Klimawandel und die Veränderung der Vegetation am Mittelmeer
Der Klimawandel wird die Vegetation rund ums Mittelmeer binnen eines Jahrhunderts massiv verändern – wenn das beim Klimagipfel in Paris ausgerufene 1,5-Grad-Celsius-Ziel nicht erreicht wird. Im schlimmsten Fall könnten auf der Basis der Modellierung weite Teile im Süden Spaniens und Portugals zu Wüste werden. Zu diesem Ergebnis kommt eine „Science"-Studie, die am 27.10.2016 erschienen ist. Die Autoren weisen darauf hin, dass massive Auswirkungen nicht nur auf die Biodiversität der dortigen Ökosysteme, sondern auch auf Wasserkreisläufe und Ökosystemleistungen zu erwarten sind.
Leiter Abteilung Land im Erdsystem, Max-Planck-Institut für Meteorologie, Hamburg und Professor für Allgemeine Meteorologie am Meteorologischen der Universität Hamburg
„In dieser Studie wurde erstmals versucht, vergangene und mögliche zukünftige Klimaänderungen in Vegetationsänderungen zu übertragen und diese Vegetationsänderungen miteinander zu vergleichen. Bekannt ist bereits, dass alle Klimaszenarien einen gegenüber heute deutlich wärmeren und für das stärkste globale Erwärmungsszenario auch einen deutlich trockeneren Mittelmeerraum liefern. Beim Klimaszenario mit der geringsten globalen Erwärmung, dem so genannten RCP2.6-Szenario (RCP: Representative Concentration Pathway; vier für den 5.IPCC-Bericht vorgestellte Szenarien zur künftigen Entwicklung des Treibhauseffektes, Anm. d. Red.) sind die Unterschiede zwischen den Modellsimulationen für eine verlässliche Abschätzung viel zu groß. Bekannt ist auch, dass sich das Klima und Vegetation im Mittelmeerraum auch im Laufe der vergangenen gut 10.000 Jahre deutlich verändert haben.“
„Die Studie hat ein paar Schwachstellen, die im Aufsatz nicht erwähnt werden: Die Klimaszenarien werden mit Modellen gerechnet, die die Geografie des Mittelmeerraumes nur grob abbilden. Die Mittelmeerinseln, auch die großen wie Korsika, Sardinien, Kreta, Zypern, kommen schlicht nicht vor. Auch das Atlas-Gebirge ist in den Modellen nur gut 1.500 Meter hoch – in Wirklichkeit stellt diese Gebirge mit einem über 3.000 Meter hohen Gebirgskamm eine wirksame Niederschlagsbarriere dar. Mit anderen Worten: die im Aufsatz gezeigten Karten (Fig. 3) spiegeln eine räumliche Feinheit wieder, die die Ausgangsdaten, also die Modellsimulationen, nicht liefern können.“
„Die Unterschiede zwischen den Modellsimulationen und damit die Unsicherheit in den Klimaszenarien werden nicht angemessen in den Vegetationsrechnungen wiedergegeben. In Abbildung 3 werden nur die Vegetationsänderungen gezeigt, die in den Modellrechnungen am häufigsten vorkommen. Nicht gezeigt wird die Spannbreite der verschiedenen Vegetationsänderungen und damit die Unsicherheit der Abschätzung.“
„Das Vegetationsmodell beschreibt einen Gleichgewichtszustand zwischen Klima und Vegetation. Ein solches Gleichgewicht ist bei dem gegenwärtigen Klimawandel im Mittelmeerraum nicht zu erwarten. Letztlich bedeutet dies, dass die beschriebenen Änderungen eher eine Obergrenze dessen darstellen, was man erwarten könnte. Das ist für viele Anwendungen ein nützlicher Ansatz. Last, but not least verstehe ich nicht, warum die Autoren die Vegetationsabschätzung der Zeit vor etwa 4.700 Jahren als Grundlage nehmen, aber im Text von den letzten 10.000 Jahren sprechen. Die vermutlich stärkste Klima- und Vegetationsänderung im Mittelmeerraum hat wahrscheinlich in der Zeit zwischen 10.000 und 4.700 Jahren vor heute stattgefunden.“
