Genetisches Screening werdender Eltern auf mögliche Erbkrankheiten
australische Studie untersucht den Effekt eines allgemeinen Screenings von werdenden Eltern auf das Risiko für vererbbare Krankheiten
bei einem erhöhten Risiko für ein krankes Kind änderten die meisten Paare ihr Vorgehen bei der Familienplanung
Ethiker sehen in einem allgemeinen Screening von Wunscheltern mehr Risiken als Chancen
Vor der Zeugung schon wissen, ob man als Paar ein erhöhtes Risiko für ein Kind mit genetischer Erkrankung hat: Dieses Wissen liefert ein erweitertes Carrier-Screening, das die mögliche Anlageträgerschaft für eine schwerwiegende (rezessiv vererbte) Erkrankung bei beiden Partnern untersucht. Ein australisches Forschungsprojekt hat nun die Durchführbarkeit, Akzeptanz und Ergebnisse eines allgemeinen Screening-Angebots für werdende Paare in Australien untersucht. Ihre Ergebnisse erschienen im Fachjournal „New England Journal of Medicine“ (siehe Primärquelle).
Leiter des Fachbereichs Biomedizinische Ethik und Ethik des Gesundheitswesens, Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften, Krems an der Donau, Österreich
Ethische Einordnung von Carrier-Screenings
„Zunächst einmal ist das Recht auf vollumfängliche Information über die eigene Gesundheit aus der Autonomie von Personen ableitbar. Allerdings bleibt hier letztlich unklar, wem dieses Screening nützt, das heißt, ob es tatsächlich um das Wohl von Reproduktionspartner:innen oder ein (vermeintliches) Gemeinwohl geht. Derartige Screenings könnten auch darauf abzielen, die Existenz von Menschen mit bestimmten Behinderungen zu verhindern, somit also zu eugenischen Zwecken eingesetzt werden.“
Vorteile und Risiken des Screenings
„Der Vorteil ist eine möglichst frühe und umfangreiche Information über genetische Risiken. Nachteile, neben der erwähnten Möglichkeit der Instrumentalisierung zu politischen Zwecken, könnten sich aus einer mangelnden Aufklärung der Teilnehmer:innen ergeben. Oftmals ist Personen der Unterschied zwischen einem genetischen Risiko und einer notwendigen Konsequenz von Reproduktionsentscheidungen nicht klar. Personen verfügen oftmals nicht über die Kompetenz, Risiken richtig einzuordnen und die Komplexität genetischer Aspekte zu verstehen. Ein Screening könnte daher auch den Effekt eines sogenannten ‚information overload‘ haben, was eine selbstbestimmte Reproduktionsentscheidung nicht stärkt, sondern unterminiert. Zur Aufklärung von Proband:innen werden in der Studie keine Details genannt.“
Auf die Frage, ob auch hierzulande in Betracht gezogen werden sollte, werdenden Eltern einen solchen Test routinemäßig anzubieten:
„Da die Zielstellung – individuelle versus gesellschaftspolitische Ziele – unklar sind, sollte von einer solchen Maßnahme abgesehen werden. Gerade in Zeiten der gesellschaftlichen Entsolidarisierung und des Wiederaufkommens des Faschismus als politische Kraft wäre das ein fatales Signal.“
Lehr- und Forschungsrat am Departement Moraltheologie und Ethik, Universität Freiburg, Schweiz
Ethische Einordnung von Carrier-Screenings
„Das Projekt zeigt die heute bestehenden Möglichkeiten, Grenzen und Risiken des genetischen Carrier Screenings auf. Einerseits bietet die genetische Diagnostik immer detaillierteres Wissen um genetische Vorbelastungen von Wunscheltern. Andererseits bieten die auf diesem Wissen basierenden Resultate aus Sicht der einzelnen Paare nur sehr vage Ergebnisse: Erstens resultieren viele falsch-positive Resultate (über falsch-negative erhalten wir natürlich keine Auskunft). Das heißt, dass als vorbelastet identifizierte Paare gleichwohl Kinder bekommen, die dann aber nicht betroffen sind. Zweitens sind einige Resultate lediglich Risikoangaben, die Tendenzen angeben. Drittens ist auch bei vorliegender Belastung unklar, wie stark ein Kind betroffen sein würde. Und viertens – besonders gravierend – es bewirkt eine falsche Sicherheit bei den vielen Wunscheltern, die als nicht belastet identifiziert wurden. Denn viele genetische Defekte bei Embryonen beruhen auf Spontanmutationen, die sich nicht vorhersagen lassen. Angesichts dieser Diagnose ist es für Wunscheltern, die kein genetisch belastetes Kind möchten, heute die einzig wirksame Methode, eine in-vitro Fertilisation in Kombination mit Präimplantationsdiagnostik oder eine Pränataldiagnostik mit anschließendem eventuellem Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen.“
Auf die Frage, ob auch hierzulande in Betracht gezogen werden sollte, werdenden Eltern einen solchen Test routinemäßig anzubieten:
„Auf gesellschaftlicher Ebene ist zudem fraglich, was das Wissen um die eigene genetische Vorbelastung bezüglich der Partnerschaftswahl bedeuten würde. Politisch dürfte eine allgemeine Einführung schon daran scheitern, dass die Finanzierung und Realisierung allein der genetischen Beratung in Deutschland heute kaum gewährleistet werden könnte.“
„Insgesamt handelt es sich aus ethischer Sicht um eine weitere Medikalisierung der Lebenswelt mit einigen wenigen Vorteilen, dagegen mit gravierenden Nachteilen und Verunsicherungen.“
Professor für Ethik und Recht in den Lebenswissenschaften und Direktor des Centre for Ethics and Law in the Life Sciences (CELLS), Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover
Ethische Einordnung von Carrier-Screenings
„Es kommt aus ethischer Sicht bei diesen Testangeboten in erster Linie auf die dahinterstehende Absicht an. Sollte die Zielsetzung sein, die Geburt von Kindern mit bestimmten Einschränkungen zu verhindern, so ist das ethisch problematich – schließlich ist damit ein Werturteil über den Wert des Lebens solcher Kinder verbunden. Ist die Zielsetzung jedoch in erster Linie, die reproduktive Autonomie der potenziellen Eltern zu stärken, so lässt sich das ethisch gut rechtfertigen. Sie können mithilfe eines solchen Verfahrens Entscheidungen über ihre eigene Fortpflanzung treffen, die am ehesten ihren Werten entsprechen. Die Einführung eines solchen Verfahrens ist somit – wie eigentlich immer – eine gesellschaftliche Abwägungsfrage.”
