Deutschlands Kliniken vor der Reform – Das bringen Spezialisierung, Leistungsgruppen und Qualitätskriterien
Deutschlands Kliniklandschaft steht vor einem Umbruch. Auf Basis eines Kommissionspapiers plant Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach in Abstimmung mit den Ländern die Neustrukturierung der Krankenhäuser. Mehr Spezialisierung, mehr Transparenz, mehr Qualität; so lässt sich Lauterbachs Formel verkürzt zusammenfassen. Ein zentraler Bestandteil der angedachten Reform sind die Leistungsgruppen. Jeder Fall, jede Operation, jede Behandlung soll eindeutig einer bestimmten Gruppe zugeordnet werden – anhand derer die Qualitätsziele und -voraussetzungen für die Kliniken definiert werden. Wer die Kriterien nach einer mehrjährigen Übergangsphase nicht erfüllt, soll die Leistung auch nicht erbringen dürfen. Dabei orientiert man sich vor allem an NRW, wo vergleichbare Leistungsgruppen bereits erarbeitet und nun erprobt werden. Bei einigen wenigen besonders komplizierten Eingriffen sind derartige Qualitätshürden bundesweit bereits Standard (Mindestmengen). Mit den Leistungsgruppen soll sichergestellt werden, dass überall die gleiche Versorgung mit der gleichen Qualität angeboten wird, heißt es. Bund und Länder wollen sich erneut am 29. Juni zur nächsten und voraussichtlich entscheidenden Beratungsrunde treffen.
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Zum Abschluss des Press Briefings haben wir die Experten noch einmal darum gebeten, zusammenzufassen, inwieweit die geplante Klinikreform dem Patienten nützt. Die Antworten stellen wir Ihnen nachfolgend als Statements zur Verfügung.
Leitender Oberarzt und Leiter des ECMO-Zentrums sowie Facharzt für Innere Medizin, Pneumologie und Intensivmedizin, Klinikum Köln-Merheim, sowie derzeit Mitglied der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung
„Ich glaube, in erster Linie wird die Reform schon eine deutliche Qualitätsverbesserung mit sich bringen. Wir haben einfach viel zu viele kleine Krankenhäuser, in denen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sicherlich im Alltag alles geben und versuchen, es auch bestmöglich zu machen. Das nimmt man wirklich überall wahr. Die Leistungsbereitschaft ist hoch im deutschen Gesundheitswesen. Aber wenn ich nicht eine gewisse Mindeststruktur habe, dann bekomme ich die Qualität nicht da hin, wo sie eigentlich hin muss. Wir haben extrem viele Klinikstandorte in Deutschland. Selbst wenn wir die auf 1200 runterbrechen, haben wir für nahezu alle Erkrankungen eigentlich Kliniken im Radius von maximal 30, vielleicht 45 Minuten. Also wir werden in erster Linie, und das hoffen wir sehr, eine Qualitätsverbesserung sehen. Man muss aber auch sagen, wenn diese Umstrukturierung nicht kommt und wir weiterhin daran festhalten, dass kleinste Krankenhäuser unbedingt überleben müssen, dann kann in der Tat in den nächsten Jahren, und das kann sehr bald sein, in drei, vier, fünf Jahren, die Situation eintreten, dass die großen Kliniken nicht mehr können. Und dann wird die nächste Gesundheitsreform sehr viel schärfer sein müssen als die, die wir jetzt vorgeschlagen haben. Deswegen ist der Weg der moderaten Umstrukturierung aus unserer Sicht derjenige, der das verhindert.“
Leiter des Kompetenzbereiches „Gesundheit“, RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, Essen, und Mitglied des Fachbeirates des Bundesgesundheitsministeriums sowie derzeit Mitglied der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung
„Meine größte Sorge ist, dass wir auf Rationierungen zulaufen. Ganz einfach deswegen, weil wir weniger Arbeitskräfte in den nächsten zehn Jahre in der gesamten Volkswirtschaft haben. Überall, wo Dienstleistung getätigt wird, also im Krankenhaus, werden wir weniger leisten können. Und rationieren heißt, ich muss dann Menschen außen vor lassen. Die kriegen dann nichts. Und das sollten wir unbedingt vermeiden. Das kann ich im Gesundheitswesen nur dadurch vermeiden, dass ich effizienter werde, das heißt mit den Ressourcen mehr Leistung erreiche, damit ich die Bedarfe decken kann. Und die Effizienz ist in dieser Reform angelegt. Indem ich bündle, werde ich effizienter. Und dann kommt auch hinzu, das muss man nach Corona sagen: Wir haben 13 Prozent weniger Fälle im Krankenhaus, perspektivisch vielleicht sogar über 20 bis 25 Prozent, weil noch ambulantisiert wird. Das heißt, wir müssen jetzt auch die Kapazitäten an die neuen Fallzahlen anpassen. Das hat die Luftfahrtbranche schon gemacht, die haben weniger Flüge, die sind durch, die sind wieder fit nach drei Jahren. Die Krankenhäuser stehen jetzt davor. Und dann sollten wir natürlich nicht jedes Krankenhaus um 20 Prozent verkleinern. Das wäre total unwirtschaftlich und medizinisch nicht sinnvoll. Sondern wir sollten einzelne Standorte rausnehmen oder bündeln. Also wie viele Standorte brauchen wir eigentlich noch, sodass wir die Betten füllen können? Und das sind die zwei Herausforderungen, weshalb es die Reform gibt. Am Ende muss das Ziel sein, dass ich die Patienten dann auch noch versorgen kann, dass ich nicht rationieren muss.“
Leiter des Fachgebiets Management im Gesundheitswesen, Technische Universität Berlin, und Mitglied des Fachbeirates des Bundesgesundheitsministeriums sowie derzeit Mitglied der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung
„Vom Patienten her gedacht: Er soll sich darauf verlassen können, dass dann, wenn ihn der Rettungswagen irgendwo hinfährt, dort auch die entsprechenden Voraussetzungen gegeben sind. Es soll nicht mehr so ein Lotteriespiel sein, wo ich hinkomme. Sondern der Patient soll sich darauf verlassen können, dass, wenn ich in ein Krankenhaus komme, dort auch die entsprechende Expertise und die entsprechende Ausstattung vorhanden ist.“
Alle: Keine Angaben erhalten.
Prof. Dr. Christian Karagiannidis
Leitender Oberarzt und Leiter des ECMO-Zentrums sowie Facharzt für Innere Medizin, Pneumologie und Intensivmedizin, Klinikum Köln-Merheim, sowie derzeit Mitglied der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung
Prof. Dr. Boris Augurzky
Leiter des Kompetenzbereiches „Gesundheit“, RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, Essen, und Mitglied des Fachbeirates des Bundesgesundheitsministeriums sowie derzeit Mitglied der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung
Prof. Dr. Reinhard Busse
Leiter des Fachgebiets Management im Gesundheitswesen, Technische Universität Berlin, und Mitglied des Fachbeirates des Bundesgesundheitsministeriums sowie derzeit Mitglied der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung