Höhere Semaglutid-Dosis führt zu mehr Gewichtsverlust – Wo liegt die Grenze?
eine Erhöhung der Semaglutid-Dosis von 2,4 auf 7,2 Milligramm führt bei Menschen mit Adipositas zu einer stärkeren Gewichtsreduktion, begleitet von Verbesserungen bei Blutdruck, Blutzucker und Entzündungsmarkern
mit höheren Dosen treten aber vermehrt gastrointestinale Beschwerden sowie Hautmissempfindungen auf, die teilweise zum Therapieabbruch oder zur Dosisreduktion führten
Forschende werten den zusätzlichen Nutzen gegenüber der bisherigen Standarddosis als messbar, aber moderat; im Vergleich zu Tirzepatid bleibt Semaglutid bei Wirkung und Verträglichkeit eher im Nachteil
Menschen mit Adipositas verlieren mit höheren Dosen des GLP-1-Rezeptoragonisten Semaglutid mehr Gewicht als mit der bisherigen Standarddosis. Das geht aus zwei klinischen Phase-IIIb-Studien im Fachjournal „The Lancet Diabetes & Endocrinology“ hervor (siehe Primärquellen). Semaglutid ist seit 2022 in einer Dosierung von maximal 2,4 Milligramm pro Woche zur Behandlung von Übergewicht zugelassen (Handelsname Wegovy). Der Wirkstoff wird außerdem bereits seit 2018 zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 eingesetzt. Semaglutid hilft, den Blutzuckerspiegel zu senken und das Hungergefühl zu verringern, indem es die Wirkung des körpereigenen Hormons GLP-1 (Glucagon-like Peptide 1) nachahmt.
Die Autorinnen und Autoren der Studie („STEP UP“) untersuchten, inwieweit eine Dosis von 7,2 Milligramm den Effekt des Präparats verstärkt. 1407 Erwachsene ohne Typ-2-Diabetes mit einem Body-Mass-Index ab 30 erhielten verteilt in drei Testgruppen über 52 Wochen einmal wöchentlich entweder 7,2 Milligramm Semaglutid, die Standarddosis von 2,4 Milligramm oder ein Placebo. Die jeweiligen Dosen wurden zuvor über 20 Wochen aufgebaut. Alle Teilnehmenden bekamen zusätzlich eine Lebensstilberatung.
Studienarzt in der Klinik für Endokrinologie und Stoffwechselmedizin (Deutsches Zentrum für Diabetesforschung / DZD), Campus Benjamin Franklin (CBF), Charité – Universitätsmedizin Berlin
Höhere Dosen für wen?
„Der Einsatz von hochdosiertem Semaglutid (7,2 Milligramm) ist sinnvoll für Patient:innen, bei denen GLP-1-Rezeptoragonisten (GLP-1-RA) bislang schon die einzige verbliebene nicht-operative Therapieoption zur Gewichtsreduktion beziehungsweise zur Diabetesoptimierung war und die die bisherige Höchstdosis gut vertragen haben. Wer Semaglutid ohnehin nicht oder nicht in hoher Dosis verträgt, wer kein starkes Übergewicht beziehungsweise keinen behandlungsresistenten Typ-2-Diabetes hat, der wird von der neuen Dosierung nicht profitieren. Der Zusatzeffekt der dreifachen Dosis ist vorhanden, aber nicht riesig. Viele Patient:innen der Studie mussten die Dosis unterhalb des Zielwerts reduzieren. Die höhere Dosis steigert den Effekt auf das Körpergewicht und den Stoffwechsel (Blutdruck und Triglyceride (beide Studien) sowie Blutzucker und Entzündungswerte (nur in der Diabetes-Studie)).“
Einordnung der Studiendauer
„72 Wochen genügten nicht, um die maximale Gewichtsreduktion und Stoffwechselverbesserung zu beurteilen. Die Kurven der Publikationen erreichen in dieser Zeit noch keinen eindeutigen Plateaubereich. Der Zusatzeffekt der höheren Dosis ist messbar, aber moderat. Entscheidender dürfte die Verträglichkeit sein, die bereits viel frühzeitiger durch Nebenwirkungen eingeschränkt sein kann. Langzeiteffekte auf harte Outcomes wie typische adipositasbezogene Folgen (Herzinfarkt, Schlaganfall, Krebserkrankungen, Tod) oder verzögerte Nebenwirkungen kann man derzeit nicht für die hohe Dosis beurteilen.“
Einordnung der Nebenwirkungen
„Schwerwiegende Nebenwirkungen (also mit Krankenhauseinweisung, neu entstehender Behinderung, Schwangerschaftsschädigung, Tod) sind in beiden Studien recht selten und somit nicht erkennbar häufiger als unter der bisherigen Höchstdosis. Das liegt aber an den relativ geringen Teilnehmerzahlen und der mittellangen Dauer; da braucht es größere und längere Studien, um das eindeutig bewerten zu können. Die typischen Magen-Darm-Beschwerden als milde Nebenwirkung treten insgesamt nicht wesentlich häufiger auf, möglicherweise, weil häufig frühzeitig die Dosis angepasst wird und der verbleibende Teil der Patient:innen beide Dosierungen gleich gut verträgt. Auffällig ist eine Nebenwirkung, die in der Außenwahrnehmung von Semaglutid keine große Rolle spielte: Sensibilitätsstörungen/Missempfindungen der Haut. Die sind offenbar dosisabhängig und somit in hoher Dosis deutlich häufiger.“
Grenzen bei der Dosisfindung
„Ein Teil der Patient:innen wird möglicherweise von (noch) höheren Dosierungen profitieren; wie viele das sind, lässt sich derzeit nicht beantworten. Höhere Dosen bringen in der Regel höhere Nebenwirkungen, gegebenenfalls auch solche, die man erst später bemerkt und auf die man folglich nicht frühzeitig mit Dosisanpassungen reagiert. Bei einer Ein-Wochen-Spritze ohne Gegenmittel muss man auch immer bedenken: ,Was drin ist, ist drin.‘ Eventuell muss man also nach einer Dosissteigerung erstmal einige Tage durch Nebenwirkungen durch, bevor es besser wird.“
Einordnung der Methodik
„In der Diabetes-Studie (Lingvay et al.) waren Patient:innen teilnahmeberechtigt, auch wenn sie früher schon einmal (nur nicht sechs Monate vor Studienbeginn) GLP-1-RA genutzt haben. Das könnte Personen bevorzugt in die Studie gebracht haben, bei denen die Verträglichkeit von GLP-1-RA schon bekannt war und die aus anderen Gründen, wie beispielsweise finanzielle Gründe oder Lieferengpässe, lediglich keinen Zugang mehr dazu hatten. Wenn das so wäre, würde die Effektivität und Verträglichkeit der Medikation in beiden Dosierungen überschätzt. In der Adipositas-Studie (Wharton et al.) sind Frauen deutlich überrepräsentiert. Ob Männer also gleichermaßen profitieren, ist fraglich. Beide Studien vergleichen Semaglutid mit einer Placebo-Therapie, wobei alle drei Gruppen eine nur relativ zarte Lebensstiltherapie parallel erhalten. Wie eine intensive und qualitativ optimale Lebensstiltherapie (Ernährung, Bewegung und weitere) im Vergleich abschneiden würde, lässt sich nicht sagen.“
Leiter klinische Forschung Abteilung Diabetologie, Medizinische Klinik I, St. Josef-Hospital, Katholisches Klinikum Bochum
Höhere Dosen für wen?
„Die Studien mit 7,2 Milligramm Semaglutid pro Woche sind ein Weg – neben anderen wie etwa duale und Triple-Agonisten – die Gewichtsabnahme mit Inkretin-basierten Medikamenten zu maximieren. Die Dosiserhöhung wirkt sich fast nur auf die Gewichtsreduktion aber nicht wesentlich auf den Glukose-Stoffwechsel aus, also ist dieser Weg nur interessant, wenn das Therapieziel eine noch ausgeprägtere Gewichtsabnahme (mit ihren Sekundärfolgen für die Gesundheit) ist.“
Einordnung der Studiendauer
„Die Studiendauer von 72 Wochen wurde gewählt, weil es etwa so lange dauert, bis sich ein neues Gewichts-Plateau einstellt. Kürzere Studiendauern hätten geringere Gewichtsreduktionen erbracht.“
Einordnung der Nebenwirkungen
„Die schwerwiegenden unerwünschten Ereignisse unterscheiden sich nicht wesentlich, auch im Vergleich zu Placebo. Allerdings gibt es Unterschiede der moderaten ‘gastrointestinalen’ unerwünschten Ereignisse: Sie steigen an, solange im Rahmen der Dosis-Eskalation die Dosis über 24 Wochen gesteigert wird, und fallen dann sehr langsam ab, über die gesamten 72 Wochen. Dieser Unterschied erklärt wohl die Notwendigkeit zur Dosisreduktion (die war erlaubt) und dass einige Patienten die Therapie abbrachen. Die bessere Gewichtsabnahme wird also mit etwas mehr Nebenwirkungen ,erkauft‘.“
Grenzen bei der Dosisfindung
„Es kommt darauf an, was für Ziele man mit dem Patienten definiert hat. Verschiedene negative Konsequenzen des Übergewichts hängen in unterschiedlicher Weise vom Grad des Übergewichts ab, und werden bei unterschiedlichem Ausmaß der Gewichtsreduktion positiv beeinflusst. Bei Menschen mit Typ-2-Diabetes wissen wir, dass 15 Prozent Gewichtsabnahme fast regelhaft zur Diabetes-Remission führt. Ob in dieser Hinsicht mehr Gewichtsreduktion mehr ,harten‘ gesundheitlichen Benefit bringt, ist ungeklärt. Eine andere, kleinere Population sind diejenigen, bei denen bariatrische Chirurgie infrage kommt. Hier müsste man mehr als 30 Prozent Gewichtsabnahme erreichen, um konkurrenzfähig zu sein.“
Einordnung der Methodik
„Die Studien sind sehr professionell geplant und durchgeführt worden. Die Auswertung entspricht dem State of the Art der Qualität klinischer Studien.“
Kommissarischer Direktor und Leiter der Abteilung für Molekulare Pharmakologie, Institut für Diabetesforschung, Helmholtz-Zentrum München
Einordnung der Studie ohne Typ-2-Diabetes
„In der Studie von Wharton et al. (Personen mit Adipositas ohne Typ-2-Diabetes) zeigte sich eine nennenswerte Steigerung der Gewichtsreduktion. Zudem zeigten deutlich mehr Patienten einen Gewichtsverlust von über zehn, fünfzehn und zwanzig Prozent. Basierend auf diesen Daten ist also zu sagen, dass die erhöhte Dosis von 7,2 im Vergleich zu 2,4 Milligramm auch bei Patienten mit Adipositas ohne Typ-2-Diabetes einen deutlichen Mehrwert darstellt.“
„Vergleicht man die Studienergebnisse mit denen von Tirzepatid 15 Milligramm im SURMOUNT-1-Trial, ist der mittlere Gewichtsverlust von Tirzepatid deutlich stärker (die aktuell zugelassene Höchstdosis von Tirzepatid beträgt 15 Milligramm; Anm. d. Red.) [2]. Vergleicht man die Anzahl Patienten mit einem gewissen Gewichtsverlust, zeigen bei Tirzepatid gegenüber Semaglutid etwa gleich viele Patienten einen Gewichtsverlust über zehn Prozent, etwas mehr einen Gewichtsverlust über 15 (70,6 versus 66,5 Prozent), und deutlich mehr einen Gewichtsverlust über 20 Prozent (56,7 versus 33,3 Prozent).“
„Bezüglich der Nebenwirkungen ist zu sagen, dass diese bei Semaglutid 7,2 Milligramm vornehmlich mild waren, und mit der höheren Dosis moderat anstiegen. Die Häufigkeit mittlerer und schwerer Nebenwirkungen war in beiden Gruppen vergleichbar, die Häufigkeit gastrointestinaler Nebenwirkungen stieg leicht an (70,8 versus 61,2 Prozent). Die Häufigkeit gastrointestinaler Nebenwirkungen erscheint aber recht hoch, was sich auch in der Häufigkeit von Übelkeit (43,7 versus 38,3 und 12,9 Prozent bei Placebo) und Erbrechen (24,8 versus 16,4 und 7 Prozent bei Placebo) zeigt. Im Vergleich dazu klagten bei Tirzepatid 15 Milligramm im SURMOUNT-1-Trial nur 31 Prozent der Patienten über Übelkeit und 12,2 Prozent über Erbrechen. Zusammenfassend ist bezüglich der Studie von Wharton et al. zu sagen, dass der gewichtsreduzierende Effekt von Semaglutid 7,2 Milligramm gegenüber Tirzepatid 15 Milligramm etwas schwächer ist, und zudem die Häufigkeit gastrointestinaler Beschwerden etwas häufiger ist. Jedoch sind die beobachteten Nebenwirkungen vornehmlich mild. Die Häufigkeit moderater und schwerer Nebenwirkungen ist zwischen Semaglutid 7,2 und 2,4 Milligramm nicht maßgeblich verändert – und auch nicht maßgeblich unterschiedlich im Vergleich zur Tirzepatid 15 Milligramm.“
Einordnung der Studie mit Typ-2-Diabetes
„In der Studie von Lingvay et al. (Personen mit Adipositas und Typ-2-Diabetes) zeigte sich bei Semaglutid 7,2 versus 2,4 Milligramm im Mittel eine merkliche Steigerung der Gewichtsreduktion (13,2 Prozent versus 10,4 Prozent gegen 3,9 Prozent bei Placebo). Zudem zeigten deutlich mehr Patienten einen Gewichtsverlust von über zehn, fünfzehn und zwanzig Prozent. Basierend auf diesen Daten ist also zu sagen, dass die erhöhte Dosis von 7,2 im Vergleich zu 2,4 Milligramm einen nennenswerten Mehrwert darstellt. Dieser Mehrwert zeigte sich auch bei der Verbesserung des HbA1c (Blutzuckerwert; Anm. d. Red.), wobei im Vergleich von 7,2 zu 2,4 Milligramm mehr Patienten in der 7,2-Milligram-Gruppe einen Wert unter 6,5 Prozent erreichten, obgleich die mittlere Verbesserung des HbA1c zwischen beiden Gruppen nicht wesentlich unterschiedlich ist (1,7 versus 1,6 Prozent).“
„Bezüglich der Nebenwirkungen ist zu sagen, dass diese vornehmlich mild waren und mit der höheren Dosis moderat anstiegen. Die Häufigkeit mittlerer und schwerer Nebenwirkungen war in beiden Gruppen vergleichbar, die Häufigkeit gastrointestinaler Nebenwirkungen stieg leicht an. Während die Häufigkeiten von Übelkeit und Erbrechen in beiden Gruppen vergleichbar sind, scheint der Anstieg der Häufigkeit von Müdigkeit (6,8 versus 1,9 Prozent) erwähnenswert. Insgesamt eine wertvolle Studie mit soliden Ergebnissen.“
„Im Vergleich Semaglutid 7,2 Milligramm gegen Tirzepatid 15 Milligramm muss man beachten, dass es immer etwas Variabilität zwischen den Studien gibt, was den direkten Vergleich erschwert – auch die Behandlungszeit ist hier natürlich relevant. Schaut man auf den SURPASS-Trial, bleibt Semaglutid 7,2 Milligramm in der Reduktion des HbA1c gegenüber Tirzepatid 15 Milligramm etwas zurück, der Gewichtsverlust ist jedoch vergleichbar [1]. Bezüglich der gastrointestinalen Nebenwirkungen scheint beim Vergleich mit Tirzepatid 7,2 Milligramm Semaglutid etwas weniger verträglich zu sein. So zeigten in SURPASS-1 nur 41 Prozent der Patienten gastrointestinalen Nebenwirkungen, bei Semaglutid 7,2 Milligramm sind es 53,1 Prozent. Ähnliche Unterschiede zeigten sich auch in den anderen SURPASS-Studien. Es lässt sich daraus schließen, dass Semaglutid 7,2 Milligramm und Tirzepatid 15 Milligramm in Patienten mit Adipositas und Typ-2-Diabetes vergleichbare Effekte auf das Körpergewicht haben, Tirzepatid jedoch einen etwas stärken Effekt auf die Senkung des HbA1c hat und etwas besser verträglich ist, was die gastrointestinalen Nebenwirkungen angeht. Im Vergleich der moderaten und schweren Nebenwirkungen sind jedoch beide Präparate durchaus vergleichbar.“
Fazit
„Abschließend bewerte ich beide Studien als wertvoll, wobei eindrucksvoll gezeigt werden konnte, dass der gewichtsreduzierende Effekt von Semaglutid durch die erhöhte Dosis von 7,2 Milligramm nennenswert gesteigert werden kann. Jedoch geht dies einher mit einer gewissen gesteigerten Häufigkeit gastrointestinaler Nebenwirkungen, welche jedoch zumeist mild sind. Obgleich individuelle Unterschiede zwischen den Studien keine definitiven Rückschlüsse auf den Vergleich zwischen Tirzepatid 15 Milligramm und Semaglutid 7,5 Milligramm zulassen, erscheint Semaglutid hier Tirzepatid hinsichtlich Tolerabilität wie auch Wirkung auf Körpergewicht und HbA1c etwas unterlegen.“
„Die Studiendauer ist adäquat für eine Phase-III-Studie, die Ergebnisse sind solide. Schlussfolgerungen zur Langzeitwirkung möchte und kann ich hier natürlich nicht treffen. Es bleibt abzuwarten, ob sich langfristig zum Beispiel Unterschiede im Auftreten von Pankreatitis und Gallensteinen zeigen. Bislang gibt es dafür aber keine Hinweise. Ich persönlich glaube aber, dass sich Semaglutid 7,2 Milligramm gegenüber Tirzepatid 15 Milligramm nicht durchsetzen wird, besonders aufgrund der erhöhten gastrointestinalen Nebenwirkungen und des etwas schwächeren Effekts auf Gewicht und HbA1c.“
Grenzen bei der Dosisfindung
„Einen einzigen Rezeptor mit höheren Dosierungen anzusprechen, geht oft mit dem Nachteil einer gesteigerten Häufigkeit von Nebenwirkungen einher. Dies zeigt sich auch in diesen Studien. Jedoch sind die beobachteten Nebenwirkungen vornehmlich milder Natur.“
Chefarzt für Diabetologie und Direktor des Westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrums (WDGZ), Verbund Katholischer Kliniken Düsseldorf (VKKD)
Studieninhalte
„Die beiden Studien ,STEP UP‘ und ,STEP UP T2D‘ haben die Erhöhung der Semaglutid-Dosis auf von maximal 2,4 auf 7,2 Milligramm pro Woche bei Personen mit Adipositas (STEP UP) wie auch Personen mit der Kombination aus Adipositas und Typ-2-Diabetes (STEP UP T2D) getestet. In beiden Studien kommt es durch die Dosissteigerung zu einer stärkeren Gewichtsabnahme. Mit dieser deutlich höheren Medikamentendosis wird aber nur eine Gewichtsabnahme erreicht, die mit der des Konkurrenzproduktes Tirzepatid vergleichbar ist. Bei Tirzepatid handelt es sich um ein Molekül, das nicht nur wie Semaglutid den GLP-1-Rezeptor aktiviert, sondern zusätzlich auch den GIP-Rezeptor (Rezeptor für glukoseabhängiges insulinotropes Peptid; Anm. d. Red.).“
Zusatznutzen bei Diabetes
„Semaglutid wurde ursprünglich als Diabetesmedikament entwickelt und somit ist in der STEP-UP-T2D-Studie der Blick auf die Änderung der HbA1c-Werte von Bedeutung. Hier zeigt sich jedoch durch die weitere Steigerung der Semaglutid-Dosis keine zusätzliche Reduktion der Blutzuckereinstellung – gemessen am HbA1c. Diese Ergebnisse zur Behandlung des Typ-2-Diabetes spielen in Deutschland aktuell keine Rolle, da Semaglutid in dieser Indikation nur in der Höhe von einem Milligramm pro Woche zur Anwendung kommt. Bereits zuvor wurde in der sogenannten SUSTAIN-FORTE-Studie die Dosissteigerung von ein auf zwei Milligramm Semaglutid bei Typ-2-Diabetes getestet, und dabei zwar eine signifikante aber für die klinische Praxis wenig relevante zusätzliche Reduktion des HbA1c-Wertes nachgewiesen [3].“
Einordnung der Nebenwirkungen
„Sowohl in STEP UP als auch in STEP UP T2D zeigt sich jedoch unter der hohen Dosis eine Nebenwirkung, die bisher nicht bekannt war, sogenannte Dysästhesien. Darunter wird eine Überempfindlichkeit und gesteigerte Erregbarkeit der Gefühls- und Sinnesnerven verstanden. Die Betroffenen berichten über Beschwerden wie bei einem Sonnenbrand, ohne dass sie einer Sonnenbestrahlung ausgesetzt waren. Auch wenn in der Arbeit diese Nebenwirkungen als mild bezeichnet werden, traten sie bei der STEP-UP-Studie bei 22,9 Prozent der Studienteilnehmer mit der hohen Dosierung auf. Bei 2,4 Milligramm war diese Nebenwirkung nur in sechs Prozent und in der Placebo-Gruppe in 0,5 Prozent der Fälle beschrieben. In einer von fünf Personen musste die Semaglutid-Dosis aufgrund dieser Nebenwirkung reduziert werden. Bei der STEP-UP-T2D-Studie traten diese Nebenwirkungen seltener auf, sie lagen mit 18,9 Prozent in der hohen und mit 4,9 Prozent in der niedrigeren Semaglutid-Therapie-Gruppe im Vergleich zu null Prozent in der Placebogruppe auch sehr hoch. Die Autoren weisen darauf hin, dass auch bei anderen Inkretin-basierten Therapien Dysästhesien beschrieben wurden. Jedoch lagen diese in den entsprechenden Studien mit Tirzepatid (SURMOUNT-1 und -2) bei 0,2 bis 0,4 Prozent je nach Dosierung. Aus ärztlicher Sicht steht die etwas stärkere Gewichtsabnahme der Dosiserhöhung von Semaglutid zu den dadurch erkauften Nebenwirkungen in keinem Verhältnis. Zusammenfassend stellt sich die Frage, warum man die Dosis von Semaglutid erhöhen soll, wenn man mit Tirzepatid – bei einer deutlich besseren Verträglichkeit – vergleichbare oder sogar etwas bessere Effekte auf HbA1c und Gewicht erreichen kann.“
Langfristiger Nutzen
„Das grundsätzliche Problem dieser sogenannten Abnehmspritzen wird durch diese neuen Ergebnisse nicht gelöst: Wenn die Therapie beendet wird, steigt das Gewicht wieder auf das Ausgangsniveau an. Und ein zweiter Aspekt wurde in der Studie nicht untersucht: Wieviel Fett und wieviel Muskelmasse wurde bei der Gewichtsabnahme reduziert. Insbesondere der Muskelmasseverlust durch die Inkretin-basierten Therapien wurde beim Europäischen Kardiologen-Kongress Ende August sehr intensiv diskutiert, wie man in der ganz aktuellen Übersichtsarbeit im Deutschen Ärzteblatt nachlesen kann [4].“
Direktor der Klinik für Endokrinologie und Diabetologie, Universitätsklinikum Düsseldorf sowie wissenschaftlicher Geschäftsführer und Sprecher des Vorstands des Deutschen Diabetes-Zentrums, Düsseldorf
Höhere Dosen für wen?
„Inkretin-Ko-Agonisten wie Tirzepatide und Retatrutide zeigten in Studien bereits deutlichere Effekte auf die Gewichtsabnahme als die bisher zugelassene Höchstdosis von Semaglutid (2,4 Milligramm pro Woche). Eine noch stärkere Gewichtsabnahme könnte sowohl für Menschen mit ausgeprägter Adipositas (zum Beispiel BMI über 40) und für jene mit Komplikationen für metabolische Erkrankungen (zum Beispiel Typ-2-Diabetes mit kardiovaskulären Erkrankungen oder MASLD/MASH (‚metabolic dysfunction–associated steatotic liver disease‘ und ‚metabolic dysfunction-associated steatohepatitis‘; früher nicht-alkoholische Fettleberkrankung, NAFLD/NASH) durchaus sinnvoll und hilfreich sein. Da auf die 2,4-Milligramm-Dosis von Semaglutid nicht alle Personen mit relevanter Gewichtsabnahme reagieren (etwa 10 bis 15 Prozent Non-Responder) und trotz Risikoreduktion für kardiovaskuläre, renale und hepatische Krankheiten ein hohes ‚residuales Risiko‘ bleibt, macht es Sinn, eine höhere Dosis zu testen.“
Einordnung der Studiendauer
„Die effektive Behandlungsdauer mit der 7,2-Milligramm-Semaglutid-Dosierung betrug 52 Wochen, zuvor wurde die Dosierung über 20 Wochen auf die bisherige Maximaldosis von 2,4 Milligramm gesteigert. Dieses Protokoll erscheint sinnvoll, um den Effekt von 2,4 Milligramm Semaglutid zu testen. Offen bleibt allerdings, ob die mit 7,2 Milligramm behandelte Gruppe eventuell von einer längeren Behandlungsdauer mit der niedrigeren Dosis noch mehr profitiert hätte (der Gewichtsverlust in dieser Gruppe war nach 20 Wochen, also vor Dosissteigerung, etwas stärker). Die Behandlungsdauer von 52 Wochen ist jedenfalls ausreichend, um Effekte und auch kurzfristige unerwünschte Wirkungen zu beobachten – wie auch gezeigt wurde.“
Einordnung der Nebenwirkungen
„Die Verteilung der echten ,serious adverse events‘ war zwischen allen Gruppen vergleichbar (9,1 versus 8,7 versus Placebo 8,8 Prozent) und mit einem relativen Risiko von 1,04 beziehungsweise 1,03 ohne Auffälligkeiten. Anders stellt sich der Vergleich bei den ,severe adverse events‘ dar, wobei das relative Risiko gegenüber der 2,4-Milligramm-Dosis 1,40, also relativ 40 Prozent, beziehungsweise im Vergleich mit Placebo 2,08, also doppelt so hoch war.“
„Unter den speziellen Nebenwirkungen ist die in allen Gruppen hohe Rate an jeglichen gastrointestinalen Nebenwirkungen (auch in der Placebo-Gruppe) bemerkenswert. Auffällig ist das gehäufte Auftreten von Dysästhesien in der 7,2-Milligramm-Gruppe, wenn auch nicht unbekannt, aber doch mehr als dreimal häufiger als in der 2,4-Milligramm-Gruppe. Diese Nebenwirkung wird von den Autoren als nicht schwerwiegend beschrieben, erfordert aber in Hinblick auf die Langzeiteinnahme und den bislang unbekannten Mechanismus der Entstehung doch eine genauere Überprüfung. Hingegen fand sich kein Signal bezüglich anderer möglicher Nebenwirkungen von GLP-1-RAs wie Retinopathie (Schädigung der Netzhaut des Auges; Anm.d. Red.), Gallenblasenerkrankungen oder Pankreatitis.“
Grenzen bei der Dosisfindung
„Wie bereits ausgeführt, sind von einer stärkeren Gewichtsreduktion mit Semaglutid positive Effekte zu erwarten, wie etwa eine weitere Verbesserung der MASH mit Leberfibrose, die kürzlich mit 2,4-Milligramm-Semaglutid gezeigt worden ist. Die Gewichtsreduktion der höheren gegenüber der niedrigeren Dosis ist zwar nominell größer, aber auch in Hinblick auf andere Inkretin-Agonisten von unsicherer klinischer Relevanz. Andererseits sind die vorhandenen Studien schwierig zu vergleichen, denn der Gewichtsverlust bei Menschen mit Typ-2-Diabetes ist eher geringer als bei Menschen ohne Diabetes.“
„Nicht zuletzt ist zu erwähnen, dass exzessiver Gewichtsverlust auch mit erhöhtem Risiko von Fehlernährung und Muskelschwäche (Sarkopenie) verbunden ist, was die positiven Effekte dieser Therapieform im Verlauf beeinträchtigen kann.“
Methodik
„Eine wesentliche Limitation der Studie wird von den Autoren selbst beschrieben: die fehlende statistische Power, um die Überlegenheit der höheren gegenüber der niedrigeren Dosis zu testen. Dies wird mit regulatorischen Auflagen erklärt. So bleibt eine zentrale Frage der Studie formal unbeantwortet.“
„Ich erhielt projektbezogene Fördermittel des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung e.V. (DZD), der Deutschen Diabetes Gesellschaft, vom Almond Board of California, der California Walnut Commission, der Wilhelm-Doerenkamp-Stiftung, J. Rettenmaier & Söhne und Beneo Südzucker sowie persönliche Zuwendungen (für Tagungsvorträge und zugehörige Reisekosten) von Lilly Deutschland, Sanofi, Berlin Chemie, Boehringer Ingelheim und der JuZo-Akademie.“
„Beiräte/Beratung: Boehringer-Ingelheim, Eli Lilly & Co., Novo Nordisk, Pfizer, Regor, Structure Therapeutics (Gasherbrum), Sun Pharma. Forschungszuschüsse (an meine Einrichtung): Merck Sharp & Dohme. Honorare für Vorträge: AstraZeneca, Eli Lilly & Co., Medscape, Medical Learning Institute, Novo Nordisk, Sanofi, Sun Pharma. Aktien/Aktienoptionen: Keine.“
„Ich habe Aktien von Novo Nordisk und Eli Lilly.“
„Forschungsunterstützung: Almased, gbo Gerätebau, Bayer, Fractyl; Vortragstätigkeit: AstraZeneca, BMS, Roche-Diagnostics, Almased, Novo Nordisk, Boehringer Ingelheim, Falk Foundation e.V., Finanzministerium NRW, Lilly, Abbott, Bayer; Beratertätigkeit: AstraZeneca, Almased, Central und AXA Versicherung, Fractyl.“
„Vorträge/Honorare: AstraZeneca, Boehringer Ingelheim, Lilly, Madrigal, Novo Nordisk, Synlab. Beratungstätigkeiten: AstraZeneca, Boehringer Ingelheim, Echosens, Intercept Pharma, MSD, Novo Nordisk, Sanofi, Target RWE. Drittmittelgeförderte Forschung: Boehringer Ingelheim, Novo Nordisk, Sanofi.“
Primärquellen
Wharton S et al. (2025): Once-weekly semaglutide 7,2 mg in adults with obesity (STEP UP): a randomised, controlled, phase 3b trial. The Lancet Diabetes & Endocrinology. DOI: 10.1016/S2213-8587(25)00226-8.
Lingvay I et al. (2025): Once-weekly semaglutide 7,2 mg in adults with obesity and type 2 diabetes (STEP UP T2D): a randomised, controlled, phase 3b trial. The Lancet Diabetes & Endocrinology. DOI: 10.1016/ S2213-8587(25)00225-6.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Rosenstock J et al. (2021): Efficacy and safety of a novel dual GIP and GLP-1 receptor agonist tirzepatide in patients with type 2 diabetes (SURPASS-1): a double-blind, randomised, phase 3 trial. The Lancet. DOI: 10.1016/S0140-6736(21)01324-6.
[2] Jastreboff AM et al. (2022): Tirzepatide Once Weekly for the Treatment of Obesity. The New England Journal of Medicine. DOI: 10.1056/NEJMoa2206038.
[3] Frias JP et al. (2021): Efficacy and safety of once-weekly semaglutide 2·0 mg versus 1·0 mg in patients with type 2 diabetes (SUSTAIN FORTE): a double-blind, randomised, phase 3B trial. The Lancet Diabetes & Endocrinology. DOI: 10.1016/S2213-8587(21)00174-1.
[4] Deutsches Ärzteblatt (10.09.2025): Abnehmmittel: Wenn die falschen Pfunde purzeln.
Dr. Stefan Kabisch
Studienarzt in der Klinik für Endokrinologie und Stoffwechselmedizin (Deutsches Zentrum für Diabetesforschung / DZD), Campus Benjamin Franklin (CBF), Charité – Universitätsmedizin Berlin
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich erhielt projektbezogene Fördermittel des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung e.V. (DZD), der Deutschen Diabetes Gesellschaft, vom Almond Board of California, der California Walnut Commission, der Wilhelm-Doerenkamp-Stiftung, J. Rettenmaier & Söhne und Beneo Südzucker sowie persönliche Zuwendungen (für Tagungsvorträge und zugehörige Reisekosten) von Lilly Deutschland, Sanofi, Berlin Chemie, Boehringer Ingelheim und der JuZo-Akademie.“
Prof. Dr. Michael Nauck
Leiter klinische Forschung Abteilung Diabetologie, Medizinische Klinik I, St. Josef-Hospital, Katholisches Klinikum Bochum
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Beiräte/Beratung: Boehringer-Ingelheim, Eli Lilly & Co., Novo Nordisk, Pfizer, Regor, Structure Therapeutics (Gasherbrum), Sun Pharma. Forschungszuschüsse (an meine Einrichtung): Merck Sharp & Dohme. Honorare für Vorträge: AstraZeneca, Eli Lilly & Co., Medscape, Medical Learning Institute, Novo Nordisk, Sanofi, Sun Pharma. Aktien/Aktienoptionen: Keine.“
PD Dr. Timo Müller
Kommissarischer Direktor und Leiter der Abteilung für Molekulare Pharmakologie, Institut für Diabetesforschung, Helmholtz-Zentrum München
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe Aktien von Novo Nordisk und Eli Lilly.“
Prof. Dr. Stephan Martin
Chefarzt für Diabetologie und Direktor des Westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrums (WDGZ), Verbund Katholischer Kliniken Düsseldorf (VKKD)
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Forschungsunterstützung: Almased, gbo Gerätebau, Bayer, Fractyl; Vortragstätigkeit: AstraZeneca, BMS, Roche-Diagnostics, Almased, Novo Nordisk, Boehringer Ingelheim, Falk Foundation e.V., Finanzministerium NRW, Lilly, Abbott, Bayer; Beratertätigkeit: AstraZeneca, Almased, Central und AXA Versicherung, Fractyl.“
Prof. Dr. Michael Roden
Direktor der Klinik für Endokrinologie und Diabetologie, Universitätsklinikum Düsseldorf sowie wissenschaftlicher Geschäftsführer und Sprecher des Vorstands des Deutschen Diabetes-Zentrums, Düsseldorf
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Vorträge/Honorare: AstraZeneca, Boehringer Ingelheim, Lilly, Madrigal, Novo Nordisk, Synlab. Beratungstätigkeiten: AstraZeneca, Boehringer Ingelheim, Echosens, Intercept Pharma, MSD, Novo Nordisk, Sanofi, Target RWE. Drittmittelgeförderte Forschung: Boehringer Ingelheim, Novo Nordisk, Sanofi.“