„Eigentlich betrifft der Trägertest nicht in erster Linie das werdende Leben, sondern ist ein genetischer Test von Personen, die Sicherheit über ihre genetische Veranlagung haben wollen. Auch bei der Studie von Kirk et al. entsteht die besondere ethische Herausforderung eher dadurch, dass sie auch Probandinnen mit einer bestehenden Schwangerschaft getestet haben – wodurch es dann auch zu Schwangerschaftsabbrüchen gekommen ist.”
Vorteile und Risiken des Screenings
„Der genetische Trägertest hat den Vorteil, dass er ein zusätzliches Werkzeug sein kann – insbesondere im Kontext von Kinderwunschbehandlungen. Schon jetzt werden Embryonen vor der Einpflanzung einer Auswahl unterzogen. Auch hier kann es zu einer Präimplantationsdiagnostik kommen. Führt man aber den Trägertest ganz zu Beginn der Behandlung – also vor dem Herstellen der Embryonen – durch, kann so die Belastung für die werdenden Mütter in einem ohnehin belastenden Verfahren reduziert werden.”
„Risiken in der Anwendung eines solchen Verfahrens sind zum einen technischer Natur, da natürlich auch solche Verfahren falsche Ergebnisse produzieren können, oder Laborfehler passieren. Das kann zu einer unnötigen Belastung für die potenziellen Eltern werden. Zum anderen steckt hier auch ein gesellschaftliches Risiko im Verfahren, wenn dieses angewendet wird, um möglichst gesunde Kinder zu produzieren. Das bringt uns dann gesellschaftlich in eine Eugenik-Debatte.”
Auf die Frage, ob auch hierzulande in Betracht gezogen werden sollte, werdenden Eltern einen solchen Test routinemäßig anzubieten:
„Als privat bezahlte individuelle Gesundheitsleistung ist eine humangenetische Untersuchung, beispielsweise im Rahmen von Kinderunschbehandlungen, längst möglich. Ob wir einen solchen Test als normale Leistung des Gesundheitssystems verfügbar machen sollten, hängt wie so häufig von einer Aufwand/Nutzen-Abwägung ab. In der Studie von Kirk et al. hatten weniger als zwei Prozent (175) der getesteten Paare einen auffälligen Befund. Davon wiederum hat wieder lediglich ein Teil (74,3 Prozent) diesen Befund zum Anlass genommen, weitere Tests oder Verfahren in Anspruch zu nehmen. Bei den Kosten für einen solchen Test ist nicht unmittelbar klar, ob bei solchen Zahlen ein gesamtgesellschaftliches Ergebnis erzielt wird, das auch die Kosten und Aufwände rechtfertigt.”
„Ein solcher Test ist lediglich ein zusätzliches medizinisches Werkzeug. Wenn Kosten und Nutzen für den Test in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stünden – was bisher nicht der Fall zu sein scheint – dann wäre es auch gut, ihn den ÄrztInnen als Möglichkeit für ihre PatientInnen anzubieten. Zu einer Abwägung gehört allerdings auch, dass die emotionalen Kosten des Tests einfließen: Kirk et al. haben beschrieben, dass Paare mit einem positiven Befund von dem Wissen psychisch beeinträchtigt wurden.”
„Keine.“
„Ich möchte als Interessenkonflikt gegebenenfalls meine anwaltliche Arbeit in der Kanzlei LDMH in einem thematisch verwandten Kontext angeben. Wir beraten unter anderem zahlreiche Kinderwunschkliniken und genetische Labore.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Primärquelle
Kirk EP et al. (2024): Nationwide, Couple-Based Genetic Carrier Screening. New England Journal of Medicine. DOI: 10.1056/NEJMoa2314768.
Prof. Dr. Giovanni Rubeis
Leiter des Fachbereichs Biomedizinische Ethik und Ethik des Gesundheitswesens, Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften, Krems an der Donau, Österreich
Prof. Dr. Markus Zimmermann
Lehr- und Forschungsrat am Departement Moraltheologie und Ethik, Universität Freiburg, Schweiz
Prof. Dr. Nils Hoppe
Professor für Ethik und Recht in den Lebenswissenschaften und Direktor des Centre for Ethics and Law in the Life Sciences (CELLS), Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover