Chatkontrolle und DSA: Quo vadis, EU-Digitalgesetzgebung?
Digital Services Act, Chatkontrolle, AI Act – die EU-Kommission arbeitet momentan mit Hochdruck an richtungsweisenden Digitalgesetzen. Zeit, einmal einen Moment innezuhalten und zu schauen, wo die Reise hingeht. Die meisten der Gesetzesvorschläge bewerteten Expertinnen und Experten eher positiv, auch wenn es Verbesserungspotenzial gab und gibt. Insbesondere den Vorschlag für eine Verordnung zum Erkennen und Melden von Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs – auch bekannt als Chatkontrolle – kritisierten sie stark.
Auf unserem Youtube-Kanal können Sie das Video in der Sprecheransicht oder Galerieansicht anschauen.
Das Transkript können Sie hier als pdf herunterladen.
Das SMC hat die Experten am Ende des Press Briefings nach den wichtigsten Aspekten für Journalistinnen und Journalisten gefragt und um ein Fazit zu der EU-Digitalgesetzgebung der vergangenen Jahre gebeten. Die Antworten stellen wir Ihnen nachfolgend als Statements zur Verfügung.
Professor für Medienrecht, Technische Universität Dortmund
„Es ist auf jeden Fall vieles auf den Weg gebracht worden. Das ist auch gut, weil damit international Standards gesetzt werden. Das alles ist ein Entwurf, an dem jetzt aber in vielen Bereichen an der Ausgestaltung weitergearbeitet werden muss. Es muss geschaut werden, wo Kollisionen auftreten, wo Verbesserungen möglicherweise angemahnt werden müssen. Man hat jetzt einen Rohbau und den würde ich auch grundsätzlich als gut bezeichnen – jedenfalls in Bezug auf den DSA (Digital Services Act) und den DMA (Digital Markets Act). Jetzt geht es um die vielen Ausgestaltungen, die dann notwendig sind und die sich bekanntermaßen auch über Jahre hinziehen können.“
„Mein Wunsch an alle Journalist*innen wäre, nicht locker zu lassen und möglichst viel weiter zu berichten über diese Themen. Das auch nicht nur aktualitätsbezogen zu tun, sondern sich immer wieder auch einzelne grundlegende Fragestellungen – wie Uploadfilter oder Ausgestaltung von Algorithmen und Risikobewertungssystemen, so abstrakt sie auch sein mögen – herauszugreifen und vielleicht anschauliche Aufhänger zu finden, um dann doch nachhaltig darüber zu berichten.“
Programmleiter Forschungsprogramm „Regelungsstrukturen und Regelbildung in digitalen Kommunikationsräumen“, Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut (HBI), und Universitätsprofessor für Innovation, Theorie und Philosophie des Rechts, Universität Innsbruck, Österreich
„Die aktuellen EU-Digitalgesetze sind wichtig, sie sind richtig. Allerdings kommen sie fünf Jahre oder je nach Fachgebiet auch zehn Jahre zu spät. Da die USA, China oder Russland aktuell keine ernstzunehmenden Regulierungsvorschläge machen, wird das einen Standard setzen, der weltweit gesehen und gehört wird und Vorbildwirkung haben wird in vielen Bereichen. Das ist gut und das ist sinnvoll.“
„Ich glaube, der der größte Mehrwert, den wir aktuell sehen bei diesen Gesetzen ist, dass endlich anerkannt wird, dass neben den Regeln auch die Technik und die Algorithmen eine Rolle spielen. Und dass sowohl im DSA als auch im DMA frontal sowohl Regeln der Plattformen, die internen Regeln, als auch deren Aufmerksamkeitstechniken, deren Machttechniken, kontrolliert werden. Dahin zu kommen war schon ein großer wichtiger Schritt.“
Professor für Medienrecht und Medienpolitik in der digitalen Gesellschaft, Hochschule der Medien Stuttgart
„Die Richtung stimmt. Man muss diese Herausforderung europäisch angehen. Man hat beim DSA und beim DMA vielleicht auch schon ein bisschen gelernt, unter anderem auch aus der Datenschutz-Grundverordnung. Da hat man neue organisatorische Mechanismen, also die Abstimmungsprozesse sind besser beim DSA mit den Digital Services Coordinators. Dieses ‚one size fits all‘ – also ein großes Unternehmen muss sich genauso an die Vorgaben halten wie ein ganz kleines – das hatten wir in der Datenschutz-Grundverordnung mehr oder weniger. Da hat man jetzt gesagt: Das machen wir viel differenzierter. Wir gucken, was können die Kleinen stemmen? Die ganz Großen haben viel mehr Verantwortlichkeiten, also viel gestufter das Konzept. Das ist alles gut, alles prima. Man muss der Gefahr begegnen, dass es zu so einer ‚Hypertrophie des europäischen Internetrechts‘ kommt. Wir haben sehr viele Mechanismen, man muss sehr genau hingucken: Bleiben die auch insgesamt kohärent? Gibt es da nicht zum Teil systematische Brüche oder Widersprüche? Aber die Richtung stimmt.“
„Und an die Journalistinnen und Journalisten: Wenn Experten gefragt werden, wenn es um so komplexe Themen geht wie DSA und DMA, geben Sie ihnen vielleicht statt einer Minute drei Minuten, um Sachen zu erklären.“
Prof. Dr. Tobias Gostomzyk
Professor für Medienrecht, Technische Universität Dortmund
Prof. Dr. Matthias Kettemann
Programmleiter Forschungsprogramm „Regelungsstrukturen und Regelbildung in digitalen Kommunikationsräumen“, Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut (HBI), und Universitätsprofessor für Innovation, Theorie und Philosophie des Rechts, Universität Innsbruck, Österreich
Prof. Dr. Tobias Keber
Professor für Medienrecht und Medienpolitik in der digitalen Gesellschaft, Hochschule der Medien Stuttgart