Klimawandel verstärkt Schwere und Verbreitung vieler Krankheiten
830 Studien zeigen: Klimawandel befeuert die Verbreitung vieler Krankheiten
Erwärmung und Extremwetter stärken Erreger, schwächen Menschen oder bringen beide näher zusammen
Experte hält erhöhtes Krankheitsrisiko durch Stechmücken und Zecken für besonders problematisch
Über die Hälfte der bekannten Krankheiten, die von Erregern ausgelöst werden, können durch Extremwetter und Klimaveränderungen verstärkt auftreten. Zu diesem Schluss kommt eine Übersichtsarbeit, die am 08.08.2022 im Fachjournal „Nature Climate Change“ erschienen ist (siehe Primärquelle).
Leiter der Arbeitsgruppe Arbovirus-Ökologie, Abteilung Arbovirologie und Entomologie, Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNITM), Hamburg
„Die Publikation stellt eine systematische Auswertung von 830 Studien vor, die einen expliziten Zusammenhang zwischen den durch die Klimaerwärmung beeinflussten Bedingungen – zum Beispiel Temperatur oder Meeresanstieg – und dem Auftreten von Krankheitserregern zeigen. Dabei wird eine sehr breite Definition für Krankheitserreger angewendet, die sowohl übertragbare Erreger – wie das West-Nil-Virus durch Stechmücken – als auch nicht übertragbare Erreger umfasst, beispielsweise Allergene von Pflanzen. In einem strukturierten, vereinfachenden Ansatz werden hierbei für 286 Krankheitserreger ,Übertragungspfade‘ definiert: der Einfluss der durch die Klimaerwärmung beeinflussten Bedingungen auf das jeweilige Übertragungsrisiko.“
„Im Zuge der Klimaerwärmung verschärft sich das Krankheitsrisiko durch den Großteil (58 Prozent) der betrachteten Erreger. Die Studie zeigt eindrücklich, dass viele unterschiedliche Übertragungspfade einen Einfluss auf diverse Krankheitserreger haben. Diese Vielschichtigkeit macht eine gesellschaftliche Anpassung sehr schwierig, so dass die Reduzierung der Treibhausgasemissionen als wichtigste Gegenmaßnahme weiter im Fokus stehen muss.“
„Generell steigt durch höhere Temperaturen und veränderte Niederschlagsregime insbesondere das Risiko für durch sogenannte Vektoren – also beispielsweise Stechmücken oder Zecken – übertragene Krankheitserreger. Dies ist besorgniserregend, da nur für wenige diese Erreger zugelassene Impfstoffe existieren. Interessanterweise können auf dieselben Krankheitserreger dieselben Prozesse jedoch einen unterschiedlichen Einfluss haben. Dürreperioden können beispielsweise die Prävalenz von Malaria oder des Chikungunya-Fiebers durch die Verringerung der Brutstätten von Stechmücken reduzieren. Aber in anderen Fällen kann Dürre zu einer erhöhten Dichte an Stechmücken in weniger Brutplätzen führen. Für das Verständnis dieser kontextabhängigen Prozesse besteht noch weiterer Forschungsbedarf.“
„In Deutschland und in Europa beobachten wir schon jetzt den Einfluss durch klimawandelbedingte Ereignisse auf Krankheitserreger. Auch hier spielen durch Vektoren übertragene Krankheitserreger eine große Rolle. Exotische Stechmückenarten wie die Asiatische Tigermücke etablieren sich in weiten Teilen Europas. Die Asiatische Tigermücke ist insbesondere für Ausbrüche des Chikungunya-Virus und Dengue-Virus im Mittelmeerraum verantwortlich [1].“
„Gleichzeitig breiten sich durch einheimische Stechmückenarten übertragene Krankheitserreger wie der Hundehautwurm oder das West-Nil-Virus in Europa aus. Im Hitzesommer 2018 kam es erstmals zu einem Ausbruch des West-Nil-Virus in Deutschland. Seitdem kommt es jährlich zu Krankheitsfällen bei Vögeln, Pferden und Menschen [2] [3]. Die Übertragungswahrscheinlichkeit dieses Virus steigt bei zunehmenden Temperaturen [4].“
„Wie auch die Autor:innen in ihrem Abschlussstatement hervorheben, sind insbesondere aggressive Maßnahmen zur Minderung der Treibhausgasemissionen notwendig, um die zukünftigen Risiken durch Krankheitserreger zu reduzieren. Parallel müssen Überwachungssysteme etabliert werden, um Änderungen in der Prävalenz der Krankheitserreger frühzeitig erfassen zu können. Außerdem müssen schon jetzt Szenarien zur Prävention entwickelt werden – beispielsweise zur Stechmückenbekämpfung. In Zentraleuropa können wir dabei insbesondere von den Ländern im Mittelmeerraum oder des globalen Südens lernen, die schon viele Jahre mit den sich aktuell ausbreitenden Krankheitserregern konfrontiert sind.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
Primärquelle
Mora C et al. (2022): Over half of known human pathogenic diseases can be aggravated by climate change. Nature Climate Change. DOI: 10.1038/s41558-022-01426-1.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Heitmann A et al. (2018): Experimental risk assessment for chikungunya virus transmission based on vector competence, distribution and temperature suitability in Europe, 2018. Eurosurveillance.
[2] Ziegler U et al. (2020): West Nile Virus Epidemic in Germany Triggered by Epizootic Emergence, 2019. Viruses. DOI: 10.3390/v12040448.
[3] Ziegler U et al. (2019): West Nile virus epizootic in Germany, 2018. Antiviral Research. DOI: 10.1016/j.antiviral.2018.12.005.
[4] Jansen S et al. (2019): Culex torrentium: A Potent Vector for the Transmission of West Nile Virus in Central Europe. Viruses. DOI: 10.3390/v11060492.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Mora Lab: Traceable evidence of the impacts of climate change on pathogenic human diseases.
Interaktive Übersicht über die Kausalketten, bei denen klimawandelbedingte Ereignisse Krankheiten verstärken. Bereitgestellt von Camilo Mora, dem Erstautor der Primärquelle, über Github.
Dr. Renke Lühken
Leiter der Arbeitsgruppe Arbovirus-Ökologie, Abteilung Arbovirologie und Entomologie, Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNITM), Hamburg