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (DDZ), und Professor für klinisch-diabetologische Stoffwechselforschung an der Medizinischen Fakultät, Heinrich-Heine Universität Düsseldorf
Laktoseintoleranz
„Das ist ein beeindruckendes Paper, das sich in das bestehende Wissen über die Risikofaktoren von Typ-2-Diabetes gut einfügt. Auf den ersten Blick scheint die Aussage der Studie kontra-intuitiv zu sein. Die Unverträglichkeit von Milchzucker, die sogenannte Laktoseintoleranz, hat allerdings unterschiedliche Ausprägungen. Manche merken gar nicht, wenn sich das Laktase-Enzym, das den Milchzucker im Darm abbaut, nach dem Säuglingsalter zurückbildet. Diese sogenannte Laktase-non-persistenten (LNP) Personen konsumieren in vielen Fällen trotzdem Milch, und tolerieren dabei die eventuellen Beschwerden wie Blähungen. Auch Bauchschmerzen können dabei in sehr unterschiedlichen Maßen auftreten und wahrgenommen werden. Eben bei diesen Personen zeigt die Studie klar, dass der Milchkonsum mit geringerer Diabetesinzidenz vergesellschaftet ist. Darüber hinaus haben die Autoren beobachtet, dass ein höherer Milchkonsum in LNP-Personen mit einem niedrigeren Body-Mass-Index (BMI) assoziiert war.“
Mechanismus und Unterschied zu laktosetoleranten Personen
„Es ist naheliegend, dass durch den Milchkonsum bestimmte Bakterien im Darm mit Milchzucker gefüttert werden und diese besser wachsen. Die Autorinnen und Autoren haben bei LNP-Personen verschiedene Bakterien-Spezies im Darm identifiziert, die auf den Laktoseabbau spezialisiert sind. Laktase-persistente, also laktosetolerante Personen hingegen zersetzen den durch die Milch aufgenommenen Milchzucker bereits im Dünndarm, wodurch dieser im Dickdarm nicht mehr ankommt und dort auch nicht mehr die nützlichen Bakterien füttert. Der Konsum von Milch bei laktosetoleranten Personen kann also sogar zu einem gegenteiligen Effekt führen (Gewichtszunahme, Erhöhung des Diabetes-Risikos; Anm. d. Red.), da Milch sehr nahrhaft ist.“
„Diese nützlichen Darmbakterien produzieren wiederum Substrate, die sich positiv auf den Stoffwechsel auswirken könnten, und gegen Typ-2-Diabetes schützen können. Ein genauer Nachweis dieser Mediatoren ist den Autoren nicht gelungen, aber ein möglicher Vermittler dieser Effekte könnten kurzkettige Fettsäuren sein, die direkt oder indirekt den Appetit, die Insulinwirkung oder die Leberverfettung günstig beeinflussen können.“
Effekt des Mikrobioms
„Das Mikrobiom ist in den vergangenen Jahren verstärkt in den Fokus der Forschung geraten. Dabei war immer die Frage: Henne oder Ei? Also beeinflusst der Diabetes das Mikrobiom oder das Mikrobiom den Diabetes? Diese Studie zeigt jetzt Hinweise dafür, dass das Mikrobiom die Diabetesanfälligkeit tatsächlich kausal beeinflussen könnte. Gleichzeitig wird gut veranschaulicht, wie stark das Zusammenspiel von genetischer Veranlagung und Lebensstil das Mikrobiom bestimmt.“
Fazit
„Eine Lesart der Studie ist, dass der Konsum von Milch paradoxerweise schützend sein kann, wenn man genetisch dafür prädisponiert ist und wie hier in dem Fall Laktose nicht verstoffwechseln kann (LNP-Personen). Interessant ist, dass eigentlich Lebensmittel, die wir vermeintlich nicht vertragen, sogar einen schützenden Effekt haben können. Ähnlich ist das bei Ballaststoffen, die der menschliche Körper nicht verwerten kann, aber von denen man weiß, dass sie, möglicherweise auch über günstige Beeinflussung des Darmmikrobioms, positiv auf die Gesundheit auswirken. Blähungen, Darmgeräusche oder ähnliche Symptome, die man von Unverträglichkeiten her kennt, können unter Umständen also auch ein Zeichen für gesundheitsfördernde Prozesse sein.“
Wissenschaftlerin Ernährung & Gesundheit, Wageningen University & Research, Wageningen Food and Biobased Research, Niederlande
Laktoseintoleranz
„Nicht-laktasepersistent zu sein schließt nicht notwendigerweise die Fähigkeit aus, eine gewisse Menge an Laktose konsumieren zu können. Untersuchungen haben gezeigt, dass viele Personen, die keine Laktase haben, dennoch bis zu zwölf Gramm Laktose pro Tag zu sich nehmen können – was der Menge in einem großen Glas Milch entspricht – ohne unter Intoleranzsymptomen zu leiden. Die Fähigkeit, Laktose zu vertragen, ist von Person zu Person unterschiedlich; einige können problemlos mehr als zwölf Gramm verzehren, während bei anderen schon bei geringeren Mengen Symptome auftreten können.“
Effekt von Milch auf Darmbakterien
„Es ist sehr plausibel, dass der Milchkonsum die Zusammensetzung und damit das metabolische Profil beeinflussen kann, insbesondere bei Personen, die keine Laktasepersistenz aufweisen. Da die Laktose aus der Milch im Dünndarm von Personen ohne Laktasepersistenz unverdaut bleibt, dient sie als Energiequelle für das Darmmikrobiom.“
