Erstes Medikament zur wirksamen Behandlung von COVID-19?
Am 30. April 2020 kam es zu einer verwirrenden Verkündung der positiven Resultate einer randomisierten klinischen Studie zu dem Wirkstoff Remdesivir direkt aus dem Weißen Haus in Washington [I]. Zeitgleich wurden negative Ergebnisse einer klinischen Studie derselben Substanz in einer aus Mangel an Patienten vorzeitig abgebrochenen Studie in China im Fachmagazin „The Lancet“ veröffentlicht [II]. Das zeigt, wie sehr die üblichen Regeln der Kommunikation neuer Forschungsergebnisse derzeit außer Kraft gesetzt sind.
Leiter der Infektiologie, Klinik I für Innere Medizin, Uniklinik Köln und Leiter einer klinischen Prüfung von Remdesivir (GS-5734) bei Patienten in Deutschland
„In der randomisierten ACTT Studie wurden 1.063 Patienten mit unterschiedlichem Schweregrad der COVID-19-Erkrankung über zehn Tage mit Remdesivir oder mit Placebo behandelt. Das Zwischenergebnis zeigt einen Vorteil für die Patienten, die mit Remdesivir therapiert wurden. Dies manifestiert sich in einer schnelleren Erholung (11 Tage versus 15 Tage) sowie in einer tendenziell niedrigeren Sterblichkeit (8 Prozent versus 11,6 Prozent).“
„Damit konnte zum ersten Mal die Wirksamkeit einer Substanz gegen COVID-19 in einer nach höchsten Standards durchgeführten Studie nachgewiesen werden. Mit einer raschen Zulassung von Remdesivir zur Behandlung von COVID-19 ist deshalb zu rechnen. Für Patienten mit einer schweren Form dieser Erkrankung macht diese Studie Hoffnung, schneller und sicherer von der Infektion genesen zu können.“
„Dennoch bleiben noch viele Fragen bis zur vollständigen Veröffentlichung des Endergebnisses offen. Eine der wichtigsten Frage ist die, ob alle Patienten gleichermaßen von der Behandlung profitieren, oder ob die Wirksamkeit je nach Schweregrad der Erkrankung unterschiedlich ist. Davon wird entscheidend abhängig sein, welchen Patienten das Medikament verabreicht werden sollte. Denn es ist klar absehbar, dass nicht alle Patienten mit Remdesivir behandelt werden können.“
„Zudem wird in absehbarer Zeit gar nicht genügend Wirkstoff zur Verfügung stehen. Es wird deshalb auch dringend erforderlich sein, weitere Wirkstoffe in klinischen Studien zu untersuchen. Der Maßstab für deren Wirksamkeit wird in Zukunft allerdings Remdesivir sein.“
Chefarzt der Infektiologie und Tropenmedizin sowie Leiter der dortigen Spezialeinheit für hochansteckende lebensbedrohliche Infektionen, München Klinik Schwabing
„Nachdem eine vorzeitig abgebrochene und damit nicht aussagekräftige Placebo-kontrollierte Studie zu Remdesivir (Primärquelle) kürzlich für mehr Verwirrung als Aufklärung sorgte, wird mit der ACTT-Studie nun erstmalig ein belastbarer Datensatz zur Verfügung gestellt, der eine definitive Aussage zum Stellenwert von Remdesivir bei COVID-19 ermöglicht.“
„Die ACTT-Studie konnte ausreichend Patienten rekrutieren und ist daher bezüglich des primären Endpunktes belastbar und aussagekräftig. Es konnte gezeigt werden, dass COVID-19-Patienten unter einer Therapie mit Remdesivir früher aus dem Krankenhaus entlassen werden konnten beziehungsweise sich schneller erholten. Im Vergleich zu Placebo zeigte sich ein Trend, das heißt aber derzeit noch keine Signifikanz, hinsichtlich eines verlängerten Überlebens für die Remdesivir behandelten Patienten. Somit sind wesentliche Endpunkte der Studie erreicht worden, sodass an einer raschen Zulassung der Substanz aus meiner Sicht wenig Zweifel bestehen dürfte.“
„Diese Studie belegt erneut, wie wichtig es ist, dass ausreichend ‚gepowerte‘ Studien durchgeführt werden und voreilige Schlüsse aus anderen unvollständig rekrutierenden Studien eher kontraproduktiv sind. Dennoch muss auch hier die Vollpublikation der finalen Daten abgewartet werden, um alle Aspekte der ACTT-Studie ausreichend bewerten zu können.“
„So bleibt zum Beispiel derzeit noch offen, wie viele Patienten von einer invasiven Beatmung auf Intensivstation entwöhnt werden und wieder auf Normalstation verlegt werden konnten. Von Interesse ist darüber hinaus, wie schnell Viruslasten im Nasenrachenraum beziehungsweise in der Lunge unter Remdesivir abnehmen. Eine detaillierte Analyse der Sicherheitsdaten mit dem exakten Nebenwirkungsprofil von Remdesivir muss abgewartet werden.“
„In einer längeren Nachbeobachtung der erst kürzlich abgeschlossenen Studie muss evaluiert werden, ob zum Beispiel mögliche Folgeschäden einer COVID-19-Pneumonie nach Remdesivir-Behandlung weniger häufig auftreten.“
„Remdesivir zeigt zwar einen Trend für ein besseres Überleben für symptomatische COVID-19-Patienten, aber es stirbt dennoch laut Studie jeder zwölfte Patient an dieser Erkrankung. Hier sind die Gründe in der vollständigen Auswertung genau zu betrachten. So stellt sich zum Beispiel die Frage, ob eventuell ein früherer Einsatz der Substanz von Vorteil sein könnte, da Sekundärkomplikationen, wie irreversible Lungen- und Nierenschädigungen, verhindert werden könnten.“
„Es ist auch wichtig, dass auch die derzeit laufenden randomisierten Studien (SIMPLE Trial), unter anderem zum frühen Einsatz von Remdesivir, vollständig rekrutiert und abgeschlossen werden. Im SIMPLE Trial wird zusätzlich auch die Frage zu beantworten sein, ob nicht schon fünf Tage im Vergleich zu einer zehn-tägigen Therapie ausreichend wirksam sind. Dieser Aspekt ist nicht nur eine Frage des Patientenkomforts, sondern könnte auch eine Entlastung bei nur begrenzt verfügbaren Arzneimittelresourcen bringen.“
„Insgesamt scheint die ursprünglich für Ebola-Patienten entwickelte Substanz Remdesivir aus einem Dornröschenschlaf erwacht zu sein und hat offensichtlich eine neue ‚Nische‘ bei einer pandemischen Erkrankung wie COVID-19 gefunden. Nachdem Lopinavir/Ritonavir und auch Hydroxychloroquin die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllen konnten, wird Remdesivir nunmehr als Referenzsubstanz bei künftigen Medikamentenentwicklungen für COVID-19 trotz mancher Einschränkungen dienen müssen. Inwiefern Remdesivir auch als Kombinationspartner für andere Substanzen herangezogen werden kann, um die Effizienz noch weiter steigern zu können, werden künftige Studien zeigen müssen.“
„In jedem Fall gibt es nun aus Patientensicht eine greifbare Alternative im Vergleich zu best supportive care, entsprechend wird aller Voraussicht nach der Druck hinsichtlich einer schnellen Verfügbarkeit von Remdesivir innerhalb und außerhalb von Studien in naher Zukunft weltweit stark steigen – bis eine noch bessere Waffe im Kampf gegen COVID-19 definiert sein wird. Bis zur Verfügbarkeit eines definitiven Impfstoffes gegen COVID-19 scheint ein wichtiges Etappenziel erreicht worden zu sein.“
Keine Angaben erhalten. Gerd Fätkenheuer ist Leiter einer klinischen Prüfung von Remdesivir in Deutschland.
Keine Angaben erhalten.
Primärquelle
Norrie JD (29.04.2020): Remdesivir for COVID-19: challenges of underpowered studies. The Lancet. DOI: 10.1016/S0140-6736(20)31023-0.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] National Institute of Allergy and Infectious Disease (29.04.2020): NIH Clinical Trial Shows Remdesivir Accelerates Recovery from Advanced COVID-19.
[II] Norrie JD (2020): Remdesivir for COVID-19: challenges of underpowered studies. Comment. The Lancet. DOI: 10.1016/S0140-6736(20)31023-0.
[III] Gao Y et al. (2020): Structure of the RNA-dependent RNA polymerase from COVID-19 virus. Science. DOI: 10.1126/science.abb7498.
[IV] Tchesnokov AP et al. (2020): Mechanism of Inhibition of Ebola Virus RNA-Dependent RNA Polymerase by Remdesivir. Viruses; 11, 326. DOI: 10.3390/v11040326.
[V] Wang M et al. (2020): Remdesivir and chloroquine effectively inhibit the recentlyemerged novel coronavirus (2019-nCoV) in vitro. Cell Research; 30:269–271. DOI: 10.1038/s41422-020-0282-0.
[VI] Williamson BN et al. (2020): Clinical benefit of remdesivir in rhesus macaques infected with SARS-CoV-2. BioRxiv. DOI: 10.1101/2020.04.15.043166.
[VII] National Institute of Allergy and Infectious Disease (25.02.2020): NIH Clinical Trial of Remdesivir to Treat COVID-19 Begins.
Prof. Dr. Gerd Fätkenheuer
Leiter der Infektiologie, Klinik I für Innere Medizin, Uniklinik Köln und Leiter einer klinischen Prüfung von Remdesivir (GS-5734) bei Patienten in Deutschland
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
Keine Angaben erhalten. Gerd Fätkenheuer ist Leiter einer klinischen Prüfung von Remdesivir in Deutschland.
Prof. Dr. Clemens Wendtner
Chefarzt der Infektiologie und Tropenmedizin sowie Leiter der dortigen Spezialeinheit für hochansteckende lebensbedrohliche Infektionen, München Klinik Schwabing
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
Keine Angaben erhalten.