Enzymatische Umwandlung von Blutgruppe A in Blutgruppe 0
Noch vor dem Weltblutspendertag am 14. Juni veröffentlichte eine US-amerikanisch-kanadische Forschungsgruppe in der Fachzeitschrift „Nature Microbiology“ eine Studie (siehe Primärquelle), in der sie ein Enzympaar vorstellen, das die menschliche Blutgruppe von A zu 0 ändern kann. So könnten zukünftig für viele Empfänger mehr passende Blutkonserven verfügbar gemacht werden, weil die 'universelle' Blutgruppe 0 alle Empfängern vertragen.
Institut für Lebensmitteltechnologie, Universität für Bodenkultur Wien, Österreich
„Die Methode lässt sich definitiv für die Transfusionsmedizin anwenden, die Autoren haben speziell darauf geachtet, dass die Aktivität in Blut intakt ist und nicht nur in einem künstlichen Puffersystem. Die Restrisiken werden in den letzten Absätzen des Papers beschrieben (betrifft vor allem die Spezifität für Subtypen) und werden noch detailliert untersucht werden, bevor es zu einer allfälligen Anwendung kommen kann. Eine enzymatische Behandlung unmittelbar nach der Gewinnung des Blutes ist offenbar möglich, da danach Verarbeitungssschritte durchgeführt werden, die das Enzym wieder entfernen. Ob eine nachträgliche Behandlung von bereits verarbeiteten und verwendungsbereiten Konserven realistisch ist, kann ich nicht einschätzen. Eine Hürde wird sein, einen tatsächlichen Bedarf für diese Behandlung abzuschätzen – Blutgruppe 0 ist relativ häufig, die Gelegenheiten, zu denen tatsächlich ein Mangel an Gruppe-0-Blut eintritt, der so groß oder so dringend ist, dass enzymatische Konversion von Gruppe-A-Blut notwendig erscheint, sind möglicherweise selten. Die Kosten für vollständige Entwicklung des Verfahrens plus Zulassung sind aber sicherlich hoch – es wird zu sehen bleiben, ob jemand diese Investitionen tätigen möchte. Aber das ist eine Frage für Krankenhäuser und Blutbanken.“
„Für die Spezifizität der Enzyme werden Antikörper-basierte Tests herangezogen, die im Paper beschrieben sind. Da auch die Reaktion im Körper eines Patienten Antikörper-basiert ist, kann davon ausgegangen werden, dass ein negativer Test bedeutet, dass es auch zu keiner Reaktion im Körper kommt – mit dem Vorbehalt, den die Autoren auch ansprechen: Es ist derzeit noch nicht auszuschließen, dass es schwer zugängliche, ‚versteckte‘ A Antigene gibt, die von den Enzymen nicht abgeschnitten werden, und die von den in der Validierung verwendeten Antikörpern nicht detektiert werden, aber von polyklonalem Serum erkannt werden könnten. Diese stellen natürlich ein Risiko dar, dessen sind sich die Autoren aber bewusst.“
Auf die Frage, ob es sich nach Behandlung des Blutes durch gentechnisch optimierte Enzyme um GMO-Blut handelt:
„Nein. Voraussichtlich werden gentechnisch modifizierte Mikroorganismen oder Zellkultur-Zellen eingesetzt werden, um die Enzyme eines Tages industriell zu produzieren. Für die Blutbehandlung wird dann lediglich das gereinigte Enzym eingesetzt (und durch die RBS-Behandlung auch wieder entfernt), das keinerlei Spuren von genetischem Material, verändert oder unverändert, enthält. Im Übrigen wird eine Vielzahl von therapeutischen Proteinen (bestes Beispiel Insulin) mit Hilfe von gentechnisch veränderten Organismen industriell produziert, ohne dass dadurch ‚GMO-Blut‘ entstünde.“
Auf die Frage, ob die andere Zuckermoleküle im Blut durch die enzymatische Aktivität betroffen sein könnten:
„Eine Aktivität dieser Enzyme auf andere Zuckermoleküle kann weitgehend ausgeschlossen werden, da gerade die Spezifität eingehend überprüft wird. Wäre eine ähnliche Struktur andernorts im Blut vorhanden, die auch umgesetzt werden könnte, dann wäre diese Struktur bereits bekannt.“
Oberarzt am Institut für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie, Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, und Leiter der Abteilung Blutentnahme, DRK-Blutspendedienst Baden-Württemberg - Hessen gGmbH
„Die Idee, die Zuckermoleküle auf Erythrozyten, die die Blutgruppen-Antigene A beziehungsweise B repräsentieren, enzymatisch zu entfernen, ist nicht neu. In vitro-Experimente dazu gibt es schon seit mehreren Jahren. Natürlich wäre die Umwandlung der Erythrozytenkonzentrate (EK) der Blutgruppen A und B in solche der ‚Universal-Blutgruppe‘ 0 versorgungstechnisch höchst vorteilhaft.“
„Allerdings stellen sich dieser an sich guten Idee wie so häufig praktische Fragen in den Weg:
„Zusammenfassend: Intellektuell interessante Fragestellung, die es prinzipiell wert wäre, weiter beforscht und entwickelt zu werden. Zu bedenken bleibt die Frage, woher die Ressourcen dafür kommen.“
Direktor des Instituts für Experimentelle Hämatologie und Transfusionsmedizin (IHT), Universitätsklinikum Bonn
„Rahfeld und Coautoren haben aus einem Darmbakterium ein Enzympaar isoliert, welches in Kombination sehr effizient Blutgruppen A -Antigene in rote Blutkörperchen der Blutgruppe 0 umwandelt. Die Blutgruppe 0 kann universal verwendet werden bei der Notfallversorgung von Verletzten, aber auch bei anderen Indikationen. Daher besteht trotz der Häufigkeit von 41 Prozent in der Bevölkerung ein ständiger Mangel an der Blutgruppe 0. Die Blutgruppe A hat eine Häufigkeit von 43 Prozent und könnte mit der enzymatischen Umwandlung in Blutgruppe 0 diesen Engpass beheben. Grundsätzlich wäre diese Methode in der Transfusionsmedizin einsetzbar.“
„Die Effizienz der Umwandlung ließe sich mit immunhämatologischen Untersuchungen vergleichsweise einfach prüfen. Geringe Mengen verbleibender A-Antigene kennen wir von Nicht-Deletion O-Blutgruppenvarianten und wissen, dass diese nicht zu hämolytischen Transfusionsreaktionen führen. Auch der Einsatz gentechnologisch hergestellter Enzyme sollte kein Problem darstellen, da diese ja im Anschluss wieder quantitativ entfernt werden können.“
„Einem breiteren Einsatz dieser Technologie stehen eher praktische Gesichtspunkte entgegen. So müsste die Technologie auf jede einzelne Blutspende/Blutkonserve angewendet werden, Enzyme und abgespaltene A-Antigene müssten aus der Blutkonserve entfernt werden. Wahrscheinlich erfordert eine solche Herstellung manuelle Arbeiten an eröffneten Blutbeutelsystemen in einem Reinraum der Klasse A. Diese sind aber nicht an jeder Einrichtung vorhanden. In Deutschland mit einem Erythrozytenkonzentratpreis zwischen 70-90 Euro wäre es sicherlich schwierig, dies alles wirtschaftlich abzubilden.“
„Eine andere Unbekannte ist, ob die Enzymbehandlung neue immunogene Antigenepitope schafft. Dies kann letztendlich nur durch klinische Studien ausgeschlossen werden.“
„Fazit: Eine neue innovative Technologie, wahrscheinlich grundsätzlich einsetzbar, aber aktuell (noch) nicht in der breiten klinischen Versorgung vorstellbar.“
„Der letztverantwortliche, 'Corresponding Author' der Studie, Prof. Stephen Withers, sitzt im Scientific Advisory Board eines Doktorats-Programms meiner Universität, bei dem ich Mitglied der Faculty bin, und ist mir persönlich gut bekannt. Ich schätze ihn sehr hoch als enorm kompetenten und absolut integren Wissenschafter, habe aber keine Veranlassung, Gefälligkeits-Statements abzugeben.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Primärquelle
Rahfeld P et al. (2019): An enzymatic pathway in the human gut microbiome that converts A to universal O type blood. Nature Microbiology. DOI: 10.1038/s41564-019-0469-7.
Assoc. Prof. Dr. Clemens Karl Peterbauer None
Institut für Lebensmitteltechnologie, Universität für Bodenkultur Wien, Österreich
Dr. Markus M. Müller
Oberarzt am Institut für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie, Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, und Leiter der Abteilung Blutentnahme, DRK-Blutspendedienst Baden-Württemberg - Hessen gGmbH
Prof. Dr. Johannes Oldenburg
Direktor des Instituts für Experimentelle Hämatologie und Transfusionsmedizin (IHT), Universitätsklinikum Bonn