EHEC: so hilft die Erregertypisierung beim Ausbruchsmanagement weiter
Infektionsquelle beim aktuellen EHEC-Ausbruch in Mecklenburg-Vorpommern weiterhin unklar
Robert Koch-Institut hat nun genauen Ausbruchsstamm identifiziert, die Erregerinformationen sollen bei der Quellensuche helfen können
Forschende erläutern Mehrwert, den diese Informationen liefern
Seit Mitte August dieses Jahres wurden dem Landesamt für Gesundheit und Soziales in Mecklenburg-Vorpommern 45 Fälle von enterohämorrhagischem Escherichia coli (EHEC) gemeldet. Davon gab es zwölf komplizierte Verläufe mit einem hämolytisch-urämischen Syndrom, dem sogenannten HUS. Im Epidemiologischen Bulletin hat nun das Robert Koch-Institut (RKI) die Ergebnisse der Erregersequenzierung veröffentlicht: Demnach handelt es sich um einen eher seltenen Serotyp des Bakteriums namens O45:H2, der das Shigatoxin 2a produziert.
Bei EHEC handelt es sich um eine pathogene Variante des Darmbakteriums Escherichia coli, was blutige Durchfälle auslösen kann. Das von EHEC produzierte Shigatoxin kann besonders bei Kindern das hämolytisch-urämische Syndrom (HUS) hervorrufen, was mit einer Anämie, Thrombozytenverbrauch und einer akuten Nierenschädigung einhergeht.
Leiter des Fachgebiets Lebensmittelmikrobiologie und -hygiene, Institut für Lebensmittelwissenschaft und Biotechnologie, Universität Hohenheim
Ergebnisse der Feintypisierung
„Die im epidemiologischen Bulletin 37/2025 veröffentlichten Ergebnisse zeigen das Bild eines ernstzunehmenden EHEC-Ausbruchserregers, der hierfür typische genetische Merkmale aufweist, wie zum Beispiel die Produktion der Shigatoxinvariante 2a, die Anwesenheit des eae-Gens, einem Marker für die sogenannten attaching-und-effacing-Läsionen des Darmepithels und das ehx-Gen, welches für das EHEC-Hämolysin kodiert (Gift, das rote Blutkörperchen schädigt; Anm. d. Red.). Das ist eine typische Kombination, die auf schwere Verläufe hinweisen kann. Daneben wurden auch der MLST-Typ (Multilokus-Sequenztypisierung) und der cgMLST-Typ veröffentlicht.“
„Diese Informationen helfen den Infektionsepidemiologen, durch Vergleich mit Datenbanken Auskunft darüber zu erhalten, ob ähnliche Typen als Ausbruchserreger bereits früher oder in anderen Regionen in Erscheinung getreten sind. Daneben weist der Stamm weitere akzessorische Merkmale auf (fim, nleB, und weitere), die eine weitere Charakterisierung für Fachleute erleichtern. Darüber hinaus trägt der Stamm mehrere Antibiotikaresistenzen, das ist nicht ungewöhnlich. Von daher ist es für mich nicht überraschend, dass eine Infektion mit dem Erregerstamm schwere Verläufe wie das HUS verursachen kann.“
Nutzen für die Quellensuche
„Die Identifizierung und genaue Charakterisierung eines Ausbruchsstamms sind unverzichtbare Hilfsmittel, um das Ausbruchsgeschehen besser einschätzen zu können. Diese genaue Charakterisierung erfolgt hier über den Serotyp (O45:H2), eine Markerkombination (stx2, eae, ehx), sowie über die Genomsequenzierung und deren bioinformatische Auswertung inklusive Bestimmung des MLST-Typs, die heute in der medizinischen Mikrobiologie routinemäßig durchgeführt wird. Man kann über diese Informationen zum einen bestimmen, ob neu gefundene EHEC-Bakterien zu dem Ausbruch gehören oder nicht. Außerdem kann man untersuchen, ob dieser Erreger neu ist oder bereits in anderen Teilen der Erde als Ausbruchserreger bekannt geworden ist. Zudem kann man anhand dieser Informationen das Übertragungsvehikel finden, indem man zum Beispiel in einem Lebensmittel, das von den Patienten verzehrt wurde, den gleichen Typ findet.“
Weiterer Ablauf beim aktuellen Ausbruch
„Die Frage nach der zukünftigen Entwicklung des Ausbruchs ist für mich nicht gut zu beantworten, da mir interne Informationen der Behörden fehlen. Da die Krankheitsfälle in den letzten Tagen nur noch leicht angestiegen sind, ist aus meiner Sicht eher zu erwarten, dass die Fallzahlen insgesamt stagnieren und vermutlich sinken. Vielleicht haben die angewendeten Vorsichtsmaßnahmen gegriffen oder die bisher noch unbekannte Infektionsquelle ist nicht mehr aktiv.“
„Für mich als Lebensmittelmikrobiologen ist die Suche nach der Infektionsquelle besonders wichtig. Es gibt immer wieder Nachweise von EHEC in Lebensmitteln, aber nur die Aufklärung kausaler Zusammenhänge zwischen Lebensmittel und den Patienten führen hier zum Erfolg. Falls es Lebensmittel sind, ist es wichtig zu wissen welche, ob sie sachgerecht hergestellt und behandelt worden sind (beispielsweise durch Erhitzung, Kühlung oder Waschen) und wie man solche Ausbrüche in Zukunft vielleicht besser verhindern kann. Es könnten auch Tiere in Tierhöfen oder Streichelzoos involviert sein. Hierzu müsste es allerdings bei allen Erkrankten – wahrscheinlich insbesondere bei den Kindern – enge Kontakte zu Tieren gegeben haben.“
Leiter des Instituts für Hygiene und Leiter des Nationalen Konsiliarlaboratoriums für Hämolytisch Urämisches Syndrom (HUS), Universitätsklinikum Münster
Ergebnisse der Feintypisierung
„Das Robert Koch-Institut hat die sogenannte Feintypisierung veröffentlicht, also Erreger-Eigenschaften, die typischerweise bei EHEC untersucht werden.
Dazu gehört zum einen der Serotyp O45:H2: sozusagen eine Erreger-Eigenschaft, wie die Haarfarbe oder Augenfarbe. Der Serotyp ist keine Eigenschaft, die aussagt, ob dieser EHEC-Typ besonders stark krank macht, besonders leicht übertragbar ist oder sich schneller verbreiten kann.“
„Zum anderen gehört zur Feintypisierung auch die Toxinausstattung: die Gene, die für die Giftproduktion des Erregers zuständig sind. Das wichtigste Gift, was EHEC-Bakterien produzieren, ist das Shiga Toxin. Dieses Toxin greift unterschiedliche Zellen an und zerstört diese. Es ist ein sehr potentes Gift, was für uns Menschen auch in kleinsten Mengen schon gefährlich ist.“
„Die Konstellation der verschiedenen Eigenschaften, die beschrieben werden, ist typisch für einen EHEC-Erreger, der schwere Erkrankungen bis zum HUS verursachen kann. Das Shiga Toxin vom Subtyp 2a ist häufig mit schweren Krankheitsverläufen assoziiert. Ein weiteres Gen ist das sogenannte eae-Gen, was für das Protein Intimin codiert: Dieses Protein sorgt dafür, dass die Bakterien leichter an unseren Darmzellen haften können. Als Haftvermittler oder ‚Klebstoff' sorgt Intimin dafür, dass die Bakterien leichter an den Darmzellen haften und so wahrscheinlich nicht so leicht aus dem Darm herausgewaschen werden können. Somit sitzen sie enger an den Zellen und können so leichter ihre Gifte an die Zelle weitergeben. Man vermutet, dass dieses enge Anhaften an den Zellen eine wichtige Rolle dabei spielt, dass Menschen schwerer erkranken.“
„Die Feintypisierung ist plausibel in Zusammenschau mit dem klinischen Bild der Erkrankungen: Auf der einen Seite gibt es schwere Erkrankungsfälle, vor allem Kinder mit dem HUS. Für EHEC-Erreger ist es typisch, dass in erster Linie kleinere Kinder vom HUS betroffen sind, auch wenn ältere Menschen auch daran erkranken können. Auf der Seite des Erregers sehen wir eine typische Ausstattung von verschiedenen Genen, die für Gifte codieren, sodass die schweren Erkrankungsfälle zu den Giften passen.“
Häufigkeit des Serotypen O45:H2
„In Deutschland sind etwa 50 Serotypen bekannt, die mit schweren Erkrankungen wie HUS assoziiert sind. Eine Handvoll davon machen etwa 95 Prozent aller Erkrankungsfälle aus, alle anderen sind eher selten. Es gibt weitere Hunderte von Serotypen von EHEC-Bakterien, die bei Durchfallerkrankungen nachgewiesen werden, die aber nicht unbedingt mit schwereren Erkrankungsfällen wie einem HUS assoziiert sind. Der aktuelle Serotyp ist ein insgesamt seltener, obwohl er in anderen Ländern, zum Beispiel in Nordamerika, ein wenig häufiger vorkommt als in Deutschland. In Deutschland gab es in den vergangenen Jahrzehnten eine kleine zweistellige Anzahl von Proben mit diesem Serotyp.“
Nutzen für die Quellensuche
„Im Rahmen eines solchen Ausbruchs ist es eine Herausforderung herauszufinden, welche Patienten und welche Proben wirklich zum Ausbruchsgeschehen gehören und welche nur eine Art Hintergrundrauschen sind: Das ganze Jahr über gibt es EHEC-Fälle und auch HUS-Fälle, das normale Hintergrundrauschen. Aktuell gab es in den vergangenen Jahren in Deutschland 60 bis 80 HUS-Erkrankungen pro Jahr. Mit Wissen um den Erregertyp O45:H2 kann man bei jeder Probe, die von einem erkrankten Patienten kommt, gezielt auf O45:H2 testen. Somit wird schneller klar, welche Patienten überhaupt dazu gehören.“
„Auch bei untersuchten Lebensmittelproben mit EHEC ist dies nützlich: Am Anfang ist es bei der Quellensuche relativ schwierig, solange man noch nicht weiß, wonach man eigentlich gezielt suchen muss. Mit dem jetzt bekannten Serotyp und weiteren Erregereigenschaften wie der Toxingenzusammensetzung kann man aus EHEC-Lebensmittelverdachtsfällen schneller die herauspicken, die möglicherweise mit dem Ausbruch zu tun haben.“
Weiterer Ablauf beim aktuellen Ausbruch
„Der aktuelle Ausbruch hat Mitte August begonnen. Alle seitdem gesammelten Materialien werden nun nachträglich auf den Serotypen untersucht. Es kann deswegen sein, dass die Zahl der EHEC-Fälle, die zum aktuellen Ausbruch gehören, noch deutlich nach unten korrigiert wird, weil bei vielen der Serotyp noch nicht bekannt war.“
„Auch Lebensmittel werden nun darauf hin untersucht. Betroffene wurden schon befragt und werden weiterhin befragt, um herauszufinden, welche Lebensmittel sie alle konsumiert haben oder welche anderen Gemeinsamkeiten es zwischen ihnen gibt. Findet man ein verdächtiges Lebensmittel, wird versucht, davon eine Probe zu gewinnen, um es auf das Vorhandensein von EHEC zu untersuchen. Wenn es der gleiche Serotyp ist, dann schließt sich in der Regel heutzutage noch der genetische Fingerabdruck an. Dabei werden die Erbinformation der Erreger entschlüsselt und miteinander verglichen, um zu beweisen, dass sie identisch mit dem Ausbruchserreger sind.“
Therapie des HUS
„Es gibt aktuell noch keine kausale Therapie für HUS. Man behandelt in der Regel die Symptome: zum Beispiel das akute Nierenversagen oder die Blutungseigenschaften. Antibiotika empfiehlt man weiterhin nicht, oder nur in bestimmten Fällen.“
„Ich sehe keine potenziellen Interessenkonflikte.“
„Interessenkonflikte habe ich keine.“
Prof. Dr. Herbert Schmidt
Leiter des Fachgebiets Lebensmittelmikrobiologie und -hygiene, Institut für Lebensmittelwissenschaft und Biotechnologie, Universität Hohenheim
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich sehe keine potenziellen Interessenkonflikte.“
Prof. Dr. Alexander Mellmann
Leiter des Instituts für Hygiene und Leiter des Nationalen Konsiliarlaboratoriums für Hämolytisch Urämisches Syndrom (HUS), Universitätsklinikum Münster
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Interessenkonflikte habe ich keine.“