Gen für Schlankheit identifiziert
Wissenschaftler haben ein Gen entdeckt, das die Schlankheit eines Menschen zu beeinflussen scheint. Das sogenannte ALK-Gen ist bereits aus der Krebsforschung bekannt – in diesem Kontext existieren bereits Medikamente, die seine Effekte im Körper beeinflussen können. Forscher um Josef Penninger vom Institut für molekulare Biotechnologie (IMBA) in Wien haben das Gen und seine molekularen Effekte analysiert. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie im Fachjournal „Cell“ (siehe Primärquelle). Sie könnten mögliche Therapieansätze für starkes Übergewicht bieten.
Wissenschaftlicher Direktor des Helmholtz Diabetes Center und Direktor des Instituts für Diabetes und Krebs, Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, München
„Forschungen zur genetischen Ursache von Übergewicht haben bislang mehr als 110 Gene identifiziert, welche beim Menschen mit Übergewicht assoziiert sind. Insgesamt können diese Assoziationen aber nur zwei bis drei Prozent der Gewichtsvariation beim Menschen erklären. Diese mangelnde Aussagekraft bisheriger Studien basiert auf einer Vielzahl von Gründen, wie zum Beispiel dem komplexen Zusammenspiel zwischen Genen und Umwelt (wie der Ernährung), der mangelnden Aussagekraft des Body Mass Index (BMI) als Maß für Übergewicht und so weiter.“
„In diesem Kontext geht die nun vorliegende Studie einen interessanten neuen Weg, indem sie sich nicht auf Übergewichtsgene fokussiert, sondern auf Gene, die mit Schlankheit beim Menschen assoziiert sind. Auf technisch höchstem Niveau wird zudem die kausale Bedeutung des ALK-Gens für die Körpergewichtsregulation in verschiedenen Modellsystemen gezeigt und der Wirkmechanismus erklärt.“
„Skepsis ist bei der Frage angebracht, ob das ALK-Gen tatsächlich ein Game Changer in der (klinischen) Adipositasforschung werden kann. Zum einen basieren die initialen Erhebungen auf dem erwähnten BMI-Marker, der hinsichtlich seiner Aussagefähigkeit angezweifelt wird. Zum Beispiel haben Bodybuilder einen extrem hohen BMI ohne als übergewichtig angesehen zu werden. Zum anderen geht der schlank machende Mechanismus des ALK-Gens auf einen altbekannten Signalweg zurück – dem Abbau von Speicherfetten. Hier sind bereits eine Vielzahl von Induktoren bekannt, die allesamt aber als Ansatz einer Anti-Übergewichtstherapie letztlich gescheitert sind.“
„Hinzu kommt eine weitere Schwierigkeit bei der Übertragung der Ergebnisse in die Klinik: So sind die gewonnenen Tierstudien nur zum Teil auf den Menschen übertragbar, was zum Beispiel die Bedeutung des braunen Fettgewebes für den Energiestoffwechsel betrifft. Ein Zielgen im zentralen Nervensystem – so wie bei ALK – ist therapeutisch nur schwer angreifbar, da bei der Medikamentenentwicklung insbesondere der Sicherheitsaspekt im Vordergrund steht. Dies gilt in höchstem Maße bei einer vieljährigen Dauertherapie.“
„Dennoch wird es jetzt spannend sein, auf Basis der neuen Studie die vorhandenen ALK-Hemmer zunächst im Tiermodell hinsichtlich ihrer gewichtsregulierenden Funktion zu untersuchen und so eine Validierung des prinzipiellen Ansatzes zu erreichen.“
Leiterin der Abteilung Physiologie des Energiestoffwechsels, Deutsches Institut für Ernährungsforschung (DIfE), Potsdam-Rehbrücke
„Ich finde die Menge der Daten insgesamt sehr eindrucksvoll und als solche auch überzeugend.“
„Die Studie hat meiner Meinung nach hohen Neuheitswert, da bereits sehr viele ‚Adipositasgene‘ beim Menschen beschrieben wurden, die jedoch insgesamt nur einen minimalen Effekt auf das Körpergewicht haben. Meines Wissens nach konnten jedoch bisher noch keine ‚Schlankheitsgene‘ mit biologischer Funktion nachgewiesen werden.“
