GLP-1-Analoga und Schwangerschaftsrisiken
Absetzen der „Abnehmspritze“ vor der Schwangerschaft hängt laut Studie mit Gewichtszunahme und erhöhtem Risiko für Frühgeburt, Schwangerschaftsdiabetes und Bluthochdruckerkrankungen zusammen
Sicherheit der Medikamente während der Schwangerschaft noch nicht klar, auch das Absetzen könnte negative Auswirkungen haben
Forschende: Forschungsstand zur Sicherheit in und vor der Schwangerschaft unklar, Gewicht sollte nach Absetzen sehr genau beobachtet werden
Frauen, die vor ihrer Schwangerschaft Glucagon-like-Peptide-1-Rezeptor-Agonisten (GLP-1-RA), die sogenannte Abnehmspritze, verschrieben bekommen hatten, erfuhren häufiger Schwangerschaftsrisiken wie Gewichtszunahme, Schwangerschaftsdiabetes und Bluthochdruck. Zu diesem Ergebnis kommt eine Kohortenstudie, die am 24.11.2025 im Fachjournal "JAMA" veröffentlicht wurde (siehe Primärquelle). Das Forschungsteam verglich dabei die Schwangerschaften von Frauen, die keine GLP-1-RA nutzten, mit damit behandelten Frauen, die das Medikament dann vor oder in einer frühen Phase der Schwangerschaft abgesetzt hatten.
GLP-1-RA werden schon seit einigen Jahren zu Behandlung von Diabetes Typ 2 eingesetzt. Da die Wirkstoffe unter anderem das Sättigungsgefühl verstärken, sind sie auch zur Gewichtsabnahme zugelassen – als sogenannte Abnehmspritzen. Weil GLP-1-RA zudem die Stoffwechsellage verbessern, könnten sie die Fruchtbarkeit verbessern. Diese Vermutung lässt sich allerdings bisher nicht kausal bestätigen [I].
Leiterin des Bereichs Gender Medicine, Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel, Klinik für Innere Medizin III, Medizinische Universität Wien , Österreich
GLP-1-RA vor und in der Schwangerschaft
„Diese Medikamente haben alle keine Zulassung für die Zeit der Schwangerschaft und Stillzeit. Im Tierversuch kam es in der Frühschwangerschaft während der Organbildung zu Fehlbildungen, Knochenbildungsstörungen und Schwangerschaftsverlust, meist verbunden mit einem starken mütterlichen Gewichtsverlust. Die Hersteller empfehlen das Absetzen zwei Monate vor der Schwangerschaft zumindest für Semaglutid und Tirzepatid aufgrund deren langer Halbwertszeit. Für Liraglutid, das aufgrund der wesentlich kürzeren Halbwertszeit täglich gespritzt werden muss, gibt es keine offizielle Empfehlung, wie lange es vor einer Schwangerschaft abgesetzt werden soll. Bei ungeplanter Schwangerschaft werden Inkretinmimetika (Synonym für GLP-1-Rezeptor-Agonisten; Anm. d. Red.) derzeit generell ab dem Bekanntwerden der Schwangerschaft abgesetzt. Bei Frauen im reproduktionsfähigen Alter unter GLP-1- beziehungsweise GLP-1-/GIP-RA-Therapie (zum Beispiel der Wirkstoff Tirzepatid; Anm. d. Red.) gibt es allgemein die Empfehlung zur Empfängnisverhütung.“
„Beim Menschen ergaben Beobachtungsstudien bisher keine Evidenz für ein erhöhtes Risiko für Fehlbildungen. Junge Frauen, die zur Behandlung eines Diabetes und/oder Adipositas oder eines polyzystischen Ovarialsyndroms (PCOS) GLP-1-RA verwenden, weisen als Folge der Gewichtsabnahme und Verbesserung des Blutzuckerspiegels eine höhere Konzeptionsrate auf – ‚Ozempic Babies‘ in sozialen Medien. Bei Frauen mit PCOS oder Adipositas und Kinderwunsch werden – auch vor einer In-vitro-Fertilisation – oft auch gezielt GLP-1-RA verordnet, um die Fertilitätsrate zu verbessern. Ob dies nur durch Gewichtsabnahme oder auch zusätzlich über antientzündliche oder direkte Effekte auf die Geschlechtsorgane zurückzuführen ist, ist derzeit ungewiss.“
„Durch den stetig ansteigenden Einsatz dieser Medikamente bei Frauen im gebärfähigen Alter nehmen Schwangerschaften unter GLP-1-RA-Anwendung jedenfalls deutlich zu. Das führt zu dem Problem, dass viele Frauen nach Absetzen des Medikaments dann rasch Gewicht zunehmen, so wie es ja auch bei nicht-schwangeren Frauen und Männern sehr oft beobachtet wird. Außerdem tritt bei Frauen mit Diabetes eine akute Verschlechterung des Stoffwechsels ein, wenn nicht gleichzeitig andere in der Schwangerschaft sichere Medikamente wie Insulin gegeben werden und die Dosis entsprechend angepasst wird. Ein erhöhter Blutzuckerspiegel ist sowohl in der Zeit der Organentwicklung als auch im späteren Schwangerschaftsverlauf mit mütterlichen und kindlichen Komplikationen bis zum höheren Risiko für einen intrauterinen Fruchttod (Fötus verstirbt in der Gebärmutter nach der 24. Schwangerschaftswoche; Anm. d. Red.) verbunden und muss vermieden werden. Die Umstellung auf Insulin begünstigt aber auch eine stärkere Gewichtszunahme, was ebenso sowohl zum Zeitpunkt der Befruchtung als auch in der Schwangerschaft selbst mit höherem Risiko für Komplikationen verbunden ist. Eine Gewichtszunahme muss deshalb durch Lebensstilanpassung, zum Beispiel durch Diät und Bewegung, verhindert werden. Diese Lifestyle-Umstellung sollte schon begleitend zu einer GLP-1-RA Therapie erfolgen und dann die Schwangerschaft nach Absetzen der GLP-1-RA bei stabilem Gewicht geplant und jedenfalls ärztlich überwacht werden.“
Forschungsstand
„Mittlerweile liegen verschiedene Berichte zur Anwendung von GLP-1-RA vor oder in einer Schwangerschaft vor, wobei die größtenteils retrospektiven Register- und Kohorten-Analysen einschließlich dieser Studie unterschiedliche Ergebnisse lieferten. Ergebnisse einer multinationalen populationsbasierten Beobachtungsstudie mit mehr als 50.000 schwangeren Frauen mit Typ-2-Diabetes ergaben kein höheres Risiko für schwerwiegende angeborene Fehlbildungen nach Anwendung von GLP-1-RA im Zeitraum um die Befruchtung herum im Vergleich zum Goldstandard Insulin [1].“
„Weitere Kohortenanalysen bestätigen kein höheres Risiko für Fehlbildungen, Fehlgeburten oder SGA- oder LGA-Kindern (‚Small for Gestational Age‘ und ‚Large for Gestational Age‘ meint für ihr Reifealter kleine/untergewichtige beziehungsweise große/übergewichtige Neugeborene; Anm. d. Red.) bei GLP-1-RA-Anwendung in der Frühschwangerschaft bei Typ-2-Diabetes oder Adipositas, zum Beispiel [2]. Eine Analyse von über 4000 Frauen, denen innerhalb von zwei Jahren vor einer Schwangerschaft GLP-1-RA verordnet worden waren, zeigte positive geburtshilfliche Effekte wie weniger Schwangerschaftsdiabetes, Bluthochdruck in der Schwangerschaft, sowie um mehr als 30 Prozent weniger Frühgeburten und zehn Prozent weniger Kaiserschnitt-Entbindungen [3]. Eine weitere retrospektive Auswertung der elektronischen Datenbank verglich über 1800 Frauen mit Typ-2-Diabetes, welche ein Jahr vor bis einen Monat nach der Feststellung des ersten Trimesters einer Schwangerschaft GLP-1-RA erhalten hatten, mit einem Vergleichskollektiv ohne diese Medikamente in diesem Beobachtungszeitraum nach Propensity Score Matching (statistisches Verfahren, um Vergleichbarkeit zwischen Personengruppen in Studien zu erhöhen; Anm. d. Red.): Es fanden sich keine Unterschiede in der mütterlichen Sterblichkeitsrate, in hypertensiven Schwangerschaftskomplikationen oder in kindlichen Fehlbildungen zwischen den Gruppen [4].“
