Empathie anderer richtig einzuschätzen, stärkt soziale Bindungen
Studie zeigt, wer überzeugt ist, seine Mitmenschen seien empathisch, geht mehr soziale Verbindungen ein und fühlt sich wohler
entsprechend könnten Informationen über die Empathie von Mitmenschen diese Überzeugungen ändern und mehr soziale Verbundenheit schaffen
Forschende sehen Methodik teils kritisch, bewerten die Effekte der Intervention als moderat und weisen darauf hin, dass sie im Zeitverlauf abnehmen
Wer andere für empathisch hält, geht eher soziale Bindungen ein und fühlt sich wohler. Zugleich halten viele ihre Mitmenschen für weniger empathisch, als sie sich selbst einschätzen. Erfahren sie, dass ihre Mitmenschen sich als empathisch sehen, so korrigieren sie ihre Einschätzung und knüpfen mehr enge Sozialkontakte. Dies ist das Ergebnis von drei zusammenhängenden Studien mit US-amerikanischen Studierenden der Universität Stanford, die gebündelt im Fachblatt „Nature Human Behaviour“ erschienen sind (siehe Primärquelle).
In einer ersten, longitudinalen Umfrage befragten die Forschenden etwa 5000 Studierende von 2022 bis 2024 mehrfach zu Empathie, Wohlbefinden und Sozialkontakten. Wer seine Mitmenschen für empathisch hielt, war signifikant zufriedener und mit mehr Personen eng befreundet. Im Zeitverlauf erhöhte sich das Wohlbefinden bei diesen Personen noch weiter. In einer zweiten Umfrage wurde erhoben, wie sich Fremd- und Selbstwahrnehmung von Empathie unterscheiden. Dafür wurde untersucht, für wie empathisch sich die Probanden selbst hielten. Zum Beispiel wurde gefragt, ob sie Mitmenschen helfen würden, denen es schlecht geht. Die Prozentzahl der Probanden, die sich selbst für empathisch hielt, war etwa 24 Punkte höher, als ihre durchschnittliche Einschätzung darüber, wie viele Prozent ihrer Mitmenschen empathisch sind.
Professorin für Translationale Soziale Neurowissenschaften, Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Zentrale Ergebnisse
„Die Studie zeigt, dass die Wahrnehmung der Empathiefähigkeit anderer durch relativ einfache Interventionen wie Nachrichten auf das Smart-Phone oder Plakate verändert werden kann. Eine Erhöhung der wahrgenommenen Empathie führte zu einer Veränderung des Verhaltens – es wurden mehr soziale Risiken eingegangen. Und die soziale Verbundenheit, gemessen durch die Anzahl enger Freunde, wurde verstärkt.“
Einordnung in den Forschungsstand
„Unsere Forschung zeigt, dass Empathie durch das Beobachten empathischer Reaktionen anderer gelernt wird [1]. Das Erhalten von Textnachrichten oder Poster, die über empathisches Verhalten anderer berichten, könnten solche Lernvorgänge anregen.“
Methodik
„Die Studie ist methodisch solide, da die Aussagen auf großen Stichproben basieren. Eine kausale Interpretation ist möglich, da die Erhebungen longitudinal zu verschiedenen Messzeitpunkten erfolgten. Allerdings waren die Interventionseffekte teilweise nicht von Dauer. Zum Beispiel war eine Veränderung der wahrgenommenen Empathie nach vier oder sechs Monaten nicht mehr nachweisbar. Ein Anstieg des Wohlbefindens war nach zwei Wochen nicht mehr nachweisbar. Zudem ist fraglich, ob die beobachteten Effekte auf Personen generalisieren, die nicht Studierende einer amerikanischen Eliteuniversität sind.“
Auf die Frage, ob die Studie zeigen kann, dass wir die Empathie anderer unterschätzen:
„Die beobachteten Abweichungen der wahrgenommenen Empathie zwischen Selbst und Anderen könnte bedeuten, dass die Empathie anderer unterschätzt wird. Sie könnte aber auch nahelegen, dass man die eigene Empathie überschätzt. Die Studie kann zwischen diesen beiden Alternativannahmen nicht unterscheiden.“
Übertragbarkeit der Ergebnisse
„Die Frage, ob die beobachteten Effekte auf andere Stichproben und Kontexte übertragen werden können und als Intervention sinnvoll sind, muss noch empirisch getestet werden.“
Professor für Differentielle Psychologie, Universität Duisburg-Essen
Zentrale Ergebnisse
„Die Ergebnisse der ersten Studie zeigen, dass Wahrnehmung von Empathie das Wohlbefinden über die Zeit hinweg vorhersagt. Allerdings sind die Effektstärken mit Betas kleiner als 0,1 als eher klein zu bewerten.“
„In der zweiten Studie schätzten sich Studierende selbst empathischer ein, als sie von ihren Kommilitonen eingeschätzt wurden. Diese Empathiewahrnehmungs-Lücke sagte das geringere Eingehen sozialer Risiken und stärkere Einsamkeit vorher – mit den weiter unten beschriebenen Einschränkungen. Die Effektgrößen fielen jedoch mit Betas von 0,03 beziehungsweise 0,04 ausgesprochen klein aus. Angesichts der großen Stichprobe ist davon auszugehen, dass selbst sehr geringe Effekte signifikant werden, die inhaltlich vernachlässigbar oder nicht bedeutsam sind – insbesondere, wenn methodische Konfundierungen vorliegen – wie unten beschrieben.“
„In Studie drei erwies sich die von den Autoren durchgeführte Intervention als wirksam im Hinblick auf die Empathiewahrnehmungs-Lücke, die soziale Risikobereitschaft sowie die Netzwerkgröße. Der Effekt ist als moderat zu bewerten. Allerdings zeigten sich bedeutsame Unterschiede zwischen Experimental- und Kontrollgruppe lediglich zum Messzeitpunkt t2, nicht jedoch zu t3 und t4. Dies deutet darauf hin, dass die Wirkung der Intervention nicht langfristig anhielt.“
Methodik
„Eine große Stärke der Studie ist die große Stichprobe von über 5000 Probanden und das längsschnittliche Design mit sechs Untersuchungswellen von 2022 bis 2024. Problematisch sehe ich die Messung der Selbst- und Fremdeinschätzung von Empathie, da man es sich hier zu leicht gemacht hat. Die Frage, wie empathisch ‚typische‘ Stanford Studenten sind, ist nicht der übliche Weg. Man würde hier vielmehr erwarten, dass eine Übereinstimmung zwischen Selbst- und Fremdberichten auf individueller Personenebene gemessen wird.“
„Weiterhin kann kritisch bewertet werden, dass ausschließlich Fragebögen, also Selbstberichte, eingesetzt wurden, die eine hohe Methodenvarianz aufweisen. Das heißt, dass Korrelationen auch dadurch zustande kommen können, dass die Konstrukte mit dem gleichen Verfahren gemessen wurden. Zudem ist die UCLA-Skala kritisch zu betrachten – misst diese Einsamkeit oder Entfremdung?“
„Kausale Interpretationen sind nur bedingt zulässig: Bei Studie eins und zwei sind streng genommen keine kausalen Aussagen möglich, da hier lediglich Beobachtungsdaten vorliegen. Das längsschnittliche Design weist auf Kausalität hin, ein Nachweis der Kausalität liegt jedoch nicht vor. Bei Studie drei sind die Hinweise auf Kausalität noch stärker, da hier zwischen Experimental- und Kontrollgruppe unterschieden wurde. Allerdings wurde keine strikte Randomisierung durchgeführt, sodass kein Nachweis, sondern nur ein starker Hinweis auf Kausalität vorliegt. Unter Berücksichtigung des Designs – der Nestung in den Wohnheimen – ist das gewählte Vorgehen jedoch ‚nach den Regeln der Kunst‘ und in diesem Fall die bestmögliche Annäherung an eine Kausalitätsprüfung.“
Auf die Frage, ob die Studie zeigen kann, dass wir die Empathie anderer unterschätzen:
„Das lässt sich so nicht sagen. Wenn Selbst- und Fremdeinschätzungen variieren, ist nicht gesagt, dass Selbsteinschätzungen besser sind. Möglich wäre es auch zu sagen, dass Fremdeinschätzungen valider sind. In der Regel wird daher meist von Selbst-Fremd-Zusammenhängen gesprochen, ohne zu werten, welche valider sind.“
„Allerdings, wie oben ausgeführt, wurde hier kein klassisches Selbst-Fremd-Übereinstimmungsdesign gewählt. Da in der vorliegenden Studie die Fremdeinschätzungen nicht auf speziellen Personen beruhen, sondern auf einem ‚typischen‘ Studenten ist auch fraglich, ob nicht eventuell Stereotype gemessen wurden.“
Gründe für Effekt der Intervention
„Die von den Autoren in der Diskussion genannten Mechanismen – etwa die Empathiewahrnehmungs-Lücke, die zu sozialer Isolation führt – könnten eine Erklärung sein, die allerdings noch zu prüfen wäre. Allerdings bleibt einschränkend zum Erfolg zu sagen, dass dieser kurzfristig ist, denn bereits vier Monate nach der Intervention waren keine Effekte mehr nachweisbar. Möglicherweise wurden hier Stereotype nur kurzfristig verändert, was nicht selten ist.“
Übertragbarkeit der Ergebnisse
„Eine Übertragung auf andere Situationen und Kontexte ist spekulativ und mit Blick auf die sehr kurzfristige Wirkung der Intervention nicht unbedingt wahrscheinlich. Das müsste zukünftige Forschung zeigen.“
Dieses Statement entstand in Zusammenarbeit mit Tobias Janelt, der gemeinsam mit Marcus Roth am Institut für Psychologie der Universität Duisburg-Essen arbeitet und zum Thema ‚Empathie‘ promoviert.
„Ich habe keinen Interessenkonflikt.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten
Primärquelle
Pei R et al. (2025): Bridging the empathy perception gap fosters social connection. Nature Human Behavior. DOI: 10.1038/s41562-025-02307-1.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Zhou Y et al. (2024): The social transmission of empathy relies on observational reinforcement learning. Proceedings of the National Academy of Science. DOI: 10.1073, 2313073121.
Prof. Dr. Grit Hein
Professorin für Translationale Soziale Neurowissenschaften, Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe keinen Interessenkonflikt.“
Prof. Dr. Marcus Roth
Professor für Differentielle Psychologie, Universität Duisburg-Essen