Gasspeicher-Report (24.11.2022)
Dieser monatliche Report des Science Media Center Germany (SMC) fasst die Füllstände der Gasspeicher in Deutschland und Europa zusammen.
Die Speicher in Deutschland konnten gefüllt werden, seit Mitte November wird Gas wieder ausgespeichert. In den kommenden Monaten ist es nun wichtig, rechtzeitig zu erkennen, ob die Speicher, die deutsche Gasförderung, die Importe aus den Niederlanden, Norwegen, Belgien und Frankreich sowie die Einfuhren von Flüssiggas über die neuen Terminals bis zum Ende der Heizperiode ausreichen, um den deutschen Gasbedarf im Winter zu decken. In der Vergangenheit endete die Heizphase zwischen März und April.
Wir stellen dafür die nach unserer Einschätzung wichtigsten Faktoren vor, die den Verlauf der Speicherfüllstände bestimmen. Anhand verschiedener Szenarien zeigen wir, wie diese Faktoren die Füllstände der Speicher bis Mai 2023 beeinflussen könnten. Durch einen Vergleich mit der tatsächlichen Entwicklung der Füllstände wird es damit möglich sein, auf einen Blick zu erkennen, auf welchem Pfad sich der Gasverbrauch in Deutschland tatsächlich befindet, ob eine Gasmangellage drohen könnte oder eher nicht zu erwarten ist.
Der gesetzlich geforderte Füllstand von 95 Prozent wurde deutlich überschritten. Die Szenarien zeigen, ob auf dem aktuellen Pfad der vom Gesetzgeber vorgesehene Füllstand für den 1. Februar 2023 (40 Prozent) eingehalten werden könnte.
Sie finden weiter wie gewohnt wichtige Kennzahlen zur Füllung der Gasspeicher in Deutschland und Europa. Außerdem bietet der Report eine kurze Einordnung der Zahlen und ihrer Entwicklung – auch vor dem Hintergrund, dass die Gasspeicher in Deutschland im Zweifelsfall für die Gasversorgung in ganz Europa wichtig sind. So können Sie mit einem Blick möglichst schnell erfassen, welche Gas-Versorgungslage im kommenden Winter zu erwarten ist.
Einen tagesaktuellen Blick auf die Entwicklung der Gasversorgung können Sie online werfen auf unserem Gasspeicher-Dashboard. Wie die Gasversorgung bis zum Ende des Winters verlaufen könnte, können Sie anhand unserer aktualisierten Szenarien im Gasszenarien-Dashboard erkennen.
Die Gasspeicher in Deutschland und Österreich werden nicht mehr befüllt und geben aufgrund des erhöhten Heizbedarfs langsam Gas ab.
Seit dem 29.09. liefert die Bundesnetzagentur (BNetzA) wöchentliche Verbrauchsdaten für Großverbraucher (insbesondere Industrie) und Kleinverbraucher (Haushalt, Gewerbe, Industrie mit geringem Gasverbrauch). Bislang lagen aktuelle Messdaten zum Verbrauch nur für die Großverbraucher vor. Seitens der Gasversorger wird der Verbrauch für die Kleinverbraucher geschätzt und über sogenannte Standard-Lastprofile bilanziert. Diese basieren auf den Erfahrungen der vergangenen Jahre und haben in den zurückliegenden Wintern ihren Zweck erfüllt. Für die Einschätzung des tatsächlichen Verbrauchs im aktuellen Winter, der mit Blick auf die Gasversorgung ungewöhnlich ist, reichen diese Schätzungen jedoch nicht. Die BNetzA hat daher begonnen, den Verbrauch für die Kleinverbraucher, also Haushalt und Gewerbe, aus den Messdaten am Eingang der Verteilnetze sowie weiteren Daten mit einem selbst entwickelten Verfahren zu berechnen.
Während die Großverbraucher in der 46. Kalenderwoche die angestrebten Einsparungen von 20 Prozent im Vergleich zu den Jahren 2018-2021 erneut erreicht haben, fielen die Einsparungen bei den Kleinverbrauchern mit nur noch 17 Prozent etwas niedriger aus. Die 46. Kalenderwoche war laut Lagebericht der Bundesnetzagentur aber auch etwa 0,7 Grad kälter als in den Vorjahren. Das Wetter kann gerade bei den Haushalten das Verbrauchsverhalten stark beeinflussen. Betrachtet man statt der wöchentlichen Schwankungen die Gesamteinsparung seit der 25. Kalenderwoche, übertreffen die Kleinverbraucher mit -26,9 Prozent noch deutlich das angestrebte Ziel.
Neben dem Verbrauch ist für die Beobachtung der Gasversorgungslage im Winter wichtig, wie viel Erdgas Deutschland importieren und wie viel es selbst fördern kann. Welche Rolle die Gasbeschaffung für das Vermeiden einer Gasmangellage spielt, zeigen unsere Szenarien im folgenden Abschnitt.
Von den fünf Flüssiggas-Terminals, die die Bundesregierung bis jetzt genehmigt hat, kann das erste voraussichtlich ab Mitte Dezember seinen Betrieb aufnehmen. Damit kann Deutschland Flüssiggas direkt importieren. Die vier weiteren Terminals sind offenbar auch im Zeitplan, außerdem wird weiter Pipelinegas aus Norwegen und Flüssiggas über die Terminals der Beneluxländer sowie Frankreich importiert.
Die Netto-Einspeisung ergibt sich aus dem Gesamt-Import Deutschlands und der Produktion beziehungsweise Förderung in Deutschland minus dem Export. Deutschland leitet Gas an andere Länder weiter. Die Menge hat sich allerdings erheblich reduziert, da kein russisches Pipeline-Gas mehr durchgeleitet wird. In der folgenden Grafik können Sie beobachten, wie viel Gas Deutschland selbst erhalten hat. Aktuell steigen die Netto-Einspeisungen, da der Gasbedarf temperaturbedingt gestiegen ist. Im Winter können die Netto-Einspeisungen sinken, wenn andere europäische Länder mehr Gas benötigen.
Die Grafik zeigt die Fortschreibung des aktuellen Trends der Speicherstände. Dafür wird der Verlauf der letzten sieben verfügbaren Tage genutzt. Die Speicher in Deutschland konnten gefüllt werden, seit Mitte November wird Gas wieder ausgespeichert.
Die langfristige Entwicklung der Speicherstände hängt von Parametern ab, die aktuell noch nicht für den gesamten Winter vorhersehbar sind. Insbesondere das Wetter, die Sparsamkeit der Verbraucher und die Importmengen sind unsicher. An dieser Stelle veröffentlichen wir eine Auswahl an Szenarien, um diese Unsicherheit abzubilden. Außerdem vergleichen wir den aktuellen Verlauf mit Szenarien, die wir in früheren Reporten veröffentlicht haben.
Wir versuchen mit unseren Annahmen, eine Abdeckung über einen breiten Teil der möglichen Entwicklungen zu erzielen. Zu berücksichtigen ist aber: Die Realität kann deutlich besser oder schlechter ausfallen, als in unseren Szenarien beschrieben – falls sich die hier getroffenen Annahmen als falsch herausstellen.
Der Verlauf der Speicherfüllstände hängt von zwei Faktoren ab: dem Gasverbrauch und der Gasbeschaffung. Wir haben dabei insgesamt vier Parameter als jene mit dem größten Einfluss identifiziert:
Beim Temperaturverlauf, der maßgeblich den Gasverbrauch beeinflusst, betrachten wir zwei Szenarien: Einen durchschnittlichen und einen kalten Winter. Der Mehrverbrauch in einem kalten Winter im Vergleich zu einem durchschnittlichen beträgt hier 50 TW. Ein sehr kalter Winter kann aber auch noch zu einem stärkerem Mehrverbrauch führen.
Die folgenden drei Grafiken zeigen den möglichen Verlauf der Speicherfüllstände – beziehungsweise die Menge des fehlenden Gases – von November 2022 bis Mai 2023. Als Startwert für die Berechnungen der aktuellen Szenarien wird der aktuelle Speicherstand verwendet. Negative Werte bedeuten, dass Gas fehlt. In dem Szenario kann es weder importiert noch ausgespeichert werden und ist auch nicht durch die angenommenen Einsparungen abgedeckt. Zwangsabschaltungen wären die Folge.
Die Speicher in Deutschland dienen zum Teil auch zur Versorgung anderer Länder. Andererseits sind beispielsweise Teile der österreichischen Speicher auch für die Versorgung von Deutschland (insbesodere Bayern) vorgesehen. Dies wird bei den betrachteten Szenarien implizit durch die verschiedenen Werte für den Nettoimport berücksichtigt. Der Speicherstand ist dabei nur der Startwert für die Berechnungen, denn das gespeicherte Gas kann nicht als Gasmenge angenommen werden, die vollständig im deutschen Gasnetz verbleibt. Würde mehr Gas aus deutschen Speichern in andere Länder exportiert und weniger importiert, würde dies letzlich die Nettoimportmenge reduzieren.
Für die Szenarien legen wir jeweils eine prozentuale Verbrauchsveränderung gegenüber dem Mittel der Jahre 2018 - 2021 zu Grunde:
Aktuell liegen die Netto-Einspeisungen in das deutsche Gasnetz noch deutlich über den hier 2,2 TWh pro Tag, die in den optimistischen Szenarien angenommen werden. Bleibt dies auch bei kälteren Temperaturen so, kann der tatsächliche Verlauf der Speicherstände noch oberhalb aller hier gezeigten Szenarien liegen.
Die für Anfang Januar 2023 angekündigten Flüssiggas-Terminals in Brunsbüttel und Wilhelmshaven haben eine Kapazität von bis zu 10 TWh pro Monat. Da noch nicht klar ist, ob die volle Kapazität tatsächlich ab Anfang 2023 zur Verfügung steht, haben wir für die Szenarien einen Wert von 8,5 TWh angenommen. Das geplante private Terminal in Lubmin ist noch nicht berücksichtigt.
