Kontroverse Studienergebnisse zu Taurin als Biomarker fürs Altern
frühere Studien brachten die aus Energy-Drinks bekannte Substanz Taurin in Verbindung mit Altern
neue Studie zeigt nun, dass Taurin nicht als Biomarker fürs Altern verwendet werden kann
Forschende betonen den Mehrwert der verwendeten Methode und weisen darauf hin, dass die Rolle von Taurin im Alterungsprozess in weiteren Studien geklärt werden muss
Die Aminosäure Taurin kann nicht als Biomarker im Blut für das Altern verwendet werden. Zu diesem Fazit kommen Forschende des Nationalen Gesundheitsinstituts in Baltimore in den Vereinigten Staaten anhand von Datenauswertungen von Längs- und Querschnittuntersuchungen gesunder Probandinnen und Probanden, Mäusen und Affen (siehe Primärquelle). Ihre im Fachjournal „Science“ publizierten Ergebnisse widersprechen dem Fazit einer vor zwei Jahren veröffentlichten Studie, die gezeigt hat, dass die Menge an Taurin im Blut im Alter bei Tieren und Menschen abnimmt ([I] und dazugehöriges Angebot des SMC mit Statements und Hintergrundinformationen [II]).
Direktor der Sektion Medizinische Statistik und Informatik, Medizinische Universität Innsbruck, Österreich
Methodik und Limitationen beider Studien
„Letztlich können weder Singh et al. (2023) noch Fernández et al. (2025) die Frage abschließend klären, ob sich Taurin als Biomarker für Altern und Langlebigkeit eignet. Singh et al. (2023) beschreiben die Ergebnisse mehrerer Teilstudien, die an verschiedenen Spezies durchgeführt wurden und letztlich für die Bejahung dieser Frage sprechen. Aus statistisch-methodischer Sicht weisen sämtliche Einzelstudien in Singh et al. verschiedene Limitationen wie unklare Auswahl der Datensätze, teilweise fehlende Randomisierung, kleine Fallzahlen und weitere auf. Exemplarisch sei erwähnt, dass die Studien mit der Spezies Mensch in Singh et al. ausschließlich querschnittliche Datenauswertungen darstellen.“
„Diese methodische Einschränkung ist bei Fernández et al. (2025) nicht gegeben. Die Daten der Baltimore Longitudinal Study of Aging (BLSA) wurden im Längsschnitt erhoben und mit adäquaten statistischen Methoden für longitudinale Daten ausgewertet. Das Ergebnis zeigt, dass die gemessenen Taurinspiegel mit zunehmendem Alter nahezu unverändert bleiben. Neben der BLSA präsentiert Fernandez (2025) weitere Analysen in Datensätzen, die aufgrund des Fehlens randomisierter Interventionen und kleiner Fallzahlen kritisch zu sehen sind. Beide Studienvorhaben sind ambitioniert, können jedoch aufgrund der beschriebenen Limitationen ihrer Einzelstudien die Frage nach dem Nutzen von Taurin als Biomarker nicht eindeutig beantworten.“
Leiter die Arbeitsgruppe Bewegungsbiologie, Technische Universität München (TUM)
Herr Wackerhage ist Mitautor der 2023 veröffentlichten ‚Science‘-Studie [I].
Einordnung neuer Studienergebnisse
„Die neuen Daten von der Forschungsgruppe von Rafael de Cabo in ‚Science‘ zeigen überzeugend, dass niedrige Blut-Taurinkonzentrationen kein generelles Phänomen des Alterns sind. Sie zeigen auch, dass die Blut-Taurinkonzentration beim Menschen stark variiert.“
„Es bleibt die Frage ob niedrige Blut-Taurinkonzentrationen beim Menschen Krankheiten begünstigen oder das Altern beschleunigen und ob umgekehrt Taurin-Supplementation das Altern verzögern und das Krankheitsrisiko reduzieren kann.“
Effekt von Taurin in Tierexperimenten
„Bereits in den 70er und 80er Jahren haben zwei Publikationen in ‚Science‘ gezeigt, dass Taurinmangel bei Katzen Blindheit und Herzversagen verursacht [1] [2]. In unserer Studie wurde in zwei unterschiedlichen Laboren gezeigt, dass Taurinsupplementation dazu führt, dass Mäuse und Fadenwürmer (C. elegans) länger leben [3].“
„Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit bezeichnet eine Taurinsupplementation von sechs Gramm pro Tag als einen ‚beobachteten, sicheren Wert‘ (observed safe level) [4]. Zum Vergleich ist ein Gramm Taurin in einer Dose Red Bull.“
Aktuelle Forschungsvorhaben an der TU München zu Taurin
„Hierauf basierend führen wir jetzt an der TU München die randomisierte TauAge-Kontrollstudie (NCT06612542, DRKS00035066) durch, um herauszufinden, ob eine Taurinsupplementation von vier Gramm pro Tag über ein halbes Jahr im Vergleich zu Placebo das Altern beim Menschen verlangsamt. Des Weiteren untersuchen wir, wie sich Taurinsupplementation auf die Gesundheit und die körperliche Fitness unserer Probandinnen und Probanden auswirkt. Alle Probandinnen und Probanden sind jetzt eingeschlossen und wir erwarten, dass wir 2026 die ersten Ergebnisse haben.“
Leiterin der Abteilung Ernährung und Gerontologie, Deutsches Institut für Ernährungsforschung (DIfE), Potsdam-Rehbrücke
Einordnung neuer Studienergebnisse
„Dieser erste größere Datensatz zeigt, wie sich Taurinkonzentrationen im Blutplasma über die Zeit hinweg innerhalb einer Kohorte verändern. Im Vergleich zu Querschnittstudien, in denen jüngere mit älteren Menschen verglichen werden, ist das aussagekräftiger, weil es eher echte Entwicklungen im Alterungsprozess widerspiegelt. In der neuen Studie von Fernandez et al. (2025) zeigt sich keine Abnahme des Blutplasma-Taurins mit fortschreitendem Alter. Dies war die Grundlage der Annahme, dass ein Taurinmangel mit dem Alter einhergeht und Alterungsprozesse begünstigt – wie von Singh et al. (2023) beschrieben.“
Definition für einen Biomarker für Alterung
„Ein Biomarker für Alter/Alterung sollte primär von der biologischen Alterung abhängen und nicht von altersassoziierten Erkrankungen. Diese treten zwar gehäuft im Alter auf, aber eben nicht zwingend. Biomarker sind häufig vom Verlust beziehungsweise der Abnahme physiologischer Funktionen abhängig. Die neue Studie widerspricht der Hypothese, dass sich Taurin als Altersbiomarker eignet: Es gab keine signifikante Veränderung der Taurin-Blutplasmakonzentration im zeitlichen Verlauf. Es zeigten sich auch große Unterschiede zwischen einzelnen Personen aus den Kohorten, was die Eignung als Biomarker einschränkt.“
Unterschiede im Studiendesign
„Die Unterschiede bei den Ergebnissen hängen vom gewählten Studiendesign ab: Singh et al. (2023) haben Querschnittvergleiche verwendet, bei Fernandez et al. (2025) wurden echte Veränderungen über die Zeit abgebildet. Der Alterungsprozess ist durch viele Faktoren beeinflusst und damit sehr individuell. Beim Vergleich von alten und jungen Menschen können deswegen mehrere Faktoren, wie Lebenszeitbedingungen, Kohorteneffekte, Krankheiten und weitere, Unterschiede begünstigen. Das macht die Interpretation hinsichtlich des Alters per se schwieriger. Veränderungen in einzelnen Individuen können echte Entwicklungen über die Zeit wesentlich besser abbilden und sind damit belastbarer. Zwar beträgt die abgebildete Zeitspanne in der longitudinalen Kohorte aus der Arbeit von Fernandez et al. (2025) nur etwa siebeneinhalb Jahre, das Ausgangsalter der Teilnehmenden war jedoch sehr unterschiedlich. Die Querschnittvergleiche in einer anderen Kohorte, die in der neuen Studie durchgeführt wurden, zeigen auch keine Unterschiede auf.“