„Eine große Stärke dieser Studie ist daher, dass nach der Identifizierung von ALK als Kandidatengen für ‚Schlankheit‘ beim Menschen sehr umfassende Untersuchungen zur tatsächlichen biologischen Funktion der Rezeptor-Tyrosin-Kinase ALK vorgenommen wurden (Rezeptor-Tyrosin-Kinasen sind Rezeptoren in Zellmembranen, die in die Leitung bestimmter Signale in eine Zelle beteiligt sind, beispielsweise von Wachstumsfaktoren; Anm. d. Red.). Die Studie zeigt sehr überzeugend, dass das Ausschalten des ALK-Gens bei Mäusen die Körperfettzunahme nach Fütterung einer fettreichen Diät unterdrückt, indem bei gleichbleibendem Futterverzehr der Energieumsatz erhöht ist. Die Autoren konnten auch eindrucksvoll darlegen, dass dafür die Repression von ALK in bestimmten Nervenzellen des Hypothalamus im Gehirn verantwortlich ist, die offensichtlich zu einer erhöhten Aktivität des sympathischen Nervensystems (SNS) im Fettgewebe führt (ist Teil des vegetativen Nervensystems, dem Teil, der keiner willkürlichen Kontrolle unterliegt; Anm. d. Red.). Weißes Fettgewebe zeigt bei den ALK-Knock-Out-Mäusen (Mäuse, bei denen das Gen durch eine Mutation funktionsunfähig gemacht wurde; Anm. d. Red.) einen höheren Gehalt an Noradrenalin und dadurch eine höhere Lipolyse (Fettabbaurate) sowie eine Induktion von thermogenen, das heißt sehr stoffwechselaktiven Fettzellen. Interessanterweise wurden ähnliche Effekte auf das Fettgewebe auch bei konstitutionell ‚dünnen‘ Menschen gefunden.“
„Aus den Ergebnissen der aktuellen Studie wird jedoch nicht erkenntlich, ob die erhöhte Aktivität des SNS allein auf das Fettgewebe beschränkt ist oder ob die Aktivität des SNS generell erhöht ist, was auch eine Erhöhung der Herzfrequenz und des Blutdrucks zur Folge haben könnte. Dies wären selbstverständlich unerwünschte Nebenwirkungen bei einer möglichen Anwendung von ALK-Hemmern in der Therapie von Adipositas, die ja oft mit Bluthochdruck einhergeht.“
„Eine frühere Studie an ALK-Knock-Out-Mäusen zeigte auch, dass bei diesen Mäusen die Alkoholpräferenz erhöht ist [1]. Bevor die Hemmung von ALK für die Behandlung von Adipositas beim Menschen in Erwägung gezogen werden kann, sind daher noch umfangreiche Untersuchungen zu möglichen Nebenwirkungen nötig.“
Leiter der Abteilung Stoffwechselerkrankungen und medizinische Molekularbiologie, Universitätsklinik für Innere Medizin I, mit Gastroenterologie- Hepatologie, Nephrologie, Stoffwechsel und Diabetologie, Uniklinikum Salzburg, Österreich
„Ich halte die Publikation für äußerst interessant. Die überwiegende Mehrzahl von wissenschaftlichen Publikationen, die sich mit dem Thema Gewichtsregulation beschäftigen, stellen dabei Übergewicht und Adipositas in den Fokus. Nach heutigem Wissensstand sind diese Störungen multifaktoriell verursacht, wobei genetische Faktoren eine wesentliche Rolle in der Pathophysiologie spielen. Dabei dürften zahlreiche genetische Varianten mit jeweils nur geringem Effekt auf das Adipositasrisiko (polygenetisches Modell) die Hauptrolle an der genetischen Komponente der Erkrankung spielen. In Genomweiten Analysen wurden daher bislang vorwiegend Genvarianten entdeckt, die das Risiko für Übergewicht und Adipositas erhöhen.“
„In der vorliegenden Publikation hat man den umgekehrten Weg beschritten und hat in der estländischen Biobank nach Genvarianten gesucht, die das Risiko erhöhen, dünn beziehungsweise untergewichtig zu bleiben.“
„Im Modell der Fruchtfliege Drosophila konnten die Autoren nachweisen, dass unter den identifizierten Genorten der ALK (anaplastische Lymphomkinase) Genort eine besonders wichtige Rolle zu spielen scheint. Die Ausschaltung von ALK, einer Tyrosinkinase aus der Insulinrezeptor-Superfamilie, führte in Drosophila zu einer Senkung des Triglyzeridspiegels. In der Folge konnten die Autoren zeigen, dass die Ausschaltung von ALK im Mausmodell eine Resistenz gegenüber dem gewichtssteigernden Effekt einer hyperkalorischen Nahrung oder einer Leptindefizienz hervorruft. Diese Beobachtungen sind aus meiner Sicht bereits klinisch höchst relevant und könnten die Basis für die Entwicklung neuer Strategien zur Gewichtsreduktion legen.“