Zusätzlich zu den Szenarien mit Start am 01. Dezember, zeigen wir in jeder Grafik ebenfalls das entsprechende best-case und worst-case Szenario mit Start zum 01. Oktober, also die selben Szenarien wie im Oktober-Report. Hintergrund: Die Szenarien basieren auf angenommenen Durchschnittswerten für den gesamten Betrachtungszeitraum, beispielsweise von durchnittlich 2,2 TWh Nettoimport. Im Oktober lag der Nettoimport über diesem Wert. Sollte der Import aber absinken, ist es weiterhin möglich, dass dieser Wert im Schnitt (möglicherweise auch deutlich) unterschritten wird. Daher lohnt sich der Vergleich des aktuellen Verlaufs mit den in der Vergangenheit berechneten Pfaden.
In unserem Gasszenarien-Dashboard können Sie auch eigene Szenarien berechnen.
Das warme Wetter und die Einsparungen der Verbraucher haben dazu geführt, dass alle Szenarien sich nach oben verschoben haben. Inzwischen ist nicht mehr das Hauptthema, ob in diesem Winter eine Gasmangellage entsteht. Vielmehr stellt sich die Frage, mit welchem Füllstand wir aus dem Winter kommen und wie leicht es dementsprechend sein wird, die Speicher im kommenden Sommer wieder zu füllen.
Das Ergebnis: Im Szenario mit einem Nettoimport von 2,2 TWh/d und einem durchschnittlichen Winter bleiben die Füllstände der Speicher selbst ohne Einsparungen oberhalb der Speicherstände des Winters 2017/18. Sinkt der Import aber – oder wird der Winter kälter - kann hier leicht eine Gasmangellage entstehen.
Das Ergebnis: Einsparungen von 10 Prozent führen in fast allen betrachteten Szenarien zu positiven Speicherständen. Im optimistischten Szenario wird sogar gegen Ende des Winters ein Speicherstand von fast 50 Prozent erreicht. Wird der Winter jedoch kalt und der Import sinkt stark ab, kann hier noch eine Mangellage entstehen.
Das Ergebnis: Bei 20 Prozent Einsparungen droht keine Gasmangellage. Mehr noch, keines der betrachteten Szenarien fällt deutlich unter den Verlauf des Winters 2017/18. Gegen Ende des Winters können bei optimalem Verlauf Speicherstände von deutlich über 60 Prozent erreicht werden.
Zum Vergleich mit der Entwicklung 2022 hier die Speicherstände von Deutschland in den vergangenen zehn Jahren.
Nicht nur in Deutschland, sondern auch in den Ländern der EU, in der Ukraine und im Vereinigten Königreich haben die Speicher einen hohen oder sehr hohen Füllgrad erreicht. Einzig Lettland fällt etwas aus dem Rahmen, hier wurden die Speicher nur sehr langsam gefüllt und liegen prozentual wesentlich tiefer als in den anderen europäischen Ländern, außer der Ukraine.
Von der Reduktion des Gasflusses durch Gazprom ist im Prinzip auch die Weitergabe von Gas in andere europäische Länder betroffen. Allerdings konnten Flüssiggas-Transporte die reduzierten Lieferungen aus Russland offenbar mindestens zum Teil kompensieren. Die folgende Grafik zeigt, wie viel Gas aktuell (mit dem üblichen Meldeverzug von zwei Tagen) in den Ländern Europas gespeichert ist und wie weit die Speicher damit gefüllt werden. Die Speicher in der Ukraine dürften aufgrund des Krieges ein Sonderfall sein.
Die Kapazität und die Füllstände können Sie sich anzeigen lassen, indem sie über den entsprechenden Balken hovern.
Die Speicherstände der Gasspeicher entstammen dem Aggregated Gas Storage Inventory. Die Daten werden zwei Tage verzögert publiziert. Der aktuellste Wert ist also der Speicherstand für Vorgestern, bezogen auf das Erscheinungsdatum. Nicht alle Speicher melden an allen Tagen Daten. Nicht gemeldete Daten werden von Gas Infrastructure Europe (GIE) geschätzt und bei späteren Updates auf die gemeldeten Daten korrigiert. Dies kann insbesondere dazu führen, dass sich der aktuelle Trend der letzten Tage auch umdrehen kann. Insbesondere bei Trendwenden ist es deshalb ratsam ein paar Tage abzuwarten, ob diese noch korrigiert werden. Auch eine Plausibilisierung mit anderen Informationsquellen ist empfehlenswert.
Insbesondere nach Wochenenden kann es auch zu fehlenden Werten führen, was insbesondere an den spontan sinkenden Speicherkapazitäten ersichtlich ist. Vereinzelt existieren Füllstände, die etwas höher liegen als die angegebene Kapazität, wie zum Beispiel aktuell in Portugal.
Die Verbrauchsdaten werden von der Bundesnetzagentur bereitgestellt. Die Werte können sich zum Teil auch mit mehreren Wochen Verzögerung noch deutlich ändern.
Wenn Sie Fragen zu diesen Daten haben oder weitere Auswertungen erhalten wollen, das SMC Lab kann Auswertungen erzeugen.
Sönke Gäthke, Redakteur für Energie und Mobilität
Bernhard Armingeon, Software Entwickler
Lars Koppers, Datenwissenschaftler
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