„In unserer kürzlich veröffentlichten Studie [1] konnten wir nachweisen, dass die Aufnahme zunehmender Laktosemengen durch Personen mit dem Genotyp ‚Nicht-Laktasepersistenz‘ zu Veränderungen in der Mikrobiota führt, einschließlich einer Zunahme der Bifidobakterien. In Übereinstimmung mit der aktuellen Studie wurde auch ein signifikanter Anstieg der fäkalen β-Galaktosidase-Aktivität festgestellt. Angesichts des engen Zusammenhangs zwischen der Zusammensetzung des Darmmikrobioms und des Metabolom-Profils ist es wahrscheinlich, dass Veränderungen des einen das andere beeinflussen können.“
Mechanismus und Unterschied zu laktosetoleranten Personen
„Der Hauptunterschied liegt, wie bereits erwähnt, in der Art der Verdauung von Laktose. Im Allgemeinen verdauen Personen mit Laktasepersistenz Laktose effizient und absorbieren die entstehenden Galaktose- und Glukosemoleküle im Dünndarm. Personen mit Nicht-Laktaseopersistenz fehlt die Laktase-Enzymexpression im Bürstensaum ihres Dünndarms, wodurch die Verdauung der Laktose aus der Milch an dieser Stelle verhindert wird. Folglich kann die Laktose, die unverdaut im Dünndarm verbleibt, als Energiequelle für die Mikrobiota des Darms dienen. Dieser Prozess kann, wie in unserer jüngsten Veröffentlichung gezeigt wurde [1], die Zusammensetzung des Mikrobioms beeinflussen, was wiederum die Konzentration der zirkulierenden Metaboliten verändern kann.“
Zusammenhang mit Typ-2-Diabetes
„Es ist derzeit verfrüht, endgültige Schlüsse zu Zusammenhängen mit Typ-2-Diabetes herzustellen. Die Veröffentlichung deutet auf einen statistischen Zusammenhang hin, ohne einen kausalen Zusammenhang zu implizieren. In der Studie wird ein statistischer Zusammenhang zwischen dem Milchkonsum, bestimmten Metaboliten und der Häufigkeit von Typ-2-Diabetes vorgeschlagen. Es ist jedoch wichtig, darauf hinzuweisen, dass diese Assoziationen keinen endgültigen Beweis für einen ursächlichen Zusammenhang liefern. Die vorgeschlagenen Zusammenhänge sind indirekt und lassen Raum für andere Einflussfaktoren. Weitere Untersuchungen sind unerlässlich, um das Verständnis dieser Zusammenhänge zu vertiefen und ihre Bedeutung zu ermitteln.“
Fazit
„Die Studie enthält keine ausdrücklichen Ernährungsempfehlungen, sondern hebt vielmehr die potenziellen Auswirkungen des Milchkonsums einer bestimmten Bevölkerungsgruppe auf das Darmmikrobiom und ihre Metaboliten sowie den potenziellen Zusammenhang mit einem bestimmten gesundheitlichen Ergebnis hervor. Es ist klar, dass es sich um eine bevölkerungsbezogene epidemiologische Beobachtungsstudie handelt, aus der keine kausalen Schlüsse gezogen werden können.“
„Zum sensiblen Thema des Milchkonsums bei Erwachsenen ist anzumerken, dass nicht laktasepersistent zu sein nicht unbedingt mit einer Laktoseintoleranz und Magen-Darm-Beschwerden gleichzusetzen ist. Untersuchungen zeigen, dass viele Personen, die nicht laktasepersistent sind, dennoch bis zu zwölf Gramm Laktose pro Tag vertragen. Magen-Darm-Beschwerden, die häufig mit Laktoseintoleranz einhergehen, könnten durch Veränderungen des Darmmikrobioms gemildert werden, weil diese eine Laktoseverdauung ohne die Produktion von Gasen ermöglichen, die zu Intoleranzsymptomen führen. Daher wirft die Studie ein Licht auf die komplexe Beziehung zwischen dem Milchkonsum, der Darmmikrobiota und ihren Metaboliten sowie den gesundheitlichen Folgen. Spezifische Ernährungsempfehlungen bedürfen jedoch weiterer Forschung, wobei individuelle Toleranzen, gesundheitliche Auswirkungen und kulturelle Kontexte zu berücksichtigen sind.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte zum Thema.“
„Keine Interessenkonflikte.“
Primärquelle
Luo K et al. (2023): Variant of the lactase LCT gene explains association between milk intake and incident type 2 diabetes. Nature Metabolism. DOI: 10.1038/s42255-023-00961-1.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Janssen Duijghuijsen L et al. (2023): Changes in gut microbiota and lactose intolerance symptoms before and after daily lactose supplementation in individuals with the lactase nonpersistent genotype. The American Journal of Clinical Nutrition. DOI: 10.1016/j.ajcnut.2023.12.016.
Prof. Dr. Robert Wagner
Leiter der Arbeitsgruppe Klinisches Studienzentrum am Deutschen Diabetes-Zentrum – Leibniz-Zentrum für Diabetes-Forschung an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (DDZ), und Professor für klinisch-diabetologische Stoffwechselforschung an der Medizinischen Fakultät, Heinrich-Heine Universität Düsseldorf
Dr. Lonneke Janssen Duijghuijsen
Wissenschaftlerin Ernährung & Gesundheit, Wageningen University & Research, Wageningen Food and Biobased Research, Niederlande