Ergebnisse der Global Flourishing Study
erste Ergebnisse globaler Umfrage zum gelingenden und glücklichen Leben veröffentlicht
Studie bietet Einblicke in die Qualität verschiedener Lebensbereiche unterschiedlicher Länder und soll zukünftig längsschnittliche Daten zur Verfügung stellen
Forschende erläutern den Mehrwert der Studie und gehen auf einzelne Ergebnisse ein
Wie steht es weltweit um das gute, gelingende und glückliche Leben – wo leben Menschen erfüllt und wieso? Diese Frage möchte ein internationales Team Forschender mittels neu erhobener, globaler Umfragedaten im Rahmen der „Global Flourishing Study“ (GFS) beantworten. Die Ergebnisse der Umfrage sind am 30.04.2025 im Fachjournal „Nature Mental Health“ (siehe Primärquelle) erschienen und parallel in einer Vielzahl weiterer Publikationen in anderen Fachzeitschriften.
Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Fakultät für Soziologie, Universität Bielefeld
Messung von ‚Flourishing‘
„In vielen groß angelegten Studien wird die Zufriedenheit mit dem Leben auf eine oder wenige Fragen verkürzt. Dadurch erhält man keinen umfassenden Einblick in die verschiedenen Dimensionen. Wenngleich das ‚Flourishing‘-Maß nicht das Erste seiner Art ist, so ist es doch ein wichtiges und vor allem auch kurzes und validiertes Instrument, um verschiedene Elemente von ‚Flourishing‘ zu erfassen, wie etwa psychische und physische Gesundheit sowie die Zufriedenheit mit engen sozialen Beziehungen und der finanziellen und materiellen Stabilität.“
„Man kann diskutieren auf welche Art und Weise man einen Index zu ‚Flourishing‘ erstellt, ob beispielsweise alle Elemente das gleiche Gewicht haben sollten oder ob einzelne Elemente stärker gewichtet werden sollten. Dennoch ist es neben einer Analyse der Einzelelemente wichtig, auch über alle Faktoren hinweg zu schauen, wie sich ‚Flourishing‘ über Länder hinweg und innerhalb von Ländern gestaltet und durch welche Faktoren dies beeinflusst wird. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass sich die Einzelelemente gegenseitig negativ wie positiv beeinflussen können. Bei fehlender Gesundheit kann die Möglichkeit einer hohen Zufriedenheit mit sozialen Kontakten begrenzt sein. Gleichzeitig sind kompensatorische Effekte möglich – so können soziale Kontakte helfen, Beeinträchtigungen der Gesundheit zu reduzieren.“
Methodik und Qualität der Studie
„Die Fallzahl der Studie ist beachtlich. Gleichwohl gibt es verschiedene länderspezifische Studien, die für ein Land solidere Daten liefern. Für Ländervergleiche bietet die GFS-Studie aber interessante Potenziale, insbesondere weil versucht wurde, die verwendeten Instrumente zu validieren – wenngleich die Welt mit 22 Ländern nicht hinreichend abgebildet werden kann. Es ist sicher auch viel leichter, eine solide Erhebung in Deutschland oder Schweden zu machen, während dies für Länder wie Nigeria oder Kenia schon schwieriger sein könnte. Besonders spannend wird die Studie, wenn irgendwann die Daten für mehrere untersuchte Jahre vorliegen, da so Veränderungen über die Zeit nachgezeichnet werden können. Hervorzuheben ist, dass bei der GFS-Studie Wert auf Transparenz gelegt wird – Stichwort Open Science –, und dass die Analysen vorher registriert wurden.“
Juniorprofessorin für Angewandte Soziologie, Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau
Mehrwert der Studie
„Der Artikel ,The Global Flourishing Study: Study Profile and Initial Results on Flourishing‘ verfolgt drei zentrale Ziele. Als Teil einer Studienkollektion, die auf Daten der ersten Welle der Global Flourishing Study (GFS) basiert, bietet er zunächst einen Überblick über diesen neuen Datensatz und dessen Alleinstellungsmerkmale, die zugleich seine Relevanz für die Forschung in diesem Bereich unterstreichen. Wer bislang Wohlbefinden und Lebensqualität auf Basis repräsentativer Daten erforschen möchte, sieht sich einer Vielzahl von Datensätzen gegenüber, die entweder eine Längsschnittbetrachtung über die Zeit für ein Land ermöglichen oder aber den Ländervergleich im Querschnitt, das heißt Analysen zu einem bestimmten Zeitpunkt. Kombinationen beider Ansätze, das heißt ländervergleichende Panelstudien, fehlen jedoch weitgehend. Zudem mangelt es – mit wenigen Ausnahmen wie der Europäischen Erhebung zur Lebensqualität – an Datensätzen, welche die subjektive Bewertung individueller Wohlfahrt in ihrer Breite erfassen. Dadurch bleibt die empirische Messung multidimensionalen Wohlbefindens häufig hinter den theoretischen Konzepten zurück. Die GFS setzt genau hier an: Als fünfwellige repräsentative Längsschnittstudie in 22 Ländern weltweit zielt sie auf die umfassende Erfassung individuellen Wohlbefindens ab.“
Messung von ‚Flourishing‘
„Weiter stellt der Artikel das Konzept des ‚Flourishing‘ und dessen Messung vor – ohne jedoch konzeptionell oder empirisch sonderlich in die Tiefe zu gehen, was dem Überblickscharakter des Beitrags geschuldet sein kann. ‚Flourishing‘ wird definiert als das ,relative Erreichen eines Zustands, in dem alle Aspekte des Lebens einer Person gut sind, einschließlich der Umstände, in denen diese Person lebt‘. Dazu zählen physisches und emotionales Wohlbefinden, soziale Beziehungen, finanzielle Sicherheit, Charaktereigenschaften sowie das Empfinden von Sinn im Leben. Das hauptsächlich in der Positiven Psychologie beheimatete Konzept des ‚Flourishing‘ weist damit Überschneidungen mit Ansätzen der menschlichen Entwicklung und der Lebensqualität auf und beinhaltet Elemente des bereits umfassender erforschten subjektiven Wohlbefindens. Es überrascht daher wenig, dass die Analyse der sozialstrukturellen Verteilung von ‚Flourishing‘ innerhalb von Gesellschaften kaum neue Erkenntnisse bringt – was auch von den Autor:innen selbst so eingeordnet wird.“
Einordnung der Ergebnisse
„Zu den zentralen Ergebnissen zählen: Geschlechterunterschiede sind gering; Verheiratete berichten durchweg von höherem ‚Flourishing‘ als Personen anderer Familienstände; Erwerbstätige und Personen im Ruhestand schneiden besser ab als Nichterwerbstätige; ein höherer Bildungsstand sowie häufigere Teilnahme an religiösen Veranstaltungen – zum Beispiel Gottesdiensten – gehen mit höherem ‚Flourishing‘ einher.“
Unterschiede in Altersgruppen
„Ein relevanter Punkt sollte jedoch an dieser Stelle hervorgehoben werden: Sowohl im Gesamtsample als auch in einzelnen – wenn auch nicht allen – Länderstichproben findet sich ein überraschend niedriges ‚Flourishing‘-Niveau in den jüngeren Altersgruppen. Dies ist, wie die Autor:innen auch selbst anmerken, aus wissenschaftlicher Perspektive überraschend und aus Policy-Perspektive beunruhigend. Bisherige Forschung hat für das subjektive Wohlbefinden im Lebensverlauf einen U-Verlauf nachweisen können, nach dem es jüngeren und älteren Menschen besser geht als Menschen in der Lebensmitte, im sogenannten mid-life-dip. In den vergangenen Jahren mehrt sich jedoch die Evidenz, dass jüngere Alterskohorten sowohl in ihrem subjektiven als auch in ihrem mentalen Wohlbefinden deutlich hinter dem Niveau früherer Generationen zurückbleiben. Die vorliegende Analyse reiht sich hier nahtlos ein: Das ‚Flourishing‘-Niveau der 18- bis unter 50-Jährigen ist weitgehend konstant, erst danach steigen die Werte an. Ob es sich hierbei um einen Alters- oder Kohorteneffekt handelt, lässt sich – wie die Autor:innen ebenfalls anmerken – derzeit empirisch nicht feststellen, da dafür Paneldaten erforderlich wären. Ob die fünf geplanten Erhebungswellen der GFS einen ausreichend langen Zeitraum abdecken, um solche Entwicklungen in Zukunft beobachten und statistisch erklären zu können, bleibt aktuell offen.“
Ergebnisse im Länderverlgeich
„Im Gegensatz zur Verteilung von ‚Flourishing‘ innerhalb von Gesellschaften zeigt der Ländervergleich deutliche Abweichungen vom Bekannten. So unterscheidet sich das Länderranking zum Beispiel deutlich von dem aus dem ‚World Happiness Report‘. Dies zeigt durchaus den Mehrwert der komplexeren Messung von Wohlbefinden. Allerdings lehnen die Autor:innen eine Interpretation der unterschiedlichen Mittelwerte im Sinne eines Länderrankings ausdrücklich ab – unter anderem mit Verweis auf methodische Aspekte der Datenerhebung sowie auf kulturell unterschiedliche Verständnisse der erhobenen Indikatoren.“
„Eine weitere Analyse widmet sich der Untersuchung der Auswirkungen von Kindheitserfahrungen – wie etwa der Beziehung zu den Eltern, der finanziellen Situation im Haushalt oder der eigenen Gesundheit im frühen Jugendalter – auf das ‚Flourishing‘ im Erwachsenenalter. Die Analyse zeigt insgesamt, dass belastende Lebensumstände in der Kindheit mit einem geringeren ‚Flourishing‘ im Erwachsenenalter verbunden sind. Da die Angaben zu den Kindheitserfahrungen retrospektiv erhoben wurden, ist die Aussagekraft dieser Analyse jedoch eingeschränkt.“
Methodische Qualität
„Die methodische Qualität entspricht den wissenschaftlichen Standards. Die Limitationen werden klar offengelegt. Zum einen insbesondere der korrelationale Charakter der Studie, der sich aus der Natur der Daten ergibt und keine Kausalschlüsse zulässt. Zum anderen die Problematik möglicher Verzerrungen in den retrospektiv erhobenen Daten.“
Assoziierte Professorin für Soziologie, Constructor University Bremen
„Die Global Flourishing Study (GFS) – eine über fünf Jahre jährlich wiederkehrende Umfrage mit Big-Data-Ausmaßen – wurde von dem Harvard Epidemiologen Tyler J. VanderWeele initiiert und von einem internationalen und interdisziplinären Forschungsteam durchgeführt. Die Studie knüpft explizit an die breit rezipierte und politisch relevante Forschung zu Wohlbefinden und Glück an, die etwa im jährlich erscheinenden World-Happiness Report oder in der stark wachsenden Fachliteratur große Aufmerksamkeit erfährt. Ziel ist es, die Datenbasis durch eine längsschnittliche Befragung derselben Personen zu erweitern und durch ein umfangreiches Indikatoren-Tableau dem guten, dem blühenden Leben nachzuspüren. Dafür werden mehr als 200.000 erwachsene Menschen aus 22 Ländern befragt.“
Messung von ‚Flourishing‘
„Das ‚Flourishing‘-Konzept ist hochambitioniert. Es will die 360-Grad Perspektive auf das gute Leben einfangen. Was ‚Flourishing‘ konkret ausmacht, diskutieren die Autoren in mehreren Etappen und mit weiteren Experten. Am Ende summieren sie ‚Flourishing‘ aus sechs unabhängigen Wohlbefindlichkeitsdimensionen (physisch, emotional, kognitiv, selbstwirksam, sozial, materiell, spirituell). Diese werden mit jeweils zwei Indikatoren vermessen und zu einem Index addiert. Eine systematische und theoretische Ableitung dieser notwendigen Variablenselektionen gibt es nicht. Und so haftet dem Zuschnitt des Index etwas Willkürliches an, wie die Autoren selbst zugestehen. Damit fällt das Konzept hinter den Entwicklungsstand der etablierten Glücks- und subjektiven Wohlbefindlichkeitsforschung zurück. Denn diese fokussiert sich – theoretisch gerechtfertigt – auf die individuelle Bewertung und das subjektive Gefühl und bringt diese Aussagen erst in einem zweiten Schritt mit anderen Lebensumständen in einen (statistischen) Zusammenhang.“
Mehrwert der Studie
„Trotzdem ist es aufschlussreich durch die GFS zu sehen, wie Menschen verschiedenste Lebensumstände direkt bewerten. Dabei wird auch der lange Schatten früherer Kindheitsereignisse – wie etwas Kindesmissbrauch – sichtbar. Auch bestätigt die neue ,Flourishing‘-Methodologie viele bekannte Befunde, etwa die Bedeutung von Lebenspartnerschaften, einfühlsamer Elternschaft und Religiosität für das subjektive Wohlbefinden. Das sind wichtige Validierungen.“
Einordnung der Ergebnisse
