Mehr Geld für Gleise: Wie wird die Bahn wieder zuverlässig?
Bundesregierungen unterstützen seit Jahren die Bahn dabei, ihr Netz zu ertüchtigen, damit Züge pünktlicher fahren
DB wird aber seit der Pandemie immer unpünktlicher, es fallen auch immer mehr Zugfahrten aus
Forscher: Politik zielt nur auf Teilprobleme, viele Verspätungen entstehen auch durch schlechte oder kaputte Fahrzeuge oder Fahrplangestaltung; grundsätzlich fehlt eine externe Kontrolle
Die Verspätungen im Verkehr der Deutschen Bahn (DB) nehmen seit dem Ende der Pandemie wieder zu. 2019 erreichten der jüngsten Marktuntersuchung der Bundesnetzagentur zufolge 73 Prozent aller Fernzüge ihr Ziel pünktlich, 2023 nur 61 Prozent. Besonders auffällig: Immer mehr Züge fielen im Fern- wie im Nahverkehr in diesem Zeitraum auf Teilstrecken oder gleich ganz aus: Im Fernverkehr stieg die Quote der vollständigen ausgefallenen Züge von 2,1 auf 4,2 Prozent, noch höher lag diese bei den Teilausfällen [I]. Ausgefallene Züge im Fernverkehr rechnet die DB nicht als verspätet; die Pünktlichkeit der Züge ist nach Angabe des Bundesrechnungshofs ein Kriterium für die Bonuszahlungen an die Vorstandsmitglieder der Bahn [II]. Güterzüge dagegen fallen viel seltener aus, kommen aber noch deutlich unzuverlässiger am Ziel an. Nach Angaben der Bahn kamen Personenzüge in den zurückliegenden 12 Monaten nur wenig pünktlicher an, jedoch fehlen Angaben über Zugausfälle [III].
kommissarischer Institutsdirektor, Institut für Verkehrsforschung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Berlin
Ursachen für Verspätungen
„Grundsätzlich gibt es zwei Arten von Verspätungen: initiale Verspätungen und Folgeverspätungen. Initiale Verspätungen entstehen, wenn ein Zug vom Fahrplan abweicht. Folgeverspätungen entstehen, wenn weitere Fahrplanabweichungen hinzukommen, weil der bereits verspätete Zug auf andere Züge Rücksicht nehmen muss, wie zum Beispiel durch belegte Gleise, Gegenverkehr und das Überholen durch schnellere Züge. Im Güterverkehr sind Folgeverspätungen besonders gravierend. Denn die Betriebszentralen bevorzugen bei Kapazitätskonflikten meist Personenzüge.“
„Die Gründe für Initialverspätungen sind vielfältig: Defekte Türen, Menschen auf dem Gleis, kaputte Signale, verstopfte Toiletten oder Sonderhalte und schließlich andere verspätete Züge. Die veraltete Infrastruktur ist dabei nur ein Faktor von mehreren.“
„Folgeverspätungen hingegen haben zwei Hauptgründe: Zu viele Züge auf der bestehenden Infrastruktur und ein in der Vergangenheit geschehene Rückbau vermeintlich überflüssiger Ausweichstrecken, Überholmöglichkeiten und Bahnsteige.“
Fehlende Reserven
„Außerdem gibt es nicht genügend Reserven im Fahrplan am Endpunkt einer Fahrt, sowie bei den Triebzügen und Lokomotiven. Wenn ein Zug verspätet am Endbahnhof angekommen ist und nicht genügend Pufferzeit vor Antritt der nächsten Fahrt eingeplant ist, übertragen sich Verspätungen auf die Folgefahrten. Das hat den Grund, dass Eisenbahnverkehrsunternehmen im Regionalverkehr Angebote auf Ausschreibungen abgeben und dabei die Anzahl der benötigten Zuggarnituren möglichst geringhalten wollen.“
„Wir erleben momentan eine Situation, bei der alle Reserven zum Umgang mit Verspätungen, erschöpft sind. So haben auch kleinere Störungen erhebliche Folgeeffekte. Man kann von wiederkehrenden Systemzusammenbrüchen sprechen.“
Bisherige Unterstützung durch Politik zielt nicht auf alle Verspätungsursachen
„Die LuFV (Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung zwischen Bundesrepublik und DB über Instandhaltung der Bahn-Infrastruktur; Anm. d. Red.) bezieht sich nur auf die Infrastruktur. Sie umfasst deshalb einige Auslöser für Initialverspätungen und zu knapp geplante Fahrzeugumläufe nicht. Daneben gibt es das Problem der Abgrenzbarkeit von Verspätungsursachen: Es ist oft nicht klar, ob die unzureichende Infrastruktur, die zu knapp geplanten Umlaufpläne der Zuggarnituren, der Wartungszustand der Züge oder der bauliche Zustand der Infrastruktur für die Verspätung ursächlich ist. Das kann dazu führen, dass falsche Prioritäten im Mitteleinsatz gesetzt werden.“
Mögliche Maßnahmen gegen Verspätungen und Umsetzungdauer
„Die Umsetzungsdauer unterscheidet sich stark, je nachdem ob es eine bauliche Maßnahme oder eine Anpassung von Regelwerken im Zusammenspiel mit den Akteuren ist. Es müssten zum Beispiel Ausweichmöglichkeiten für Züge geschaffen werden oder auch Ausweichstrecken und Ähnliches im Rahmen der Weiterentwicklung des Schienennetzes – neben der reinen Erhaltung und Sanierung. Bei der Vergabe von Nahverkehrsaufträgen müsste die Leistungsfähigkeit von Schienenverkehrsunternehmen stärker berücksichtigt werden. Dazu gehören auch die Qualität, Reserven in Personal und das Zugmaterial. Klare Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten im Nahverkehr im Zusammenspiel zwischen Bestellern, Leistungserbringern und Schienennetzbetreibern würden helfen. Ebenso eine konsequente Lageaufklärung und Digitalisierung in der Koordination zwischen Infrastruktur, Leitstellen und Eisenbahnverkehrsunternehmen.“
Auf die Frage, ob die Bundespolitik Akzente setzt, die zur Ursachenbeseitigung beitragen:
„Eine gründliche Bestandsaufnahme vor dem Treffen von Entscheidungen ist sicher hilfreich. Dazu gehört auch eine Analyse zum Zusammenspiel der vielen Akteure im Schienenverkehr basierend auf einem tiefgreifenden ingenieurtechnischen Systemverständnis.“
Inhaber des Lehrstuhls Netzwerkökonomie, Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Auf die Frage, warum die bisherige finanzielle Förderung der DB sich nicht spürbar auf die Zuverlässigkeit ausgewirkt hat:
„Über Jahrzehnte hat die DB Geld vom Staat gewollt und bekommen, aber effektive und unabhängige Kontrollen der Qualität und des effizienten Mitteleinsatzes abgewehrt. Dafür hat sie vorgegaukelt, es sei alles nicht so schlimm und sie hätte alles im Griff – und der Bund hat es gerne geglaubt, um sich nicht kümmern zu müssen. So kümmert sich kein Externer um die Effizienz der DB und verfügt über die dafür nötigen Informationen, daher können die DB-Unternehmen höchst ineffizient agieren.“
„Konkret: Die LuFV (Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung zwischen Bundesrepublik und DB über Instandhaltung der Bahn-Infrastruktur; Anm. d. Red.) zwischen Bund und Bahn ist nicht mit ausreichenden und unabhängigen Qualitätskontrollen verbunden und schon gar nicht mit effektiven Überprüfungen der wirtschaftlichen und sparsamen Mittelverwendung. Die Regulierung durch die Bundesnetzagentur erfolgt ohne Bezug auf die ‚Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung‘ (KeL), also ohne Benchmark-Analysen, Kostenmodelle et cetera, im Gegensatz zu anderen regulierten Sektoren.“
Ursache für Verspätungen: mangelnde Resultatverantwortung durch fehlende Kontrolle
„Aus den genannten Gründen ist die Resultatverantwortung im Unternehmen stark geschwächt. Im Gegenteil: Die langjährige Erfahrung der DB lautet, dass sie genau dann mehr Geld vom Bund erhält – und ohne Kontrollen –, wenn sie schlechtere Qualität und größere Finanzierungsprobleme produziert. Die Ineffizienz der DB-Unternehmen führt zu Qualitätseinbußen, welche sich unter anderem in der Vielzahl von Verspätungen und Zugausfällen zeigen.“
„Angeheizt wird dies durch überhöhte Ansprüche an das Bahnsystem und an das Wachstum des Schienenverkehrs. Das überfordert die prekäre technische, organisatorische und wirtschaftliche Situation der InfraGO (Nachfolgegesellschaft der DB Netz AG; Anm. d. Red.) und vieler Verkehrsunternehmen. Die Störanfälligkeit steigt und mit ihr Verspätungen und Zugausfälle.“
Mögliche Maßnahme: Externe Kontrolle der DB-Kostenrechnungen führt langfristig zu Qualitätsbewusstsein
„Die Ursachen lassen sich nicht einfach und kurzfristig beseitigen. Als zentralen Schritt schlage ich vor, die Bundesnetzagentur (BNetzA) gesetzlich zu beauftragen, ein Kostenmodell der DB InfraGO zu erarbeiten, auf Basis externer Effizienzvergleiche sowie tiefgreifender Informationsrechte. Damit soll die BNetzA die Regierung beraten, sodass diese endlich über unabhängige Informationen über Kosten und Ineffizienzen verfügt.“
„Dies wird sich nach einigen Jahren günstig auf die Steuerung der DB InfraGO auswirken. Dennoch wird die Bahn noch auf Jahrzehnte ein kranker Patient bleiben, der nicht überfordert werden darf. Die Wachstumsziele – Verdoppelung im Personenverkehr, Anteilssteigerung im Güterverkehr – sollten aufgegeben werden, die Deutschlandtaktpläne gehören bis auf Weiteres in die Schublade. Die Dekarbonisierung des Verkehrs muss dort erfolgen, wo der Großteil des Verkehrs ist: auf der Straße.“
Leiter des Fachgebiets Schienenfahrzeuge am Institut für Land- und Seeverkehr, Technische Universität Berlin
Ursachen für Verspätungen
„Die wichtigsten Ursachen für die Verspätungen der Bahn sind eine vernachlässigte Instandhaltung der Gleise sowie schlechte Teamarbeit. Das gilt generell, aber besonders zwischen den DB-Unternehmen, die ja alle finanziell eigenständig bestehen müssen. Wenn es dem eigenen DB-Unternehmen nützt, aber anderen Schienenverkehrsunternehmen schadet – egal ob einem Tochterunternehmen der DB oder anderen – spielt das keine Rolle: Man arbeitet einfach zu wenig lösungsorientiert.“
„Aber auch die Fahrplanreserven sind zu groß. Eigentlich sollen diese Fahrplanreserven dazu führen, dass unpünktliche Züge ihre Verspätungen aufholen können. Die großen Reserven führen jedoch dazu, dass pünktliche Züge zu lange die Bahnhofsgleise belegen und so für die unpünktlichen blockieren. Das vergrößert die Verspätungen; zudem können durch die großen Reserven nicht so viele Züge fahren wie möglich.“
„Obendrein ist der Fahrgastwechsel bei Fernzügen der DB konstruktiv ganz schlecht organisiert. Türbereiche und Bahnsteig passen nicht zusammen. Nur ebene Einstige würden für einen schnellen Fahrgastwechsel passen, aber nicht Hochflur mit drei Stufen und mit Toiletten am Einstieg ohne Auffangräume – also Platz für Leute, die ein- oder aussteigen. Hinzu kommt eine mangelhafte Türöffnungssteuerung ohne Öffnungsvorwahl.“
Teure Fahrzeugpolitik der Bahn
„Ein weiteres Thema ist die Lebensdauerabkürzung der Fahrzeuge durch Entscheidungen der Bahn. Typisch kostet gute Instandhaltung circa ein Vierzigstel des Fahrzeugneupreises, auch mit der großen Instandhaltung in der Lebensmitte, es ist also vergleichsweise billig, Fahrzeuge lange zu betreiben, während neue teuer sind. Wie kann ich da Fahrzeuge nach 20 bis 25 Jahren ausmustern, was die DB gerade tut, statt sie zu modernisieren?“
„Hinzu kommt: Die Bahn nutzt ein Wechselstromsystem für ihre Loks mit einer Frequenz von 16,7 Hertz. Fahrzeuge für dieses Stromsystem sind die teuersten in ganz Europa, für alle anderen drei Stromsysteme sind die Fahrzeuge billiger – insbesondere für Gleichstrom, aber auch für Wechselstromsysteme mit 50 Hertz. Deshalb wurden bisher 16,7 Hertz Fahrzeuge eher länger als kürzer am Leben erhalten.“
Beschaffte Fahrzeuge führen zu höherem Verschleiß der Gleise
„Krass ist zudem der massive Ersatz der Schnellzug-Elektroloks der Baureihe (BR) 101 aus den Neunzigerjahren durch Loks der Vectron-Baureihe, der im großen Stil im Personenverkehr erfolgt. Die Gleisbeanspruchung der Vectron ist ein Vielfaches gegenüber der BR 101: Die neuen Loks haben deutlich höhere unabgefederte Massen – etwa um den Faktor zwei größer – und einen deutlich größeren Achsabstand. Beides beansprucht Weichen extrem, wenn die Weiche die Lok auf ein anderes Gleis lenkt. Die Schweiz hat jetzt ein Verbot für Loks der Vectron-Baureihe in engen Bogenradien erlassen. Denn die bisherigen Maßnahmen wie eine Reduktion der erlaubten Geschwindigkeit – wie etwa für ältere Lokomotiven – und höhere Trassenpreise für Züge, die von dieser Lok gezogen werden, schrecken zu wenig ab. Das läuft alles mit Blick auf die Instandhaltung der Gleise und deren Kosten in die ganz falsche Richtung.“
Mögliche Maßnahmen gegen Verspätungen
„Die Deutsche Bahn setzt also auf falsche Prioritäten. Daher hat sich die Zuverlässigkeit der Bahn trotz aller Bemühungen auch der Politik nicht wirklich verbessert. Würde sie dagegen mehr für die Instandhaltung der Fahrzeuge tun und auch mehr Geld in die Instandhaltung der Weichen und Stellwerke investieren, würde das deutlich mehr helfen. Schon nach vier bis fünf Jahren würden Verbesserungen eintreten. Ich kann aber bislang keine Akzente der Politik erkennen, diese Ursachen zu beseitigen.“
„Ich bin seit längerem unter anderem für die Bundesnetzagentur im Bereich der Eisenbahnregulierung tätig. Der hier geäußerte Vorschlag ist jedoch nicht mit der Bundesnetzagentur abgestimmt.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Bundesnetzagentur (2024): Marktuntersuchung Eisenbahnen. Stand: November 2024. S. 28f.
[II] Bundesrechnungshof (05.04.2022): Jeder vierte Zug im Fernverkehr der Deutschen Bahn AG verspätet – keine Trendwende bei der Pünktlichkeit. Bemerkungen 2021 Ergänzungsband 47.
[III] Deutsche Bahn (2025): Erläuterungen Pünktlichkeitswerte für den Mai 2025.
[IV] Bundesministerium für Digitales und Verkehr: Verkehrsinvestitionsbericht für das Berichtsjahr 2023. Tabelle 3, S. 41.
[V] Bundesregierung (24.06.2025): Fragen und Antworten zum Bundeshaushalt 2025.
[IV] Eisenbahnbundesamt (o.J.): LuFV – Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung. Allgemeine Informationen, aktueller Stand und Downloads der Vereinbarungstexte.
Prof. Dr. Gernot Liedtke
kommissarischer Institutsdirektor, Institut für Verkehrsforschung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Berlin
Prof. Dr. Kay Mitusch
Inhaber des Lehrstuhls Netzwerkökonomie, Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich bin seit längerem unter anderem für die Bundesnetzagentur im Bereich der Eisenbahnregulierung tätig. Der hier geäußerte Vorschlag ist jedoch nicht mit der Bundesnetzagentur abgestimmt.“
Prof. Dr. Markus Hecht
Leiter des Fachgebiets Schienenfahrzeuge am Institut für Land- und Seeverkehr, Technische Universität Berlin