„Die besondere Qualität dieser Publikation besteht darüber hinaus aber darin, dass die Autoren versuchen, die diesen Beobachtungen zugrunde liegenden Mechanismen im Mausmodell aufzuklären. Dabei finden Sie, dass die Ausschaltung von ALK in bestimmten Zellen des Hypothalamus, der eine zentrale Schaltstelle in der Appetitregulation und in der Kontrolle des Energiestoffwechsels darstellt, zu einer Steigerung des Sympathikusausstroms und damit einer verstärkten Sympathikuswirkung insbesondere auf das weiße Fettgewebe führt. Im Fettgewebe finden sich in der Folge dieser Veränderungen erhöhte Noradrenalinspiegel, eine erhöhte Aktivität der hormonsensitiven Lipase mit nachfolgend gesteigerter Lipolyse. Auch die Aktivität von UCP-1 und die Mitochondrienaktivität ist im weißen Fettgewebe von Mäusen mit inaktiviertem ALK deutlich erhöht (‚Browning of white fat‘). Besonders wichtig scheint mir dabei auch die Beobachtung der Autoren, dass die gesteigerte Lipolyse im Fettgewebe nicht zu einer erhöhten Fettablagerung in zentralen Stoffwechselgeweben, wie Leber und Muskulatur, führt. Die gesteigerte Lipolyse im Fettgewebe führte im Gegenteil sogar zu günstigen metabolischen Effekten, wie einem verbesserten Glukose- und Fettstoffwechsel.“
„Die Aufklärung dieser Mechanismen könnte ein neues Kapitel in der Suche nach effizienten Strategien zur Bekämpfung von Übergewicht beziehungsweise Adipositas und assoziierten Störungen, besonders Typ-2-Diabetes, aufschlagen.“
„In malignen Tumoren finden sich nicht selten Mutationen, die zu einer Überaktivität von eben diesem ALK-Gen führen. Dies könnte darauf hindeuten, dass eine gesteigerte ALK-Aktivität durch verminderten Energieverbrauch zu einem Wachstumsvorteil von Tumorzellen führen könnte. In der Tumortherapie, beispielsweise beim nicht-kleinzelligen Lungenkrebs, spielen daher ALK-Hemmer bereits seit einiger Zeit eine wesentliche Rolle. Diese Substanzen weisen allerdings zahlreiche unerwünschte Nebenwirkungen auf, wie beispielsweise ungünstige Effekte auf Herz-, Leber- und Nierenfunktion, die einen Einsatz zur Behandlung von Adipositas nicht möglich erscheinen lassen.
Die im Tiermodell gezeigten günstigen Effekte einer Ausschaltung von ALK sind also nicht unmittelbar auf den Menschen übertragbar. Es werden noch sehr viele Studien nötig sein, um Wege zu finden, diese Erkenntnisse für den Einsatz in der Therapie von Adipositas und assoziierten Störungen beim Menschen nutzbar machen zu können. Eine entscheidende Forschungsfrage könnte dabei sein, Wege zu finden, die Aktivität von ALK sehr selektiv in den relevanten Zellen im Hypothalamus auszuschalten, um so das Auftreten unerwünschter Nebenwirkungen möglichst niedrig halten zu können.“
Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, LVR-Klinikum Essen, Universität Duisburg-Essen
„Dies ist eine Studie, die – wie andere bereits auch – aufzeigt, wie komplex letztendlich die Regulation des Körpergewichts verläuft. In diesem Fall besonders ist, dass man sich, im Gegensatz zu vielen anderen Studien, eher mit dem Phänotyp ‚dünn‘ auseinandergesetzt hat. Die meisten Studien beziehen sich auf Adipositas, man versucht also, Gene oder Mechanismen zu finden, die Übergewicht erklären, hier ist es genau umgekehrt. Die Forscher haben sich dabei auf eine Stichprobe in Estland fokussiert und Leute, die sich unter den sechs Prozent der dünnsten befinden – also Personen mit starkem Untergewicht – untersucht.“