„Aber es gibt auch abweichende Resultate. So deckt sich das Ranking der Länder nicht mit dem des diesjährigen World Happiness Reports (WHP), der die reichen skandinavischen Nationen (immer) ganz oben sieht. Und umgekehrt rangiert Indonesien auf Platz 1 in der GFS, beim WHP 2025 jedoch auf Platz 83. Auffallend sind auch die Befunde zum ,Flourishing‘ im Lebensverlauf. Anders als der von vielen Glücksforschern entdeckte und als universell deklarierte U-förmige Verlauf von Lebenszufriedenheit und Alter, zeigen VanderWeele et al. je nach Land sowohl einen Anstieg von ,Flourishing‘ mit dem Alter (zum Beispiel Australien, Brasilien, Japan, Schweden, USA) als auch einen Abfall (zum Beispiel Indien, Tansania) oder einen gleichbleibenden Verlauf (zum Beispiel Indonesien, Kenia, Türkei). Das ist spannend und rätselhaft. Eine Erklärung jenseits der Vermutung, dass sich hier eine neue Entwicklung abzeichnet, können die Autoren nicht geben. Dafür fehlen den bisher nur querschnittlich vorhandenen und ausgewerteten Daten die Trennschärfe. Sie können Alters-, Kohorten- und Periodeneffekte nicht unterscheiden. Das ändert sich erst mit weiteren Erhebungswellen. Allerdings gibt es bereits sehr gute Paneldatensätze aus Australien, Deutschland und Groß-Britannien und auch Studien, die zumindest für die Lebenszufriedenheit diese Dekomposition berechnet haben.“
Ergebnisse im Länderverlgeich
„Rätselhaft bleiben auch die verschiedenen länderspezifischen Unterschiede. Das liegt daran, dass das ,Flourishing‘-Konzept sehr allgemein von Kontexten spricht, ohne diese genauer auszubuchstabieren. Länder sind nach Machbarkeit, ökonomischer und geographischer Varianz ausgewählt worden. Aber auf der Ebene von Nationalstaaten beeinflussen diese Kontexte sehr konkret das gute Leben etwa in Form von Arbeitsmärkten, Sozial- und Gesundheitspolitiken. Deshalb sollten diese Daten zu den Umfragedaten hinzugefügt werden, um nationale Unterschiede nicht bloß als kulturelle Container abzutun, sondern dezidiert aufzuschlüsseln und kausal zu erklären.“
„Diese Aufklärung wünsche ich mir auch für den interessanten Befund, dass – anders als in anderen Ländern – in Deutschland ein schlechter Gesundheitszustand in der Kindheit zu mehr ‚Flourishing‘ im Erwachsenenleben führt. Ist das Resilienz? Diese Fragen können auch andere Forscher mitbeantworten. Denn die Daten sind – im Gegensatz zu den Daten des World Happiness Reports – ‚open source‘. Das ist ein wichtiger Meilenstein für die Forschung zum subjektiven Wohlbefinden und für die Transparenz in der Forschung allgemein.“
„Es bestehen keine finanziellen Interessenkonflikte. Allerdings habe ich bereits mit einigen der Autor*innen zusammen an Publikationen gearbeitet [1] und arbeite an weiteren.“
„Ich habe keinen Interessenkonflikt.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Primärquelle
VanderWeele TJ et al. (2025): The Global Flourishing Study: Study Profile and Initial Results on Flourishing. Nature Mental Health. DOI: 10.1038/s44220-025-00423-5.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Sattler S et al. (2023): A brief measure of complete subjective well-being in Germany: A population-based validation of a German version of the Flourish Index (FI) and the Secure Flourish Index (SFI). Plos One. DOI: 10.1371/journal.pone.0284892.
Dr. Sebastian Sattler
Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Fakultät für Soziologie, Universität Bielefeld
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Es bestehen keine finanziellen Interessenkonflikte. Allerdings habe ich bereits mit einigen der Autor*innen zusammen an Publikationen gearbeitet [1] und arbeite an weiteren.“
Prof. Dr. Leonie Steckermeier
Juniorprofessorin für Angewandte Soziologie, Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau
Prof. Dr. Hilke Brockmann
Assoziierte Professorin für Soziologie, Constructor University Bremen
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe keinen Interessenkonflikt.“