Taurin-Supplementation im Alter
„Die neuen Ergebnisse rütteln an der Annahme, dass ein Taurinmangel mit dem Alter entsteht, der dann ein Grund für die weitere Alterung ist. Das wiederum ist aber die Basis, um Taurin als Nahrungsergänzungsmittel für Langlebigkeit zu interpretieren und entsprechend zu supplementieren.“
„Die neuen Daten schließen nicht aus, dass eine Taurinsupplementierung einen gewissen Nutzen haben kann. Einige Interventionsstudien zeigen auch signifikante Effekte auf gewisse Stoffwechselparameter, was sich wiederum günstig auf die Gesundheitsspanne auswirken kann. Nur wann eine Supplementierung abhängig vom Gesundheitszustand Sinn ergibt, in welcher Dosis und über welchen Zeitraum, das ist überhaupt nicht geklärt. Zu diesem Zeitpunkt können daher keine Empfehlungen für eine Taurinsupplementation gegeben werden.“
Post-Doc in der Arbeitsgruppe Biologische Mechanismen des Alterns, Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns, Köln
Einordnung neuer Studienergebnisse
„Eine ebenfalls in ‚Science‘ veröffentlichte Studie aus dem Jahr 2023 [3] hatte gezeigt, dass der Tauringehalt im Blut in Mäusen, Affen und Menschen mit dem Alter abnimmt, und dass Mäuse, die mit Taurin behandelt wurden, länger lebten. Auf Grundlage dieser Ergebnisse wurde dann postuliert, dass die Abnahme des Tauringehalts mitursächlich für den Alterungsprozess – und das damit verbundene Auftreten von altersbedingten Erkrankungen – ist.“
„Die neuen Ergebnisse widersprechen dieser Annahme: Bei weiteren Messungen von unabhängigen Blutproben – ebenfalls von Maus, Affe und Mensch – konnte keine altersbedingte Abnahme der Taurinkonzentration festgestellt werden. In den meisten Fällen nahm der Tauringehalt sogar mit dem Alter zu. Auf dieser Grundlage ist es unwahrscheinlich, dass eine Abnahme des Tauringehalts ein Grund dafür ist, wie schnell wir altern. Außerdem konnten die Forscher zeigen, dass der Tauringehalt im Blut sehr individuell ist und sich stark von Mensch zu Mensch unabhängig vom Alter unterscheiden kann. Daher eignet sich Taurin nicht als ein Biomarker, der angibt, wie gesund wir im Alter noch sind.“
„Was die neue Studie allerdings nicht auschließen kann – da es nicht untersucht wurde – ist, ob die Einnahme von Taurin die Gesundheit im Alter und die Langlebigkeit verbessert. Dafür sind in Zukunft weitere Studien sowohl in Modellorganismen wie der Maus aber auch beim Menschen notwendig.“
Definition für einen Biomarker für Alterung
„Biomarker können zur Bestimmung des biologischen Alters eingesetzt werden. Im Gegensatz zum chronologischem Alter – also wie alt wir laut unserem Pass sind – gibt das biologische Alter an, wie gesund wir im Vergleich zum Altersdurchschnitt sind. Ein Biomarker zur Bestimmung des biologischen Alters muss sich mit dem Alterungsprozess verändern und muss eine Vorhersagekraft haben. Er muss zum Beispiel angeben, wie lange wir noch leben werden oder wie hoch das Risiko ist, an altersbedingten Krankheiten wie Demenz oder Krebs zu erkranken. Da sich der Tauringehalt nicht eindeutig mit dem Alter verändert und es starke Schwankungen zwischen Individuen gibt, scheint Taurin kein geeigneter Biomarker zur Bestimmung des biologischen Alters zu sein. Dafür könnte man andere Methoden, wie zum Beispiel die epigenetische Uhr (molekulare Veränderungen an der DNA werden als Grundlage für die Bestimmung des Alters verwendet; Anm. d. Red.) verwenden.“
Unterschiede im Studiendesign
„Die genaue Ursache für die Diskrepanz zwischen den beiden Studien ist nicht klar. Auch frühere Studien haben bereits widersprüchliche Ergebnisse im Bezug auf die altersbedingten Veränderungen von Taurin im Blut geliefert. Der Tauringehalt im Blut ist stark abhängig von Umwelteinflüssen, wie etwa der Ernährung, dem Geschlecht und dem Gesundheitsstatus – dies kann zu den unterschiedlichen Ergebnissen zwischen den Studien beitragen. Die neuen Messungen waren allerdings mit mehr Teilnehmern umfangreicher. Sie beinhalteten im Gegensatz zur vorangegangenen Studie auch longitudinale Untersuchungen, also mehrere Messungen am selben Individum über einen längeren Zeitraum. Dies ist die bessere Methode, auch in Anbetracht der starken Abweichungen von Mensch zu Mensch. Auf dieser Grundlage scheinen die Ergebnisse der neuen Studie überzeugender – allerdings müssen auch diese in Zukunft mit noch mehr Teilnehmern in weiteren Studien bestätigt werden.“
Taurin-Supplementation im Alter
„Die neue Studie kann nicht auschließen, dass die Einahme von Taurin einen positiven Effekt auf den Alterungsprozess hat, da dies nicht explizit untersucht wurde. Es gab zwar keinen klaren Zusammenhang zwischen der Menge von Taurin im Blut und der Griffkraft beziehungsweise der Kniestärke, allerdings wurden auch nur wenige solcher Gesundheitsparameter untersucht. Die Einnahme von Taurin gilt als relativ sicher. Dennoch würde ich derzeit von Selbstversuchen abraten und auf die Ergebnisse von klinischen Studien warten, die dann auch die genaue Dosierung und die Verträglichkeit bei einer langfristigen Anwendung abklären müssen.“
stellvertretende Leiterin der Abteilung Epidemiologische Methoden und Ursachenforschung und Leiterin der Forschungsgruppe Biomarker und Metabolismus, Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS), Bremen
Einordnung neuer Studienergebnisse
„Diese Studie fügt den Forschungsergebnissen der vergangenen Jahre über die Rolle von Taurin bei Alterung und Gesundheit neue Erkenntnisse aus Tieren und Menschen hinzu. Taurin ist ein kleines Molekül – eine sogenannte Aminosäure –, das natürlicherweise im menschlichen Körper vorkommt, etwa in Gehirn, Herz und Muskeln. Es kann aber auch über proteinreiche tierische Lebensmittel wie Fleisch, Fisch und Eier aufgenommen werden. Taurin ist auch Bestandteil einiger Energydrinks und Proteinpulver. Einige frühere Studien – meist auf der Grundlage von Tierversuchen – legten nahe, dass ein niedriger Taurinspiegel mit einer kürzeren Lebenserwartung zusammenhängt. Außerdem deuteten sie auf mögliche Vorteile von Taurin hin, wie die Förderung eines gesunden Stoffwechsels und den Schutz wichtiger Organe – Herz, Gehirn und Muskeln – vor Alterung.“
„Im Gegensatz zu diesen Studien umfasst die aktuelle Studie nicht nur Tierversuche, sondern auch Untersuchungen an menschlichen Kohorten. Ihre Ergebnisse stehen im Widerspruch zu früheren Studien, die gezeigt hatten, dass die Taurinkonzentration im Blut mit dem Alter abnimmt und sich positiv auf die Gesundheit auswirkt.“
Definition für einen Biomarker für Alterung
„Es gibt keine akzeptierte und allgemeingültige Definition für ‚Biomarker des Alterns‘. Dieser Begriff kann verwendet werden, um einen Parameter zu beschreiben, der bei menschlichen Individuen gemessen und zur Definition des biologischen Alters verwendet werden kann. Im Vergleich zum chronologischen Alter – also dem Alter einer Person – bestimmt das biologische Alter den Gesamtzustand von Organen und Systemen im menschlichen Körper. Biomarker sind Messwerte, die dazu dienen, eine ‚Momentaufnahme‘ dessen zu erstellen, was in unserem Körper vor sich geht. Es gibt keinen spezifischen Biomarker oder Test, der das Alter eines Menschen bestimmen kann. In der Regel werden auch nicht einzelne Biomarker, sondern eine Reihe von laborgestützten Biomarkern in Betracht gezogen.“
„Die Alternsforschung hat sich enorm ausgeweitet, und wir wissen heute viel mehr über die vielfältigen Alterungsprozesse und die verschiedenen Biomarker, die diese Prozesse widerspiegeln können. Diese Komplexität muss bei der Interpretation von Studien berücksichtigt werden, die über einzelne Moleküle berichten, die von vielen Faktoren beeinflusst werden können – so beispielsweise auch die Ergebnisse zu Taurin.“
Unterschiede im Studiendesign
„Die Ergebnisse der aktuellen Studie beruhen im Vergleich zu Singh et al. (2023) auf einer anderen Methodik. Die Forschenden haben die Taurinwerte bei Tieren und Menschen wiederholt im Laufe der Zeit gemessen: Sie haben nachverfolgt, wie sich das Taurin bei denselben Tieren oder Menschen in verschiedenen Altersstufen verändert – von jungen bis zu alten Lebensjahren. Dies ist ein wichtiger Vorteil gegenüber der früheren Studie von Singh et al. (2023), die auf einer einzigen Messung zu einem einzigen Zeitpunkt beruhte. Diese einzelne Messung schließt die Möglichkeit aus, die zeitliche und dynamische Veränderung des Biomarkers im Laufe der Zeit zu bewerten.“
„Diese methodische Stärke der Studie wiegt aber mögliche Einschränkungen wie die geringe Anzahl von Individuen und die vordefinierte Auswahl aus bestimmten Bevölkerungsgruppen nicht auf. Die widersprüchlichen Ergebnisse erfordern weitere Studien, die auf größeren Bevölkerungsstichproben beruhen und standardisierte und sorgfältig konzipierte Methoden verwenden.“
Taurin-Supplementation im Alter
„Die Studie allein gibt noch keine endgültige Antwort auf die Frage, ob substituiertes Taurin dem Alterungsprozess entgegenwirken kann. Sie wirft vielmehr weitere Fragen auf: Ist diese Widersprüchlichkeit auf die Komplexität der biochemischen Prozesse zurückzuführen, die miteinander interagieren? Oder: Gibt es andere Einflussfaktoren, die besser gemessen und verstanden werden müssen, wie etwa die tägliche Ernährung und die Bewegungsgewohnheiten?“
„Es ist wahrscheinlich, dass in unserem Körper eine Kombination anderer Moleküle zirkuliert, die eine wichtigere Rolle spielen. Altern ist ein hochkomplexes Phänomen, bei dem viele biochemische Prozesse und Gewebe miteinander in Wechselwirkung stehen. Daher ist es vielleicht etwas naiv, einem einzelnen winzigen Molekül die Eigenschaften eines Wundermittels zur Verlangsamung des Alterns zuzuschreiben. Es gibt viele beispielhafte Tier- und Humanstudien, die bestimmten Wirkstoffen hochgradig schützende Eigenschaften zugeschrieben hatten, die sich nicht bewahrheitet haben – etwa einigen Vitaminen (zum Beispiel Vitamin E). Bei Taurin müssen wir nicht nur den Enthusiasmus zügeln, sondern uns auch der Tatsache bewusst sein, dass hohe Taurinmengen in Kombination mit Koffein schädlich sein können, insbesondere bei jungen Menschen.“
Leiter der Labor- und Biomarkerforschung am Institut für Biomedizin des Alterns, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Einordnung neuer Studienergebnisse
„Die aktuelle Studie wurde qualitativ sehr gut durchgeführt und fügt der Debatte um die Nutzung von Taurin als Biomarker des Alterns wichtige neue Erkenntnisse hinzu. Insgesamt fügen sich die Ergebnisse sehr gut in das bestehende Wissen ein. Der scheinbare Widerspruch ergibt sich eher dadurch, dass die meisten Studien Taurin eher krankheitsbezogen untersucht haben, während die aktuelle Studie sich auf gesundes, biologisches Altern konzentriert.“
„Taurin ist laut Studienlage ein wichtiger Faktor für viele Stoffwechselvorgänge. Störungen des Taurin-Stoffwechsels scheinen Alterungsprozesse zu beschleunigen. Supplementation von Taurin kann diese Prozesse dann wieder teilweise umkehren.“
Definition für einen Biomarker für Alterung
„Als Biomarker für primäres Altern – also ein Alterungsprozess, der von äußeren Einflüssen unabhängig ist – taugt Taurin jedoch nicht. Warum? Ein Biomarker müsste sich bei allen Menschen, unabhängig von ihrem Gesundheitszustand, im Lauf der Jahre verändern. Dies ist zum Beispiel bei Telomeren der Fall, die sich bei allen Menschen im Lauf des Lebens, unabhängig vom Gesundheitszustand, verkürzen und damit den Alterungsprozess markieren. In der aktuellen Studie konnte gezeigt werden, dass Taurin dies nicht kann, da gesunde Menschen keine generelle altersabhängige Abnahme zeigen. Bei Singh et al. (2023) nimmt Taurin auch hauptsächlich bis zum 20. Lebensjahr ab, also in der Zeit des Heranwachsens, danach bleiben die Konzentrationen recht vergleichbar. Diese Aussagen sind zwischen den Publikationen sehr ähnlich.“
„Biomarker für das biologische Altern können aber auch den Gesundheits-/Fitnesszustand einer Person abbilden, wie beispielsweise die maximale Sauerstoffaufnahme/Ausdauer oder die Muskelkraft. Für diese Art von Analysen scheint Taurin geeignet zu sein, da geringere Konzentrationen im Körper mit altersabhängigen Erkrankungen verbunden wurden und gesunde Menschen in der aktuellen Analyse ähnliche Werte wie jüngere aufweisen. Diese Art von Biomarkern ist für die klinische Praxis und Patienten/Bürger wesentlich interessanter, weil sie den Gesundheitszustand unabhängig vom Alter abbilden und auch auf Änderungen des Lebensstils oder Interventionen reagieren können.“
„Die aktuelle Untersuchung nun widerspricht den bisherigen Studien kaum. Sie untersucht die Frage, ob Taurin trotz gesunden Alterns im Laufe des Lebens zwangsläufig abnimmt und verneint dies. Die anderen Studien wiesen dagegen darauf hin, dass geringe Taurin-Blutkonzentrationen alterstypische Veränderungen (erhöhte Entzündungswerte, schlechtere Zucker- und Fettstoffwechselregulation) verstärken und damit Erkrankungen fördern können.“
Taurin-Supplementation im Alter
„Die Autoren der aktuellen Veröffentlichung gehen davon aus, dass die Effekte der Supplementation von Taurin stark von den individuellen Gegebenheiten wie dem Ernährungsstil, dem Geschlecht, Alter und genetischen Hintergrund abhängen. Die Unterschiede zwischen den Teilnehmenden der Studien waren wesentlich größer als die Unterschiede durch den Alterungsprozess. Also könnten einige Personen stärker von einer Supplementation profitieren, während viele andere bereits ausreichend mit Taurin versorgt sind. Dementsprechend scheint eine generelle Supplementation nicht sinnvoll. Bei übergewichtigen oder fettleibigen Personen scheint insbesondere der Blutzucker- und Fettstoffwechsel durch die Taurin-Einnahme verbessert werden zu können. Taurin, wie auch andere essenzielle Aminosäure, Fettsäuren und Vitamine, wird anscheinend durch eine vielfältige, gesunde Ernährung im Normalfall im ausreichenden Maße zugeführt. Eine darüberhinausgehende Supplementation von bis zu sechs Gramm pro Tag wurde als sicher beschrieben.“
„Kein Interessenkonflikt.“
„Es besteht meinerseits kein Interessenkonflikt bezüglich der Studie von Fernandez et al. in ‚Science‘.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte offenzulegen.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Primärquelle
Fernandez ME et al. (2025): Is taurine an aging biomarker? Science. DOI: 10.1126/science.adl2116.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Hayes KC et al. (1975): Retinal degeneration associated with taurine deficiency in the cat. Science. DOI: 10.1126/science.1138364.
[2] Pion PD et al. (1987): Myocardial Failure in Cats Associated with Low Plasma Taurine: a Reversible Cardiomyopathy. Science. DOI: 10.1126/science.3616607.
[3] Singh P et al. (2023): Taurine deficiency as a driver of aging. Science. DOI: 10.1126/science.abn9257.
[4] EFSA Panel on Dietetic Products, Nutrition and Allergies (2009): Scientific Opinion on the substantiation of health claims related to taurine and protection of DNA, proteins and lipids from oxidative damage (ID 612, 1658, 1959), energy-yielding metabolism (ID 614), and delay in the onset of fatigue and enhancement of p. EFSA Journal. DOI: 10.2903/j.efsa.2009.1260.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Singh P et al. (2023): Taurine deficiency as a driver of aging. Science. DOI: 10.1126/science.abn9257.
[II] Science Media Center (2023): Taurin als Pille für Langlebigkeit? Statements. Stand: 08.06.2023.
Prof. Dr. Hanno Ulmer
Direktor der Sektion Medizinische Statistik und Informatik, Medizinische Universität Innsbruck, Österreich
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Kein Interessenkonflikt.“
Prof. Dr. Henning Wackerhage
Leiter die Arbeitsgruppe Bewegungsbiologie, Technische Universität München (TUM)
Prof. Dr. Kristina Norman
Leiterin der Abteilung Ernährung und Gerontologie, Deutsches Institut für Ernährungsforschung (DIfE), Potsdam-Rehbrücke
Dr. Sebastian Grönke
Post-Doc in der Arbeitsgruppe Biologische Mechanismen des Alterns, Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns, Köln
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Es besteht meinerseits kein Interessenkonflikt bezüglich der Studie von Fernandez et al. in ‚Science‘.“
Prof. Dr. Krasimira Aleksandrova
stellvertretende Leiterin der Abteilung Epidemiologische Methoden und Ursachenforschung und Leiterin der Forschungsgruppe Biomarker und Metabolismus, Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS), Bremen
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe keine Interessenkonflikte offenzulegen.“
Dr. Robert Kob
Leiter der Labor- und Biomarkerforschung am Institut für Biomedizin des Alterns, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg