Inflation und Pendlerpauschale könnten Autofahrer entlasten – trotz CO2-Preis
Der im Klimapaket geplante CO2-Preis und die vorgesehenen Entlastungen durch die Pendlerpauschale könnten für den Klimaschutz unter Umständen kontraproduktiv wirken. Das berichten 15 Verkehrswissenschaftler in der kommenden Ausgabe des „Internationalen Verkehrswesen” (siehe Primärquelle). Die Wissenschaftler weisen darauf hin, dass bei der Wirkung des CO2-Preises auch die Inflationsrate eingerechnet werden muss. Dann ergibt sich, dass bei gleichen Energiesteuern der Benzinpreis real kaum steigt. Berücksichtige man nun auch noch die geplante Entlastung durch die Pendlerpauschale, können sich 2025 reale Entlastungen von Pendlern ergeben, die umso höher ausfallen, je mehr die Pendler verdienen und je weiter sie fahren (unter Umständen bis zu 279 Euro 2025). Der Artikel wird in der Novemberausgabe des „Internationalen Verkehrswesens" gedruckt, steht aber bereits zum Download zur Verfügung.
Hochschule für Wirtschaft und Technik des Saarlandes, Saarbrücken, ehemaliger Abteilungsleiter für Klimaschutz und Energie des Umweltbundesamtes, langjähriger wissenschaftlicher Leiter des Instituts für ZukunftsEnergieSysteme (IZES)
„Im Zentrum der allermeisten Vorschläge zur CO2-Bepreisung steht die Lenkungswirkung, nicht die Erhöhung der Staatseinnahmen. So hat auch die Bundesregierung in ihrem Klimapaket die Einführung eines CO2-Preises mit einer Erhöhung der Entfernungspauschale verknüpft, um kurz- und mittelfristig unabwendbare Mehrbelastungen zu kompensieren.“
„Die Stellungnahme der 15 Fachkolleginnen und –kollegen zu diesem Vorschlag ist extrem hilfreich, weil sie im Detail nachweist, dass die Lenkungswirkung der geplanten CO2-Bepreisung im Verkehrsbereich mit einer daraus resultierenden realen Benzinpreiserhöhung von deutlich unter 3 Cent pro Liter Benzin im Jahr 2025 vollständig vernachlässigbar ist. Hinzu kommt, dass Besserverdienende mit einem vergleichsweise hohen Grenzsteuersatz und einer Entfernung von mehr als 50 Kilometern zum Arbeitsplatz von der Erhöhung der Entfernungspauschale sogar netto profitieren, also keinerlei Anreiz haben, an ihrer Situation etwas zu ändern.“
„Jeder der naiv davon ausging, mit einer CO2-Bepreisung könne man die Verkehrswende stemmen, sprang ohnehin zu kurz. Aber dass die Bundesregierung mit ihrem Klimapaket gutverdienende Langstreckenpendler sogar netto entlastet, ist nicht einmal mehr ein Ausdruck von Mutlosigkeit, sondern von vollständiger Desorientierung. Aus Gerechtigkeitsgründen war es dann alternativlos, sozial schwächeren Haushalten die geringen Mehrbelastungen durch eine neu beschlossene Mobilitätspauschale ebenfalls zu kompensieren.“
„Eine Lenkungswirkung einer CO2-Bepreisung ergibt sich logischerweise nur dann, wenn die Preise hoch genug sind und die Betroffenen zumindest mittelfristig die Möglichkeit haben, auf CO2-ärmere Alternativen auszuweichen. Besserverdienende Haushalte haben diese Möglichkeit eher als sozial schwächere Haushalte, insofern sind letztere eher zu entlasten. Wenn nun aber bei Besserverdienenden durch eine gleichzeitige Erhöhung der Entfernungspauschale im Saldo gar keine Belastung verbleibt, sondern sogar eine Entlastung, geht die Lenkungswirkung dort selbst mittelfristig gegen Null.“
„In der Quintessenz ist die vorgeschlagene, extrem geringe CO2-Bepreisung für Benzin/Diesel in Verbindung mit einer signifikanten Erhöhung der Entfernungspauschale mitnichten eine Maßnahme für den Klimaschutz, sondern eine zur Stabilisierung des CO2-intensiven Status Quo von Langstreckenpendlern.“
„Dass bei den beschlossenen geringen CO2-Preisen eine Lenkungswirkung im Verkehrsbereich so gut wie ausgeschlossen ist, ist in der Wissenschaft Konsens. Dass mit der gleichzeitigen signifikanten Erhöhung der Entfernungspauschale beziehungsweise der Zahlung einer Mobilitätspauschale das politische Signal gegeben wird, dass längere Entfernungen zum Arbeitsplatz in Verbindung mit der Nutzung des eigenen PKW künftig noch großzügiger steuerlich entlastet werden, erstickt jegliche Bereitschaft, nach CO2-ärmeren Alternativen zu suchen, bereits im Keim. Sollte die Bundesregierung die Absicht gehabt haben, klarzustellen, dass die Verkehrswende unter keinen Umständen durch eine CO2-Bepreisung und damit durch höhere Mobilitätskosten unterstützt werden soll, so ist ihr dies eindrucksvoll gelungen.“
Abteilungsleiterin der Abteilung "Energie, Verkehr und Umwelt", Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin
„Die Berechnungen sind sehr plausibel. Die beschlossenen CO2-Preise sind sowieso schon viel zu niedrig, um eine Lenkungswirkung zu entfalten, die Emissionsminderungen werden nur sehr gering sein. Dass sie mit Einbeziehung des Inflationsausgleichs noch niedriger sind, ist im höchsten Maße bedauerlich und sollte korrigiert werden. Durch das so konzipierte Klimapaket entsteht eine eingebildete Mehrbelastung, die es so faktisch nicht gibt. Die beschlossene Mobilitätspauschale ändert nicht viel am Ergebnis, da hier nur sehr wenige Haushalte einbezogen werden, die ein solches Geld bekommen würden. Insgesamt benachteiligt das Klimapaket Geringverdiener und entlastet vor allem Fernpendler mit höherem Einkommen.“
„Höhere Einkommensbezieher haben tendenziell eher einen größeren CO2 Fußabdruck als niedrige Einkommensbezieher. Sowohl die Pendlerpauschale, als auch beispielsweise die Kaufprämie für Elektroautos bevorteilen vor allem Höherverdiener, die sich ein solches Fahrzeug leisten können. Wichtig sind neben der CO2-Bepreisung nun vor allem die Maßnahmen zur Stärkung des Schienenverkehrs und ÖPNVs, die Förderung der energetischen Gebäudesanierung oder aber der Ausbau der Lade-Infrastruktur.“
„Die Erhöhung der Pendlerpauschale in den Anfangsjahren, also bis zum Jahr 2025, überkompensiert Vielfahrer mit höherem Einkommen. Über 60 Prozent aller Fernpendler nutzen das motorisierte Fahrzeug. Somit kann die Erhöhung der Pendlerpauschale den Mehrverbrauch erhöhen, dies führt zu höheren, nicht sinkenden Emissionen. Es sollte unbedingt nachjustiert werden: Der CO2-Einstiegspreis sollte höher sein, die Steigerung den Inflationsausgleich berücksichtigen, die Pendlerpauschale in ein Mobilitätsgeld pro Kopf umgewandelt werden, mit dem klimaschonendes Verhalten belohnt wird. Besser noch wäre eine Klimaprämie pro Kopf , indem jeder Bürger – wie man es in der Schweiz macht – eine jährliche Rückerstattung bekommt. Dies entlastet vor allem niedrige Einkommensbezieher und wäre sozial gerecht.“
Leiter der Arbeitsgruppe Landnutzung, Infrastruktur und Transport, Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change gGmbH (MCC), Berlin
„Die Rechnungen von Professor Holz-Rau sind richtig und im Wesentlichen übereinstimmend mit anderen Analysen, wie etwa von meinen Kolleg*innen am MCC Berlin [1]. Die Analyse von Professor Holz-Rau und Kolleg*innen zeigt, dass die derzeitige Preissetzung im Straßenverkehr in realen Preisen zu billigeren Treibstoffen und damit zu mehr CO2-Emissionen führen wird, selbst wenn der CO2-Preis mit berücksichtigt wird.“
„Die Analyse wirft ein Licht auf ein bisher vernachlässigtes Thema: Die Benzin- und Dieselpreise sind real um über 20 Prozent seit 2003 gesunken, sobald man die Inflationsrate berücksichtigt. Deswegen ist es kein Wunder, dass mehr größere Autos gefahren werden: Die Verschmutzung der Atmosphäre ist zu billig. Zum inflationsbedingten Preisrückgang kommt nun auch noch eine erhöhte Pendlerpauschale dazu. Das bedeutet, dass gerade die höchsten Einkommen, die viel fahren, mit dem Klimapaket besser dastehen, während die niedrigen Einkommen, die kürzere Strecken fahren, schlechter dastehen. Das geht auch aus der Graphik der oben genannten Analyse des MCC ([1] Abb. 4, Seite 9) hervor, die allerdings Inflationseffekte nicht berücksichtigt. Hohe Einkommen, die 50 Kilometer fahren, bekommen bis 2023 quasi eine Subvention, die Atmosphäre zu verschmutzen.“
„Während das Klimapaket einige gute, wenn auch wenig ambitionierte Ansätze beinhaltet, ist die Kombination von niedrigem CO2-Preis mit der Pendlerpauschale im Verkehrsbereich ein Schildbürgerstreich. Automotorisierter Verkehr wird teilweise sogar noch begünstigt, und die Effekte werden für die hohen Einkommen – nicht die Geringverdiener – abgemildert. Eine gerechte soziale Kompensation wäre stattdessen sowohl über eine Klimadividende als auch über Streichung der EEG-Umlage zu erreichen.“
„Interessenkonflikte bestehen keine.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Primärquelle
Holz-Rau, C (2019): CO2-Bepreisung und Entfernungspauschale. Die eingebildete Steuererhöhung. Internationales Verkehrswesen; 71(6). Text abrufbar auf der Instituts-Homepage des Autors.
Weiterführende Recherchequellen
Bach, S. et al. (2019): Lenkung, Aufkommen, Verteilung: Wirkungen von CO2-Bepreisung und Rückvergütung des Klimapakets. DIW aktuell Nr. 24, 17.10.2019.
Science Media Center Germany (2019): Kann ein CO2-Preis unser Klima retten? Stand: 10.07.2019.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Edenhofer, O et al. (2019): Bewertung des Klimapakets und nächste Schritte. CO2-Preis, sozialer Ausgleich, Europa, Monitoring.
Prof. Dr. Uwe Leprich
Hochschule für Wirtschaft und Technik des Saarlandes, Saarbrücken, ehemaliger Abteilungsleiter für Klimaschutz und Energie des Umweltbundesamtes, langjähriger wissenschaftlicher Leiter des Instituts für ZukunftsEnergieSysteme (IZES)
Prof. Dr. Claudia Kemfert
Abteilungsleiterin der Abteilung "Energie, Verkehr und Umwelt", Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin
Prof. Dr. Felix Creutzig
Leiter der Arbeitsgruppe Landnutzung, Infrastruktur und Transport, Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change gGmbH (MCC), Berlin