„Wie relevant das Ganze jetzt ist, ist wie immer bei solchen initialen Berichten nicht so einfach festzuhalten. Zum einen ist nicht hundertprozentig klar, ob die genetischen Befunde tatsächlich auf dem ermittelten ALK-Gen beruhen. Man schaut sich in solchen genomweiten Assoziationsstudien das komplette Erbgut vieler Menschen an, vergleicht es und kann dann bestimmte Peaks identifizieren – also Stellen, an denen eine hohe Variation im Erbgut vorliegt. In dieser Studie sind die Peaks für das ALK-Gen allerdings nicht ganz so hoch, wie sie üblicherweise sein sollten. Sie sprengen also nicht die Grenze für genomweit signifikante Befunde und es ist eine gewisse Vorsicht anzuraten. Hinzukommt, dass es in der gleichen Region des Erbguts auch noch weitere Gene gab, die in dem Zusammenhang relevant sein könnten.“
„Insgesamt identifizierten die Wissenschaftler fünf Gene, die möglicherweise mit dem Stoffwechsel zu tun haben. Das ALK-Gen ist zu ihrem wichtigsten Kandidaten geworden, weil sie damit erfolgsversprechende Befunde bei Fruchtfliegen und Mäusen generiert haben. Auf diesen Befunden aufbauend konnten sie im Mausmodell feststellen, dass die Tiere durch ein Ausschalten dieses Gens trotz fettreicher Diät dünner bleiben als die Kontrolltiere. Sie konnten die Wirkugn des Gens sogar noch eingrenzen auf eine Region des Hypothalamus und den Mechanismus dahinter aufdecken. Offenbar blieben die genveränderten Tiere dünn, weil sich ihr Umsatz von Nahrung in Energie erhöht hat, was möglicherweise darauf zurückgeht, dass das sympathische Nervensystem hochreguliert ist.“
„Ich gehe davon aus, dass die Ergebnisse aus dem Tiermodell in gewissem Maße auf den Menschen übertragbar sind. Es gibt zwar sehr wenige humane Daten in der Arbeit, die Wissenschaftler haben allerdings versucht, im Fettgewebe von Menschen die beobachtete, erhöhte Aktivität des Sympathikus nachzuweisen. Dass das sympathische System im Fettgewebe von Personen mit Untergewicht quasi aktiver ist, ist ein interessanter Mechanismus, der aber wahrscheinlich auch von anderen bereits angedacht wurde. Allerdings haben die Wissenschaftler nicht speziell das Fettgewebe von Personen mit bestimmten ALK-Genvarianten untersucht, sondern einfach von dünnen Personen. Bei der Maus haben sie das im Zusammenhang mit dem Gen nachgewiesen, aber eben nicht beim Menschen. Dieser Befund hat also erst einmal nichts zu tun mit ALK, sondern zeigt, dass dünne Menschen einen statistisch gesehen höheren Sympathikotonus im weißen Fettgewebe haben – ohne einen Link zu irgendeinem spezifischen Genotyp.“
„Das alles sind langwierige Versuche, an denen die Autoren sicherlich mehrere Jahre gearbeitet haben. Dabei bauen sie alles systematisch aufeinander auf. Allerdings gibt es auch nicht zu schließende Lücken und teilweise sogar widersprüchliche Ergebnisse. So konnten sie zum Beispiel diese genetischen Ausgangsbefunde nicht direkt in einem unabhängigen Kollektiv replizieren, sodass gewisse Fragen offenbleiben. Was überhaupt nicht weiter diskutiert wird, ist das ALK-Gen an sich. Es gibt wohl eine Reihe von Krebszellen oder Tumorbefunden, bei denen dieses Gen gehäuft mutiert ist – es spielt also auch eine Rolle als Onkogen.“
Auf die Frage, welche klinische Relevanz die Befunde vor dem Hintergrund haben können, dass es schon als Medikament zugelassene ALK-Hemmer gibt:
„Die klinische Relevanz der Befunde diskutieren die Autoren so ganz am Rande und man hat das Gefühl, sie verfolgen diesen Ansatz bereits. Allerdings müsste man für eine kompetente Relevanz-Einschätzung einen Onkologen fragen; zum Beispiel: Was für Nebenwirkungen haben bereits eingesetzte ALK-Hemmer? Bei der Krebstherapie setzt man sehr aggressive Mittel ein – was in dem Fall völlig gerechtfertigt ist, weil es um lebensbedrohliche Erkrankungen geht. Wir haben hier aber den Phänotyp Adipositas beziehungsweise Übergewicht und da sehr viele Menschen übergewichtig sind und das ja nicht akut lebensbedrohlich ist, muss man natürlich sehr vorsichtig sein, wenn Medikamente Nebenwirkungen haben. Ein generelles Problem der pharmakologischen Forschung an Adipositas ist, dass man zwar immer wieder Substanzen entdeckt hat, die durchaus das Gewicht reduzieren, dann aber fast immer auch Nebenwirkungen hatten. Diese wurden teilweise erst spät entdeckt, etwa nachdem das Medikament bereits auf dem Markt war, sodass es auch mehrfach auch zu Rücknahmen der entsprechenden Medikamente vom Markt kommen musste. Die Abwägung zwischen Nebenwirkung und erzieltem Gewichtsverlust muss in einem vernünftigen Rahmen erfolgen. Die Zulassungbehörden sind dabei sehr streng bei Medikamenten für Adipositas. Und das zu recht, da erstens sehr viele Leute potenziell damit behandelt werden würden und zweitens eventuell auch ein gewisses Missbrauchspotenzial besteht.“
„Weltweit wird versucht, Genvarianten zu finden, die für Körpergewichtsregulation relevant sind. Dabei sind automatisch die Genvarianten, die zu Übergewicht prädisponieren, gleichzeitig auch praktisch relevant für Untergewicht, weil wenn Variante A zu Übergewicht prädisponiert, dann prädisponiert Variante B zu Unter- oder zu Normalgewicht. Typisch bei solchen GWAS-Befunden ist, dass es sich um minimale Effekte handelt – es geht also um 100 Gramm an Gewicht plus oder minus. Für den allerstärksten bekannten Effekt, der auch im Paper genannt wird, ist ein Bereich des sogenannten FTO-Gens verantwortlich, der 1,3 bis 1,5 Kilogramm Gewichtsunterschied erklären kann. Es gibt vielleicht zwei oder drei andere Gene, die noch im Bereich von über 500 Gramm liegen, aber die allermeisten Varianten liegen eher bei 100 Gramm. Insofern muss man immer sehr vorsichtig sein. Die Gewichtsregulation ist eine komplexe Maschinerie, und es gibt sehr viele Baupläne, die dafür relevant sind. Im Augenblick sind etwa 900 Gene bekannt, diese Zahl wird allerdings wachsen. Man muss sich dabei aber immer klar machen, dass diese kleinen GWAS- Effekte keine großen Unterschiede bei Menschen erklären. Es gibt ganz wenige Ausnahmen – wie gesagt, bei Körpergewicht ist eine Ausnahme, dass mal eine Variante 1,5 Kilogramm erklärt – , die so vielversprechend sind, dass sie einen ähnlich großen Effekt haben. Bei ALK ist diese Effektstärke sicherlich deutlich kleiner. Theoretisch wäre es vorstellbar, dass es auch seltene stärkere Geneffekte gibt, die dann tatsächlich nur für untergewichtige Personen relevant sein könnten. Aber das sind seltene Varianten, die man in einem solchen Ansatz wie hier nicht entdecken könnte. Insgesamt gibt es allerdings, wie Zwillingsstudien ja auch zeigen, überhaupt gar keinen Zweifel, dass das Körpergewicht genetisch reguliert ist.“
Alle: Keine Angaben erhalten.
Primärquelle
Orthofer M et al. (2020): Identification of ALK in Thinness. Cell; 181: 1-17. DOI: 10.1016/j.cell.2020.04.034.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Mangieri R et al. (2017): Anaplastic Lymphoma Kinase Is a Regulator of Alcohol Consumption and Excitatory Synaptic Plasticity in the Nucleus Accumbens Shell. Frontiers in Pharmacology; 8. DOI: 10.3389/fphar.2017.00533.
Prof. Dr. Stephan Herzig
Wissenschaftlicher Direktor des Helmholtz Diabetes Center und Direktor des Instituts für Diabetes und Krebs, Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, München
Prof. Dr. Susanne Klaus
Leiterin der Abteilung Physiologie des Energiestoffwechsels, Deutsches Institut für Ernährungsforschung (DIfE), Potsdam-Rehbrücke
Prof. Dr. Bernhard Paulweber
Leiter der Abteilung Stoffwechselerkrankungen und medizinische Molekularbiologie, Universitätsklinik für Innere Medizin I, mit Gastroenterologie- Hepatologie, Nephrologie, Stoffwechsel und Diabetologie, Uniklinikum Salzburg, Österreich
Prof. Dr. Johannes Hebebrand
Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, LVR-Klinikum Essen, Universität Duisburg-Essen