„Eine andere große Datenbank-Auswertung aus den USA bei Frauen mit Typ-2-Diabetes und Schwangerschaft zeigten wiederum ein höheres Risiko für Frühgeburten, Fehlgeburten und Kaiserschnittentbindungen sowie etwas mehr genitale Anomalien, wenn sie zu irgendeinem Zeitpunkt in der Schwangerschaft GLP-1-RA verwendet haben (circa 24 Prozent) [5]. Ein systematisches Review findet keine Unterschiede bei perinatalen Outcomes unter GLP-1-RA-therapierten Frauen und solchen, die keine GLP-1-RA erhalten hatten und außerdem ein sogar niedrigeres Risiko für angeborene Herzfehler [6].“
Einordnung der Methodik und der Studienergebnisse
„In dieser methodisch sauber durchgeführten Studie wurden über 400 Frauen unter GLP-1-RA-Therapie drei Jahre vor bis 90 Tage nach Befruchtung nach Propensity Score Matching im Verhältnis 1:3 mit einer Vergleichsgruppe von Schwangeren verglichen, die aus einer akademischen Gesundheitsdatenbank an einem Zentrum herausgefiltert und retrospektiv analysiert wurden. Die GLP-1-RA wurden entweder vor der Schwangerschaft oder in der Frühschwangerschaft abgesetzt. 84 Prozent waren adipös, 23 Prozent hatten einen vor der Schwangerschaft diagnostizierten Diabetes, 20 Prozent hatten einen chronischen Bluthochdruck. Der primäre Endpunkt war die Gewichtszunahme in der Schwangerschaft, die sekundären Endpunkte die üblichen Schwangerschaftskomplikationen.“
„Wesentliches Ergebnis war, dass unter GLP-1-RA die Frauen um 30 Prozent öfter eine Gewichtszunahme über den internationalen Empfehlungen für ihre Gewichtsklasse hatten und die Gruppe insgesamt um 3,3 Kilogramm im Mittel mehr zunahm als die Frauen, die keine GLP-1-RA erhalten hatten. Sie hatten aber auch ein höheres Risiko für Frühgeburten (allerdings wird nicht ganz klar, ob es eine Unterteilung in spontane oder indizierte Frühgeburten gab), Schwangerschaftsdiabetes und Schwangerschaftshypertonie, das Geburtsgewicht war aber vergleichbar.“
„Positiv ist, dass die Frauen gut klinisch charakterisiert waren, das Matching auch psychosoziale Faktoren berücksichtigte und auch die einzelnen Substanzen – zum Großteil Semaglutid – sowie das Timing der GLP-1-RA-Medikation bekannt waren. Leider war der Body-Mass-Index vor GLP-1-RA-Therapie nicht bekannt, weswegen der mögliche Benefit der Medikamente durch Gewichtsabnahme zuvor nicht beurteilt werden konnte.“
„Diese Studie – mit allen Limitationen einer retrospektiven Analyse – bestärkt die Notwendigkeit nach Absetzen dieser Medikamente vor oder in der Frühschwangerschaft, die Gewichtsentwicklung der Frauen sehr gut zu beobachten und die Frauen dabei zu unterstützen, nicht mehr zuzunehmen als die entsprechenden allgemeinen Empfehlungen vorgeben.“
Aktuell geltende Empfehlungen und Behandlung von Diabetes und Übergewicht vor Schwangerschaft
„Mittlerweile liegen auch limitierte Daten von einigen klinischen Interventionsstudien mit GLP-1-RA bei Frauen mit Schwangerschaftsdiabetes vor. Diese weisen auf eine Verbesserung des Blutzuckerspiegels und Insulinsensitivität hin sowie auf weniger Schwangerschaftsdiabetes-assoziierte Komplikationen bei allerdings höherem Risiko für Magen-Darm-Beschwerden wie Übelkeit und Erbrechen [7].“
„Es ist ein Dilemma: Die Sicherheitsdaten zur Anwendung von GLP-1-RA in der Schwangerschaft sind derzeit unzureichend, sie können in der Schwangerschaft nicht empfohlen werden. Wir wissen zu wenig über mögliche negative Auswirkungen in der Schwangerschaft und insbesondere über mögliche Langzeitfolgen bei den Nachkommen. Andererseits werden diese Medikamente zunehmend jungen Frauen mit Diabetes oder Adipositas verordnet, auch, um vor einer Schwangerschaft eine Gewichtsabnahme und Verbesserung des Glukosestoffwechsels zu erzielen. Zusätzlich kommt es dadurch zu einem Anstieg der Empfängnisraten. Statt aber nach erfolgter Optimierung der Bedingungen für eine künftige Schwangerschaft die GLP-1-RA wieder abzusetzen, verhütet ein Großteil der Frauen nicht und dadurch kommt es zu einer steigenden Anzahl ungeplanter Schwangerschaften unter GLP-1-RA-Therapie. Wenn die Therapie dann abrupt abgesetzt wird, kann es zu einer starken Gewichtszunahme und einer akuten Verschlechterung des Glukosestoffwechsels kommen, was in jedem Fall auch mit einem höheren Risiko für Komplikationen und negativen unmittelbaren wie auch Langzeit-Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes einhergeht.“
„Es gibt im Moment leider keine Evidenz dafür, wann der optimale Zeitpunkt zum Stopp der einzelnen GLP-1-/GIP-RA ist und wie idealerweise dann die weitere Behandlung erfolgen soll, um eine für die Schwangerschaft so wichtige optimale Gewichtsentwicklung und einen Blutzuckerspiegel im Normbereich zu gewährleisten. Im Moment können wir nur bei Frauen mit Typ-2-Diabetes oder Adipositas im gebärfähigen Alter, denen wir ein GLP-1-RA oder andere Inkretintherapie verordnen möchten, neben aktuellen Informationen zu den Vorteilen auch solche über mögliche Risiken und Wissenslücken informieren und gemeinsam Entscheidungen treffen und die Frauen auf ihrem Weg begleiten.“
Ausblick
„Wir brauchen randomisierte kontrollierte Studien, welche die einzelnen Substanzen mit unterschiedlicher Halbwertszeit, Potenz, fraglicher Plazentagängigkeit und teilweise unterschiedlichen Klassen auf die sichere Anwendung vor und in der Schwangerschaft überprüfen. Das wird nur gelingen, wenn die herstellenden Firmen solche Studien multizentrisch durchführen. Da solche Studien sehr aufwändig und vor allem kostenintensiv sind, wird das wohl nur durch Druck der Arzneimittelbehören möglich sein. Ansonsten werden wir noch lange Ungewissheit haben und nur anhand kleiner Studien, Fallberichte und Pharma-Vigilanzdaten sowie retrospektiven Analysen wie dieser hier individuell entscheiden können. Dann wäre eine entsprechende Aufklärung der Patientinnen und Schulung der ÄrztInnen für einen sicheren Umgang und Optimierung der medikamentösen Therapie in diesen Fragestelllungen möglich.“
Direktor der Klinik für Geburtsmedizin, Universitätsklinikum Leipzig
GLP-1-RA vor und in der Schwangerschaft
„Es gibt keine Studien über die geplante Anwendung von GLP-1-RA in der Schwangerschaft und Stillzeit, weil diese Präparate dafür keine Zulassung haben. Daten über Schwangerschaften in denen GLP-1-RA in unterschiedlicher Dauer trotzdem eingesetzt wurden, zeigen beim Menschen aber kein teratogenes Risiko (fehlbildungsfördernd; Anm. d. Red.).“
Einordnung der Studienergebnisse
