Große Studie untersucht Genvarianten bei Parkinson-Erkrankten
rund 13 Prozent der Parkinson-Patientinnen und -Patienten weisen Genmutationen auf, die die Krankheit verursachen können
genetische Veränderungen bei 18 Prozent der Risikopersonen und bei 9 Prozent der Personen ohne Risikofaktoren gefunden
Forschende loben Qualität der Studie und betonen Bedeutung künftiger Therapien auf Basis spezifischer Mutationen
In einer umfassenden Studie mit einer großen nordamerikanischen Kohorte haben Forschende bei rund 13 Prozent der Studienteilnehmenden genetische Varianten nachgewiesen, die Parkinson verursachen können. Die Arbeit ist im Fachblatt „Brain“ erschienen (siehe Primärquelle).
Fachärztin für Neurologie, Klinik und Poliklinik für Neurologie, und stellvertretende Leiterin der Parkinson-Tagesklinik, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)
Aussagekraft zur Häufigkeit genetischer Varianten
„Die Studie ist die bisher größte systematische Untersuchung genetischer Varianten bei Parkinson-Patienten. Sie bestätigt im Wesentlichen die bekannten Daten: ein höheres Risiko für ein genetisches Parkinson-Syndrom bei frühem Erkrankungsbeginn unter 50 Jahren, bei Verwandten ersten Grades mit einer Parkinson-Erkrankung und bei bestimmter Abstammung. Die Übertragbarkeit genetischer Studien hängt sehr von der untersuchten Population ab. In dieser Arbeit waren 86 Prozent der Untersuchten Weiße, sodass die Daten sicher in Teilen auf Deutschland übertragbar sind. In Europa wurde eine ähnliche Untersuchung durchgeführt, die ‚Rostock International Parkinson's Disease (ROPAD) Study‘ [1], die einen ähnlichen Ansatz verfolgt und deren Veröffentlichung in Kürze erwartet wird. Es wird interessant sein, die Daten dieser beiden Studien zu vergleichen.“
Genetische Veränderungen ohne Risikofaktoren
„Zur Bewertung von Risiken ist es immer gut, einmal die umgekehrte Zahl zu nennen – über 90 Prozent der Patienten ohne Risikofaktoren haben kein genetisches Parkinson-Syndrom. Da derzeit das Wissen um eine genetische Veränderung keinen therapeutischen Nutzen hat, wird diese Studienaussage (gemeint ist, dass auch neun Prozent der Teilnehmenden ohne Risikofaktoren nennenswerte Genvarianten aufwiesen; Anm. d. Red.) wahrscheinlich keine unmittelbare Änderung des üblichen Vorgehens bedeuten. Sollte es aber eine verlaufsmodizierende Therapie für eines der genetische Parkinson-Syndrome geben, bedeutet dies, dass Patienten ohne Risikofaktoren keinesfalls grundsätzlich von einem Screening auf die entsprechende Mutation ausgeschlossen werden dürfen.“
Bedeutung der spezifischen Mutationen
„Das Wissen um eine spezifische Mutation hat derzeit Folgen für die Beratung der Patienten hinsichtlich des zu erwartenden Krankheitsverlaufs und des Risikos von Verwandten, insbesondere Kindern, ebenfalls an einem Parkinson-Syndrom zu erkranken. Die GBA1-Mutationen stellen in heterozygotem Zustand lediglich einen Risikofaktor für die Parkinson-Erkrankung da, gleichzeitig ist der Verlauf der Erkrankung eher schneller mit früher auftretenden kognitiven Defiziten, was die Beratung von Verwandten erschwert. Umgekehrt führen LRRK2- und PRKN-Mutationen eher zu einem milderen Krankheitsverlauf. Die PRKN-Mutation ist darüber hinaus autosomal-rezessiv vererbt, sodass Kinder von betroffenen Patienten zwar Überträger der Erkrankung sind, in aller Regel aber nicht selbst erkranken.“
„Besondere Bedeutung haben spezifische Mutationen bei der Entwicklung verlaufsmodifizierender Therapien. Bisher ist die Behandlung der Parkinson-Erkrankung eine rein symptomatische, das heißt, der Verlauf wird durch die Therapie nicht beeinflusst. Die Hoffnung ist, dass für Parkinson-Syndrome auf dem Boden spezifischer Mutationen, bei denen ein klar definierter Angriffspunkt besteht, leichter eine Therapie zu finden ist, die den Verlauf der Erkrankung verlangsamt oder gar stoppt. Derzeit laufen vielversprechende Phase-2-Studien mit entsprechenden Substanzen bei Patienten mit GBA- und mit LRRK2-Mutationen.“
Herausforderungen bei der genetischen Testung
„In Deutschland werden die Kosten für humangenetische Beratungen und Diagnostik von den gesetzlichen und in der Regel auch den privaten Krankenkassen getragen, daher ist der Zugang grundsätzlich recht niedrigschwellig möglich. Dennoch erfordert die Vielzahl der verschiedenen Mutationen, ihre unterschiedlichen Vererbungsmodi, die zu erwartenden Krankheitsverläufe und die bisher fehlende therapeutische Konsequenz eine sorgfältige und zeitaufwendige Beratung der Patienten und ihrer Angehörigen, sodass genetische Diagnostik noch nicht breit zur Anwendung kommt. Die vorliegende, sehr systematische Studie erleichtert die Beratung hinsichtlich des persönlichen Risikos eines Patienten, an einem genetischen Parkinson-Syndrom zu leiden.“
Oberarzt der Klinik für Neurologie, Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München (TUM), und Leiter der Spezialambulanz für Motoneuronerkrankungen und Parkinsonerkrankungen
Aussagekraft zur Häufigkeit genetischer Varianten
„Parkinson tritt bei den meisten Menschen sporadisch, das heißt, ohne bekannte Ursache auf. Es gibt jedoch auch genetisch verursachte Fälle, denen eine Genmutation zugrunde liegt. Die Studie von Cook und Kollegen untersuchte in einem großen Kollektiv von über 8000 Parkinsonpatienten das Vorhandensein von sieben kausalen Mutationen, die dafür bekannt sind, die Parkinsonkrankheit zu verursachen. Methodisch ist das alles ausgezeichnet und es sind auch die wichtigsten Gene untersucht worden. Die Autoren fanden in etwa 13 Prozent aller Teilnehmer eine solche genetische Veränderung. Es ist bekannt, dass das Risiko, eine solche Mutation zu tragen, steigt, zum Beispiel wenn man einen erstgradigen Verwandten mit Parkinson hat, im Alter unter 50 erkrankt oder zu einer bestimmten ethnischen Gruppe gehört. Bei solchen Teilnehmern wurde eine kausale Mutation sogar in 18 Prozent gefunden, aber immerhin auch in 9 Prozent derjenigen, die gar kein besonderes Risiko hatten.“
„Auch wenn ähnliche Prävalenzen schon in anderen Untersuchungen gezeigt wurden (zum Beispiel Skrahina et al. 2021) [1], besticht diese vor allem durch ihre Größe und die breite geographische Abdeckung in den USA. Dennoch finden sich vor allem Daten von weißen Teilnehmern (86 Prozent) in dieser Analyse, was die Generalisierbarkeit erschwert.“
Bedeutung der spezifischen Mutationen
„Auch wenn sich heute noch keine unterschiedlichen Behandlungskonsequenzen für Parkinsonpatienten mit oder ohne kausale Mutation ergeben, gibt es eine Reihe klinischer Studien, die therapeutische Ansätze für bestimmte Genveränderungen untersuchen. Bei anderen Erkrankungen, etwa der ALS, ist dies bereits heute therapierelevant. Es ist davon auszugehen, dass dies auch für Parkinsonpatienten künftig so sein wird. Daneben hat der Nachweis einer genetischen krankheitsrelevanten Mutation auch Konsequenzen für die genetische Beratung der Familie der Patienten. Bei einigen dieser Veränderungen haben die Kinder ein 50-prozentiges Risiko, diese zu erben und damit ebenfalls an Parkinson zu erkranken. Dies kann für die Familienplanung eine hohe Relevanz haben.“
Herausforderungen bei der genetischen Testung
„Aktuell wird eine genetische Testung nur bei einem Erkrankungsalter unter dem 50. Lebensjahr empfohlen oder wenn zwei engste Verwandte an einer Parkinsonerkrankung leiden. Spätestens mit der ersten genspezifischen Therapie wird diese Empfehlung nicht mehr haltbar sein. Die Autoren plädieren dafür, bereits jetzt alle Parkinsonpatienten genetisch zu untersuchen.“
„Interessenskonflikte habe ich keine.“
„Beraterhonorare: Desitin, Novartis, ITF-Pharma, Woolsey Pharmaceuticals. Vortragshonorare: AbbVie, BIAL, Licher MT, Medtronic, Desitin. Reiseunterstützung: AbbVie, BayerVital, Zambon. Veranstaltungssponsoring: Abbott, AbbVie, BayerVital, Biogen, Boehringer Ingelheim, Licher MT, Medtronic, Novartis, UCB, Zambon, Grünenthal, Desitin, Bial, Roche, ITF-Pharma. Patente: EP 2 825 175 B1 und US 9.980,972 B2 zur Nutzung von Fasudil bei ALS"
Primärquelle
Cook L et al. (2024): Parkinson’s disease variant detection and disclosure: PD GENEration, a North American study. Brain. DOI: 10.1093/brain/awae142.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Skrahina et al. (2020): The Rostock International Parkinson's Disease (ROPAD) Study: Protocol and Initial Findings. Movement Disorders. DOI: 10.1002/mds.28416.
Dr. Ute Hidding
Fachärztin für Neurologie, Klinik und Poliklinik für Neurologie, und stellvertretende Leiterin der Parkinson-Tagesklinik, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)
Prof. Dr. Paul Lingor
Oberarzt der Klinik für Neurologie, Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München (TUM), und Leiter der Spezialambulanz für Motoneuronerkrankungen und Parkinsonerkrankungen