„Es geht in dieser Studie nicht um Prognosen, sondern um den Vergleich zwischen vergangenen und möglichen künftigen Vegetationsänderungen. Ein solcher Vergleich ist für die Anschauung und Abschätzung möglicher Anpassungsmaßnahmen nützlich. Für eine Vorhersage der tatsächlichen Vegetationsänderungen ist natürlich die Landnutzung wichtig, zumal es im Mittelmeerraum kaum noch naturbelassene Vegetation gibt. Eine Vorhersage der Landnutzung ist allerdings kaum möglich, da dies eine Vorhersage der politischen Rahmenbedingungen vorrausetzt – und das über das nächste Jahrhundert.“
„Diese Studie lässt sich so nicht auf Deutschland übertragen. In allen Klimaszenarien werden Änderungen der Landschaft durch Landnutzung vorgegeben. Dies ist der wichtigste Faktor, da es in Westeuropa, wie auch im Mittelmeerraum, kaum noch naturbelassene Vegetation gibt.“
„In fast allen Klimamodellen wird die Wechselwirkung zwischen Landoberfläche und Klima und damit auch die Wechselwirkung zwischen Landoberfläche und Wasserkreislauf berechnet. Diese Wechselwirkung ist nicht Gegenstand der Studie von Guiot und Cramer.“
Leiter des Lehrstuhls Biogeographie, Universität Bayreuth
„Die vorliegende Veröffentlichung ist die erste umfassende flächendeckende Studie zu den ökosystemaren Auswirkungen des Klimawandels im Mittelmeergebiet.“
„Eine Pollenanalyse kann nicht die gesamte pflanzliche Artenvielfalt abdecken, sondern nur bestimmte Gattungen, zum Beispiel windbestäubte Bäume, oder Artengruppen, zum Beispiel Gräser, in den jeweiligen Ökosystemen. Die Konsequenzen für die gesamte Vielfalt in diesem Hotspot der Biodiversität sind deshalb weiterhin unklar. Es gibt aber keine bessere Methode zur Rekonstruktion von Vegetationsveränderungen in der Vergangenheit.“
„Ein Problem ist, dass bei langlebigen Pflanzenarten, zum Beispiel Bäumen, schwer abzuschätzen ist, wie träge bzw. verzögert lokale Bestände auf Klimaveränderungen reagieren. Werden Jahrhunderte als Skala verwendet, ist eine bessere Übereinstimmung zu erwarten als bei Betrachtung von Jahrzehnten.“
„Im Mittelmeergebiet ist zu erwarten, dass eher Niederschlagsänderungen und Klimaextreme die Ökosysteme beeinflussen als Temperaturveränderungen. Diese sind jedoch nur bedingt zu modellieren.“
„Die Ökosysteme des Mittelmeergebiets stehen seit Jahrtausenden unter menschlichem Einfluss. Menschen sind auch künftig dazu in der Lage, ihre Landnutzung an veränderte Klimabedingungen anzupassen und Ökosysteme zu managen bzw. zu verpflanzen (Assisted Migration). Dies ist sogar effizienter als auf eine natürliche Verlagerung von Ökosystemen zu vertrauen. Diese Studie kann dazu eine wertvolle Orientierung liefern.“
„Aber: künftiges menschliches Verhalten und Wirtschaften ist schwer zu prognostizieren. Im Fall ökonomischer Unrentabilität ist eher Nutzungsaufgabe zu erwarten als gezieltes Management.“
„Inwiefern die in der Studie unberücksichtigten, wichtigen menschlichen Einflüsse auf Ökosysteme – wie etwa veränderte Landnutzung, Urbanisierung, Verschlechterung der Bodenqualität – zusätzlich beeinflussen, hängt von den künftigen sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen ab (zum Beispiel die Bereitschaft zu Investitionen, Aufwand/Ertrag) und ist daher kaum zu prognostizieren.“
„Die modellierte Vegetationsveränderung ergibt sich aus globalen Klimamodellen, welche gleichzeitig auch Auswirkungen in Mitteleuropa haben. Interaktionen zwischen den Regionen bezüglich ihrer Antwort auf das globale Klima können nicht prognostiziert werden.“
„Im Mittelmeergebiet wird der Wasserhaushalt seit Langem menschlich beeinflusst, zum Beispiel durch Bewässerung. Raubbau der Vergangenheit hat darüber hinaus zur Erosion von Böden geführt. Das menschlich intensivierte Feuerregime tut sein Übriges. Deshalb sind Aussagen zum künftigen Klimaeinfluss auf den Wasserhaushalt und auf die konkreten Rückkopplungen in Ökosystemen nur sehr schwer zu treffen.“
stellvertretende Leiterin des Forschungsbereichs Erdsystemanalyse, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Potsdam
