Metastudie: Emissionsminderungen aus Klimaschutzprojekten deutlich geringer als angegeben
Forschende präsentieren systematische Auswertung von über 60 Studien zu Klimaschutzprojekten
nur 16 Prozent der zertifizierten Emissionen werden demnach auch tatsächlich vermieden
Experten bestätigen die Ergebnisse: Der Markt für Emissionsgutschriften ist aktuell weitgehend wirkungslos
Unternehmen, die ihren CO2 -Ausstoß verringern wollen, haben zwei Möglichkeiten: Entweder sie sorgen dafür, dass bei ihren Prozessen weniger Emissionen entstehen, oder sie kaufen sogenannte Kohlenstoffgutschriften. Diese sichern zu, durch Klimaschutzprojekte irgendwo anders auf der Welt Emissionen zu vermeiden – als eine Art Ausgleich, auch Offset genannt. Forschende haben nun ermittelt, dass nur etwa 16 Prozent der Emissionen aus den Kohlenstoffgutschriften auch tatsächlich vermieden werden. Zu diesem Ergebnis kommt eine Metastudie, die am 14.11.2024 im Journal Nature Communications erschienen ist (siehe Primärquelle). Für ihre Analyse werteten die Forschenden insgesamt 65 Studien aus, in denen unterschiedliche Klimaschutzprojekte und Maßnahmen untersucht wurden: beispielsweise Forstprojekte, die Bereitstellung effizienter Kochöfen in Ländern des Globalen Südens und Maßnahmen zur Emissionsreduktion von Schwefelhexafluorid (SF6), das als das stärkste Treibhausgas gilt. Laut Angaben der Forschenden deckt die Meta-Analyse damit insgesamt Gutschriften im Umfang von fast einer Milliarde Tonnen CO2-Äquivalent ab. Um die Effektivität der Kohlenstoffgutschriften zu erhöhen, fordern die Autorinnen und Autoren grundlegende Reformen der Anrechnungsmechanismen.
Senior Researcher, RFF-CMCC European Institute on Economics and the Environment (EIEE), Italien
Hintergrund der Analyse
„Die Studie beleuchtet ein wichtiges Thema im Bereich Klimapolitik, nämlich das der sogenannten Offsets von Klimaschutzmaßnahmen. Vor allem drei Gründe sprechen dafür, dass diese Maßnahmen nur zu einem kleinen Teil tatsächlich Emissionen verringern. Erstens die Frage der Additivität (Zusätzlichkeit; Anm. d. Redaktion), zweitens die Permanenz der Vermeidung, und drittens die Möglichkeit einer doppelten Erfassung von Emissionsreduktionen. Die vorliegende Studie versucht vor allem die Frage der Additivität in einer Metastudie zu quantifizieren.“
Umfang der Analyse
„Da es generell sehr schwierig ist, tatsächliche Emissionen mit hypothetischen Referenzemissionen zu vergleichen, ist es nicht überraschend, dass nur eine sehr kleine Anzahl von 14 Studien als Hauptgrundlage für diese Metastudie herangezogen werden konnte. Zudem begutachtet mehr als die Hälfte der Studien Aufforstungsprojekte und vermiedene Entwaldung, während für die anderen Sektoren nur sehr wenige Studien verfügbar waren. Insbesondere im Bereich der Waldprojekte ist die Streuung der Ergebnisse außerdem am größten, mit teilweise positiven vermiedenen Emissionen, aber teils auch sehr schlechten Ergebnissen.“
Einordnung der Ergebnisse
„Die Ergebnisse zeigen eine relativ große Spannbreite hinsichtlich der möglichen Effektivität von Kompensationsmaßnahmen. Auf der anderen Seite wurden weitere Faktoren, die die langfristige Effizienz zusätzlich beeinträchtigen könnten, noch nicht berücksichtigt. Dazu gehören beispielsweise die mehrfache Anrechnung von Emissionen bei Projekten mit jahrzehntelanger Laufzeit oder das Risiko von Waldbränden bei Aufforstungsprojekten. Das zentrale Ergebnis, dass nur etwa 16 Prozent der angegebenen Emissionen tatsächlich vermieden wurden, lässt den Markt für Offsets als wenig wirksam erscheinen. Letztlich zeigt die Studie, dass nur konkrete, quantifizierbare und tatsächliche Treibhausgasreduktionen in den emittierenden Sektoren und Ländern wirklich effektiv dazu beitragen können, das Ziel der Nullemissionen global und in Europa noch zu erreichen.“
Experte für internationale Kohlenstoffmärkte und Klimapolitik, New Climate Institute
Hintergrund der Analyse
„Ich kenne die Standards und die Projektentwicklungen seit nun fast 20 Jahren. Ich habe in der Anfangsphase selbst Projekte entwickelt und kann daher teilweise sogar aus eigener Erfahrung bestätigen, dass viele der genannten Probleme in der Realität so vorhanden sind. Wir haben auch vergleichbare Forschungsarbeiten durchgeführt und kommen zu ähnlichen Ergebnissen in vergleichbaren Größenordnungen. Meiner Einschätzung nach sind daher die Kernaussagen der Studie richtig.“
Einordnung der Methodik
„Ich kann keine Schwachpunkte erkennen. Die Metrik und die Kriterien ergeben Sinn. Eine Metastudie hängt natürlich von der Qualität der ausgewerteten Veröffentlichungen ab. Viele dieser Studien kenne ich aber im Detail und halte sie für eine gute Repräsentation der Bedingungen vor Ort.“
Einordnung der Ergebnisse
„Für mich sind die Ergebnisse weder überraschend noch neu. Es ist aber trotzdem bemerkenswert, dass die Situation so schlecht ist und sich dies auch nicht gebessert hat – trotz aller Versprechen und Bemühungen. Die Resultate der einzelnen Projekttypen sind absolut nachvollziehbar. Und ja, wenn man ausreichend Daten und Studien hätte, um weitere Faktoren einzubeziehen, wären die Ergebnisse vermutlich noch schlechter.“
„Die Schlussfolgerungen der Autoren bezüglich Windkraft-Projekten in China und verbesserter Forstwirtschaft (improved forest managment, IFM) in den Vereinigten Staaten sind nachvollziehbar. Standards und Methoden müssen erheblich verbessert werden. Einzig an diesem Punkt würde ich eine abweichende Meinung vertreten: Ich glaube nicht, dass dies jemals realistischerweise so umsetzbar wäre, dass wir zu einer signifikant besseren Bilanz kommen. Das System setzt die falschen Anreize, denn die Projektentwicklung erfolgt hier im Rahmen eines marktbasierten Ansatzes. Der Markt ist darauf trainiert, das vermeintlich gleiche Ergebnis zu den geringstmöglichen Kosten zu erreichen. Dies sind unweigerlich die günstigsten Minderungsoptionen. Gleichzeitig entscheiden sich Marktteilnehmer bei Abwägung der Risiken und Chancen zu Regelbrüchen, wenn diese nicht hart sanktioniert werden. Dieses System ist nicht kompatibel mit den Anforderungen, die das Pariser Klimaschutzabkommen an alle Unterzeichnerstaaten stellt. Daran wird auch eine weitere Qualitätsdiskussion nichts ändern. Die Projektentwicklung muss daher unabhängig von Marktkräften und deren Zwängen erfolgen. Das ist aber nicht erwünscht. Gleichzeitig haben die letzten 20 Jahre gezeigt, dass ein durchsetzbares Regelwerk auf internationaler Ebene in diesem Bereich reines Wunschdenken ist.“
wissenschaftlicher Mitarbeiter im Kompetenzbereich Klima- und Entwicklungspolitik, RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung
Studienmethodik
„Die Autoren und Autorinnen dieser Metastudie wenden einen methodischen Ansatz an, der für ihre Fragestellung sehr gut geeignet ist. Mit der „Offset Achievement Ratio“ (deutsch: Erfüllungsgrad) haben sie eine leicht verständliche Kennzahl gewählt, die angibt, welcher Anteil der ausgestellten Kohlenstoffgutschriften tatsächlich zu erwartbaren Emissionsreduktionen führt. Die Studie bezieht neben den Ausgangsstudien, die Zahlen zum Erfüllungsgrad liefern, auch viele zusätzliche Studien ein, um die zugrunde liegenden Einflussfaktoren besser zu verstehen. Wie jede Metastudie hängt jedoch auch diese stark von der Qualität der Ausgangsstudien ab. In diesem Fall decken die Ausgangsstudien unter anderem nicht alle möglichen Ursachen für geringe tatsächliche Emissionsreduktionen ab, so dass die tatsächlichen Erfüllungsgrade wahrscheinlich noch niedriger ausfallen als berichtet.“
Einordnung der Ergebnisse
„Die Metastudie verdeutlicht systematische Probleme bei der Vergabe von Kohlenstoffgutschriften durch Carbon Crediting und zeigt die Faktoren auf, die zur künstlichen Erhöhung der Kohlenstoffgutschriften beitragen. Diese Ergebnisse decken sich mit der Kritik, die in den letzten Jahren wiederholt am Carbon Crediting geäußert wurde. Die Studie hätte deutlicher machen können, dass einige der Mängel bereits durch Anpassungen in den Zulassungskriterien und Berechnungsmethoden angegangen wurden. Meines Erachtens sind diese Anpassungen jedoch unzureichend, so dass die wesentlichen Ergebnisse der Metastudie weiterhin gültig sind.“
Studienimplikationen
„Carbon Crediting ist ein wichtiges Instrument für den Klimaschutz, da es Emissionseinsparungen dort ermöglicht, wo sie am kostengünstigsten sind. Die Studie stellt diesen Ansatz nicht infrage, weist jedoch auf die Notwendigkeit hin, die Berechnung und Zuteilung von Emissionsgutschriften strenger zu gestalten. Solche Anpassungen würden Missbrauch besser verhindern, die Qualität der geförderten Projekte verbessern und dadurch die Glaubwürdigkeit des Instruments stärken. Die Anpassungen würden jedoch auch zu höheren Preisen für Kohlenstoffgutschriften führen und eine zentrale klimapolitische Erkenntnis unterstreichen: Wirksamer Klimaschutz hat überall seinen Preis. Viele Carbon-Crediting-Projekte, die direkt zur Reduzierung von Emissionen beitragen – wie etwa effiziente Kochherde – werden weiterhin kosteneffizient und volkswirtschaftlich sinnvoll bleiben. Der dringend notwendige Waldschutz hingegen wird vermutlich zusätzliche politische Maßnahmen erfordern, wie zum Beispiel strengere Auflagen gegen Abholzung und gezieltere Anreize für nachhaltige Landnutzung.“
Professor für Ökonomik Nachhaltiger Landnutzung und Bioökonomie, Institut für Lebensmittel- und Ressourcenökonomik und Zentrum für Entwicklungsforschung, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Hintergrund der Analyse
„Bei der Studie handelt es sich um eine sogenannte Metaanalyse. Dabei werden Ergebnisse aus bereits publizierten und international begutachtete Studien nach transparenten Kriterien zusammengefasst, um ein Gesamtbild des verfügbaren Wissens zu einer definierten Fragestellung zu erstellen. Hier geht es um die Frage ob Initiativen zur Emissionsreduktion, die von ihnen versprochenen Emissionsreduktionen auch tatsächlich erreichen. Die Untersuchung kommt zu dem Schluss, dass die von den untersuchten Initiativen tatsächlich reduzierten Emissionen im Durschnitt deutlich unter den geplanten und durch Emissionszertifikate attestierten Emissionsreduktionen lagen. Der Unterschied wird mit dem sogenannten Offset Achievement Ratio (OAR) quantifiziert, einer einfachen Metrik, die die gemessene Zusätzlichkeit einer Initiative ins Verhältnis zur ursprünglich zertifizierten Menge setzt.“
Einordnung der Methodik
„Der methodische Ansatz der Studie ist weithin etabliert und rigoros. Die OAR-Metrik kann dabei allerdings immer nur so verlässlich sein, wie die Zusätzlichkeitsschätzungen der zugrundeliegenden Studien. Da alle diese Studien rigorose Evaluierungsmethoden verwendet haben, kann davon ausgegangen werden, dass hier die best-verfügbarste Evidenz zur Wirksamkeit der Emissionsreduktionsinitiativen verwendet wurde. Allerdings stammt nur etwa ein Fünftel der tatsächlich vergebenden Emissionszertifikate aus Initiativen, die rigoros evaluiert wurden. Daraus ergibt sich eine mögliche Verzerrung, die die Autoren der Studie aber anerkennen. Im Prinzip wäre es möglich, dass systematisch weniger effektive Initiativen evaluiert wurden. Es gibt allerdings in der Literatur wenig Hinweise dafür, dass dies der Fall wäre.“
Einordnung der Ergebnisse
„Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass Initiativen systematisch in Kontexten umgesetzt werden, in denen die geförderten Maßnahmen entweder auch ohne Förderung wirtschaftlich gewesen wären, wie zum Beispiel erneuerbare Energien oder eine Förderung zur Emissionsvermeidung nicht unmittelbar notwendig war wie zum Beispiel im Tropenwaldschutz. Um die Zusätzlichkeit in solchen Kontexten zu demonstrieren, müssen Projektentwickler die Notwendigkeit einer Förderung de facto übertreiben. Der zentrale Kritikpunkt der Studie ist, dass die etablierten Methoden für die Erstellung solcher Referenzszenarien zu viel Spielraum für solche Übertreibungen ermöglichen und die ebenfalls etablierten Validierungsmethoden für eine ebensolche Validierung ungeeignet sind.“
„Diese Kritik ist sehr berechtigt und das an sich nützliche Konzept des ‚Offsetting‘ kann seinen Nutzen natürlich nur dann entfalten, wenn man sich dieser Kritik stellt. Zum einen müssen die Methoden zur Erstellung von Referenzszenarien transparenter und unabhängiger gestaltet und überprüft werden und zum anderen brauchen wir neue Validierungsansätze, die die Referenzszenarien von Initiativen zur Emissionsreduktion auch nach Beginn der Maßnahmen überprüfen und gegebenenfalls anpassen. Die Methoden, die in den hier zusammengefassten Studien zur Messung der Wirksamkeit verwendet wurden, können einen großen Beitrag dazu leisten.“
„Es bestehen keine Interessenkonflikte.“
„Ich sehe keine Interessenkonflikte.“
„Ich habe mit einem der Autoren der Studie publiziert und war an zwei der in der Studie berücksichtigten Wirkungsevaluierungen beteiligt. Für mich erwächst daraus jedoch kein Interessenkonflikt.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Primärquelle
Probst B et al. (2024): Systematic assessment of the achieved emission reductions of carbon crediting projects. Nature Communication. DOI: 10.1038/s41467-024-53645-z.
Weiterführende Recherchequellen
Science Media Center (2023): CO2-Kompensation durch Waldschutz hält nicht, was sie verspricht. Statements. Stand: 24.08.2023.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (2024): Kohlenstoffmärkte: Globale Perspektive. Artikel.
[II] Fischer T et al. (01.05.2023): Grün getarnt. Zeit Online.
[III] West T et al. (2023): Action needed to make carbon offsets from forest conservation work for climate change mitigation. Science. DOI: 10.1126/science.ade3535.
[IV] COP29 (11.11.2024): COP29 Opens in Baku with Breakthrough on Global Carbon Markets. Pressemitteilung.
Dr. Johannes Emmerling
Senior Researcher, RFF-CMCC European Institute on Economics and the Environment (EIEE), Italien
Carsten Warnecke
Experte für internationale Kohlenstoffmärkte und Klimapolitik, New Climate Institute
Dr. Gunther Bensch
wissenschaftlicher Mitarbeiter im Kompetenzbereich Klima- und Entwicklungspolitik, RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung
Prof. Dr. Jan Börner
Professor für Ökonomik Nachhaltiger Landnutzung und Bioökonomie, Institut für Lebensmittel- und Ressourcenökonomik und Zentrum für Entwicklungsforschung, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn