EU plant, politische Werbung zu regulieren
In der EU soll zukünftig jede Art der politischen Werbung, die gegen Geld verbreitet wird, als solche gekennzeichnet und die Identität der Werbenden transparent gemacht werden. Das sieht ein Gesetzvorschlag vor, den die EU-Kommission am 25.11.2021 veröffentlicht hat (siehe Primärquelle). Die Bestimmungen gelten für digitale Werbung, aber offenbar auch für analoge. Zudem soll die Finanzierung der Werbung einsehbar sein. Dafür will die Kommission große Anbieter verpflichten, ein Anzeigenarchiv einzurichten.
Inhaberin des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Informationsrecht, Umweltrecht, Verwaltungswissenschaften, und Direktorin der Forschungsstelle Datenschutz, Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main
„Online-Wahlwerbung verändert die politische Willensbildung. Wie für Rotwein und Autos werden personalisierte Profile genutzt, um zielgerichtet Wahlkampf zu betreiben. Schon Obama, aber erst recht Trump konnten ihre Ressourcen daher erfolgreich nur dort einsetzen, wo Überzeugungsarbeit erfolgversprechend war. Damit verändert sich auch die politische Landschaft: Informationen erreichen nicht mehr grundsätzlich alle, sondern nur noch diejenigen, die ohnehin für diese empfänglich sind. Pluralität der Meinungen und der Ansichten sowie Veränderung der eigenen Positionen werden so behindert. Beides ist aber ein Rückgrat der Demokratie. Zudem haben eine Reihe von Wahlkämpfen in jüngerer Zeit, auch in Europa, gezeigt, dass die Beeinflussung von Wahlentscheidungen nicht nur durch die Parteien, sondern auch durch andere Staaten mit erheblichem Aufwand und auch technischen Mitteln erfolgt.“
„Das Anliegen der EU, politische Werbung zu regulieren, um politische Willensbildung möglichst frei von systematischer Beeinflussung zu halten, ist angesichts der Entwicklungen der Manipulation demokratischer Willensbildung zu begrüßen. Information über konkret praktizierte Mechanismen der Einflussnahme kann hilfreich sein. Allerdings genügt Aufklärung nicht, weil viele solcher Effekte ‚stabil‘ sind, also trotz Bewusstheit darüber weiterhin wirken. Außerdem ist es aufwendig, solche Informationen überhaupt zur Kenntnis zu nehmen.“
„Daher ist die weitergehende Regulierung unabhängig von den Nutzern wichtig, von vorneherein die Nutzung bestimmter Daten für die Entwicklung von Profilen für politische Werbung zu untersagen. Die Hürden für eine Einwilligung der Nutzer müssten aber erhöht werden. Denn die datenschutzrechtliche Einwilligung der Nutzer erfolgt oftmals niedrigschwellig ohne echtes Verständnis für die Folgen. Gerade im Internet fehlt es weiterhin an einer effektiven Beschränkung der Cookie-Banner-Einwilligung, weil weiterhin Voreinstellungen und Dark Patterns (zum Beispiel farbliche Hervorhebung, leichteres Auffinden des Einwilligen-Button, komplizierte Sprache für Ablehnen) praktiziert werden.“
„Zudem ist es gut, dass Finanzierung der Werbung transparenter ausgestaltet werden soll. Die Vorgaben müssten allerdings aufgreifen, dass hinter gesellschaftsrechtlichen Konstruktionen die wahren Urheber politischer Werbung verborgen bleiben können. Da lediglich Kennzeichnungs- und Transparenzpflichten vorgesehen sind, um Verständnis zu erleichtern, setzen sich auch Bedenken aus Sicht der Meinungsfreiheit nicht durch. Angesichts der Bedeutung einer funktionierenden Demokratie stehen auch die rechtlichen Interessen an wirtschaftlicher Betätigung der Online-Marketing-Branche zurück.“
Senior Researcher Medienrecht & Media Governance, Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut (HBI), Hamburg
„Prinzipiell ist der Wunsch nach regulatorischer Einhegung von politischer Werbung unbestritten. Diesen vor allem politischen Wunsch versucht der Verordnungsentwurf umzusetzen, und jedenfalls Teile der Regelungen erscheinen auch angezeigt, insbesondere erhöhte Formen von Transparenz und die Beschränkung von Targeting in diesem Bereich. Gerade wenn Transparenzvorschriften zu einem Sichtbarmachen von segmentierten Werbeinhalten führen und dadurch in den gesellschaftlichen Diskurs gelangen, können sie tauglicher Ansatzpunkt sein.“
„Das Hauptproblem aber bleibt, dass die Definition dessen, was politische Werbung und insbesondere was ‚politisch‘ ist, alles andere als trivial ist. In Diskursen, in denen es zunehmend weniger um Toleranz, Verständnis und Einigung, sondern stets um Abgrenzung zu Andersdenkenden und deren jeweils abwegiges Weltbild geht, ist praktisch jedes Thema politisch. Hier eine Definition zu finden, die wahlintegritätsgefährdende Wirkungen von politischer Kommunikation umfasst, aber legitime politische Meinungsäußerung und auch mit harten Bandagen ausgetragene Meinungsgefechte unberührt lässt, ist schwer vorstellbar.“
„Dies kann auch der Entwurf nicht einlösen. Der behilft sich damit, als gesetzliches Kriterium die Auswirkung einer politischen Werbung auf den Ausgang einer Wahl, eines Referendums, einer Gesetzesinitiative oder ganz allgemein das Wahlverhalten zu nennen. Über die Wirkung von politischer Werbung auf individueller Ebene wissen wir aber empirisch nur sehr wenig – und dort vor allem, dass Wahlwerbung in erster Linie bestehende politische Einstellungen zementiert –, und auf Ebene ganzer Gesellschaften gar nichts. Politisch mag dieses Tatbestandsmerkmal nachvollziehbar sein – juristisch ist das eher eine – gefährliche – Nebelkerze, weil es rechtliche Bestimmbarkeit suggeriert, wo Recht bislang keine brauchbaren Operationalisierungen hat.“
„Durch die schwammige und vor allem auf hypothetische Wirkungen abzielende Definition dessen, was politische Werbung ist, erscheint der Entwurf gleichzeitig uferlos und ineffektiv: Es kommt darauf an, wer die Definition wie eng oder weit auslegt und dann Sanktionen daran anknüpft. Diese Interpretation bleibt vor allem den zuständigen Stellen in den Mitgliedstaaten überlassen.“
„Das zeigt schon den Kern des Problems auf: Die Rechtslage wird durch den Entwurf nicht klarer oder besser, sondern es stellt sich erst auf der Ebene der Gesetzesanwendung und -umsetzung heraus, wie durchsetzungsstark – und schlimmstenfalls missbrauchsanfällig – eine solche vage Definition ist. So kann der Anwendungsbereich theoretisch auch dazu genutzt werden, Beanstandungsverfahren gegen missliebige Online-Anbieter und Plattformen oder Printmedien anzustrengen. Gleichzeitig werden in der Diskussion als wichtig angesehene Aspekte nicht von dem Verordnungsentwurf berührt, so etwa umfassende, in Echtzeit einsehbare Anzeigenarchive oder das klare Verbot der Nutzung von Artikel-9-Daten (sensible persönliche Daten wie religiöse Ansicht oder genetische Daten nach EU-DSVGO, Artikel 9; Anm. d. Red) und von Inferenzwissen – also insbesondere durch Verhaltensbeobachtung abgeleitetes Wissen – für das Targeting.“
„Der Entwurf versucht eine vollständige Harmonisierung der politischen Werbung, egal in welchem Medium die Werbung geschaltet wird. Umfasst sind politische Werbeanzeigen in Zeitungen und Zeitschriften, in Radio und Fernsehen sowie auf Websites und in Social Media-Angeboten. Das ist sehr umfassend.“
„Soweit die Regeln das Targeting oder die Amplifizierung von politischen Werbeeinblendungen betreffen, sind technisch bedingt dann aber ausschließlich Online-Dienste umfasst. Online sind nach derzeitigem Entwurfsstand die Anzeigenschaltenden selbst und werbeausliefernden Dienste für die Einhaltung der Vorgaben zuständig. Selbst wenn also eine Plattform und ein Werbedienstleister zum gleichen Konzern gehören – insbesondere Meta Ads/Facebook; Youtube/Google – können sie gesellschaftsrechtlich als unterschiedliche juristische Personen und Diensteanbieter zu sehen sein. Adressat der Regelungen wären dann nicht die Social Media-Plattformen aus Nutzer*innensicht, sondern die Werbeplattformen, die die politischen Werbeanzeigen ausliefern.“
„Die meisten Plattformen arbeiten hier bereits seit langem mit Einwilligungen, die eng an die Leistungserbringung durch die Plattform gekoppelt sind, das heißt ich kann die Angebote der Plattform nur in Anspruch nehmen, wenn ich im Gegenzug die Einwilligung in solche Formen der Datenverarbeitung erteile. Ob die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) ein sogenanntes Kopplungsverbot enthält, ist rechtlich nicht abschließend geklärt. Insofern folgt der Entwurf hier schlicht einer möglichen Sichtweise auf den derzeitigen, umstrittenen Rechtsrahmen. In Zukunft kann sich hier etwas ändern, falls die ePrivacy-Verordnung ein solches striktes Kopplungsverbot enthält. Dann könnte ein Zustand hergestellt werden, in dem die Nutzenden tatsächlich frei entscheiden könnten, ob sie auch sensible Daten über sich zu Werbezwecken verarbeiten lassen wollen.“
Auf die Frage, wann ein Inkrafttreten des Gesetzes zu erwarten ist:
„Da der Entwurf der Verordnung auf den Digital Services Act (DSA) Bezug nimmt, geht die Kommission wohl davon aus, dass die Verabschiedung nach dessen Beschlussfassung erfolgt. Realistisch erscheint damit frühestens der Herbst oder Winter 2022.“
Dieses Statement entstand in Zusammenarbeit mit:
Keno C. Potthast
Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut (HBI), Hamburg
Professor für Medienrecht, Technische Universität Dortmund
„Der Gesetzesentwurf ist ein Schritt, um Wählerinnen und Wähler in der EU vor Manipulation zu schützen. Es hat sich gezeigt, dass zunehmend Probleme beim Erkennen politischer Wahlwerbung bestehen. Wählerinnen und Wähler haben häufig nicht die Möglichkeit zu unterscheiden, ob es sich bei im Netz angezeigten Inhalten um bezahlte Werbung handelt; also ob die Trennung zwischen Werbung und Inhalten verwischt. Das führt letztlich zum Risiko unzulässiger Manipulation von Wählerinnen und Wählern wie aus dem Fall des Microtargetings von Cambridge Analytica bekannt. Der Gesetzesentwurf will dem durch verschiedene Transparenzpflichten entgegensteuern, beispielsweise durch die Pflicht zur Kennzeichnung politischer Werbung. Auch sollen digitale Plattformen künftig offenlegen müssen, welche Wahlwerbung auf welche Zielgruppe zugeschnitten ist. Politische Werbung soll damit vor allem transparenter werden, gänzlich untersagt wird sie nicht.“
„Der Gesetzentwurf hält einen umfangreichen Pflichtenkatalog bereit. Auch können Verstöße hiergegen mit bis zu vier Prozent des Jahresumsatzes von Unternehmen sanktioniert werden. Doch bleibt das Risiko der Manipulation – selbst bei Kennzeichnung politischer Werbung – bestehen. Bereits bleibt fraglich, wie Wählerinnen und Wähler tatsächlich mit solchen Kennzeichnungen umgehen; gerade, wenn die verbreiteten Informationen für sie attraktiv sind. Sprich: Führt bereits eine Kennzeichnung zu einem hinreichenden Schutz? Der Weg eines vollständigen Verbots personalisierter politischer Werbung wurde dagegen nicht beschritten.“
„Auch bleiben datenschutzrechtliche Risiken bei dieser Form der personalisierten Werbung weiterhin bestehen, wenn die Zustimmung zu solchen Praktiken – wie üblich im Netz – einfach per Klick erteilt werden.“
„Der Gesetzesentwurf umfasst die Vorbereitung, Platzierung, Förderung, Veröffentlichung und Verbreitung politischer Werbung. So können beispielsweise im Einzelfall Werbeagenturen, Parteien oder soziale Netzwerke von der Regulierung erfasst werden. Unklarheiten könnte es geben, weil der Begriff der politischen Werbung einen gewissen Spielraum bietet. Politische Werbung soll nach dem Entwurf beispielsweise nur dann unter die Bestimmungen der Regelung fallen, wenn sie geeignet ist, das Ergebnis einer Wahl oder eines Referendums, eines Gesetzgebungs- oder Regelungsprozesses oder das Wahlverhalten zu beeinflussen. Wann dies aber genau der Fall sein soll, bedarf der Konkretisierung.“
„Die Nutzung sensibler Daten für persönliche Werbung ist an die Einwilligung der Nutzer geknüpft. Aufgrund der Marktmacht von großen Plattformen sowie des oftmals irreführenden Designs von Cookiebannern könnte die Einholung der Einwilligung wohl keine besonders große Herausforderung darstellen. Hier wäre sinnvoll, diese Einwilligung zu entkoppeln – und die Nutzung digitaler Plattformen nicht von einer Zustimmung zur Verwendung personenbezogener Daten auch für politische Werbung abhängig zu machen. Allerdings wären die Vorgaben des Gesetzentwurfs bereits wegen der Transparenzpflichten nicht völlig wirkungslos. So müssen beispielsweise Aufzeichnungen über den Einsatz, die verwendeten Mechanismen und Techniken vorgenommen werden. Auch sollen Plattformen zusätzliche Informationen bereitstellen, damit betroffene Personen die zugrunde liegende Logik, die wichtigsten Parameter und die Technik verstehen können. Dies setzt allerdings wiederum einen merklichen Reflexionsaufwand voraus, der dann von jedem Einzelnen zu leisten ist.“
Auf die Frage, wann ein Inkrafttreten des Gesetzes zu erwarten ist:
„Der aktuelle Entwurf muss nun durch den europäischen Gesetzgebungsprozess laufen. Der Rat und das Parlament können nun eigene Vorschläge vorlegen und sich dann mit der Kommission auf ein Gesetz einigen. Angestrebt wird ein Inkrafttreten des Gesetzes 2023 – also noch vor den Wahlen zum Europäischen Parlament im Jahr 2024.“
„Interessenkonflikte bestehen weder bei Herrn Potthast noch bei mir.“
„Es bestehen keine Konflikte.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Primärquelle
Prof. Dr. Indra Spiecker genannt Döhmann
Inhaberin des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Informationsrecht, Umweltrecht, Verwaltungswissenschaften, und Direktorin der Forschungsstelle Datenschutz, Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main
Dr. Stephan Dreyer
Senior Researcher Medienrecht & Media Governance, Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut (HBI), Hamburg
Prof. Dr. Tobias Gostomzyk
Professor für Medienrecht, Technische Universität Dortmund