„Die Ergebnisse der Studie sind im Prinzip nicht überraschend, da bekannt ist, dass es nach dem Absetzen der GLP-1-RA zu einer Wiederzunahme des Gewichts kommt und auch diese Frauen/Schwangeren erwartbar einen Rebound-Effekt hatten. Man kann unterstellen, dass die höhere Gewichtszunahme in der GLP-1-RA-exponierten Gruppe bei Weiterführung der Therapie nicht aufgetreten wäre.“
Ausblick
„An der gegenwärtigen Situation wird sich durch die Studie nichts wesentlich ändern, weil auch in Zukunft adipöse Frauen nach GLP-1-RA-Behandlung und Gewichtsreduktion (besser) schwanger werden und gegebenenfalls die Therapie mit in die Schwangerschaft hineinnehmen. Diese Medikamente werden auch in naher Zukunft keine Zulassung für Schwangerschaft und Stillzeit haben, daher sollten engmaschig alle verfügbaren Daten erfasst werden, die mögliche fetale Stoffwechsel-Effekte von GLP-1-RA prüfen. Die akzidentelle Gabe von GLP-1-RA in der (Früh-)Schwangerschaft ist nach jetzigem Kenntnisstand definitiv kein Grund für große Besorgnis oder gar einen Schwangerschaftsabbruch.“
Oberarzt und Leiter der Beratungsstelle für Reproduktionstoxikologie, Universitätsfrauenklinik Ulm
GLP-1-RA vor und in der Schwangerschaft
„Die GLP-1-Rezeptor-Agonisten wurden primär zur Behandlung des Diabetes mellitus entwickelt und in dieser Indikation 2017 in der EU erstmals zugelassen. Die Zulassung zur Gewichtsabnahme bei Erwachsenen mit Adipositas oder Übergewicht erfolgte in den USA durch die Food and Drug Administration (FDA) im Juni 2021. Die European Medicines Agency (EMA) erteilte die Zulassung in der EU im März 2022. Insofern liegen noch keine größeren Langzeiterfahrungen bei Absetzen vor beziehungsweise in der Schwangerschaft vor.“
Einordnung der Studienergebnisse
„Die GLP-1-Rezeptor-Agonisten fördern glukoseabhängig die Insulinsekretion aus den Betazellen der Bauchspeicheldrüse, senken die Glukagonsekretion aus den Alphazellen und führen dadurch zu einer verminderten Glukoseabgabe durch die Leber (Senkung der Gluconeogenese). Außerdem erhöhen sie die Insulinsensitivität, verlangsamen die Magenentleerung und reduzieren damit die Geschwindigkeit, mit der Glukose in den Blutkreislauf gelangt. Sie erhöhen das Sättigungsgefühl im zentralen Nervensystem, senken das Hungergefühl und können dadurch zu einer Gewichtsabnahme beitragen.“
„Wenn nun die Wirkung durch Absetzen der GLP-1-Rezeptor-Agonisten vor beziehungsweise zu Beginn der Schwangerschaft wegfällt, ist es bei unveränderten Ess- und Lebensgewohnheiten nicht verwunderlich, dass das Körpergewicht während der Schwangerschaft wieder übermäßig zunimmt. Dieser Effekt ist auch nach Beendigung von Reduktionsdiäten seit langem bekannt.“
„Adipositas in der Schwangerschaft ist mit Schwangerschaftsdiabetes, Schwangerschaftshochdruck und Frühgeburtlichkeit assoziiert. Auch dies ist keine neue Erkenntnis.“
Risiken für Fehlbildungen
„Um die Fehlbildungsrisiken einer Anwendung von Antidiabetika der zweiten Generation in der Zeit um die Befruchtung herum bei Typ-2-Diabetikerinnen zu bewerten, wurden im Rahmen einer bevölkerungsbezogenen Beobachtungsstudie Datenbanken aus vier skandinavischen Ländern (2009 bis 2020), der US MarketScan Database (2012 bis 2021) und der israelischen Maccabi Health Services Datenbank (2009 bis 2020) ausgewertet. Die Kinder wurden bis zu einem Jahr nach der Geburt beobachtet. Die Rate schwerer Fehlbildungen betrug allgemein 3,7 Prozent (n = 3.514.865) im Vergleich zu 5,3 Prozent bei Kindern von Typ-2-Diabetikerinnen (n = 51.826). Unter Therapie mit Sulfonylharnstoffen betrug die Fehlbildungsrate 9,7 Prozent (n = 1362), unter DPP-4-Hemmern 6,1 Prozent (n = 687), unter GLP-1-Rezeptor-Agonisten 8,3 Prozent (n = 938), unter SGLT2-Hemmer 7,0 Prozent (n = 335) sowie unter Insulin 7,8 Prozent (n = 5078) (alle genannten Substanzen wie Sulfonylharnstoffe, DPP4-Hemmer und SGLT2-Hemmer werden zur Behandlung von Typ-2-Diabetes verwendet; Anm. d. Red.). Im Vergleich zu Insulin waren die bereinigten relativen Risiken für schwere Fehlbildungen in allen Substanzklassen nicht signifikant erhöht. Das Kollektiv schloss auch 938 Schwangerschaften ein, die unter mütterlicher Therapie mit GLP-1-Rezeptor-Agonisten eintraten [1].“
„Eine europäische Multicenter-Studie wertete 168 Fälle von Schwangerschaftseintritt unter mütterlicher Therapie mit GLP-1-Rezeptor-Agonisten aus. Darunter befanden sich 51 Fälle mit Semaglutid, 99 Fälle mit Liraglutid, 11 Fälle mit Dulaglutid sowie 7 Fälle von Exenatid. Dort war die Rate angeborener Anomalien bei Kindern von Frauen, die unter Semaglutid schwanger geworden waren, gleich hoch wie bei Frauen mit einem Diabetes Typ 2 oder Übergewicht [2].“
„Zumindest lässt sich auf der Basis der aktuellen Datenlage kein erhöhtes Risiko für eine kindliche Schädigung ableiten, wenn eine Patientin unter Einnahme von GLP-1-Rezeptor-Agonisten wie Semaglutid ungeplant schwanger werden sollten. Grundsätzlich ist natürlich die Exposition in der Schwangerschaft zu vermeiden, solange keine umfangreicheren Erfahrungen vorliegen.“
„Aufgrund der langen Halbwertszeit von einer Woche empfiehlt der Hersteller, Semaglutid mindestens zwei Monate vor einer geplanten Schwangerschaft abzusetzen.“
Ausblick
„Semaglutid kann zur Unterstützung einer Gewichtsreduktion bei Übergewicht beitragen. Einen nachhaltigen Effekt erreicht man allerdings nur durch Änderung der Lebens- und Essgewohnheiten. Da die GLP-1-Rezeptor-Agonisten vor Eintritt einer Schwangerschaft abgesetzt werden sollten, ist das Risiko groß, dass bei unveränderten Essgewohnheiten das Gewicht in der Schwangerschaft wieder deutlich steigt, was mit den bekannten Schwangerschaftskomplikationen wie Schwangerschaftsdiabetes, Präeklampsie und Frühgeburtlichkeit verbunden ist. Die in der Studie beschriebenen Probleme werden meiner Einschätzung nach nicht durch die GLP-1-Rezeptor-Agonisten ausgelöst, sondern durch die unveränderten Verhaltensmuster der betroffenen Frauen. Die Ergebnisse der Studie erinnern an den Jo-Jo-Effekt mit schneller Gewichtszunahme nach einer Reduktionsdiät.“
„Ich habe in den vergangenen fünf Jahren Honorare für Vorträge von Novartis, Amarin, Böhringer, Lilly und Novo Nordisk erhalten. Daraus erwachsen für mich aber keine Interessenkonflikte zu GLP-1-RA und Schwangerschaft.“
„Ich habe an einer Veranstaltung von Novo Nordisk zum Thema Gestationsdiabetes und Präeklampsie teilgenommen. Daraus erwächst für mich kein Interessenkonflikt zum Thema GLP-1-RA und Schwangerschaft.“
„Interessenkonflikte in Bezug auf die Thematik bestehen meinerseits nicht.“
Primärquelle
Maya J et al. (2025): Gestational Weight Gain and Pregnancy Outcomes After GLP-1 Receptor Agonist Discontinuation. JAMA. DOI: 10.1001/jama.2025.20951.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Cesta CE et al. (2024): Safety of GLP-1 Receptor Agonists and Other Second-Line Antidiabetics in Early Pregnancy. JAMA Internal Medicine. DOI: 10.1001/jamainternmed.2023.6663.
[2] Dao K et al. (2024): Use of GLP1 receptor agonists in early pregnancy and reproductive safety: a multicentre, observational, prospective cohort study based on the databases of six Teratology Information Services. BMJ Open. DOI: 10.1136/bmjopen-2023-083550.
[3] Imbroane MR et al. (2025): Preconception glucagon-like peptide-1 receptor agonist use associated with decreased risk of adverse obstetrical outcomes. American Journal of Obstetrics and Gynecology. DOI: 10.1016/j.ajog.2025.01.019.
[4] Hanif M et al. (2025): Efficacy and Safety of Glucagon-like Peptide-1 Receptor Agonist Use During the First Trimester in Pregnant Women With Type 2 Diabetes. The American Journal of Cardiology. DOI: 10.1016/j.amjcard.2025.03.013.
[5] Lewin Z et al. (2025): Glucagon-Like Peptide-1 Receptor Agonists among Pregnancies with Pregestational Diabetes and Its Relationship with Congenital Malformations. American Journal of Perinatology. DOI: 10.1055/a-2716-1639.
[6] Armstrong BBS et al. (2025): Evaluation of GLP-1 receptor agonists in obstetrics and perinatal outcomes: A systematic review and meta-analysis. Journal of Gynecology Obstetrics and Human Reproduction. DOI: 10.1016/j.jogoh.2025.103046.
[7] Alshehri FS (2025): New developments in GLP-1 agonist therapy for gestational diabetes: Systematic review on liraglutide, semaglutide, and exenatide from ClinicalTrials.gov. Medicine. DOI: 10.1097/MD.0000000000044917.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Dicheva-Radev S et al. (2024): „Ozempic-Babys“? – was sagt die Datenlage. In: Arzneiverordnung in der Praxis. Bundesärztekammer.
[II] Deutsche Adipositas-Gesellschaft e.V. (DAG) (2024): S3-Leitlinie Adipositas - Prävention und Therapie.
[III] European Medicines Agency (2025): Anhang I. Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels.
Produktinformationen zum Arzneimittel Wegovy mit dem Wirkstoff Semaglutid. Weitere Informationen auf der Webseite der EMA.
[IV] Science Media Center (2023): Erneute Gewichtszunahme nach Absetzen von Tirzepatid. Statements. Stand: 11.12.2023.
[V] Wilding JPH et al. (2022): Weight regain and cardiometabolic effects after withdrawal of semaglutide: The STEP 1 trial extension. Diabetes, Obesity and Metabolism. DOI: 10.1111/dom.14725.
[VI] Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. (DGGG) (2019): S3-Leitlinie Adipositas und Schwangerschaft.
Prof. Dr. Alexandra Kautzky-Willer
Leiterin des Bereichs Gender Medicine, Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel, Klinik für Innere Medizin III, Medizinische Universität Wien , Österreich
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe in den vergangenen fünf Jahren Honorare für Vorträge von Novartis, Amarin, Böhringer, Lilly und Novo Nordisk erhalten. Daraus erwachsen für mich aber keine Interessenkonflikte zu GLP-1-RA und Schwangerschaft.“
Prof. Dr. Holger Stepan
Direktor der Klinik für Geburtsmedizin, Universitätsklinikum Leipzig
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe an einer Veranstaltung von Novo Nordisk zum Thema Gestationsdiabetes und Präeklampsie teilgenommen. Daraus erwächst für mich kein Interessenkonflikt zum Thema GLP-1-RA und Schwangerschaft.“
Dr. Wolfgang Paulus
Oberarzt und Leiter der Beratungsstelle für Reproduktionstoxikologie, Universitätsfrauenklinik Ulm
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Interessenkonflikte in Bezug auf die Thematik bestehen meinerseits nicht.“