Engpässe bei Arzneimitteln – Wie eine bessere Versorgung gelingen kann
Engpässe und Lieferprobleme bei wichtigen Medikamenten haben in den vergangenen Jahren kritische Ausmaße erreicht und beeinträchtigen die Gesundheitsversorgung. Die Ursachen sind komplex: globale, kaum noch nachvollziehbare Lieferketten, Preisdumping, regulatorische Herausforderungen und die Auswirkungen der Corona-Pandemie. In diesem Pressegespräch haben wir mit zwei Experten und einer Expertin das drängende Thema der Arzneimittelversorgung in Deutschland diskutiert. Neben den Konsequenzen für Patienten, Ärzte und Apotheken haben wir auch über mögliche Lösungen und Best-Practice-Beispiele gesprochen.
Auf unserem Youtube-Kanal können Sie das Video in der Sprecheransicht oder Galerieansicht anschauen.
Das Transkript können Sie hier als pdf herunterladen.
Zum Abschluss des Pressegesprächs hat das SMC die Expertin und Experten noch einmal darum gebeten, zusammenzufassen, welche Punkte bei der Bekämpfung der Lieferengpässe nun besonders wichtig sind.
Seniorprofessorin für pharmazeutische und medizinische Chemie, Institut für Pharmazie und Lebensmittelchemie, Julius-Maximilians-Universität Würzburg
„Engpässe, Belieferung, Produktion, das ist ein sehr komplexes Geschehen. Wir sollten uns vor allem darauf konzentrieren, dass wir genügend Antiinfektiva und Onkologika haben, da hat der Herr Lauterbach schon recht. Wie wir das hinbekommen, ist ein nicht einfaches Thema. Denn zum Beispiel Mittel wie Penicillin und Cephalosporine, die wir in großen Mengen bei Infektionen einnehmen, lassen sich noch relativ einfach herstellen, aber viele andere Antibiotika haben einen wesentlich komplexeren Herstellungsweg. Und darauf sollten wir uns vielleicht in der Tat auch konzentrieren, obwohl ich nicht glaube, dass wir letzten Endes unabhängig werden von einem asiatischen Markt.“
Professor für Daten- und Lieferkettenanalyse, Hochschule Worms, University of Applied Sciences
„Ich denke, es gibt ein paar building blocks, die man berücksichtigen müsste. Das erste ist sicherlich, dass man das Ganze in eine Strategie gießen muss, und für diese Strategie müssen wir auch erst einmal wissen, wo die größten Probleme sind, die wir haben. Und das sollte nicht das Tagesgeschäft diktieren, sondern wir müssen wirklich wissen, was ist die Faktenseite auf den Lieferketten, was ist die Nachfrageseite seitens der Ärzte, der Apotheken, die wirklich genau wissen, was für die Patienten relevant ist. Der zweite building block ist ganz klar: Wir brauchen eine transnationale Perspektive. Die derzeitige Misere als nationales Problem zu betrachten, ist grundsätzlich falsch, auch wenn es Ausnahmen geben mag. Der dritte Punkt ist: Es gibt nicht die eine Lösung. Es wird vielleicht eine Mischung sein aus höheren Preisen oder anderen Preisen in einzelnen Bereichen, aus möglicherweise Reshoring, das aber sicherlich nicht als deutscher Alleingang, das kann ich garantieren. Und möglicherweise brauchen wir auch nationale Reserven in bestimmten Bereichen, oder auch europäische Reserven, doch wir sollten nicht anfangen, irgendwelche Bundeswehrschuppen zu mieten und dort dann die Arzneimittel reinzulegen wie bei Tamiflu und uns dann freuen, wie die peu à peu verderben. Also ganz so einfach ist leider die pharmazeutische Lieferkette nicht, um so etwas zu machen.“
Leiter der Apotheke des Universitätsklinikums Heidelberg
„Es wird tatsächlich nicht die einfache, einzelne Lösung geben. Wir müssen das Ganze als gesellschaftspolitisches Problem begreifen. Gesellschaftspolitisch heißt, dass ich mich auch im Bundestag nicht immer nur mit den Worten hinstelle, was alles nicht geht, ohne was anderes zu machen. Wir haben da ja zwei Parteien, die ich da echt in die Pflicht nehmen würde. Die eine ist in der Regierung, die andere nicht. Das ist Punkt eins. Punkt zwei ist in meinen Augen gesellschaftspolitisch, dass wir uns auch selbst an die eigene Nase fassen als Akteure im Gesundheitswesen. Es geht nicht an, dass ich ein Antidiabetikum off label verschreibe für jemanden, der abnehmen möchte. Das ist ein Unding (gemeint ist Semaglutid, Anm. d. Red.). Da habe ich doch auch eine Verantwortung als Verschreiber. Wenn ich das auf Krankenhaus-Apotheken beziehe: Wir sind organisiert in Einkaufsverbünden, auch wir müssen sehen, dass wir zum Beispiel kein Single Sourcing im Generika-Bereich machen, sondern immer mehrere Anbieter bei der Stange halten und von denen auch einkaufen, auch wenn sich die Preise ein bisschen unterscheiden. Da hat der eine mal einen höheren Preis als der andere und so weiter und so fort. Also wir haben auch eigene Maßnahmen, die direkt bei uns Spielern im Gesundheitswesen liegen, die wir ergreifen können. Das darf man nicht vergessen. Man darf auf keinen Fall die Meinung haben, das kann nur geregelt werden, wenn die Pharmaindustrie irgendwas macht.“
Alle: Keine Angaben erhalten.
Prof. Dr. Ulrike Holzgrabe
Seniorprofessorin für pharmazeutische und medizinische Chemie, Institut für Pharmazie und Lebensmittelchemie, Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Prof. Dr. David Francas
Professor für Daten- und Lieferkettenanalyse, Hochschule Worms, University of Applied Sciences
Dr. Torsten Hoppe-Tichy
Leiter der Apotheke des Universitätsklinikums Heidelberg