„Die vorliegende Studie stellt die möglichen zukünftigen Biom-Änderungen in einen paläoklimatischen Kontext, indem sie die Frage beantwortet, ob diese Vegetationsänderung im Laufe des Holozäns bereits aufgetreten ist, oder ob wir hier über sogenannte neuartige Biom-Verteilungen, die sich innerhalb von nur 100 Jahren etablieren müssten, reden. Es gab bereits Abschätzungen zu Klimafolgen. Diese besagten, dass die Wüste und Steppen sich unter intensiver Klimaänderung, also wie in Szenario RCP8.5 (RCP: Representative Concentration Pathway; vier für den 5.IPCC-Bericht vorgestellte Szenarien zur künftigen Entwicklung des Treibhauseffektes, Anm. d. Red.), auf der Iberischen Halbinsel und im Atlasgebirge ausdehnen könnten. Insofern könnten diese Biom-Veränderungen große Folgen für Biodiversität und Ökosystemleistungen in den betroffenen Gebieten haben.“
„Diese Methode ist in der Paläoökologie etabliert und schon in der Vergangenheit bei einer Reihe von Studien angewendet worden, um zu verstehen, wie Biome sich zwischen Warm- und Kaltzeiten geographisch verlagert haben. Es ist daher sehr wertvoll, diese Rekonstruktion auch für den Mittelmeerraum in dem hier betrachteten Zeitraum des Holozäns zu haben. Allerdings weicht die rekonstruierte Biom-Karte im heutigen französischen Gebiet (Abb. 3A und 3B) von bisherigen Rekonstruktionen ab, was die Autoren auf das verwendete BIOME4-Modell zurückführen.“
Auf die Frage inwiefern die Prognose der Autoren Sinn macht, wenn sie wichtige menschliche Einflüsse auf Ökosysteme wie etwa veränderte Landnutzung, Urbanisierung, Verschlechterung der Bodenqualität nicht berücksichtigen:
„Dies ist in der Tat ein Nachteil, der gegebenenfalls noch einmal gesondert betrachtet werden müsste, weil er methodisch einige Herausforderungen beinhaltet. In Regionen, die stark durch Landnutzung und die damit verbundene Verschlechterung der Bodenqualität seit Jahrhunderten geprägt sind, könnte die vorgestellte Pollenrekonstruktion nicht nur das Klimasignal beinhalten, sondern eben auch den anthropogenen Fußabdruck. Man müsste also schauen, welcher der Pollenmesspunkte, die zur Rekonstruktion herangezogen wurden (Gegenwart oder vor 4700 Jahren), durch Landnutzung und Veränderung der Bodenverhältnisse bereits zu diesen Zeitpunkten überprägt war. Dies könnte bedeuten, dass Steppen weiterverbreitet waren und diese Gridzellen (Zelle in einem Modellraster, Anm. d. Red.) schon frühzeitig nicht dem Klimaoptimum entsprachen.“
„Was die Autoren auch außer Acht gelassen haben, ist der Einfluss der veränderten Feuerregime, die schon immer ein integraler Bestandteil der Mediterranen Ökosysteme waren. Mehr Waldbrände könnten in der Zukunft zweifellos zu weiteren Biom-Verschiebungen – vermutlich mehr Steppen auf Kosten von Waldflächen und stärkerer Verlust von nicht an Feuer angepasste Waldtypen – führen und dies umso mehr, je stärker der Klimawandel wäre. Hier könnte also die Anzahl der Gridzellen, die Biom-Verschiebungen unter RCP4.5 bzw. RCP8.5 unterliegen, noch weiter steigen (s. Abb. 3H).“
Alle: Keine Angaben erhalten.
Primärquelle
Guiot, J. & Cramer, W. (2016): Climate Change: The 2015 Paris Agreement thresholds and Mediterranean basin ecosystems. Science. DOI: 10.1126/science.aah5015
Prof. Dr. Martin Claußen
Leiter Abteilung Land im Erdsystem, Max-Planck-Institut für Meteorologie, Hamburg und Professor für Allgemeine Meteorologie am Meteorologischen der Universität Hamburg
Prof. Dr. Carl Beierkuhnlein
Leiter des Lehrstuhls Biogeographie, Universität Bayreuth
Dr. Kirsten Thonicke
stellvertretende Leiterin des Forschungsbereichs Erdsystemanalyse, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Potsdam